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Recht & Verwaltung12 Juli, 2024

Das Geheimnis des blitzschnellen Insolvenzverwalters

Autor:in Tom Brägelmann

Wie KI-Assistenz das Insolvenzverfahren verändert ohne eine einzige Änderung der InsO

Die Insolvenzrichterin Özbek war überrascht, als sie sich die halbjährliche interne Gerichtsstatistik anschaute:Die Insolvenzrichterin Özbek war überrascht, als sie sich die halbjährliche interne Gerichtsstatistik anschaute:

Einer der bisher langsamsten am Insolvenzgericht Ochtum gelisteten Insolvenzverwalter, Dr. Froschhammer, lieferte seit einem halben Jahr in Verbraucherinsolvenzverfahren viel flotter als sonst die Berichte und Insolvenztabellen beim Gericht ab.

Und das auch noch sehr schön digital dargestellt, dachte Özbek. Was war passiert? Hatte er neue Grauverwalter angestellt, die die Arbeit erledigen? Denn sein bisheriger Grauverwalter, Bonnör, war, wie alle wussten, noch alte Schule mit Diktiergerät und Papiergesetzeskommentar und Loseblattsammlung. Neue Insolvenzsachbearbeiter? Angeblich gab es auf dem Arbeitsmarkt doch gar keine mehr.

Sie bat Rechtspfleger Meyer-Colorato, Froschhammer mal darauf anzusprechen, in der Gerichtskantine.

Der Linseneintopf dampfte und die Remoulade floss zäh vom Backfisch auf den Teller wie ein langsamer Gletscher. Auf dem Filterkaffee schwammen schwach regenbogenfarben glänzende Blasen.

Froschi, wie schaffst du das denn – normalerweise habt ihr total Schwierigkeiten, fünfhundert Verbraucherinsolvenzverfahren in einem Jahr abzuwickeln. Und jetzt packst du 150 Verfahren einfach mal in einem Monat? Was ist dein Geheimnis? Ist Bonnör aufgewacht?

Also, verrate es niemanden weiter, vor allen Dingen nicht den Leuten vom Richterklub, die werden sonst voll neidisch: Ich setze so eine neue KI aus den USA ein.

Quatsch, die kann doch kein Jura.

Nein, aber die liest die ganzen Akten und fasst die zusammen und erstellt die Entwürfe für alles. Und meine lieben Insolvenzsachbearbeiter müssen das nur noch überprüfen. Statt dass wir an einer Akte 5 – 10 Std. arbeiten, arbeiten wir jetzt noch maximal gut eine Stunde dran. Damit sind diese Verfahren für uns Insolvenzverwalter auf einmal wieder profitabel, deswegen arbeiten wir damit.

Du kannst doch nicht einfach KI im Insolvenzrecht einsetzen, die kann das doch überhaupt nicht. Selbst die normalen Richter und Anwälte können das nicht, wie denn dann eine KI?

Also, wo soll ich anfangen, die unterstützt uns doch nur. "KIs verdichten komplexe Sachverhalte zuverlässig auf deren Kern, was die Arbeit in Kanzleien deutlich entlastet, deren Output steigert und den Mitarbeitern mehr Freude beim Bearbeiten von Akten macht." – das ist der Werbespruch von unserem KI-Anbieter Perpretzel AI. Ich hätte das auch nicht gedacht, aber es stimmt. Hey, don’t kill the messenger – das ist ja nicht meine Schuld, dass das nun geht. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich früher klamme, schlabberige Papierakten gewälzt habe des Nachts – jetzt liegt bei einer Verbraucherinsolvenz ein Aktenauszug nach 3 Min. vor, samt Entwurf eines Berichts des Insolvenzverwalters. Auch Insolvenzforderungsanmeldungen samt fetten Anlagen kann so eine KI in wenigen Minuten auf Kohärenz prüfen. Natürlich muss am Ende immer noch ein Mensch alles angucken und freigeben, wir wären ja verrückt, wenn das nicht so wäre – ich muss ja auch, wenn ich nach einem Urteil recherchiere in einer juristischen Datenbank, dieses Urteil immer noch lesen und mit meinem Sachverstand entscheiden, ob es einschlägig ist. Also, nicht ich, mein guter Grauverwalter Bonnör tut das, das kann er ja auch ganz gut, der kann sich stundenlang durch lauter nicht einschlägige Rechercheergebnisse in unseren juristischen Standarddatenbanken pflügen, ich könnte das nicht mehr, ich finde das unerträglich. Früher hab ich nach Rechtsprechung gegoogelt, aber jetzt ist ein Chatbot meine Startseite, geht echt gut.

Aber wie geht denn das, ich denke, diese KI halluziniert immer, so habe ich es doch gehört?

Hab ich auch gedacht, aber das stimmt nicht, wie ich mittlerweile weiß, wenn ich z.B. Insolvenzakten als PDF mit Texterkennung und dann mit so einer KI behandele, das geht in wenigen Minuten und umfassend, je nachdem, was gebraucht wird. Du weißt ja, in was für einem schummrigen Zustand diese Verbraucherinsolvenzverfahren manchmal bei uns aufschlagen. Es ist zwar nicht mehr so schlimm wie früher, aber doch häufig wunderlich und unübersichtlich. Aber das ist jetzt nicht mehr schlimm: Meine Sachbearbeiter müssen dann noch mal eine halbe bis eine Stunde alles überprüfen. Früher hätten die aber stundenlang eine Akte ausgewertet, wären dabei müde geworden und hätten Fehler gemacht, aber wenn jetzt Fehler vorkommen, haben wir immer noch genügend Zeit, diese zu spotten, gegenzuchecken und rauszunehmen. Also, meine Leute sind ganz begeistert, nachdem sie verstanden hatten, dass sie dadurch gar nicht arbeitslos werden, sondern die Arbeit viel, viel besser von der Hand geht und die Ergebnisse auch schneller ordentlich aussehen, das kommt nämlich meistens alles schon sehr schön plausibel geschniegelt und gestriegelt aus der KI herausgepurzelt, aber aufpassen, denn da können immer noch Fehler drin sein, aber weit weniger als bisher.

Und ich dachte, KI schreibt so öde und langweilig und vorhersehbar, deswegen will die keiner mit Verstand einsetzen.

Bei Literatur hast Du ja recht. Aber das passt ja wohl auf viele juristische Texte und ist bei der Rechtsanwendung vielleicht auch gar nicht so schlecht: öde, vorhersehbar und langweilig – und eben sachlich und rechtlich korrekt, wenn der Mensch das Ergebnis überprüft. Aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich meine Leute sind, dass sie nicht stundenlang damit beschäftigt sind, öde juristische Texte von Grund auf zu erzeugen oder Formatvorlagen zu füllen, sondern nur solche bereits aus existierenden Akten KI-generierte Texte noch einmal mit der Akte abzugleichen und zu korrigieren. Schreiben ist eben harte Arbeit, editieren göttlich.

Aber dann setzt ihr doch Hochrisiko KI ein, das ist doch total schwierig in der Justiz, fast unmöglich wegen der nötigen Compliance und Transparenz, weißt Du ich war gerade in einem EU-AI-Act-für-Rechtspfleger-Kurs, da ging es darum, wir haben alle ganz schön Angst gekriegt, denn wir googeln doch alle tagtäglich am Gericht und Google ist doch auch KI.

Der Rechtspfleger schob die Remoulade mit dem Messer zusammen.

Mir egal, das gilt ja nur für die Justiz und deren Rechtsanwendung und Entscheidungsfindung, für Rechtsanwälte und Insolvenzverwalter gilt das nicht so, die sind nicht staatliche Justiz im Sinne des AI Acts der EU, Organe der Rechtspflege hin und Berufsrecht her. Also, meine KI-Berater von Wörrrk LLP haben ein Gutachten gemacht und gesagt, das werde schon gehen mit normalem Compliance-Aufwand. Wäre ja absurd, wenn wir in der Insolvenzverwaltung nicht die modernste Technik nutzen dürften.

Aber was macht ihr denn mit Datenschutz und Berufsrecht, ihr könnt doch nicht alle Akten in die USA schicken?

Die sind da doch schon längst mit Office 365? Anyway: Also ich hab das mit der Rechtsanwaltskammer Ochtum geklärt, die sind total serviceorientiert, die meinen auch, der AI Act mache einen Anwalt samt Team als KI-User nicht zur Hochrisiko-KI-Justiz, deren neue KI-Referentin, Frau Dr. Pedersoli ist super hilfreich und wir haben Verträge mit dem Anbieter, die den Datenschutz einhalten und auch §§ 43a Abs. 2 und 43e Abs. 1 – 4 BRAO und § 2 Abs. 4 BORA. Jedenfalls versprechen die das. Meine Kanzlei-KI ist damit im Rechtssinne sicher, das reicht mir. Ich hab ja privat diesen Berufsrechtsbot aus Frankreich abonniert, Hartimâmôt, die sind super auch für deutsches Recht. Die sagen sogar: Wenn die jungen Leute eh alle Chatbots benutzen im Jurastudium, sei das auch in der Kanzlei sozialadäquat.

Pfff, mit dem Argument wäre auch ein Insta-Account von Kanzleien ok.
Froschhammer hatte zwischenzeitlich alle Bockwurststückchen aus dem Linseneintopf herausgepfriemelt, und Meyer-Colorato alles verputzt bis auf einen Remouladeberg am Tellerrand.

Also, Selbst Dein Amtsgericht ist auf Insta! Eure Story über euern digitalen Gerichtsvollzieher in Aktion war gar nicht übel, Bitcoin als Insolvenzmasse hatte ich auch schon. Aber viel wichtiger: Die Insolvenzrichterin mokiert sich ja immer wieder darüber, wenn ich bei ihr antichambriere, dass ich mich in den Akten nicht so gut auskenne, das ist jetzt auch anders, ich lass mir die immer kurz vor dem Gesprächstermin auf einer halben Seite von der KI zusammenfassen und bin dann perfekt vorbereitet. Merkt auch keiner. Früher hätte ich mir im Termin was von Bonnör zuflüstern lassen. Im Vergleich dazu ist es jetzt auch besser geworden.

Und Bonnör?

Er hat jetzt noch mehr Zeit, seine geliebten Loseblattsammlungen von Kommentaren und Gesetzen nachzusortieren, mit allen Nachlieferungen, da kommt in letzter Zeit ja immer sehr viel.

Dass es das noch gibt, Loseblatt haben wir selbst bei unserem AG mittlerweile abgeschafft.

Bildnachweis: Andrey Popov /stock.adobe.com

INSOLVENZRECHT
ZInsO - Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht
Prof. Dr. Hans Haarmeyer / RiAG (stVDAG) Dr. Stephan Beth (ZInsO)
Andreas Ziegenhagen (ZInsO FOKUS Sanierung)
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