BGH klärt das Verhältnis der §§ 851c ZPO und § 850i ZPO
Recht & Verwaltung03 November, 2021

BGH klärt das Verhältnis der §§ 851c ZPO und          § 850i ZPO

Ein Rechtsprechungsüberblick von Kai Henning 
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht | Dortmund

BGH beschließt: Liegen hinsichtlich des Guthabens des Schuldners aus einer Kapitallebensversicherung die Voraussetzungen eines Schutzes nach § 851c ZPO nicht vor, ist gleichwohl ein Pfändungsschutz nach § 850i ZPO nicht ausgeschlossen (BGH Beschluss vom 29.04.2021 (-IX ZB 2520-)).

Sachverhalt und Entscheidungsgründe in Auszügen:

Im Jahr 2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des im Jahr 1949 geborenen Schuldners eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Schuldner bezieht eine gesetzliche Altersrente. Er war zuvor Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die ihm eine Versorgungszusage erteilt hatte, nach der er ab Erreichen des 65. Lebensjahres eine Pension von monatlich 3.000 DM, wahlweise eine Kapitalabfindung beanspruchen konnte. Zur Sicherung des Versorgungsanspruchs verpfändete ihm die GmbH zwei von ihr bei der A. AG als Rückdeckungsversicherungen abgeschlossene Lebensversicherungen mit Kapitalwahlrecht. Die Versicherungszeiträume waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners abgelaufen. Die Ablaufleistungen der Versicherungen betrugen 129.297,70 € und 144.508,92 €. Die Versicherungsleistungen wurden am 21. März 2018 einem von dem Insolvenzverwalter eingerichteten Anderkonto gutgeschrieben. Mit Schreiben vom 31. März 2018 beantragte der Schuldner, ihm einen Betrag von 647,22 € monatlich pfandfrei zu belassen und den Insolvenzverwalter anzuweisen, zur Sicherung der Unterhaltsrente einen Betrag von 140.000 € nicht für die Masse zu verwerten. Der Insolvenzverwalter trat dem insbesondere mit der Auffassung entgegen, § 850i ZPO sei nicht mehr anwendbar, weil die Versicherungsleistungen vor Stellung des Pfändungsschutzantrags ausbezahlt worden seien.

Das Insolvenzgericht hat angeordnet, dem Schuldner insgesamt einen Teilbetrag von 6.922,40 € nach § 850i ZPO pfandfrei zu belassen, wobei es nach Würdigung von Bedarf und Einkommen eine monatliche Unterdeckung in Höhe von 173,06 € angenommen und als angemessenen Zeitraum im Sinne des § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO - entsprechend der Zeitspanne zwischen Antragstellung und Ablauf der Abtretungserklärung - 40 Monate zu Grunde gelegt hat. Gegen diesen Beschluss haben sowohl der Schuldner als auch der weitere Beteiligte sofortige Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat den Beschluss abgeändert, den Antrag auf Pfändungsschutz insgesamt zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. […]

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Anwendungsbereich des § 850i ZPO sei aufgrund der speziellen Pfändungsschutzvorschrift des § 851c ZPO für Altersvorsorgeleistungen nicht anwendbar, auch wenn § 851c ZPO mangels Vorliegens seiner Voraussetzungen nicht eingreife. Die Einschränkung der Gläubigerrechte lasse sich nur mit der Altersvorsorgefunktion nach § 851c ZPO legitimieren. Auf die Frage, ob § 850i ZPO noch anzuwenden wäre, obwohl die Versicherungsleistungen bereits auf ein Insolvenzanderkonto ausgezahlt worden seien, komme es daher nicht mehr an.

Mit dieser Begründung kann der von dem Schuldner beantragte Pfändungsschutz für die ihm verpfändeten Ansprüche aus den Versicherungsverträgen nicht verweigert werden. Nach § 35 Abs. 1 InsO fällt das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er im Laufe des Verfahrens erlangt, in die Insolvenzmasse. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO verweist unter anderem ausdrücklich auf § 850i ZPO und § 851c ZPO.

Die Leistungen aus den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen sind nicht nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 851c Abs. 1 ZPO von dem Insolvenzbeschlag ausgenommen, denn die Voraussetzungen des Pfändungsschutzes für Altersrenten nach letzterer Vorschrift liegen nicht vor. […] Der durch den Schuldner beantragte Pfändungsschutz nach § 850i ZPO ist nicht aus den von dem Beschwerdegericht angeführten Gründen ausgeschlossen. Der Antrag, Pfändungsschutz für sonstige Vergütungen gemäß § 850i ZPO zu gewähren, ist an keine Frist gebunden, muss aber vor Beendigung des Vollstreckungsverfahrens gestellt werden. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Schuldners für einen Vollstreckungsschutzantrag entfällt, jedenfalls soweit es die Einzelzwangsvollstreckung betrifft, wenn der Drittschuldner an den Gläubiger gezahlt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - IX ZA 42/09, BeckRS 2010, 3666 Rn. 2 mwN; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 12. Auflage, § 850i Rn. 49; BeckOK-ZPO/Riedel, 2020, § 850i Rn. 14; Deppe in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, § 850i ZPO Rn. 13). Dem Rechtsschutzinteresse des Schuldners für einen Pfändungsschutzantrag gemäß § 850i ZPO, § 36 Abs. 1 InsO steht nicht entgegen, dass die Versicherungsleistungen vor der Antragstellung einem Anderkonto des Insolvenzverwalters gutgeschrieben worden sind. Soweit das Beschwerdegericht von der Einzahlung auf ein "Insolvenzanderkonto" ausgeht, ist damit nach dem Akteninhalt ein Anderkonto des weiteren Beteiligten als Kontoinhaber, nicht aber ein Konto gemeint, das die Masse als materiell berechtigt ausweist (sogenanntes Insolvenz-Sonderkonto). Bei einem Anderkonto handelt es sich um ein offenes Vollrechtstreuhandkonto, aus dem ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2019 - IX ZR 47/18, BGHZ 221, 87 Rn. 32). Im Fall der Zahlung auf ein Anderkonto hat der Drittschuldner weder in das dem Insolvenzbeschlag unterliegende Schuldnervermögen noch in die Masse geleistet (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 192/07, NZI 2009, 245 Rn. 10). Es kann daher dahinstehen, ob Pfändungsschutz nach § 850i ZPO aufgrund der schuldbefreienden Wirkung der Leistung des Drittschuldners nicht mehr gewährt werden kann, sobald die Zahlung einem Sonderkonto der Masse gutgeschrieben worden ist, bevor der Antrag gestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - IX ZA 42/09, BeckRS 2010, 3666 Rn. 2; Urteil vom 20. Juli 2010 - IX ZR 37/09, BGHZ 186, 242 Rn. 15; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 12. Auf., § 850i Rn. 49 f; differenzierend AG Norderstedt, ZInsO 2017, 2189, 2191).

Die dem Schuldner verpfändeten Versicherungsansprüche unterfallen dem Anwendungsbereich des § 850i ZPO. Nach § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht dem Schuldner, wenn sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, gepfändet werden, auf Antrag während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde, soweit dies erforderlich ist, damit dem Schuldner ein unpfändbares Einkommen in Höhe der von § 850c Abs. 1, Abs. 2a ZPO bestimmten Beträge gegebenenfalls in Verbindung mit §§ 850e, 850f Abs. 1 ZPO verbleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2018 - IX ZB 19/18, NZI 2018, 899 Rn. 10 mwN). Die Regelung will vornehmlich Einkünfte Selbständiger und generell solche aus nicht abhängiger Tätigkeit einem Pfändungsschutz zuführen (vgl. Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 850i ZPO Rn. 1). […]

Nach diesem Maßstab handelt es sich bei den Ansprüchen des Schuldners aus den ihm verpfändeten Rückdeckungsversicherungen um selbst erwirtschaftete Einkünfte. Die dem Schuldner erteilte Pensionszusage hat nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter und steht damit der Leistung des Schuldners auch als Gegenleistung aus dem Dienstverhältnis gegenüber (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 - IX ZR 231/19, NZI 2021, 90 Rn. 24). Diese Pensionszusage wurde durch die verpfändeten Rückdeckungsversicherungen abgesichert. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist die Pensionszusage als Teil der Vergütung des Schuldners zu sehen, die durch ihn selbst erwirtschaftet worden ist. In der Folge sind die Ansprüche des Schuldners aus den ihm verpfändeten Rückdeckungsversicherungen vollstreckungsrechtlich wie von ihm selbst erwirtschaftete Einkünfte zu behandeln.

Einem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO steht nicht entgegen, dass die Ansprüche aus den Versicherungen nicht die Anforderungen an eine nach § 851c ZPO geschützte Altersvorsorge erfüllen. Nach § 850i Abs. 3 ZPO bleiben die Bestimmungen der Versicherungs-, Versorgungs- und sonstigen gesetzlichen Vorschriften über die Pfändung von Ansprüchen bestimmter Art unberührt. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei den besonderen Pfändungsschutzvorschriften der § 851a ZPO (Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse), § 851b ZPO (Miet- und Pachtzinsen), § 851c ZPO (Altersrenten), § 851d ZPO (steuerlich gefördertes Altersvorsorgevermögen) und § 852 ZPO (Pflichtteil, Zugewinnausgleich, Herausgabe eines Geschenks) im Verhältnis zu § 850i ZPO um abschließende Sonderregelungen handelt oder ob sie einen ergänzenden Pfändungsschutz für bestimmte Einkünfte gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, WM 2014, 1485 Rn. 15). Zwar wird § 851c ZPO als Sonderregelung angesehen, die speziell für den Pfändungsschutz der Altersvorsorge Selbständiger bestimmt ist (vgl. Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 850i ZPO Rn. 11; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 12. Aufl., § 850i Rn. 26; Kessal-Wulf/Lorenz/Els in Schuschke/Walker/Kessen/Thole, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl., § 850i ZPO Rn. 2). Vorrangig sind die spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 851c, 851d ZPO, soweit es um den automatischen Pfändungsschutz für laufende Zahlungen und den Schutz des Vorsorgekapitals geht (Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 28). § 850i ZPO findet auf Fallgestaltungen, für die die spezielle Schutzregelung des § 851c ZPO gilt, keine Anwendung (vgl. BeckOK-ZPO/Riedel, 2021, § 850i Rn. 12; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., C.515; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 532 f). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass ein an sich nach § 850i ZPO begründeter Pfändungsschutz immer dann entfällt, wenn die betreffenden Einkünfte zugleich einzelne, jedoch nicht alle der Voraussetzungen des § 851c ZPO erfüllen. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof einen Pfändungsschutz nach Maßgabe des § 850i ZPO für Lebensversicherungen als Altersversorgung abhängig Beschäftigter für möglich gehalten, die nicht unter § 850 Abs. 3 Buchst. b ZPO fallen, weil sie nicht als Rente, sondern als Kapitalabfindung gewährt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - VII ZB 16/08, WM 2008, 2265 Rn. 9; vom 11. November 2010 - VII ZB 87/09, r+s 2011, 32 Rn. 13). Ferner hat das Bundesarbeitsgericht den Pfändungsschutz für Kapitalleistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung dem Anwendungsbereich des § 850i ZPO zugeordnet (vgl. BAG, Urteil vom 15. Mai 2012 - 3 AZR 11/10, BAGE 141, 259 Rn. 81).

Die Annahme des Beschwerdegerichts, bei § 851c ZPO handele es sich um eine abschließende Sonderregelung mit Sperrwirkung, wenn eine tatbestandliche Überschneidung mit anderen Pfändungsschutznormen zwar nicht vorläge, aber eine Versicherungsleistung mit Versorgungsfunktion betroffen wäre, erforderte eine Abgrenzung, wann eine Versicherungsleistung, die nicht in den Anwendungsbereich des § 851c ZPO fiele, von der Ausschlusswirkung erfasst würde, die diese Norm für jeglichen Pfändungsschutz nach anderen Vorschriften bewirken würde. Dies führte zu Wertungswidersprüchen, die weder in dem Gesetzeszweck des § 851c ZPO noch in dem des § 850i ZPO eine Rechtfertigung finden. Es widerspräche dem Zweck des § 850i ZPO, Schutzlücken für Selbständige zu schließen (vgl. Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 12. Aufl., § 850i Rn. 1 ff), wenn nach § 850i ZPO zwar Kapitalleistungen aus Lebensversicherungen ohne Rentenwahlrecht geschützt würden, da keine der Voraussetzungen des § 851c ZPO erfüllt wären, aber bei Leistungen aus Lebensversicherungen mit Renten- und Kapitalwahlrecht, sofern und soweit diese ebenfalls eigenständig erwirtschaftete Einkünfte darstellen und wirtschaftlich an die Stelle eines nicht mehr erwirtschafteten Einkommens treten können, aufgrund einer Sperrwirkung des § 851c ZPO jeglicher Pfändungsschutz entfiele. Das liefe dem Schutzgedanken des § 850i ZPO, alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte des Schuldners der Unterhaltssicherung verfügbar zu machen, zuwider. Die mit § 850i ZPO verfolgte Absicht des Gesetzgebers, den Pfändungsschutz für nicht abhängig Erwerbstätige auf den gesamten selbst erwirtschafteten Lebensunterhalt zu erweitern und so das Existenzminimum zu schützen, um öffentliche Haushalte von Transferleistungen zu entlasten, streitet dagegen, diese Zwecke bei Einkünften aus Versicherungen, die nicht nach § 851c ZPO (oder § 850 Abs. 3 Buchst. b ZPO oder § 851d ZPO) qualifiziert sind, zurückzustellen. […]

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 und Abs. 5 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen worden sind. Das Beschwerdegericht wird zu prüfen haben, ob das Rechtsschutzinteresse zum Zeitpunkt des Pfändungsschutzantrages noch bestand, und sofern dies der Fall ist, in welcher Höhe dem Schuldner nach §§ 850i, 850c Abs. 1, Abs. 2a ZPO Pfändungsschutz für die Ansprüche aus den Versicherungsverträgen zu gewähren ist. Der Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO greift nicht stets in vollem Umfang durch. Zwar spielen in der Gesamtvollstreckung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten (§ 850i Abs. 1 Satz 2 ZPO) grundsätzlich keine Rolle, weil in der Insolvenz sämtliche pfändbaren Vermögensgegenstände (§ 36 Abs. 1 InsO) in die Masse fallen und deswegen zugunsten der Gläubiger verwertet werden. Auch ist § 850i Abs. 1 Satz 3 ZPO im Insolvenzverfahren nicht unmittelbar anwendbar, weil durch diese Regelung sichergestellt werden soll, dass die individuellen Belange des vollstreckenden Gläubigers - etwa seine über die allgemeinen Verhältnisse hinausgehende Schutzbedürftigkeit - Berücksichtigung finden. Im Insolvenzverfahren ist eine solche Abwägung zugunsten einzelner Gläubiger ausgeschlossen (vgl. Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2362). Gleichwohl bedarf es nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO einer wertenden Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, ob und wie die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO unter Abwägung der Belange von Schuldner und Gläubiger zur Anwendung gelangen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, WM 2014, 1432 Rn. 14; vom 6. April 2017 - IX ZB 40/16, WM 2017, 913 Rn. 18). Das Beschwerdegericht wird zu beachten haben, dass der Zeitraum, für den Pfändungsschutz zu beanspruchen ist, unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nach freiem Ermessen zu bestimmen ist, wobei vorausschauend abzuschätzen ist, ob, wann und in welcher Höhe mit weiteren Einnahmen des Schuldners zu rechnen ist (vgl. Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 18. Aufl., § 850i Rn. 6; Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 850i ZPO Rn. 23). […]

Anmerkung unseres Experten
Kai Henning, Experte, Verbraucherinsolvenzrecht, Wolters Kluwer

Kai Henning

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht | Dortmund
Mit dieser Entscheidung klärt der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das Verhältnis der §§ 851c und 850i ZPO. Der Ansicht, dass allein § 851c ZPO anzuwenden ist, wenn ein Versicherungsvertrag mit Vorsorgeleistung betroffen und damit ein Schutz nicht gegeben ist, wenn seine Voraussetzungen nicht vorliegen, teilt der BGH nicht.

Des Weiteren stellt der BGH fest, dass zumindest dann, wenn die Versicherungsleistung auf ein vom Insolvenzverwalter eingerichtetes Anderkonto überwiesen wurde, ein Schutzantrag des Schuldners nach § 850i ZPO auch nach Auszahlung noch zulässig ist. Aus Schuldnersicht sollte ein Schutzantrag aber grundsätzlich möglichst vor Auszahlung der Versicherungsleistung gestellt werden.

Schließlich gibt der BGH dem LG Nürnberg-Fürth als Beschwerdegericht auf, nunmehr zu entscheiden, in welchem Umfang die Versicherungsleistung geschützt ist. Die anstehende Prüfung entspricht der im Fall einer massezugehörigen Direktversicherung, zu der der Schuldner ebenfalls einen Schutzantrag nach § 850i ZPO stellen kann (vgl. BGH Beschl. 20.12.2018 -IX ZB 8/17-). Bei dieser Prüfung ist zu berücksichtigen, dass der Umfang des Schutzes nach § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO grundsätzlich darauf gerichtet ist, dem Schuldner so viel zu belassen, als wenn er als abhängig Beschäftigter Einkommen erzielen würde. Orientierungsgröße ist folglich die Pfändungstabelle des § 850c ZPO. Erzielt der Schuldner verschiedene Renten oder zusätzliches Arbeitseinkommen werden diese gem. § 850e ZPO zusammengerechnet. Bei der freien Würdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners nach § 850i Abs. 1 S. 2 ZPO dürfte neben seinen nicht mehr bestehenden weiteren Verdienstmöglichkeiten auch der besondere Charakter der Altersversorgung, die nach dem Arbeitsleben ein ausreichendes Einkommen für ein altersangemessenes Leben ermöglichen soll, zu berücksichtigen sein. Es kann also durchaus vertreten werden, wie es der Schuldner auch beantragt, eine lebenslange Aufstockung des vorhandenen Einkommens auf den jeweils unpfändbaren Betrag vorzunehmen.

Fraglich ist, ob dem Schuldner ein Einmalbetrag oder eine monatliche, halbjährliche oder jährliche Auszahlung zuzusprechen ist, da der BGH die Berücksichtigung weiterer, zukünftiger Einnahmen ausdrücklich anmahnt. Eine Einmalzahlung wäre praxisfreundlich, ließe aber u.U. berechtigte Interessen der Gläubiger außer Betracht, wenn bspw. an einen unerwarteten Vermögenszuwachs beim Schuldner oder einen frühen Tod gedacht wird. Auch § 851c Abs. 2 ZPO stellt hohe Beträge unter Berücksichtigung des Sterblichkeitsrisikos frei, die aber in Form einer monatlichen Rente ausgezahlt werden. Alternative zur einmaligen Auszahlung des gesamten Versicherungsguthabens ist die Auszahlung in Teilbeträgen. Eine durch sich verändernde Verhältnisse erforderliche Anpassung der Zahlungen könnte über § 850g ZPO erfolgen, der gem. § 36 Abs. 1 InsO auch im Insolvenzverfahren Anwendung findet. Dies würde aber eine u.U. jahrzehntelange Abwicklung und damit eine erhebliche Belastung für alle Beteiligten bedeuten. Der Entscheidung des Beschwerdegerichts und dem möglichen weiteren Verfahrensverlauf kann daher mit Spannung entgegengesehen werden.

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