BAG: Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags bei Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
Recht & Verwaltung20 Juni, 2022

BAG: Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags

von Torsten Herbert, Geschäftsführer des KAV NRW

Sachverhalt

Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages.

Am 22.11.2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin. Sie erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, diese habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. 

Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u.a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2019 vor. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind streitig geblieben. 

Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag mit Erklärung vom 29.11.2019 wegen widerrechtlicher Drohung an. Sie hat mit ihrer Klage u.a. den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30.11.2019 hinaus geltend gemacht. Ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. 

Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

Die Revision der Klägerin zum BAG hatte keinen Erfolg. 

Entscheidung 

Das BAG sieht – auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt werde – keine Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohungen.  

Ein verständiger Arbeitgeber habe im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen.  

Ebenso sei das LAG auf der Grundlage der vom BAG entwickelten Maßstäbe (BAG, Urteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18 -) zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass die Beklagte nicht unfair verhandelt und dadurch gegen ihre Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen habe.  

Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin sei nicht dadurch verletzt worden, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag entsprechend § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet habe und die Klägerin über die Annahme deswegen sofort habe entscheiden müssen. 

(Quelle: BAG, Pressemitteilung 8/22 vom 24.02.2022) 

Praktische Bedeutung 

Das vorstehende Urteil des BAG vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21 greift das Grundsatzurteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18 - auf, wonach ein arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag unabhängig vom Ort seines Abschlusses zwar nicht gemäß § 355 BGB widerrufen werden kann, ein Aufhebungsvertrag jedoch dann unwirksam ist, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. 

Dieses Gebot soll der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen begegnen und ist eine bei den Vertragsverhandlungen zu beachtende Nebenpflicht.  

Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses.  

Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist danach noch nicht gegeben, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt.  

Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich.  

Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.

Dann ist der unfair behandelte Vertragspartner so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen – das heißt, das Arbeitsverhältnis wird unverändert fortgesetzt. 

Droht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zuge der Verhandlung über den Aufhebungsvertrag mit einer fristlosen Kündigung, kommt es darauf an, ob ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung ernsthaft in Betracht ziehen durfte, um den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu veranlassen. Ist dies nicht der Fall, wird die Widerrechtlichkeit der Drohung nicht durch eine dem Arbeitnehmer eingeräumte bloße Bedenkzeit beseitigt.  Gleiches gilt hinsichtlich der Drohung mit einer Strafanzeige.

In der vorliegenden Entscheidung hat das BAG zu der Frage der Einräumung einer Bedenkzeit für den Arbeitnehmer seine Rechtsprechungslinie fortgesetzt und dabei betont, dass die Entscheidungsfreiheit der Klägerin auch nicht dadurch verletzt worden sei, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag zur sofortigen Annahme unterbreitet habe und die Klägerin über die Annahme deswegen habe sofort entscheiden müssen. 

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