Mobbing an Schulen
Recht & Verwaltung15 Mai, 2024

»Das ist meine Privatsache!« – Wann darf außerschulisches Verhalten geahndet werden?

von Marko Bijok, Experte für Schulrecht

Lesezeit: ca. 10 Minuten

Das Problem: Außerhalb der Schule obliegt die Erziehung vor allem den Eltern; auch Schüler haben ein Recht auf Achtung ihrer Privatsphäre. Problematisch wird dies jedoch, wenn das außerschulische Verhalten in den Schulbetrieb hineinwirkt und diesen stört. Welche Handhabe haben Schulen dann?

Das sagt das Recht

In manchen Bundesländern sprechen die Schulgesetze diesen Problemkreis ausdrücklich an. So soll nach § 51 Abs. 5 S. 4 des Thüringer Schulgesetzes außerschulisches Verhalten des Schülers nur Gegenstand einer Ordnungsmaßnahme sein, „soweit es sich auf den Schul- oder Unterrichtsbetrieb störend auswirkt“. Ähnlich, aber negativ, formuliert § 86 Abs. 3 Nr. 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG), dass Ordnungsmaßnahmen auf Grund außerschulischen Verhaltens unzulässig sind, »soweit es nicht die Verwirklichung der Aufgaben der Schule gefährdet«.

Eine Ahndung ist zulässig, soweit die Verwirklichung der Aufgaben der
Schule gefährdet wird.

Das heißt im Umkehrschluss: Eine Ahndung ist zulässig, soweit die Verwirklichung der Aufgaben der Schule gefährdet wird. Der Sache nach nichts Anderes gilt in den Ländern, in denen eine gesetzliche Regelung fehlt. Auch hier kann nach der Rechtsprechung außerschulisches Verhalten von Schülern durch Ordnungsmaßnahmen geahndet werden, wenn es in den Schulbetrieb hineinwirkt und die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule behindert. Unter welchen Umständen dieses „Hineinwirken“ in den Schulbetrieb zu bejahen sein kann, sollen einige Beispielsfälle aus der Rechtsprechung deutlich machen.

VGH München, Beschluss vom 10.06.1997 – 7 ZS 97.1403

Recht einfach zu bejahen war der erforderliche Schulbezug im Fall des Verwaltungsgerichtshofs München: Ein Schüler sprach in der Schule drei Mitschüler
an und fragte sie, ob er ihnen Marihuana besorgen solle, was die Mitschüler bejahten.
Sie bezahlten die Ware während der Pause, erhielten sie später jedoch vor dem Schultor. Schon allein deshalb, weil sich das Geschäft auf dem Schulgelände anbahnte, problematisierte das Gericht die Frage des Schulbezugs der eigentlichen Übergabe des Rauschgifts nicht weiter, zumal sich diese ohnehin zumindest im »Umfeld« der Schule vollzog.

VGH Mannheim, Beschluss vom 10.06.1992 – 9 S 1303/92

In dem Fall, den der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zu entscheiden hatte schrieb ein 15-jähriger Schüler die (Festnetz-)Telefonnummer einer Mitschülerin an ein Straßenbahnwartehäuschen und einen Stromkasten – mit der Folge zahlreicher störender Anrufe im Elternhaus. Ferner äußerte der Schüler sich unsittlich gegenüber einer Mitschülerin und ausländerfeindlich gegenüber einem Mitschüler. Aus Sicht des Gerichts sei diesem Verhalten insgesamt eine »bedenkliche Tendenz zur Geringschätzung der Persönlichkeitsrechte anderer zu entnehmen, die einer erzieherischen Korrektur bedarf«. Anknüpfungspunkt könne auch Verhalten außerhalb des Schulgebäudes und des Schulhofes sein. Allerdings betonte das Gericht, dass in diesem Fällen das Maß der Ordnungsmaßnahmen vom Grad der konkret feststellbaren negativen Auswirkungen auf den Schulbetrieb abhängig sei; ferner müsse man »auch relativierend den Verantwortungsbereich der Eltern für das außerschulische Verhalten in Rechnung stellen«. Das bedeutet im Klartext: Die Auswirkungen auf den schulischen Betrieb müssen konkret und belastbar festgestellt werden. Je größer die Auswirkungen, desto einschneidender dürfen die Ordnungsmaßnahmen sein. Bei alledem ist aber – quasi vor die Klammer gezogen – zu berücksichtigen, dass außerhalb der Schule vor allem die Eltern für die Erziehung ihres Kindes verantwortlich sind.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 25.04.1996 – 19 B 246/96

Ein »Hineinwirken in den Schulbetrieb« kann auch darin liegen, dass ein bestimmtes außerschulisches Verhalten – etwa Mobbing – zu einer Verschlechterung der schulischen Leistungen bei dem Geschädigten führen. So lag es im Fall des Oberverwaltungsgerichts Münster: Ein Schüler wurde durch die von der Antragstellerin dominierte Schülergruppe gehänselt (»Der Stinker kommt«), isoliert und so unter Druck gesetzt, dass er bei der Schulleitung um seine Versetzung in die Parallelklasse bat. Die Familie erhielt anonyme Anrufe und Briefe beleidigenden Inhalts; die Antragstellerin wurde beobachtet, als sie mit anderen den Briefkasten der Familie mit Mehl und rohen Eiern füllte. Die Leistungen des Geschädigten ließen daraufhin deutlich nach. Das Gericht billigte die gegen die Antragstellerin ergriffene Ordnungsmaßnahme, auch wenn ein Gutteil des beanstandeten Verhaltens außerhalb der Schule erfolgte.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 21.07.1998 – 19 E 391-98

Ebenfalls das Oberverwaltungsgericht Münster bejahte einen »direkten Zusammenhang zum Schulverhältnis« in einem Fall, in dem ein Schüler einen Mitschüler an der Bushaltestelle vor der Schule geschlagen, getreten, bedroht, seiner Tasche beraubt und in einiger Entfernung kurze Zeit später gezwungen hatte, vor ihm niederzuknien. Dadurch sei das Zusammenleben der am Schulleben Beteiligten gestört worden. Die Ordnungsmaßnahme (konkret: Entlassung von der Schule) sei daher geeignet und erforderlich, u.a. auf einen gewaltfreien Umgang der Schüler miteinander hinzuwirken, dem Schutz der am Schulleben beteiligten Schüler zu dienen und damit eine geordnete Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Schule zu gewährleisten.

Der »schulische Bezug« liege auch für Vorfälle an der benachbarten Schule vor: Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 10.08.2022 – M 3 S 22.3412

Das Verwaltungsgericht München billigte eine Ordnungsmaßnahme, nachdem ein Schüler sich an der großflächigen Beschriftung der Wände in der Toilettenanlage des benachbarten Gymnasiums mit Parolen und Ähnlichem beteiligt hatte. Der erforderliche »schulische Bezug« liege auch für die Vorfälle an der benachbarten Schule ohne Weiteres vor. Zum einem normiere bereits Art. 56 Abs. 4 Satz 5 BayEUG, dass die Schüler alles zu unterlassen haben, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule oder einer anderen Schule stören könnte. Daraus ergebe sich die Intention des Gesetzgebers, vorliegend auch das Verhalten an der benachbarten Schule mitzuumfassen. Zum anderem sei auch eine negative Rückwirkung auf den eigenen Schulalltag anzunehmen, wenn Schüler der eigenen Schule durch Fehlverhalten an anderen Schulen auffallen. Schulbezogenes Verhalten sei nicht ausschließlich räumlich und zeitlich, sondern auch inhaltlich bestimmt.

Eine an eine ganze Klasse gesendete Whats-App-Nachricht kann den Schulfrieden massiv beeinträchtigen: Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 04.02.2016 – AN 2 S 16.00126

Das Verwaltungsgericht Ansbach bestätigte eine sofortige Schulentlassung ohne vorherige Ordnungsmaßnahmen, insbesondere ohne eine vorherige Androhung der Entlassung, zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrages und zum Schutz einer Mitschülerin. Der mit dieser Maßnahme belegte Schüler versandte per WhatsApp eine Nachricht an eine Gruppe aus 26 Mitschülern seiner Schulklasse, in der er sexuelle Handlungen mit der Mitschülerin im Einzelnen in detaillierter und abschätziger Art und Weise unter Hervorhebung der Unzulänglichkeiten der Mitschülerin schilderte. Die Mitschülerin wurde dabei unter anderem als »ungepflegter Bengel« und »dumm« bezeichnet. Aus Sicht des Gerichts liege es auf der Hand, dass die an die ganze Klasse gesendete Nachricht, die sich von dort aus auch weiterverbreitet hat, den Schulfrieden massiv beeinträchtigt habe. Ohne weiteres verständlich sei auch, dass die betroffene Schülerin nach den ehrverletzenden Äußerungen nicht mehr wie zuvor unbefangen am Schulleben teilnehmen könne und daher dem Unterricht ferngeblieben sei. Wie stark diese psychisch genau betroffen bzw. verletzt sei, lasse sich nur schwer ermessen. Davon müsse angesichts des extrem beleidigenden und intimen Inhalts der Nachricht aber ausgegangen werden.

Verwaltungsgerichts München, Urteil vom 21.04.2021, M 3 K 17.5634

Ähnlich lag es im Fall des Verwaltungsgerichts München, in welchem die gegenüber einer Schülerin verfügte Entlassung von der Schule wegen eines Posts auf Instagram Streitgegenstand war. Wegen vorangegangener Äußerungen der Klägerin im WhatsApp-Klassenchat hatte an der Schule ein Präventionsgespräch mit der Klägerin stattgefunden. Ziel des Gespräches war es, die Klägerin von Cybermobbing und ähnlichem Verhalten abzuhalten. Schon am darauffolgenden Tag veröffentlichte die Klägerin einen Post auf Instagram mit dem Inhalt:

»@[..] scheiss auf Hausverbot wir schlagen sie vor der schule Pech für sie soll sie sowas net machen Plan nhh Mittwoch nach ferien«.

Bei der in dem Post aufgeforderten Person handelte es sich um eine Mitschülerin der Klägerin. Bei der Person, die geschlagen werden sollte, handelte es sich um eine Schülerin einer anderen Schule.

Das Gericht bejahte den schulischen Bezug u.a. mit der Erwägung, sowohl die Klägerin als auch die Adressatin des Posts (»@…«) seien Schülerinnen der Schule. Auch der Kreis derjenigen, die den Post lesen konnten und sollten, bestehe – wenn auch nicht ausschließlich – zu Teilen aus Mitschülern der Klägerin als deren soziale Bezugsgruppe. Zusätzlich bestehe ein zeitlicher und vor allem inhaltlicher Bezug der Art, dass am Vortag vor dem streitgegenständlichen Post als pädagogische Maßnahme ein Präventionsgespräch mit der Klägerin stattfand, um genau solche Vorfälle zu verhindern. Eine Begrenzung schulrechtlicher Ordnungsmaßnahmen auf Fehlverhalten in den Schulräumen sei gerade aufgrund der hohen faktischen Bedeutung der sozialen Netzwerke und Chatprogramme für den Schulalltag nicht angebracht. Die Schüler begegneten einander tagtäglich in der Schule, die Schulgemeinschaft erlange – wie im vorliegenden Fall – durch den im Zweifelsfall offenen Zugang im Internet Kenntnis von den Vorfällen. Zusätzlich stellten Mitschüler häufig die wichtigste soziale Bezugsgruppe dar.

Was für Sie wichtig ist

Die Grenzziehung zwischen einem Verhalten, das ausschließlich Angelegenheit der Erziehungsberechtigten ist, und einem Verhalten, das ein Eingreifen der Schule rechtfertigt, ja erfordert, kann immer nur im Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände erfolgen. Allerdings ist in der Rechtsprechung die Tendenz zu erkennen, den erforderlichen schulischen Bezug großzügig zu bejahen. Das kann auch nicht verwundern: Die Schule ist der Ort, an dem die Schüler den Großteil ihrer wachen Zeit verbringen, die Mitschüler sind die wichtigste soziale Bezugsgruppe. In der Praxis bedeutsam sind Fälle, in denen Schüler außerhalb der Schule Mitschüler oder gar Lehrer durch ehrverletzende Äußerungen oder die Veröffentlichung von Videos auf Messenger Diensten oder Social-Media-Plattformen bloßstellen. Ein solches Verhalten, das als (Cyber-)Mobbing zu qualifizieren ist, wirkt fast zwangsläufig in den schulischen Betrieb hinein. Die Schule kann ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag nur erfüllen, wenn die Schüler untereinander die Regeln für ein erträgliches Miteinander beachten. Durch die Querelen der Beteiligten wird der Schulfrieden jedoch nachhaltig gestört. Aber auch die physischen oder psychischen Folgen für den geschädigten Schüler, insbesondere vermehrte Fehlzeiten (aus Scham oder Krankheit) oder nachlassende schulische Leistungen, begründen den schulischen Bezug.

Bildnachweis: arborpulchra/stock.adobe.com

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