Antje Groß, Richterin am Sozialgericht Heilbronn
Haben Unionsbürger Anspruch auf Bürgergeld nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 SGB XII, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche in Deutschland begründet?
Der Fall
Die nicht beschäftigte bulgarische Antragstellerin begehrte im erstinstanzlichen Eilverfahren zunächst Leistungen nach dem SGB II, nachdem sie in Deutschland zunächst von Zuwendungen der ebenfalls Grundsicherungsleistungen beziehenden Tochter und deren Lebensgefährten gelebt hatte. Das SG lehnte einen Anspruch nach dem SGB II ab, verurteilte jedoch den beigeladenen Sozialhilfeträger dazu, Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 SGB XII zu leisten. Das LSG hat auf Beschwerde des Sozialhilfeträgers diese Verurteilung aufgehoben und den Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt.
Die Entscheidung
Das LSG entschied, dass der Antragstellerin keine Ansprüche aus dem SGB II bzw. SGB XII zustehen. Als Begründung führt das Gericht an:
- Der Ausschluss der Antragstellerin vom Bürgergeld nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist europarechtskonform.
- Ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe bei Krankheit ist nach § 23 Abs. 13 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen, da die Antragstellerin ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche herleiten kann.
- Ein Anspruch auf Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 und Satz 6 SGB XII scheitert an einer glaubhaften Darlegung der Hilfebedürftigkeit (die Antragstellerin bezieht Zuwendungen von ihrer Tochter) und eines Härtefalls (Reisunfähigkeit).
- Nur ganz außergewöhnliche individuelle Situationen - wie etwa schwere und dauerhafte, zur Reiseunfähigkeit führende Erkrankungen - begründeten eine längere Gewährung von Überbrückungsleistungen über den einen Monat hinaus.
- Das Vorlegen einer pauschalen und über drei Monate alten ärztlichen Bescheinigung ohne Begründung, weswegen Reiseunfähigkeit besteht, genügt diesen Kriterien nicht.
Fazit
Unionsbürger, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche herleiten, haben weder Anspruch auf Bürgergeld noch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit oder auf Grundsicherung nach dem SGB XII. Eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit ist durch eine qualifizierte (begründete) ärztliche Bescheinigung vom Antragsteller selbst zu belegen.
Quelle: Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.05.2023 – L 19 AS 417/23 B ER
Anmerkung der Redaktion
Zu den Ausschlusstatbeständen und Überbrückungs- und Härtefallleistungen als Rückausnahme vom Leistungsausschluss lesen Sie bitte vertiefend die Ausführungen in eGovPraxis Sozialhilfe:
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