Lehrkräftefortbildung – Professionelle Lerngemeinschaften
Die Pandemie wirkt fort. Wechsel- und Distanzunterricht bestimmen immer noch den Schulalltag – es wird deutlich, dass Notlösungen und Hilfskonzepte länger aufrechterhalten werden müssen. Man kann jedoch auch positiv formulieren, dass die Zeit mit Blick auf die vielen Herausforderungen immer noch besonders günstig ist, zu neuen Ufern aufzubrechen. Und so stellt sich auch die Frage, welche neuen Ideen und Konzepte hilfreich sein können, Lehrkräftefortbildung strukturell weiterzuentwickeln.
Welche Veranstaltungen bzw. welche Formate tragen inhaltlich und gestaltend dazu bei, in einer sinnvollen Verknüpfung zu einem Gesamtkonstrukt zu werden, mit dem nachhaltig Unterrichtsentwicklung betrieben werden kann? Mit dessen Hilfe man Kolleginnen und Kollegen nicht nur mitnehmen sondern aktiv, entwickelnd und initiativ werden lassen kann?
So neu ist die Situation inhaltlich nicht: In Digitalisierungsbelangen besteht in Sachen Ausstattung und Infrastruktur schon seit Langem Handlungsbedarf. Kolleginnen und Kollegen verfügen natürlicherweise über unterschiedliche Fähigkeiten und auch Affinitäten, digitale Medien für Lernprozesse förderlich zu nutzen. Ebenso legen Lernverlaufsstudien nahe, dass trotz umfangreicher Fortbildungsangebote und intensiver Konzeptionierung nicht genug Outcome auf das Verändern von Denk- und Handlungsweisen von Lehrkräften bzw. Lernergebnisse von Schülerinnen und Schülern wahrzunehmen ist. Und zu guter Letzt ist auch kein Geheimnis, dass das Bildungssystem an sich viel zu lange schon Primate als handlungsleitend akzeptiert, die dies ganz offensichtlich schon lange nicht mehr sein sollten (vgl. Pant, 2020).
Aber die Gelegenheit ist günstiger denn je, da Handlungsanreize vielfältiger und stärker als zuvor sind!
»[…] das Bildungssystem an sich hat viel zu lange schon Primate als handlungsleitend akzeptiert, die dies ganz offensichtlich schon lange nicht mehr sein sollten.«
Und auch die Möglichkeiten der Partizipation sind breiter, vielfältiger, möglicherweise attraktiver aber auf jeden Fall überregionaler nutzbar. Der Blick über den Tellerrand ist viel leichter zu realisieren. Denker, Visionäre und Macher welchen Geschlechts auch immer finden jetzt Gehör. Sie bekommen Raum. Und damit fällt der Blick nicht nur auf die Dimensionen der Herausforderungen, sondern auch auf die Möglichkeiten und Chancen zur Veränderung, die damit einhergehen. Nicht nur für die, die gestalten wollen, sondern auch für die, die Gestaltungs- und Entwicklungsideen anbieten wollen.
Aufbruch
Unterricht in Nähe und Distanz zu gestalten erfordert mehr digitale Kompetenzen, das ist offensichtlich. Unterricht in Nähe und Distanz zu gestalten, erfordert aber deutlich mehr als digitale Kompetenzen. Denn zunächst mag es nur darum gehen, einzelne Lernumgebungen zu etablieren, beispielsweise die nächste Videokonferenz unbeschadet zu überstehen oder fristgerecht ein interaktives PDF zu erarbeiten und den Schülerinnen und Schülern zu übermitteln. Aber eigentlich geht es um das ständige Entwickeln von Unterricht durch Evaluation, Feedback, Austausch und Modifizieren. Das ist ein Entwickeln, das nie enden wird und vor allem die Haltung erfordert, kollaborativ arbeitend die besten Ergebnisse zu erzielen. Zunächst war das im Frühjahr 2020 definitiv ein Notfallmanagement und das ist von vielen Personen im System sehr gut gemeistert worden. Nicht aber von allen. Als krisenresistent haben sich Systeme herausgestellt, in denen verlässliche Strukturen der Zusammenarbeit bereits etabliert waren. Jetzt kommen aber die Meilensteine Evaluation, Feedback und Austausch in Sichtweite. Die bisherigen Anstrengungen, Erfindungen und Erfahrungen müssen mit Blick auf ihre methodische und fachdidaktische Wirksamkeit betrachtet werden. Und zwar nicht nur, bis das Virus eingedämmt ist, sondern nachhaltig verankert und zukunftsorientiert ausgerichtet. Das System, das gesteuert wird, soll sich so entwickeln, dass es die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren und Monaten nutzt, um sich für die kommenden Jahre widerstandsfähig aufzustellen (vgl. Burow, 2021). Denn Corona war nicht die erste und wird auch nicht die letzte Herausforderung sein. Somit sind in diesem Zusammenhang unabdingbar Anforderungen an die förderliche Entwicklung einer Kollaborationskultur in Fachschaften oder Arbeitsgruppen bzw. Professionellen Lerngemeinschaften zu betrachten. Wie steht es um die Menschen im System und deren Haltung z.B. zu kollaborativem Arbeiten? Und wenn das Commitment vorhanden ist – gibt es dann auch schon die entsprechenden förderlichen Strukturen? An diesen Wegmarken muss Fort- und Weiterbildung als erstes unterstützen.
In Schleswig-Holstein hat das IQSH in der Abteilung 3 (Fort- und Weiterbildung) dafür im Frühjahr 2021 die sogenannten Fachkongresse geschaffen. Domänenspezifisch organisiert können sich Lehrkräfte, Fachschaften und Steuergruppenmitglieder über das Thema Professionelle Lerngemeinschaften mit Hilfe asynchroner Angebote informieren oder selbstlernend tätig sein, in offenen Foren in den bedarfsorientierten Austausch gehen oder in einem traditionellen Workshopformat an konkreten Fragestellungen zu diesem Thema arbeiten.
Die Crew
In besonderem Maße sind seit einem Jahr Schulleitungen, Fachschaftsleitungen, Koordinatoren und Projektplaner gefordert: Sie sollen schnell und wirksam, aber auch umsichtig handeln – sie sollen die Crew organisieren und führen, aber auch partizipativ entwickeln – sie müssen herausfinden, wo es an Wissen und/oder Kompetenzen fehlt und diese verfügbar machen helfen. Und zwar nicht nur für das »JETZT«, sondern für die Zukunft – durchdacht, konstruktiv und nachhaltig, um das eigene System förderlich zu verändern.
Dies ist eine wirklich komplexe und auch noch volatile bzw. dynamische Aufgabe, da sich Rahmenbedingungen, Anforderungen und eigene Ansprüche sowohl der Steuerungsgruppe als auch der weiteren Crew ja kontinuierlich verändern – wir leben in einer VUCA-Welt (vgl. Abb. 1).
Auch hier muss Fort- und Weiterbildung in Nähe und Distanz passgenau und kohärent unterstützen – und sie kann es auch, wenn sie sich neuer Veranstaltungsformate annimmt und diese in innovativen Szenarien zu erproben beginnt. Fortbildung muss dabei helfen, das Potenzial jedes Einzelnen zu entfalten! Erprobterweise schaut man nun auf wesentliche Gelingensaspekte in der Konzeption von Fortbildungen für Lehrpersonen (vgl. Abb. 2). Während diese Aspekte allerdings eher auf traditionelle Präsenzveranstaltungen ausgerichtet sind, geht es aktuell darum, für Lehrkräfte passgenaue Kombinationen traditioneller und neuer Veranstaltungsformate und Nuggets frei verfügbaren und jederzeit nutzbaren Wissens zur Verfügung zu stellen und eine unkomplizierte Nutzung zu ermöglichen.
Synchrone und asynchrone Fortbildungsformate
Die Möglichkeiten scheinen nahezu grenzenlos zu sein. Zu jeder Zeit und an jedem Ort kann sich heute der einzelne Kollege, die einzelne Kollegin fortbilden. Das frei verfügbare Wissen in Form von Erklärvideos, Arbeitsmaterial, sozialen Medien wie Twitter (bspw. das Twitterlehrerzimmer) ist im World Wide Web rund um die Uhr verfügbar. Dazu kommen Impulse und Ideen aus den Sozialen Medien, Blogeinträge und Chatforen. Aus dem ersten Lockdown sind Veranstaltungsreihen entstanden, die – zunächst online durchgeführt – aufgezeichnet wurden und nun jederzeit abrufbar sind. Die Anzahl der asynchronen Angebote in verschiedensten Formaten ist (nahezu) unendlich.
Unter asynchronen Fortbildungsformaten versteht man Medienprodukte, die selbstreguliertes Lernen ermöglichen. Im digitalen Zeitalter sind dies vor allem Contentsammlungen über Websites oder Lernplattformen, also Präsentationen, Erklärfilme, Videoreihen oder Ähnliches. Interaktive Angebote asynchroner Art sind zum Beispiel kollaborative Whiteboards oder Wikis. All dies kann in Kombinationen auch in komplexen Arrangements wie Blog-Umgebungen, Moodle-Kursen oder MOOCs (massive open online courses) Anwendung finden. Gleichzeitig wächst die Menge traditioneller synchroner digitaler Fortbildungsangebote auch merklich. Sie sind leicht zugänglich, man kann sie überall wahrnehmen, denn »Lernen ist kein Ort, sondern eine Aktivität« bemerkt Andreas Schleicher 2020 (vgl. Vortrag zur Online-Veranstaltung zum Digitalkongress 2020). Diese Aktivitäten müssen schlicht passend zu den eigenen Partizipations- und Gestaltungswünschen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gestaltet sein. Und daran arbeiten wir Fortbildungsgestalter, indem wir retrospektiv auf das Jahr 2020 und das erste Quartal 2021 blicken:
Im Laufe des Jahres 2020 wandelten sich Fortbildungsveranstaltungen. Zunächst fanden sich durch Powerpoint flankierte Vorträge, dann eher Bauchwarenläden, die Tools und Anwendungen vorstellen, um der größten Not im ersten Lockdown Abhilfe zu schaffen – häufiger ohne konkreten didaktischen und fachlichen Bezug. Es entstanden zum Teil informelle Lerngemeinschaften, denn man fand sich immer mal wieder bei Referenten ein, die »auf gleicher Welle zu schwimmen« schienen. Schnell öffneten sie sich, wurden interaktiv und schafften Raum für Diskussionen und Austausch. Daran mangelte es in den meisten Systemen vor Ort aufgrund von Quarantäne- oder Lockdown-Situationen, aber online funktionierte das ganz gut. Man lernte sich kennen, war nicht allein und fand sich zu Interessengemeinschaften medialer, fachlicher oder didaktischer Natur. Und doch fehlte der Schritt der Übertragbarkeit ins eigene System, die eigene Schule.
Dafür haben das Projekt SINUS-SH im September 2020 eine Digitalkonferenz mit dem Titel »Alles bleibt anders?!« organisiert. In diesem halbtraditionellen Format aus Eröffnungsvortrag mit Diskussion in hybridem Format und anschließendem Workshopangebot sollte Raum geboten werden für systemische Betrachtungen in einer Interessengemeinschaft, die sich den mathematisch –naturwissenschaftlichen Fächern verbunden fühlt, und auch für konkrete Impulse der Unterrichtsgestaltung und des Arbeitsplatzes der Zukunft. Die Teilnehmenden erhielten vorab ein Begrüßungspaket mit kleinen, regionalen Leckereien für das leibliche Wohl und das Arbeiten in einer angenehmen Umgebung, auch wenn dies nur auf Distanz geschehen konnte. Die einzige präsente Gruppe war das Moderationsteam im Studio der Abteilung Fort- und Weiterbildung im IQSH, aus dem gesendet wurde. Im Paket war aber auch ein Logbuch enthalten, das Raum und Impulse bot, die letzten Wochen inhaltlich Revue passieren zu lassen, neue Ideen von anderen Teilnehmenden aufzunehmen und denkbare Meilensteine für die System- oder Unterrichtsentwicklung zu notieren. Es sollte einen roten Faden bieten und die einzelnen Teile der Veranstaltung zu einem großen Ganzen zusammenbinden. Es sollte dabei unterstützen, die Inhalte dieser Konferenz an anderer Stelle wieder aufzugreifen und weiterzuführen, den Faden nicht zu verlieren.
Der rote Faden
Eine wichtige Wahrnehmung aus den letzten 15 Monaten, wenn man auf Fortbildungen und Entwicklungswünsche blickt. Es ist unabdingbar, im Ozean des frei verfügbaren Wissens und der Menge an asynchronen und synchronen Angeboten für Überblick, eine Seekarte und einen roten Faden zu sorgen. Erfolgreiche (Online-) Fortbildner melden (wieder) zurück, dass sie trotz positiver Resonanz ihre sehr gut nachgefragten One-Shots, also Einzelveranstaltungen, weniger effektiv als gewünscht empfinden. So werden aus Sicht der systematischen Fortbildungsplanung oder Angebotsgestaltung eher Veranstaltungsreihen mit thematisch abwechselnden Schwerpunkten etabliert, die einerseits dem Arbeiten in Professionellen Lerngemeinschaften Raum geben und andererseits in verlässlicher Regelmäßigkeit neue Impulse und Ideen in die (offene) Gemeinschaft hineintragen. Eine noch zu lösende Aufgabe ist es, die vielen förderlichen, überregionalen Initiativen mit einzubinden, ohne wieder den roten Faden zu verlieren.
Der Kurs
Zu Beginn des Beitrags schien uns die Frage recht einfach – synchron oder asynchron? Wie gestaltet man ein förderliches Fortbildungsangebot auf Nähe und Distanz, das die Bedarfe der einzelnen Lehrkräfte aber auch der Steuergruppen an den Systemen unterstützt? Es geht vielmehr darum Fortbildungsbausteine zu identifizieren und sie förderlich zu arrangieren bzw. für einen roten Faden und eine gute Usability bei den Nachfragenden zu sorgen.
Zwischen Rahmengebung, Entgrenzung und grenzenlosen Möglichkeiten
Asynchrone Angebote erlauben einen autonomen Umgang mit eigenen Fortbildungsbedarfen. Sie lassen sich in notwendige Strukturen integrieren, können im eigenen Tempo genutzt und in einer Lernumgebung platziert werden, die förderlich für das eigene Lernverhalten ist. Trotzdem verpufft manch neuer Impuls in einer unerwarteten und unerwünschten Flaute. Wenn die Gelegenheiten fehlen, neue Ideen ein- und umzusetzen bzw. in einer Gemeinschaft zu evaluieren, zu modifizieren und wiederholt einzusetzen, dann wird der neuen Idee der Wind aus den Segeln genommen. Wer also über Fortbildungsformate sinniert, muss auch über die Gemeinschaften nachdenken, in denen Raum für Austausch und gemeinsames Entwickeln ist. Und so schließt sich der Kreis. Fortbildungskonzepte auf Nähe und Distanz leben einerseits von fachlichen Impulsen, von Expertise aus der Wissenschaft und Ideen zu Bedarfen aus der Schulpraxis, aus dem Alltag – übersichtlich dargestellt, leicht auffindbar für einzelne Lehrkräfte mit individuellen Interessen wie auch für Arbeitsgemeinschaften und Schulentwicklungsprojekte. Insofern wären landesweite oder bundesweite Fortbildungsplattformen mit Abrufangeboten für synchrone und asynchrone Angebote nun der nächste Schritt.
Die dort zu findenden Angebote entfalten aber nur dann eine Wirkung, wenn es zugleich Raum gibt für Austausch und zwar auf der Basis gemeinsamer Werte. Dies geschieht durch das Arbeiten in professionellen Lerngemeinschaften. Und bei dieser großen Aufgabe zu helfen, dies in Schule umzusetzen, das ist die fast noch größere Herausforderung für Fortbildung als eine Fortbildungsplattform. Doch wir haben ja aus vielen Projekten schon erste Ideen, wie es gelingen kann.
Literatur
Burow, Olaf-Axel (2021). Die Corona-Chance: Durch sieben Schritte zur ´Resilienten Schule’. Weinheim.
Pant, H. A. (2020). Nicht ein Virus ist schuld. [https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/nicht-ein-virus-ist-schuld/ ; Zugriff am 01.04.2021]
Rösike, Kim-Alexandra; Prediger, Susanne; Barzel, Bärbel (2016). DZLM-Gestaltungsprinzipien für Fortbildungen von Lehrpersonen.
https://dzlm.de/files/uploads/DZLM-Gestaltungsprinzipien-Konkretisierung_161201.pdf ; Zugriff am 30.04.2021
Online-Vortrag von Prof. Andreas Schleicher: »Schule ist kein Ort, sondern eine Aktivität« – Vom Unterricht zum Steuern von Lehr-Lernprozessen, vom 18.09.2020, vgl. https://www.youtube.com/watch?v=LlLDTsyPN5E