Die Flutkatastrophe von Mitte Juli 2021 in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat zu schrecklichen Verlusten an Menschenleben und auch zu erheblichen Sachschäden geführt, die niemanden unberührt lassen. Da es Aufgabe der Sozialhilfe ist, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Satz 1 SGB XII), können die Betroffenen auch Ansprüche auf Leistungen der Sozialhilfe haben. Aufgrund des gesetzlich angeordneten Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) sind hierbei indes vor allem folgende Punkte zu beachten:
Abgrenzung zu Leistungen nach SGB II
Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII (§ 21 Satz 1 SGB XII). Eine Rückausnahme besteht nur für Personen, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff. SGB XII erhalten, diese ist gegenüber den Leistungen des SGB II vorrangig (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SGB II).
Dadurch sind die meisten Menschen von Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil sie zwischen 15 Jahren und dem Erreichen der gesetzlichen Rentenaltersgrenze alt sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 7a SGB II) oder mit einer Person aus dieser Altersgruppe in Bedarfsgemeinschaft leben (z.B. als Ehegatte, Partner oder Kind).
Anzuerkennende Bedarfe
Als anzuerkennende Leistungen zum Lebensunterhalt kommen für die verbleibende berechtigte Personengruppe insbesondere in Betracht einmalige Bedarfe für
- Erstausstattungen für die Wohnung, einschließlich Haushaltsgeräten,
- Erstausstattungen für Bekleidung
(§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 2 SGB XII).
Diese Bedarfe sind auch dann zu gewähren, wenn keine laufenden Leistungen der Sozialhilfe nach Regelsätzen erbracht werden, aber die genannten einmaligen Bedarfe nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt werden können (§ 31 Abs. 2 Satz 1 SGB XII).
Die Höhe der anzuerkennenden Bedarfe kann durch Pauschalbeträge festgelegt werden, bei deren Bemessung geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen sind (§ 31 Abs. 3 SGB XII).
Als weitere Leistung, ggf. auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB II, kommt insbesondere in Betracht
- Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII).
Diese Hilfe, ist für besondere Situationen, wie z.B. die jetzige Flutkatastrophe, vorgesehen und sieht Ermessensleistungen entsprechend den Besonderheiten des Einzelfalls vor.
Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen - Allgemeines
Für die Einkommens- und Vermögensberücksichtigung gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln. D.h. Einnahmen oder Mittelzuflüsse, die die betroffenen Menschen nach der Katastrophe erhalten, sind grundsätzlich als Einkommen und nicht als Vermögen zu berücksichtigen (sog. modifizierte Zuflusstheorie, BSG vom 19.05.2009 – B 8 SO 35/07 R, Rn. 14).
Berücksichtigung von Einkommen
Ob von der Ermessensregelung, dasjenige Einkommen zu berücksichtigen, das innerhalb eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erworben wird, in dem über die Leistung entschieden worden ist (§ 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII), überhaupt Gebrauch gemacht wird, ist einzelfallbezogen in Ausübung des Ermessens und Beachtung des Ausmaßes der Katastrophe zu entscheiden.
Zweckbestimmte Leistungen (Fluthilfe)
Dass Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient (§ 83 Abs. 1 SGB XII: Nach Zweck und Inhalt bestimmte Leistungen), ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und soll Doppelleistungen verhindern.
Dies kann vorliegend in Betracht kommen bei den beabsichtigten Leistungen der Kommunen, der Länder und des Bundes, wenn diese ausdrücklich auf dieselben Bedarfe abzielen, also z.B. eine Wohnungserstausstattung. Im Übrigen zielen die Soforthilfen z.B. der Länder auf eine Bewältigung der spezifischen durch das Hochwasser geschaffenen Lage der Menschen ab, dienen also anderen Zwecken als die Sozialhilfe. Die Berücksichtigung dieser Zahlungen als Einkommen im Rahmen der Sozialhilfe würde der Ziel- und Zweckrichtung der Soforthilfen widersprechen und hat daher nicht zu erfolgen.
Als "öffentlich-rechtliche Vorschrift", die zur Anwendung der Norm führt, sind nicht nur Gesetze anzusehen, sondern jede öffentlich-rechtliche Regelung, also auch Verwaltungsvorschriften oder verwaltungsinterne Richtlinien, wie z.B. die Regelungen zur Vergabe von Leistungen an Flutopfer (vgl. Hohm in Schellhorn, SGB XII, § 83 Rn. 8).
Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege
Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege bleiben als Einkommen außer Betracht. Dies gilt nicht, soweit die Zuwendung die Lage der Leistungsberechtigten so günstig beeinflusst, dass daneben Sozialhilfe ungerechtfertigt wäre (§ 84 Abs. 1 SGB XII).
Unter „freie Wohlfahrtspflege“ fallen nicht nur die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, wie z.B. Deutsches Rotes Kreuz, sondern auch solche Personen oder Stellen, die freie, d. h. nicht öffentliche Wohlfahrtspflege zugunsten von nachfragenden Personen betreiben, also z.B. die Spendenorganisationen wie „Deutschland hilft“.
Auszugehen ist von der Nicht-Berücksichtigung dieser Einnahmen. Die Gerechtfertigkeitsprüfung erfordert eine einzelfallbezogene Würdigung aller Umstände, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Vorliegend dürfte sie jedoch angesichts des Ausmaßes der Katastrophe allenfalls bei sog. Doppelleistungen greifen.
Zu Einzelheiten siehe die Seite „Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege“.
Zuwendungen Anderer
Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sollen als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde (§ 84 Abs. 2 SGB XII).
Hierunter dürften vor allem viele private Spenden fallen. Zwar geht das Gesetz von einer grundsätzlichen Berücksichtigung aus, vorliegend dürfte aber in aller Regel von einer besonderen Härte auszugehen sein, was gegen eine Berücksichtigung der Zuwendungen als Einkommen spricht.
Vermögen
Die Vermögensberücksichtigung in der Sozialhilfe ist in der Regel, verglichen z.B. mit dem SGB II, relativ streng (vgl. § 90 SGB XII). Dies zeigt z.B. der geschützte Barbetrag von nur 5000 Euro pro Person (VO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Andererseits ist das selbst bewohnte, angemessene Hausgrundstück geschützt.
Derzeit gilt jedoch noch die Corona-Sonderregelung in § 141 Abs. 2 SGB XII, nach der nur erhebliches Vermögen zu berücksichtigen ist und die bloße Erklärung der leistungsnachsuchenden Person genügt, kein solches zu besitzen.
Ergänzend ist auf die allgemeine Härteregelung in § 90 Abs. 3 SGB XII hinzuweisen. Dass die durch die Flutkatastrophe ausgelösten Verhältnisse bei den Betroffenen eine Härte darstellen, steht außer Frage. Entscheidend sind wieder die Verhältnisse des Einzelfalls.
Fazit
Zusammenfassend sollte angesichts des Ausmaßes der Katastrophe von einer eher zurückhaltenden Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen unter Nutzung der gegebenen Ermessensmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume ausgegangen werden, zumal diese differenzierte Lösungen im Einzelfall, ggf. in Absprache mit den Betroffenen, ermöglichen.