Vorgaben, die ein Auftraggeber in einem Vergabeverfahren aufstellt, müssen eine „Verbindung mit dem Auftragsgegenstand“ haben. Dies führt insbesondere bei Vorgaben, die nicht die Leistung als solche betreffen, sondern nur mittelbar damit zusammenhängen, vielfach zu Abgrenzungsproblemen.
RA Henning Feldmann
Die Durchführung eines Vergabeverfahrens soll in erster Linie der Deckung eines bestimmten Bedarfs beim öffentlichen Auftraggeber dienen: der öffentliche Auftraggeber benötigt eine bestimmte Leistung (sei es eine Liefer-, Dienst- oder Bauleistung) und führt hierfür ein Vergabeverfahren durch. Hierbei ist anerkannt, dass der Auftraggeber mit seinem Vergabeverfahren neben der unmittelbaren Bedarfsdeckung durch Einkauf der Leistung auch noch weitere Ziele verfolgen kann, die beispielsweise sozialer oder umweltschutzbezogener Natur sein können.
Die Verfolgung dieser - in der Vergangenheit oft als „vergabefremd“ bezeichneten - Ziele sind mittlerweile im Vergaberecht anerkannt: die Erreichung sozialer oder umweltschutzbezogener Ziele mit den Mitteln des Vergaberechts im Rahmen der öffentlichen Beschaffung ist Teil des Vergaberechts und tritt neben das „eigentliche“ Ziel der Bedarfsdeckung.
Aber der öffentliche Auftraggeber hat hierbei keinen unbegrenzten Gestaltungsspielraum. Das Vergaberecht setzt Grenzen u.a. in der Vorgabe, dass es an einer „Verbindung mit dem Auftragsgegenstand“ bei derartigen Vorgaben nicht fehlen darf. So entschied der EuGH erstmals in den Jahren 2002 und 2003 (in den Rechtssachen „Concordia“, Rs. C-513/99, sowie „EVN und Wienstrom“, Rs. C-448/01), dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Vergabeverfahren u.a. nur dann zulässig ist, wenn diese einen „Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand“ haben.
Das Vergabeverfahren soll und darf kein Mittel dafür sein, die allgemeine Personal- oder Umweltpolitik von Unternehmen gestalten zu wollen. Dies hat inzwischen auch Berücksichtigung im Gesetz gefunden. Die einschlägigen Verfahrensordnungen sehen vor, dass sämtliche Vorgaben etwa in der Leistungsbeschreibung, alle Ausführungsbedingungen und die Eignungs- und Zuschlagskriterien eine „Verbindung zum Auftragsgegenstand“ haben müssen (vgl. etwa § 31 Abs. 3 VgV, § 127 GWB oder § 128 GWB für den Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte sowie beispielsweise §§ 23 Abs. 2, 43 Abs. 3, 45 Abs. 2 UVgO unterhalb der EU-Schwellenwerte).
Wann besteht eine „Verbindung mit dem Auftragsgegenstand“?
Eine „Verbindung zum Auftragsgegenstand“ haben zunächst Vorgaben, Kriterien oder Anforderungen, die sich unmittelbar auf die ausgeschriebene Leistung selbst beziehen, d.h. entweder auf den Auftragsgegenstand selbst oder auf seine materiellen Bestandteile und auf seine echten inneren Eigenschaften wie z.B. seine Bauweise, seine Inhaltsstoffe oder sonstige Aspekte, die dem betreffenden Auftragsgegenstand selbst anhaften.
Betrifft ein Vergabeverfahren beispielsweise den Einkauf von Textilien, darf der Auftraggeber vorgeben oder bewerten, dass die Textilien bestimmte chemische und gesundheits- oder umweltschädliche Stoffe nicht beinhalten dürfen. Beschafft ein öffentlicher Auftraggeber Holzprodukte, darf er Tropenholz ausschließen. Dies sind die „unproblematischen“ Fälle.
Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle, bei denen eine Anforderung, eine Vorgabe oder ein bestimmtes Kriterium sich nicht unmittelbar auf den Auftragsgegenstand selbst bezieht oder diesem nicht unmittelbar selbst anhaftet. § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB sowie § 128 Abs. 2 GWB stellen diesbezüglich für Zuschlagskriterien und Auftragsausführungsbedingen ausdrücklich klar, dass es für den Auftragsbezug ausreicht, wenn sich ein solches Kriterium oder eine solche Bedingung entweder auf Prozesse im Zusammenhang mit den Lebenszyklen der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, oder auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes oder der ausgeschriebenen Leistung selbst auswirken.
Bei Vorgaben in der Leistungsbeschreibung stellen die relevanten rechtliche Vorgaben (vgl. etwa § 31 Abs. 3 VgV oder § 7a Abs. 1 Nr. 2 VOB/A-EU) klar, dass der notwendige Auftragsbezug dann besteht, wenn sich die betreffenden Vorgaben in der Leistungsbeschreibung entweder auf den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der konkreten Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstands einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen, auch wenn derartige Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung sind.
Auf eine unmittelbare Auswirkung auf den Auftragsgegenstand oder dessen Eigenschaften kommt es also nicht an. Es ist vielmehr von einem weiten Verständnis der erforderlichen „Verbindung zum Auftragsgegenstand“ auszugehen (VK Bund, 1.12.2020 – VK 1-90/20).
Beispiele mit „Verbindung zum Auftragsgegenstand“
Die zugrundeliegende EU-Richtlinie 2014/24/EU bietet in Erwägungsgrund 97 ebenso wie die deutsche Gesetzesbegründung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drs. 18/6281) weitere Auslegungshinweise. Der Richtlinien- bzw. Gesetzgeber nennt hierin konkrete weitere Beispiele, bei denen eine „Verbindung zum Auftragsgegenstand“ besteht. Beispielsweise bejaht er die „Verbindung zum Auftragsgegenstand“ beim Produktions- oder Bereitstellungsprozess einer bestimmten Leistung für Kriterien oder Bedingungen, wenn zur Herstellung der beschafften Waren keine giftigen Chemikalien verwendet werden dürfen oder wenn die erworbenen Dienstleistungen unter Zuhilfenahme energieeffizienter Maschinen bereitgestellt werden müssen.
Zulässig sind auch Zuschlagskriterien oder Bedingungen für die Auftragsausführung, die die Lieferung oder die Verwendung von fair gehandelten Waren während der Ausführung des Auftrags fordern. In Bezug auf ökologische Aspekte besteht die Verbindung mit dem Auftragsgegenstand dann, wenn Zuschlagskriterien oder Auftragsausführungsbedingungen die Anlieferung, Verpackung und Entsorgung von Waren oder im Falle von Bau- und Dienstleistungsaufträgen die Abfallminimierung bei und im Vorfeld der Auftragsausführung betreffen.
Diese Beispiele vermitteln ein eingängiges Bild davon, wann die notwendige „Verbindung zum Auftragsgegenstand“ besteht und wann nicht. Ein „relativ lockerer“ Bezug einer bestimmten Vorgabe, Anforderung oder eines Kriteriums zum Lebenszyklus einer Leistung reicht auch. Der Lebenszyklus einer Leistung ist hierbei weit zu fassen. Sogar Vorgaben zum Prozess der Rohstoffgewinnung zur Herstellung einer Ware, die der Auftraggeber einkaufen will, sind hiernach zulässig. Darüber hinaus kann der Auftraggeber die Einhaltung eines „fairen Handel“ oder die Beachtung internationaler Standards wie etwa die ILO-Kernarbeitsnormen entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette fordern und auch umweltbedeutende „Folgekosten“ einer Leistung berücksichtigen.
Da die Verbindung mit dem Auftragsgegenstand weit zu verstehen ist, ist eine abschließende Positivliste zulässiger Anforderungen oder Vorgaben nicht möglich. Zur Beantwortung der Frage, wann eine „Verbindung mit dem Auftragsgegenstand“ besteht und wann sie nicht besteht, führt daher eine negative Abgrenzung (also: wann besteht keine Verbindung mit dem Auftragsgegenstand?) zu einem klareren Ergebnis als der Versuch einer positiven Definition. In Erwägungsgrund 97 der Richtlinie 2014/24/EU heißt es hierzu:
„Die Bedingung eines Bezugs zum Auftragsgegenstand schließt allerdings Kriterien und Bedingungen bezüglich der allgemeinen Unternehmenspolitik aus, da es sich dabei nicht um einen Faktor handelt, der den konkreten Prozess der Herstellung oder Bereitstellung der beauftragten Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen charakterisiert. Daher sollte es öffentlichen Auftraggebern nicht gestattet sein, von Bietern eine bestimmte Politik der sozialen oder ökologischen Verantwortung zu verlangen.“
Nicht in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen daher jedenfalls Vorgaben, Bedingungen oder Kriterien die die generelle Unternehmens- oder Geschäftspolitik oder dessen Betriebsorganisation ohne konkreten Bezug zum ausgeschriebenen Auftrag betreffen (BT-Drs. 18/6281, 114). Keine Verbindung zum Auftragsgegenstand hätte damit beispielsweise eine Vorgabe in Vergabeunterlagen, wonach ein Unternehmen sich mit Angebotsabgabe verpflichten muss, in seiner Kantine generell auf „Einweggeschirr“ zu verzichten oder seine Fahrzeugflotte generell auf Elektroautos umzustellen. Auch eine Vorgabe, nach der ein Bieter in seinem Unternehmen generell eine bestimmte Frauenquote erfüllen muss oder er zu einem bestimmten Anteil Langzeitarbeitslose oder Auszubildende beschäftigen muss, hat keine Verbindung zum Auftragsgegenstand.
Fazit
Die „Verbindung mit dem Auftragsgegenstand“ wird vor allem relevant bei umweltschutzbezogenen oder sozialen Kriterien. Öffentliche Auftraggeber, die bei ihren Beschaffungen auch derartige Ziele verfolgen wollen, haben hier einen weiten Ausgestaltungsspielraum. Sie sollten es allerdings auch nicht übertreiben und sollten darauf achten, dass ihre Vorgaben, Anforderungen oder Kriterien immer einen Zusammenhang zum spezifischen Prozess der Herstellung der vertragsgegenständlichen Leistung haben. Bei Abgrenzungsproblemen sollten sie sich die „Testfrage“ stellen, ob die betreffende Vorgabe sich schwerpunktmäßig eher auf die allgemeine Unternehmenspolitik oder auf die konkrete Auftragsausführung auswirkt.
Bieter sollten der Tatsache bewusst sein, dass Vorgaben des Auftraggebers selbstverständlich mittelbar dazu führen können, dass auch ihre allgemeine Unternehmens- oder Einkaufspolitik beeinflusst wird. Gibt ein Auftraggeber beispielsweise bei Einkauf einer Ware die Einhaltung bestimmter Vorgaben für den Herstellungsprozess dieser Ware vor, muss der Bieter dies sicherstellen. Führt dies dazu, dass er beispielsweise einzelne Zulieferer oder Lieferanten seiner Lieferkette generell „austauschen“ muss, wird natürlich auch seine allgemeine Einkaufspolitik beeinflusst; das allein macht die Vorgabe aber nicht unzulässig.