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Recht & Verwaltung30 Juni, 2021

Aktuelle Rechtsprechung und Fälle zum Straf- und Strafprozessrecht

von Dr. Alexander Paradissis, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht

Das Strafrecht unterliegt einem stetigen Wandel. Neue Gesetze und Gerichtsentscheidungen ändern die Rahmenbedingungen der Strafverteidigung permanent. In diesem Dickicht den Überblick zu behalten, ist eine Herausforderung.
Hinsichtlich aktueller Entwicklungen betrifft dies insbesondere die nachfolgenden Themen:

Beweisantragsrecht

Der BGH hat sich jüngst in mehreren für die Verteidigung sehr relevanten Entscheidungen zum Beweisantragsrecht (insb. Fristsetzung, Anforderungen an die Begründung des Beweisantrags und Darlegung der Verfahrensrüge) geäußert. Die Kenntnis der tragenden Erwägungen dieser – allesamt zu Lasten der Verteidigung ausgefallenen – Entscheidungen ist für eine effektive instanzenübergreifende Verteidigung unverzichtbar.

Recht der Pflichtverteidigung

Derzeit häufen sich Amts- und Landgerichtliche Entscheidungen zu der Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung möglich ist. Eine klare Linie ist bis dato nicht zu erkennen. Die Frustration aufseiten der Verteidigung ist besonders groß, wenn der rechtzeitig gestellte, aber erst nach Wegfall des Beiordnungsgrundes beschiedene Antrag mit der Begründung abgelehnt wird, eine rückwirkende Beiordnung sei nicht möglich. Um solchen Überraschungen vorzubeugen, sollte die Verteidigung rechtzeitig die Argumente, die für eine rückwirkende Beiordnung streiten, ins Feld führen.

Spezialproblem „EncroChat“ – Dringender Tatverdacht und Verwertungsverbote Akteneinsichtsrecht

Eine Vielzahl von – vor allem BtM-Verstöße betreffende – Ermittlungsverfahren haben ihren Ursprung in der Auswertung von Kommunikationsdaten, die bei der Nutzung von kryptographischen Mobiltelefonen der Marke „EncroChat“ entstanden sind. Im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit den Niederlanden war es der Staatsanwaltschaft in Lille (Frankreich) gelungen, auf den Servern der Betreiber von EncroChat gespeicherte Daten abzufangen und zu entschlüsseln. Den Beamten gelang es auf diese Weise auf über 32.000 Nutzer-Accounts aus unterschiedlichen Nationen zuzugreifen. Zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen nehmen derzeit zu der Frage Stellung, ob die im Ausland gewonnenen EncroChat-Kommunikationsdaten in deutschen Strafverfahren verwertbar sind.

Akteneinsichtsrecht 

Zwei aktuelle und für die Verteidigung sehr relevante Entscheidungen zum Thema Akteneinsicht: Die erste Entscheidung des OLG Frankfurt befasst sich mit der Frage, ob das Gericht der Verteidigung Einsicht in Mitangeklagte betreffende Haftsonderbände mit der Begründung verwehren kann, die Relevanz für die Verteidigung sei nicht ersichtlich. Die zweite Entscheidung des LG Köln liefert nützliche Argumente, um sich in Aussage gegen Aussage-Konstellationen erfolgreich gegen Akteneinsichtsanträge der Nebenklage zur Wehr zu setzen.

Haftrecht 

Kaum ein Bereich des Strafprozesses produziert so viele Gerichtsentscheidungen wie das Haftrecht. Meist stehen die Haftgründe und der dringende Tatverdacht im Vordergrund. Seltener geht es um die für den inhaftierten Mandanten aber ebenfalls mit erheblichen Auswirkungen einhergehenden Beschränkungsanordnungen nach § 119 StPO. Das OLG Düsseldorf hat sich in einer für die Verteidigung sehr hilfreichen Entscheidung gegen pauschale Beschränkungsanordnungen ohne konkrete Veranlassung ausgesprochen.

Europarecht 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer neuen Entscheidung wichtige Leitlinien in Bezug auf die Unschuldsvermutung im Strafprozess aufgestellt. Das Gericht hatte sich in der der Beschwerde zugrunde liegenden Entscheidung im Rahmen der Beweiswürdigung u. a. auf die Zeugenaussage eines Polizeibeamten gestützt, nach dessen Aussage weitere Ermittlungen gegen den Angeklagten in anderen, ähnlich gelagerten Fällen geführt würden. Es stellte sich die spannende Frage, ob die Ermittlungen bzgl. weiterer, noch nicht abgeurteilter Taten im Rahmen des konkreten Strafverfahrens zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden durften oder dies einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellt.

Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften 

Am 25.06.2021 wurde das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften“ verabschiedet. Die Gesetzesreform ist am 01.07.2021 in Kraft getreten.

Autor

Dr. Alexander Paradissis

Dr. Alexander Paradissis

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht
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