Digitalisierung und Work-Life-Balance Kita
Recht & Verwaltung15 Februar, 2022

Digitalisierung und Work-life-Balance

Katrin Bartsch und Manuela Krämer | Paritätische Gesellschaft für soziale Dienste Bremen

Meeting-Kultur: Gemeinsam in der Lernkurve 

Die Anfänge der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 waren weltweit eine Zeit der anschwellenden Unsicherheit in allen Lebensbereichen. Wie sehr die zur Eingrenzung des Virus notwendigen Maßnahmen jedoch die Digitalisierung der Arbeitswelt beschleunigen und in bisher nur wenig digitalisierte Bereiche tragen würde, war zu diesem Zeitpunkt kaum abzusehen. Selbst in Kindertageseinrichtungen wurde das Arbeiten im Homeoffice – wenn es gut lief, im Arbeitszimmer – nach besten Kräften Schritt für Schritt etabliert. Nicht selten mussten aber auch der Küchentisch oder gar das Schlafzimmer als Kulisse für Botschaften an Kinder und Eltern herhalten, so dass in der Berufsgruppe erstmals eine solch deutliche Vermischung des Privaten mit dem Beruflichen stattfand.

Im Alltagsvokabular wurden Begriffe wie »Zoom«, »Skype« und »Teams« schnell zum Standard. Nach anfänglichen Berührungsängsten und den oft holprigen Starts mit den neuen Formaten für die Kommunikation auf Distanz sind die pädagogischen Fachkräfte inzwischen nahezu Expert*innen für die technischen Anwendungen zur digitalen Vernetzung, für das Teilen von Präsentationen per oder das Bilden von Kleingruppen im virtuellen Raum. Ein für uns nicht unwesentlicher Bereich dieser neuen digitalen Entwicklung ist jedoch auch der kulturelle Aspekt der Zusammenkünfte – der deutlich schwieriger zu gestalten ist, wenn die Teilnehmer*innen sich nicht in Präsenz, sondern als »Kacheln« auf dem Bildschirm begegnen. Wir befinden uns hier alle gemeinsam noch mitten in der Lernkurve und sind gefordert, tragfähige Absprachen für eine digitale Meeting-Kultur zu treffen.

Die Dynamik einer besonderen Zeit

Für die bis dato – auch aufgrund unterschiedlicher Ausstattung und Finanzierung – überwiegend nur wenig digitalisierten Kindertageseinrichtungen war diese unvorhergesehene Dynamik eine besondere Herausforderung.

Mit der massiven Verbreitung des Corona-Virus und den daraus resultierenden Entscheidungen der politischen Gremien waren die Kindertageseinrichtungen nun damit konfrontiert, auf gravierende Einschränkungen, Kontaktverbote und Schließungen von Einrichtungen während der verschiedenen Phasen des Shutdowns zu reagieren. Es waren plötzlich keine und dann nur wenige und wechselnde Kinder in der Kita. Die Erziehungspartnerschaften, die auch auf den Austausch und das Kontakthalten auf Distanz beschränkt werden mussten, wurden auf eine harte Probe gestellt. Je länger diese Phase andauerte, desto größer wurde auch die Sorge um einzelne Kinder, beispielsweise aus schwierigen familiären Umfeldern, die in ihrer Entwicklung besonders durch den Besuch einer Kindestageseinrichtung profitieren.

Neugier und Mut für neue Lösungen

Nun war Kreativität gefordert: Die Frage war, wie Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen auch in dieser schwierigen Situation den Kontakt zu den anvertrauten Kindern und den Eltern halten können? Welche pädagogischen Angebote konnten sie auf den Weg bringen? Wie sollte man als Einrichtung mit dieser Situation umgehen? Wo und wie konnten sich Kitaleitungen und -teams auch in diesen Zeiten Beratung und Unterstützung holen? Mit diesen und so vielen anderen Fragen galt es in dieser Ausnahmesituation umzugehen und Lösungen zu finden. Und so wurden mit viel Engagement, aber auch Neugier und dem Mut für Neues, die verschiedensten Formate entwickelt, mit denen die Fachkräfte in den Einrichtungen inzwischen wie selbstverständlich umgehen.

Kontinuität durch digitale Formate

In unserer Beratungsstelle gehört die Begleitung und Unterstützung von Kindertageseinrichtungen zu unseren alltäglichen Aufgaben. Wir bieten unter anderem Fortbildungen und kollegialen Austausch an. Hierfür kommen die verschiedenen Zielgruppen zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen und zu vernetzen. Während der Zeit der strikten Kontaktverbote haben auch wir schließlich alle unsere Angebote auf digitale Formate umgestellt. Denn insbesondere in der für alle nie dagewesenen Situation mit ihren sich stetig ändernden Auflagen für Kitas, war der Austausch- und Unterstützungsbedarf höher als jemals zuvor. Auf dieses Bedürfnis haben wir zunächst mit wöchentlichen Telefonkonferenzen reagiert, aus denen im weiteren Verlauf der Pandemie dann sehr schnell Videokonferenzen wurden. Diese neuen Formate und Kontaktmöglichkeiten wurden gern und kontinuierlich angenommen. In der Reflexion der Zusammenarbeit der vergangenen anderthalb Jahre erhalten wir aktuell viele Rückmeldungen, die die Vorteile dieser medialen Möglichkeiten betonen. Viele Kitaleitungen haben uns zurückgemeldet, dass die digitalen Corona-Konferenzen es ihnen ermöglicht haben, in der Pandemie noch stärker als ohnehin schon kontinuierlich für die Eltern und Mitarbeitenden ansprechbar und sprachfähig zu sein. Hinzu kommt, dass es sich für Fachkräfte in den Einrichtungen zuvor bisweilen schwierig gestaltete, im Kindergartenalltag ausreichend Zeit für die Teilnahme an Veranstaltungen und die erforderlichen Wegzeiten zu finden. Auch hier bedeuten Videokonferenzen eine teilweise immense Zeitersparnis, die nicht selten eine regelmäßige Beteiligung überhaupt erst ermöglicht.

Die Terminfindung mit größeren Gruppen und Gremien (Wann haben alle Zeit? Wo treffen wir uns, damit alle möglichst gleiche Wege haben?) wurde wesentlich erleichtert. Aufgrund des geringeren Zeitaufwandes konnten wir wichtige Veranstaltungen innerhalb einer Woche an zwei Terminen anbieten oder sehr kurzfristige Ad-hoc-Treffen einberufen. In Elternvereinen werden viele Funktionen zudem im Ehrenamt übernommen. Nach einem langen Arbeitstag abends noch zu einem Austauschtreffen für Vorstände fahren? Auch hier bedeutet der Dialog auf digitalem Weg eine Entlastung.

Risiken und Nebenwirkungen

Neben all den genannten Vorteilen sind im Verlauf der Pandemie jedoch auch die Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung sichtbar geworden. So ließ sich beobachten, dass nicht wenige Teilnehmende mit zunehmender Sicherheit im Umgang mit der Technik und dem Zuwachs an Erfahrungen mit digitalem Austausch dazu übergegangen sind, nebenbei noch andere Aufgaben zu erledigen. Kurz zu telefonieren oder die E-Mails zu lesen, war schon bald verbreitet – mit negativen Auswirkungen für das konzentrierte Miteinander.

Kommen wir an dieser Stelle zurück ins Homeoffice, beziehungsweise an den Küchentisch oder generell das private Umfeld: Auch hier nutzten Teilnehmende die Möglichkeiten, schnell noch die Waschmaschine zu bedienen, den Handwerker zu beaufsichtigen oder die Kinder zu betreuen, die vielleicht gerade nicht in die Schule konnten. Mit einem Ohr in der Fallbesprechung mit Kolleg*innen, von der doch nur die Hälfte gehört wird, da vielleicht mit dem eigenen Kind noch kurz die Details für die Nachmittagsverabredung getroffen werden. Doch wo verläuft die Grenze zwischen gesundem Pragmatismus in einer Pandemie und einer ungesunden Selbstüberforderung durch die Nutzung digitaler Möglichkeiten?

Wo beginnen die Nebeneffekte des Multitaskings eher zur Belastung zu werden? Kann es auf Dauer gesund sein, dass ich an einer Videokonferenz teilnehme und praktischerweise nebenbei noch eben ein paar E-Mails beantworte? Kann ich mich auf ein Thema und eine Person oder Gruppe einlassen, wenn ich zur selben Zeit noch ein Telefonat annehme oder schnell jene Fragen beantworte, wegen derer meine Mitarbeitenden an die Tür klopfen? Mit diesen und weiteren Fragen wird man sich perspektivisch beschäftigen müssen, um die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen und gleichzeitig die schleichenden Anforderungen und Erwartungen an permanente Aufmerksamkeit und das zeitgleiche Erledigen mehrerer Aufgaben nicht zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.

Wenn wir uns vor Augen führen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die digitalen Angebote bereits zum Teil enorme Wegezeiten einsparen, erschließt sich nicht wirklich, warum dann noch mehr Zeit aus dem eigentlichen Termin für andere Dinge abgezweigt wird. Hat sich die Arbeitsverdichtung durch die Pandemie so sehr erhöht? Sind wir im digitalen Setting schneller müde oder gelangweilt, lenken uns ab und vermuten, dass es niemand bemerkt?

Und es bleibt die Frage nach dem Zurück in die analoge Welt: Wenn wir durch die Digitalisierung unser Arbeitspensum rein quantitativ (unbewusst) erhöht haben, wie kommen wir jemals wieder in eine gesunde Balance und lernen perspektivisch, uns mit unserer ganzen Aufmerksamkeit einzulassen und unsere Ressourcen im Sinne einer gesunden Work-Life-Balance einzusetzen.

Eine Frage der Wertschätzung und des respektvollen Umgangs miteinander

Die Erfahrung hat umfassend gezeigt: Die digitalen Medien eignen sich auch im Bereich der Kindertageseinrichtungen, daran besteht kein Zweifel. Sie sind eine sinnvolle Alternative, wenn es sich um kurze, klar strukturierte und wiederkehrende Settings sowie Informations- und Abstimmungsprozesse handelt. Wenn es darum geht, mit klaren Fragen und Anliegen effektiv ein Ziel zu erreichen, Lösungen zu finden und Absprachen zu treffen, sind sie ein wertvolles Instrument. Auch eignen sich Videokonferenzen z.B. für Elternabende, wenn dies zu mehr Beteiligung führt und Eltern wie auch Fachkräfte in der Organisation solcher Termine entlastet werden können. Was aber ist mit inhaltlich komplexen Themen, die die eigene Aufmerksamkeit und aktive Mitarbeit auf vielen Ebenen fordern? Dies sind Bereiche, in denen ein persönlicher Kontakt, das Gefühl für das Gegenüber oder die Teilnehmenden einer Gruppe für den gesamten Prozess unerlässlich sind. In vielen Themenfeldern geht es um die Entstehung tragfähiger (Arbeits-)Beziehungen und um die Arbeit an langfristigen Themen, die einen teilweise umfassenden fachlichen Diskurs erfordern. Und nicht zuletzt ist es auch in den Erziehungspartnerschaften mit Eltern grundlegend wichtig, eine vertrauensvolle und langfristige Beziehungsebene aufzubauen. Hier sehen wir die Grenzen im Nutzen digitaler Medien.

Es ist nicht die Zeit, um den alten Mustern und Gewohnheiten nachzutrauern, sondern unbedingt auch die Vorteile aus der dynamischen Entwicklung im Bereich der Digitalisierung anzuerkennen, einzusetzen und weiterzuentwickeln. Klar ist, dass unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen bestehen. Dies macht es umso wichtiger, gute Voraussetzungen für das digitale Arbeiten zu schaffen. Grundlegend dafür ist nicht zuletzt die Finanzierung und Anschaffung dienstlicher Endgeräte für die Einrichtungen, um unter anderem eine klare Trennung der dienstlichen und privaten Lebensbereiche zu gewährleisten. Gleichzeitig dürfen die entstehenden Synergien und der Nutzen der zeitlichen Effektivität nicht zu Lasten der Qualität der Arbeit gehen. Wir bewegen uns tagtäglich in einem Bereich, in dem es um Beziehungsarbeit, Bindung und den persönlichen Kontakt zu anderen Menschen geht. Das ist eben auch eine Frage der Wertschätzung und des gegenseitigen Respekts in der Begegnung. Es geht um Mimik und Gestik, um ein Gefühl für sein Gegenüber und auch sich selbst. Ein Bildschirm kann an dieser Stelle eine Barriere sein. So sehr also die Digitalisierung Lebenszeit durch Zeitersparnis schafft und durch den einfacheren Zugang mehr Beteiligung ermöglicht, ist es zugleich unsere Aufgabe, genau hinzuschauen, an welcher Stelle es nicht nur um Quantität geht.

Wir sollten einerseits sorgsam mit der Zeit der Beteiligten umgehen und uns andererseits die Frage stellen, an welcher Stelle auch wieder mehr Zeit in den persönlichen Kontakt investiert werden sollte. Gleichzeitig fordern die Erfahrungen aus anderthalb Jahren Pandemie auch ein Umdenken und eine Verstetigung von digitalen Treffen, wo sie sinnvoll erscheinen. Wir sind also in diesem Punkt alle aufgerufen, unsere Angebote inhaltlich und strukturell zu überprüfen – und gleichzeitig unsere Haltung zu diesen neuen Möglichkeiten zu reflektieren.

Die Balance der Lebenswelten

Nach der Sommerpause haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Bedürfnisse nach Präsenzveranstaltungen und digitalen Treffen noch sehr auseinandergehen und es zuweilen schwierig war, die Fach- und Leitungskräfte zurück in unsere Räumlichkeiten zu holen. Um beiden Bedürfnissen zu entsprechen und mit Blick auf die derzeit noch fragile und unsichere Normalität, gibt es Überlegungen, Konferenzen und Austauschtreffen in wechselnder Form anzubieten. Diese Variante eignet sich gut für langfristig im Voraus planbare Angebote wie z.B. regelmäßig wiederkehrende Gruppentreffen. Und wir trauen uns noch einen Schritt weiter in für uns unbekanntes Terrain: Wir treffen uns in hybrider Form. Dies kann bedeuten, dass Veranstaltungen in Präsenz stattfinden und einzelne Teilnehmende digital über die Leinwand oder aber auch ein Stuhl im Kreis mit einem Tablet belegt ist, von dem die Kollegin oder der Kollege fröhlich zuwinkt. Hier sind unseres Erachtens die notwendigen technischen Voraussetzungen und das entsprechende Know-how für einen reibungslosen Ablauf unabdingbar – und daran lernen wir gerade auch noch.

Fazit

Wenn wir es als unsere Aufgabe ansehen, im Austausch mit unseren Zielgruppen ein ausgewogenes Angebot zu schaffen, das die Kapazitäten und Bedürfnisse der jeweiligen Beteiligten berücksichtigt, dabei aber das Grundlegende einer menschlichen Begegnung und die Notwendigkeit des sozialen Kontaktes auch in unserem Arbeitskontext nicht vernachlässigt, kann es durchaus gelingen, eine Balance im Sinne der individuellen Lebenswelt und des digitalen Arbeitskontextes zu schaffen. Zu wünschen bleibt, dass wir uns nicht gänzlich entwöhnen von regelmäßigem persönlichem Kontakt und für eine gute Work-Life-Balance sorgen, Erholungspausen in den Alltag einbauen, sei er analog oder digital. Und wir dürfen nicht verlernen, Prioritäten zu setzen und nicht in ein immer wiederkehrendes Nebenbei zu verfallen, denn dies geht nicht nur zu Lasten unserer Gesundheit, sondern auch zu Lasten unserer Mitmenschen in Familien und Beruf.

»Katrin und Manuela haben das Zoom-Meeting verlassen« 
 

Bildnachweis: Andrii IURLOV/stock.adobe.com

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Katrin Bartsch
Diplom-Sozialpädagogin, Kitafachberaterin Paritätische Gesellschaft für soziale Dienste Bremen, Systemische Beraterin, Supervisorin (SG)
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Manuela Krämer
Diplom-Soziologin, Kitafachberaterin Paritätische Gesellschaft für soziale Dienste Bremen, Systemische Beraterin

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