Dieselfahrzeug
Recht & Verwaltung29 April, 2024

BGH: Haftungsvoraussetzungen für Dieselhersteller mit Fahrkurvenerkennung und Thermofenster

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online

1. In einem Dieselfall enthält die Behauptung des beklagten Fahrzeugherstellers, sich in einem Verbotsirrtum befunden zu haben, die Behauptung, dass dies auch für die Repräsentanten (Vertreter) des Herstellers gilt.

2. Eine Darlegung subjektiver Vorstellungen einzelner Mitarbeiter des beklagten Fahrzeugherstellers ist nur dann erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass einem Verbotsirrtum entgegenstehende Umstände bekannt waren bzw. die Möglichkeit bestand, dass diese aufgrund eines Organisationsverschuldens nicht zur Kenntnis der relevanten Entscheidungsträger gelangt sind.

Sachverhalt: Schadensersatzklage eines
Erwerbers eines Dieselfahrzeugs

Der Kläger hatte ein Dieselfahrzeug des beklagten Herstellers mit einer Fahrkurvenerkennung und einem Thermofenster erworben und einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Begründung: Keine Haftung des Herstellers
im konkreten Fall

Das OLG Braunschweig hat mit dieser Entscheidung vom 28.02.2024 - 7 U 293/21 - zu Schadensersatzansprüchen eines Fahrzeugkäufers beim Erwerb eines Dieselfahrzeugs Stellung genommen.

Nach Auffassung des OLG besteht hier kein Schadensersatzanspruch aus § 826, 31 BGB wegen der Prüfstands- oder Fahrkurvenerkennung mit Reduzierung der Abgasrückführung im gewöhnlichen Straßen-, aber nicht im Prüfstandsbetrieb.

Thermofenster im zulässigen Bereich

Der Kläger hatte behauptet, dass das »Thermofenster« nur zwischen +20 und +30°C funktioniere, konnte dies jedoch nicht ausreichend belegen.

Daher ist von der von der Beklagten behaupteten Reichweite von -24 bis +70°C auszugehen. Diese Reichweite stellt keine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 dar, da sie sämtliche in Europa übliche Außentemperaturen erfasst.

Keine Anhaltspunkte für Sittenwidrigkeit

Es wurden außerdem keine Anhaltspunkte dargelegt, die auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten deuten könnten.

Auch wenn man annimmt, dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) möglicherweise über die Verwendung eines »Thermofensters« getäuscht worden wäre, das die Abgasrückführung beeinflusst, wäre es nicht völlig abwegig, dass die geltenden Zulassungsvorschriften die Nutzung eines solchen Thermofensters erlauben.

Das bedeutet, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht haltbar ist, wenn eine solche Auslegung der Vorschriften denkbar ist.

Auch Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB bestehen nicht. Hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs des Klägers aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. Artt. 12, 18 RL 2007/46 (EG), Artt. 5 Abs. 2 S. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007, §§ 6, 27 EG-FGV wegen aller behaupteten Abschalteinrichtungen weist das OLG darauf hin, dass ein Anspruch auf »großen« Schadensersatz oder auf „kleinen" Schadensersatz nicht besteht.

Hierbei kommen lediglich Ansprüche wegen der Fahrkurvenerkennung und des »Thermofensters« in Betracht.

Unvermeidbarer Verbotsirrtum

Selbst wenn man unterstellt, dass die Installation der Fahrkurvenerkennung die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfüllt, fehlt es nach Auffassung des OLG hier jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten, weil sie sich im unvermeidbaren Verbotsirrtum darüber befand.

Die Beklagte hat einen Verbotsirrtum ausführlich erklärt. Dafür muss der Fahrzeughersteller beweisen, dass alle gemäß § 31 BGB befugten Vertreter im entscheidenden Moment über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung falsch informiert waren.

Dieser Irrtum muss sich auf alle wichtigen Einzelheiten beziehen, die für die Überprüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 relevant sind. Im Falle einer Ressourcenaufteilung muss der Hersteller zudem zeigen, dass die damit verbundenen Pflichten korrekt erfüllt wurden.

Die Beklagte hat hier zwar nichts zu der Vorstellung ihrer Vertreter vorgetragen. Ihre Behauptung aber, dass sie sich in einem Verbotsirrtum befunden habe, enthält logisch zwingend die Behauptung, dass dieses für die Repräsentanten gilt, denn diese vertreten (repräsentieren) die Beklagte. Dies reicht für die schlüssige Darlegung eines Verbotsirrtums aus.

Auf die Darlegung subjektiver Vorstellungen einzelner Mitarbeiter der Beklagten kommt es nicht an.

Keine klare Rechtsprechung zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs

Zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs am 14.01.2013 existierte keine Rechtsprechung des EuGH oder des BGH, die die Zulässigkeit der Fahrkurvenerkennung in Zweifel gezogen oder gar explizit verneint hätte.

Keine Überschreitung der Grenzwerte durch Fahrkurvenerkennung

Der Verbotsirrtum war auch unvermeidbar. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat die Fahrkurvenerkennung auch nach der von der Beklagten seit Oktober 2015 erlangten Kenntnis von deren Installation nicht beanstandet, weil es davon ausging, dass nicht grenzwertkausale Abschalteinrichtungen auch nach Art. 5 Abs. 2 S. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 zulässig seien.

Daher ist davon auszugehen, dass das KBA diese Frage nicht anders beurteilt hätte, wenn es zu einem früheren Zeitpunkt mit der Fragestellung konfrontiert gewesen wäre.

Der Umstand, dass das Fahrzeug eine Fahrkurvenerkennung aufweist, stellt noch kein Indiz dafür dar, dass diese zu einer Überschreitung der Grenzwerte führt. Auch soweit der Kläger seinen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens auf das »Thermofenster« stützt, bleibt dies erfolglos.

Denn auch insofern scheidet ein Schadensersatzanspruch aus, weil in dem im Fahrzeug installierten »Thermofenster« keine »Abschalteinrichtung« im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 zu sehen ist.

Fehlendes Verschulden der Beklagten

Außerdem fehlt es an einem schuldhaften Handeln der Beklagten, da sie sich auch hinsichtlich der Zulässigkeit des »Thermofensters« in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand.

Dieser Verbotsirrtum war für die Beklagte auch unvermeidbar. Der EuGH hat ausdrücklich erst mit Urteilen vom 14.07.2022 »Thermofenster« mit der von den Herstellern gegebenen Begründung als unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 angesehen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 - C-128/20).

Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Klägers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

Praktische Bedeutung des Beschlusses vom 28.02.2024 - 7 U 293/21

Das OLG Braunschweig befasst sich in dieser Entscheidung erneut mit Ansprüchen beim Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs.

Das OLG macht in dieser Entscheidung auch deutlich, dass es für die schlüssige Darlegung eines Verbotsirrtums eines Fahrzeugherstellers in einem Dieselfall nicht auf die Darlegung subjektiver Vorstellungen einzelner Mitarbeiter des Herstellers ankommt (OLG Stuttgart 28.09.2023 - 24 U 2616/22).

Nach Auffassung des Gerichts gilt dies nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass einem Verbotsirrtum entgegenstehende Umstände bekannt waren bzw. die Möglichkeit bestand, dass diese aufgrund eines Organisationsverschuldens nicht zur Kenntnis der relevanten Entscheidungsträger gelangt sind.

Dann bedarf es der Darlegung subjektiver Vorstellungen einzelner Mitarbeiter des beklagten Herstellers.

Nach Auffassung des OLG handelt es sich außerdem bei der Unkenntnis von der Unzulässigkeit einer Fahrkurvenerkennung um eine negative Tatsache. Deren Darlegung kann nur verlangt werden, wenn und soweit sie zumutbar ist.

Dies ist aus Sicht des OLG dann nicht der Fall, wenn Ermittlungen des beklagten Fahrzeugherstellers gegenüber einzelnen Personen im eigenen Hause keine Hinweise auf Wissen oder berechtigte Zweifel an der Unzulässigkeit einer bestimmten Motoreinstellung ergeben.

Bildnachweis: weyo/stock.adobe.com
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