RA Claus Rückert
Der Fall
Ein Unternehmer (AN) wird im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung von einer Stadt (AG) mit Schreiben vom 20.02.2012 mit der Erneuerung von zwei Straßen beauftragt. Vertragsgrundlage ist u.a. die VOB/B 2009.
Das zugrunde liegende Leistungsverzeichnis sieht die Ausführung einer 44 cm starken Trag-/Frostschutzschicht der Körnung 0/45 aus gebrochenem Naturstein, darüber eine Bettung der Körnung 0/8 und darüber im Straßenbereich die Verlegung von Betonpflastersteinen der Größe 22,5/15/8 cm im Ellbogenverband vor. Als Fugenmaterial ist ein Sand-Kies-Gemisch der Körnung 0/5 vorgesehen. Insgesamt ergibt sich eine vertraglich vorgegebene Aufbauhöhe von 55 cm.
Nach Durchführung der beauftragten Arbeiten durch den AN nimmt der AG das Werk am 15.11.2012 ab.
Eine Wartung bzw. Nachbearbeitung der Pflasterfugen findet in der Folgezeit nicht statt.
Im Jahr 2016 stellt der AG fest, dass die Pflastersteine teilweise beschädigt sind und wackeln. In zahlreichen Bereichen der beiden Straßen fehlt die Fugenfüllung. Außerdem sind die Pflasterflächen in den Hochständen des Dachprofils verschoben, verdreht und verdrückt (beim sog. Dachprofil handelt es sich um eine Form der Querneigung, also der Neigung der Fahrbahnoberfläche rechtwinklig zur Straßenachse; die Querneigung fällt beim Dachprofil von der Mitte nach außen hin ab).
Der AG lässt die Pflasterflächen daraufhin durch ein Drittunternehmen untersuchen. Nach dem Untersuchungsbericht bestehen deutliche Schäden an den Pflastersteinen durch Verschiebungen und Verformungen in der Oberfläche. Ursache hierfür ist laut Untersuchungsbericht, dass die Fugen in den betroffenen Bereichen entleert sind. Daher sei es zu „Stein-zu-Stein-Kontakten“ mit Kantenabplatzungen gekommen. Die Pflasterfläche habe ihren inneren Verbund verloren. Auftretende Spannungen könnten daher nicht mehr schadensfrei aufgenommen werden, sodass die Pflasterdecke versage.
Der AG vertritt die Auffassung, maßgebliche Ursache der aufgetretenen Schäden sei eine Wasserundurchlässigkeit der Frost- bzw. Tragschicht. Hierdurch sei es im gesamten Bereich des Pflasterbelag der beiden Straßen zu einem dauerhaften Stau eintretenden Niederschlagswassers in der Bettung gekommen.
Darüber hinaus ist der AG der Auffassung, dass eine Wartung der Pflasterflächen nicht notwendig gewesen sei. Eine fehlende Wartung habe auch nicht zu den vorliegenden Schäden führen können. Jedenfalls habe der AN ggf. darauf hinweisen müssen, falls nach der Abnahme eine jährliche Nachverfugung oder -versandung notwendig gewesen wäre.
Außerdem macht der AG geltend, dass der AN den Gesamtaufbau nicht ausreichend mächtig hergestellt habe. Die vertraglich vereinbarte Aufbauhöhe im Bereich der Pflasterflächen von 55 cm sei nicht eingehalten worden.
Der AG fordert den AN mit Schreiben vom 06.03.2018 unter Fristsetzung bis zum 30.04.2018 zur Mängelbeseitigung auf. Hierauf reagiert der AN nicht.
Daraufhin verklagt der AG den AN auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 335.221,10 € brutto. Dieser Betrag ergibt sich wie folgt:
- Zur Beseitigung der Mängel muss nach Auffassung des AG die gesamte Pflasterbefestigung erneuert werden. Hierfür veranschlagt der AG voraussichtliche Kosten von 305.609,85 € brutto.
- Für Planungs- und Überwachungskosten durch ein Ingenieurbüro veranschlagt der AG Kosten in Höhe von mindestens 25.000 €.
- Für die Begutachtung der Pflasterflächen hatte der AG bereits Kosten in Höhe von 4.611,25 € brutto.
Im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ergibt sich, dass die Frostschutzschicht an vielen Stellen weniger als 44 cm stark ist. Nur an zwei von insgesamt zwölf untersuchten Stellen entspricht die Stärke der Frostschutzschicht der vertraglichen Vereinbarung (gemessen wurden Stärken von 38,5 cm, 38,0 cm, 43,0 cm, 40,0 cm, 49 cm, 34,5 cm, 33,7 cm, 37 cm, 62 cm, 36 cm, 43 cm und 39,5 cm). Selbst unter Berücksichtigung einer Toleranz von 3 cm liegt der gemessene Wert an 8 von 12 Prüfstellen außerhalb der zulässigen Stärke. Allerdings entspricht die Stärke des Aufbaus (trotz der Abweichung von den vertraglichen Vorgaben) noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Danach reicht eine Gesamtstärke von 45 cm aus, bestehend aus 8 cm Pflasterdecke, 3 cm Bettungsschicht und 34 cm Frostschutzschicht. Eine geringere Stärke als 34 cm Frostschutzschicht hat der Sachverständige nur an einer Prüfstelle festgestellt (33,7 cm). Diese geringfügige Unterschreitung liegt noch im zulässigen Toleranzbereich von 3 cm. Durch die Unterschreitung der vertraglich vorgegebenen Stärke für die Frostschutzschicht ergeben sich nach Feststellung des Sachverständigen zum Zeitpunkt der Untersuchung und auch in der Zukunft keine Nachteile.
Der AN beruft sich daher darauf, dass eine Beseitigung dieses Mangels unverhältnismäßig sei. Ihm würden durch eine nachträgliche Verstärkung der Frostschutzschicht erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen. Denn laut Sachverständigen sei eine Fläche von 1.770 m² betroffen. Die Kosten für die Verstärkung der Frostschutzschicht in diesem Bereich würden sich nach der Schätzung des Sachverständigen auf 272.980,05 € belaufen.
Außerdem überprüft der Sachverständige die Wasserdurchlässigkeit der Frostschutzschicht. Als Ergebnis wird festgestellt, dass nur an drei von sieben Prüfstellen eine hinreichende Wasserdurchlässigkeit der Frostschutzschicht gegeben ist (laut Sachverständigen wurde der Infiltrationswert nach der hier maßgeblichen ZTV Pflaster-StB 20 von mindestens 1 x 10 … m/s an vier von sieben Prüfstellen unterschritten). Im Zuge seiner mündlichen Anhörung erläutert der Sachverständige, dass die Wasserdurchlässigkeit über die Jahre nach der Errichtung der Frostschutzschicht immer schlechter wird. Denn über die Zeit werden insbesondere Kleinstkörner von außen in die Frostschutzschicht gespült. Der Eintrag dieser Kleinstkörner führt dazu, dass die Hohlräume innerhalb der Frostschutzschicht verringert werden. Daher ist es laut Sachverständigen schwierig, nach einem Zeitraum von mehreren Jahren die vorgeschriebene Wasserdurchlässigkeit zu erreichen. Dementsprechend müssen die in den einschlägigen Vorschriften genannten Werte nur zum Zeitpunkt der Errichtung der Straße erreicht werden. Ob dies der Fall war, kann der Sachverständige zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nicht mehr feststellen. Er hält es für möglich, dass die Wasserdurchlässigkeit der Frostschutzschicht bei Abnahme des Werks insgesamt in Ordnung gewesen ist und sich lediglich durch äußere Einflüsse in der Zwischenzeit verschlechtert hat. Aufgrund der nicht durchgeführten Wartung der Fugen kann außerdem der Eintrag von Kleinstkörnern begünstigt worden sein.
Als mögliche Ursache für die aufgetretenen Schäden kommt laut Sachverständigen außerdem die Verwendung ungeeigneten Fugenmaterials durch den AN in Betracht. Der AN hat insofern angegeben, entgegen der Ausschreibung ein Fugenmaterial mit der Körnung 0/4 mm verwandt zu haben. Ein solches Material wäre nach Feststellung des Sachverständigen noch zulässig und ordnungsgemäß gewesen. Das vertraglich vorgegebene Material mit der Körnung 0/5 mm wäre laut Sachverständigen hingegen zu grobkörnig und somit nicht geeignet gewesen. Denn die Verwendung eines solchen zu grobkörnigen Materials führt dazu, dass beim Einlegen und Einschlämmen nur ein Teil des Materials in die 3-5 mm breiten Fugen gelangt. Dadurch kann es laut Sachverständigen bei der Befahrung des Pflasters zu erheblichen horizontalen Bewegungen kommen und in der Folge zu den festgestellten Schäden.
Die durchgeführten Untersuchungen ergeben, dass die Korngröße des Fugenmaterials 0/5 mm beträgt und somit nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Allerdings kann der Sachverständige nicht ausschließen, dass das ursprünglich durch den AN eingebaute Fugenmaterial durch nachträgliche Einflüsse geändert worden ist (z.B. durch spätere Nacharbeiten sowie dem Eintrag von Fremdkörpern von außen über die Fugen). Zudem kann der AN Lieferscheine über Fugenmaterial der Korngröße 0/4 mm vorlegen.
Schließlich stellt der Sachverständige fest, dass die festgestellten Schäden vermieden worden wären, wenn eine Wartung in Form regelmäßiger Fugenprüfung und Nacharbeit durchgeführt worden wäre. Es ist laut Sachverständigen nicht möglich, die Fugen von Beginn an so vollständig zu verfüllen, wie dies auf Dauer erforderlich ist. Hinzu kommt, dass bei einer Befahrung der Pflasterfläche das Fugenmaterial durch die Reifen der Fahrzeuge herausgezogen wird. Daher müssen die Fugen (vor allem in den regelmäßig befahrenen Spuren) nach einem halben Jahr kontrolliert und nachverfugt werden. Nach einem weiteren Jahr muss diese Wartung wiederholt werden. Die erheblichen Schäden belegen, dass die Fugen über eine lange Zeit mit Sicherheit nicht ausreichend geschlossen bzw. verfüllt gewesen sind. In der Praxis werden solche Wartungsarbeiten laut Sachverständigen in der Regel nicht mehr durch die Bauunternehmen ausgeführt.
Das Urteil
Das OLG Hamm weist die Klage des AG in vollem Umfang ab.
Die Unterschreitung der vertraglich vorgegebenen Stärke der Frostschutzschicht von 44 cm stellt einen Mangel dar. Allerdings hat der AN berechtigterweise die Einrede der Unverhältnismäßigkeit gemäß § 13 Abs. 6 VOB/B erhoben. Unverhältnismäßig sind die Kosten für die Beseitigung eines Mangels dann, wenn der durch die Beseitigung des Mangels zu erwartende Erfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür geltend gemachten Geldaufwandes steht. Der Aufwand ist in aller Regel dann unverhältnismäßig, wenn einem objektiv geringen Interesse des Auftraggebers an einer mangelfreien Vertragsleistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht. In diesem Fall stellt die Forderung nach einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Hierbei ist vor allem auch zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß der Unternehmer den Mangel verschuldet hat und ob der Wert oder die Gebrauchsfähigkeit durch den Mangel nicht oder jedenfalls nicht erheblich beeinträchtigt ist (wobei nur in Ausnahmefällen von einer Unverhältnismäßigkeit auszugehen ist).
Im vorliegenden Fall ist laut Sachverständigen durch die Unterschreitung der vertraglich vorgegebenen Stärke der Frostschutzschicht weder jetzt noch in Zukunft mit Nachteilen für den AG zu rechnen. Somit besteht nur ein objektiv geringes Interesse des AG an einer Nachbesserung der Frostschutzschicht. Dem gegenüber stehen Kosten von 272.980,05 €. Somit steht der mit der Mangelbeseitigung erzielbare Erfolg nach Auffassung des OLG in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zur Höhe des dafür erforderlichen Geldaufwandes.
Im Übrigen gelingt es dem AG nicht, Mängel an den Leistungen des AN zu beweisen.
Maßgeblich für die Beurteilung der Leistung des Auftragnehmers ist der Zustand des Werks zum Zeitpunkt der Abnahme. Ein gewährleistungspflichtiger Mangel liegt hierbei auch vor, wenn der Mangel sich erstmals nach der Abnahme zeigt, die tatsächlichen Ursachen des Mangels aber bereits bei der Abnahme vorhanden waren. Dass dies der Fall war, muss der Auftraggeber beweisen.
Mit Ausnahme der zu dünnen Frostschutzschicht konnte der AG im Zuge der Beweisaufnahme nicht nachweisen, dass zum Zeitpunkt der Abnahme Mängel an den Leistungen des AN vorgelegen haben. Es ist möglich, dass die Schäden an der Pflasterfläche allein durch die nicht durchgeführte Wartung entstanden sind.
Der AN haftet nicht dafür, dass der AG die Wartung nicht durchgeführt hat. Allein aus dem Umstand, dass in der Leistungsbeschreibung keine Wartungsarbeiten berücksichtigt worden sind, ergibt sich keine Hinweispflicht des AN nach § 4 Abs. 3 VOB/B. Auch ein Schadensersatzanspruch wegen einer Nebenpflichtverletzung nach § 280 BGB kommt nicht in Betracht. Nach den hier maßgeblichen Umständen des Einzelfalls durfte der AN davon ausgehen, dass dem AG die Notwendigkeit der Wartungsarbeiten bekannt war. Der AG verfügte über einen planenden Ingenieur. Außerdem musste dem AG die Notwendigkeit der Wartungsarbeiten auch selbst bekannt sein, da es sich hierbei um eine mit einem Bauamt ausgestattete Kommune handelte.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG Hamm verdeutlicht, wie wichtig es für den Auftragnehmer ist, nach der Fertigstellung seiner Leistungen auf eine zeitnahe Abnahme zu drängen. Hierdurch wird nicht nur die Gewährleistungsfrist in Lauf gesetzt. Vor allem muss der Auftraggeber dann nachweisen, dass die Leistungen des Auftragnehmers zum Zeitpunkt der Abnahme Mängel aufgewiesen haben. Besteht (wie in dem Fall, über den das OLG Hamm zu entscheiden hatte) die Möglichkeit, dass der Zustand des Werks sich nach der Abnahme verschlechtert hat, geht dies zulasten des Auftraggebers.
Sofern der Auftraggeber die Abnahme verweigert, besteht für alle ab dem 01.01.2018 geschlossenen Bauverträge die Möglichkeit, eine Zustandsfeststellung gemäß § 650g BGB zu verlangen. Von dieser Möglichkeit sollte der Auftragnehmer ggf. konsequent Gebrauch machen. Falls der Auftraggeber hierbei nicht mitwirkt, kann der Auftragnehmer unter den Voraussetzungen nach § 650g Abs. 2 BGB eine solche Zustandsfeststellung auch einseitig durchführen.
Das Ergebnis der Zustandsfeststellung ist schriftlich festzuhalten und von beiden Vertragspartnern zu unterschreiben. Sofern hierbei ein offenkundiger Mangel nicht angegeben ist, wird zulasten des Auftraggebers vermutet, dass der Mangel erst nach der Zustandsfeststellung entstanden ist und der Auftraggeber den Mangel zu vertreten hat. Hierdurch wird das Risiko, dass das Werk nach Fertigstellung (aber nach Verweigerung der Abnahme durch den Auftraggeber) nachteilig verändert wird, im Hinblick auf offenkundige Mängel auf den Auftraggeber verlagert.