Redaktion eGovPraxis Sozialhilfe
Nach welchem Leistungssystem und unter welchen Voraussetzungen können Personen, die kriegsbedingt aus der Ukraine geflohen sind, in Deutschland Hilfeleistungen beanspruchen? Welcher Träger ist zuständig für die Gewährung existenzsichernder Leistungen?
Der Fall
Die hilfesuchende Studentin ist simbabwische Staatsangehörige. Sie war im Besitz einer bis Ende August 2022 gültigen Aufenthaltserlaubnis der Ukraine und reiste im März 2022 kriegsbedingt von der Ukraine nach Deutschland ein, wo sie sich seitdem aufhält. Im Juni 2022 stellte sie einen Antrag auf Asylbewerberleistungen, jedoch keinen Antrag auf die Gewährung von Asyl. Im August erhielt sie eine Fiktionsbescheinigung, die keine Erwerbstätigkeit erlaubt. Im Streit ist nun, welcher Träger zur Gewährung existenzsichernder Leistungen zuständig ist.
Die Entscheidung
Das LSG entschied im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dass die Hilfesuchende einen Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege hat.
Leistungen nach dem AsylbLG scheiden aus, da die Hilfesuchende keinen Asylantrag gestellt hat und sie sich nach § 2 UkraineAufenthÜV und nach § 81 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
Leistungen nach dem SGB II scheiden aus, weil die Hilfesuchende vor der Erteilung der Fiktionsbescheinigung nicht erkennungsdienstlich behandelt wurde. Deshalb sind die Ausnahmeregelungen des § 74 Abs. 3 und 4 SGB II nicht erfüllt.
Fazit
- Die Voraussetzung der "erkennungsdienstlichen Behandlung" in § 74 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II ist ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal, nicht nur eine Ordnungsvorschrift.
- Eine nicht erkennungsdienstlich behandelte Person, die sich zunächst nach § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV und danach nach § 81 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, aber anfänglich mangels Antrags auf einen Aufenthaltstitel und danach wegen eines die Erwerbstätigkeit ausdrücklich nicht gestattenden Vermerks in der Fiktionsbescheinigung nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB II erfüllt, hat nach drei Monaten des Aufenthalts einen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 SGB XII.
Quelle: Beschluss des LSG Hessen vom 02.11.2022 - L 4 SO 124/22 B ER