von RA Dr. Bernhard von Kiedrowski
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine kommt im deutschen Baurecht aktuell nicht nur durch Materialpreissteigerungen und Verzögerungen beim Materialbezug an. So hat der Rat der Europäischen Union am 08.04.2022 mit der Verordnung (EU) 2022/576, mit der die Verordnung (EU) 833/2014 vom 31.07.2014 verschärft worden ist, das 5. EU-Sanktionspaket beschlossen, das sich auch mit der Vergabe und der Ausführung öffentlicher Aufträge (ab Erreichen der EU-Schwellenwerte nach § 106 GWB ) befasst.
Inhaltlich zielt der in die Verordnung (EU) 833/2014 neu eingefügte Art. 5k auf zwei Bereiche ab: So besteht in Vergabeverfahren seit dem 09.04.2022 ein umfassendes Zuschlagsverbot für bestimmte Bieter mit Russlandbezug. Weiter wird die Erfüllung von laufenden Verträgen, die vor dem 09.04.2022 abgeschlossen worden sind, grundsätzlich mit einem Vertragserfüllungsverbot belegt, wobei das Verbot aber erst ab dem 10.10.2022 gelten soll (Art. 5k Abs. 4). Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf einen vor dem 09.04.2022 abgeschlossenen öffentlichen Auftrag, für den nunmehr das Erfüllungsverbot besteht.
Besteht beim Vertrag ein Erfüllungsverbot?
Geht es zunächst um die (Einstiegs-)Frage, ob für den konkreten Vertrag ein Erfüllungsverbot besteht, ist zu klären, ob der Auftragnehmer unter den von Art. 5k der Verordnung (EU) 833/2014 erfassten Personenkreis fällt. Ein Bezug zu Russland i.S.v. Art. 5k besteht bei Verträgen des öffentlichen Auftraggebers:
- a) mit russischen Staatsangehörigen bzw. mit natürlichen oder juristischen Personen, die in Russland niedergelassen sind,
- b) mit juristischen Personen, deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer natürlichen Person oder einer juristischen Person gehalten werden, auf die die Kriterien nach Buchstabe zutreffen,
- c) durch das Handeln des Vertragspartners im Namen und auf Anweisung von natürlichen oder juristischen Personen, auf die die Kriterien nach Buchstabe a) oder b) zutreffen.
Verhält es sich nun so, dass der konkrete Auftragnehmer (eine GmbH) einen (51 %) Mehrheitsgesellschafter hat, der russischer Staatsangehöriger oder eine in Russland niedergelassene juristische Person ist, besteht für diesen Vertrag ab dem 10.10.2022 ein Vertragserfüllungsverbot. Rechtlich bedeutet dies, dass ab dem Stichtag – weil der Leistungserbringung ein dauerhaftes Rechtshindernis entgegensteht – ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB gegeben ist.
Der Auftragnehmer darf folglich mit dem Stichtag keine Bauleistungen mehr erbringen. Da auch der öffentliche Auftraggeber den Vertrag nicht mehr erfüllen darf, hat dies zur Folge, dass jedenfalls für solche nach dem Stichtag erbrachte Bauleistungen keine Werklohnzahlung mehr erfolgen darf.
Wie ist der laufende Bauvertrag abzuwickeln?
Als Folgeproblem stellt sich die Frage, wie der laufende Bauvertrag, dessen Erfüllung nunmehr (für die Zukunft) unmöglich ist, für die bis zum Eintritt der Unmöglichkeit erbrachten Leistungen abzuwickeln ist:
Geht es zunächst um den Vergütungsanspruch des Auftragnehmers für die bis zum 10.10.2022 erbrachten Leistungen, scheint das erste Bauchgefühl dafür zu sprechen, dass diese Leistungen vom öffentlichen Auftraggeber auch zu vergüten sind. Dies deshalb, weil die Unmöglichkeit erst ab dem 10.10.2022 zum Tragen kommt und die wechselseitigen Erfüllungsansprüche davor einwendungsfrei bestanden haben.
Bei näherer Betrachtung ist aber davon auszugehen, dass der Vergütungsanspruch des Auftragnehmers für die bis zum Stichtag erbrachten Leistungen erst mit einer Abnahme fällig wird. So wirkt die Verbotssanktion bzw. Unmöglichkeitsfolge nämlich für die Zukunft dauerhaft, sodass feststeht, dass keine Bauleistungen mehr zu erbringen sind. Die Rechtslage ist insoweit einem durch Kündigung beendeten Bauvertrag zu vergleichen, bei dem es im Hinblick auf die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs gleichsam einer Abnahme bedarf.
Kann der öffentliche Auftraggeber noch eine Beseitigung vorliegender Mängel verlangen?
Geht es um das Erfordernis der Abnahme, stellt sich sodann die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber ab dem 10.10.2022 überhaupt noch eine Beseitigung vorliegender (wesentlicher) Mängel der erbrachten Leistungen (also letztlich eine nachfolgende Erfüllung) verlangen kann. Geht man davon aus, dass eine Vertragserfüllung (hier in Form der Mangelbeseitigung) ab dem 10.10.2022 (strikt) verboten ist, hätte dies zur Folge, dass die Abnahme (für die Fälligkeit des Werklohns) entbehrlich sein dürfte (Unmöglichkeit als Fall der entbehrlichen Abnahme). Fälligkeitsbegründend ist für den Vergütungsanspruch aber weiter eine Schlussrechnungserteilung. Damit käme man zu dem Ergebnis, dass der Vergütungsanspruch erst mit Zugang der Schlussrechnung beim öffentlichen Auftraggeber fällig wird, zu dieser Zeit (nach dem 10.10.2022) aber ein Erfüllungsverbot besteht, also auch die bis zum Stichtag erbrachten Leistungen nicht mehr bezahlt werden dürfen.
Nach dem hier vertretenen Standpunkt kann dies nicht richtig sein. Die Intention der Regelung in Art. 5k Abs. 4 zielt darauf ab, eine Vertragserfüllung bis zum Stichtag nicht mit einem Verbot zu belegen. Dies muss zur Folge haben, dass der Auftragnehmer für diese Leistungen die dafür vereinbarte Vergütung auch dann verlangen kann, wenn der Vergütungsanspruch nicht zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Vertragserfüllungsverbots, sondern erst später fällig wird.
Gleiches sollte dann auch für Mängelrechte des öffentlichen Auftraggebers gelten. Da die Mängel solche Leistungen betreffen, die der Unternehmer vor dem Stichtag erbringen durfte, bleibt auch die Verpflichtung zur (Nach-)Erfüllung bestehen. Der Vertrag ist nach der hier vertretenen Auffassung wie ein durch Kündigung (für die Zukunft) beendeter Vertrag abzuwickeln.
Anspruch des Auftragnehmers auf Zahlung eines entgangenen Gewinns?
Weiter stellt sich die Frage, wie es um einen Anspruch des Auftragnehmers auf Zahlung eines entgangenen Gewinns für die nicht mehr ausgeführten Leistungen einerseits bzw. einen Anspruch des öffentlichen Auftraggebers auf Ersatz der Fertigstellungsmehrkosten anderseits steht. Da dem Auftragnehmer die Bauausführung ab dem 10.10.2022 (rechtlich) unmöglich ist, kann sich ein Anspruch des Auftragnehmers (als Schuldner) gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber (als Gläubiger) auf Erbringung der Gegenleistung aus § 326 Abs. 2 BGB ergeben.
Hierfür ist aber Voraussetzung, dass der öffentliche Auftraggeber für den Umstand, auf Grund dessen der Auftragnehmer nach § 275 Abs. 1 BGB nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, was im Hinblick auf die Verabschiedung des 5. EU-Sanktionspakets offenkundig zu verneinen ist. Auch der öffentliche Auftraggeber hat aber in Ermangelung eines Verschuldens gegen den Auftragnehmer keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 283 , 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz der Fertigstellungsmehrkosten.
Last but not least gilt das Vertragserfüllungsverbot ab dem 10.10.2022 auch dann, wenn sich der Auftragnehmer zur Erfüllung des Vertrages Unterauftragnehmer und/oder Lieferanten bedient, die den dargestellten Russlandbezug aufweisen, soweit deren Anteil, gemessen am Auftragswert, 10 % übersteigt. Insoweit hat es der Auftragnehmer in der Hand, dementsprechende Unterauftragnehmer/Lieferanten auszutauschen, um den bestehenden Vertrag weiter erfüllen zu können.
Dabei bleibt unklar, ob sich auch der Auftragnehmer im Rechtsverhältnis zu seinem Unterauftragnehmer/Lieferanten auf Art. 5k berufen kann. Stellt der Auftragnehmer den Russlandbezug nicht ab, wird gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber am Stichtag das Erfüllungsverbot mit den vorbeschriebenen Rechtsfolgen aktiviert. Für den Fall, dass man sich – auch im Nachunternehmerverhältnis – noch nicht auf das ab dem 10.10.2022 geltende Vertragserfüllungsverbot vorbereitet haben sollte, kann dies zu einem bösen Erwachen mit gewichtigen Folgen führen.