Herr Manteufel, der „Werner/Pastor“ erscheint bald in seiner 18. Auflage. Was bedeutet für Sie die Arbeit an diesem Standardwerk für Baurechtler?
Ich bin in der 17. Auflage als Mitautor in das Buch eingestiegen und habe wesentliche Teile, die bisher von Dr. Pastor bearbeitet wurden, übernommen, insbesondere das Gewährleistungsrecht und das Prozessrecht. Zunächst bedeutet dies natürlich sehr viel Arbeit, schon aufgrund der Stofffülle. Es ist aber schon etwas Besonderes, an diesem seit Jahren etablierten Standardwerk mitzuwirken. Die besondere Herausforderung liegt darin, das traditionsreiche Werk auf dem neusten Stand zu halten und überholtes zu streichen, ohne das Bewährte zu verlieren.
Die Neuauflage geht auf eine Vielzahl aktueller gerichtlicher Entscheidungen ein. Können Sie bitte einige wichtige Urteile kurz veranschaulichen?
Nach Inkrafttreten der WEG-Reform am 1.12.2020 sind im Hinblick auf die Abschaffung der sog. gekorenen Ausübungsbefugnis der WEG für Ansprüche der Wohnungseigentümer sind Zweifel daran aufkommen, ob die jahrzehntealte ständige Rechtsprechung zur Geltendmachung der Mängelrechte am Gemeinschaftseigentum durch die WEG als Verband noch Bestand haben kann. Der für den Grundstückskauf und das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat hat mit Urteil vom 11.11.2022 (BauR 2023, 471) entschieden, dass die bisherige Rechtsprechung zur Geltendmachung der Mängelrechte am Gemeinschaftseigentum durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Verband auch nach der im Dezember 2020 in Kraft getretenen Reform des WEG Bestand hat. Die WEG ist nach wie vor berechtigt, auch die auf Beseitigung von Mängeln gerichteten Rechte durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen. Dem hat sich inzwischen auch der für das Baurecht zuständige VII. Zivilsenat angeschlossen (u.a. BGH, Beschl. v. 01.02.2023 - VII ZR 887/21). Der VII. Zivilsenat hat mit Urteil vom 19.1.2023, Az.: VII ZR 34/20 (BauR 2023, 628) entschieden, dass die Regelung in § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B, wonach der Auftraggeber den Bauvertrag kündigen kann, wenn der Auftragnehmer vor Abnahme erkannte Mängel nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist beseitigt, einer isolierten Inhaltskontrolle nicht standhält. Die Entscheidung betrifft unmittelbar nur das Kündigungsrecht aufgrund von Mängeln, die in der Bauphase trotz Rüge nicht beseitigt werden. Es stellt aber auch das der VOB/B eigene Recht des Auftraggebers in Frage, bereits in der Bauphase die Beseitigung erkannter Mängel zu verlangen.
Ganz aktuell ist ein Urteil des BGH vom 16.3.2023 (VII ZR 94/22) zum Begriff des Verbraucherbauvertrags. Auch dieses Urteil, welches bei Drucklegung nur als Pressemitteilung vorlag, konnte noch in die Neuauflage aufgenommen und berücksichtigt werden.
Welche gesetzlichen Änderungen berücksichtigt die 18. Auflage?
Das am 1.1.2018 in Kraft getretene neue Bauvertragsrecht ist bereits in der 17. Auflage berücksichtigt. Die wesentliche gesetzliche Änderung der letzten beiden Jahre im Bau- und Architektenrecht ist die Neuregelung des Architektenhonorarrechts im Zuge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 4.7.2019, mit dem dieser das seit Jahrzehnten geltende System verbindlicher Mindest- und Höchstsätze bei den Honoraren der Architekten und Ingenieure als mit Europarecht unvereinbar erklärt hat. Der Gesetzgeber hat dieses Urteil in der Weise umgesetzt, dass die HOAI und die dort geregelten Honorare unverändert geblieben sind, sie jetzt aber nicht mehr zwingendes Preisrahmenrecht sind.
Die in der HOAI geregelten Honorare dienen nur noch der Honorarorientierung, von ihnen kann ohne weiteres durch Vereinbarung der Parteien abgewichen werden – sofern die Vereinbarung in Textform erfolgt und der Auftraggeber, wenn er Verbraucher ist, ebenfalls in Textform auf die Möglichkeit der freien Vereinbarung höherer oder niedrigerer Honorare hingewiesen wird. Dieser Paradigmenwechsel ist in der Neuauflage ausführlich dargestellt und hat zu einer umfassenden Neubearbeitung des Kapitels zum Architektenhonorar geführt. Darüber hinaus ist auch die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrecht, die auch Auswirkungen auf die Verfolgung der Mängelrechte gegen den Bauträger hat, ausführlich berücksichtigt.
Für fast alle Baurechtler gilt der „Werner/Pastor“ als ein unverzichtbares Werk bei ihrer Arbeit (bzw. in ihrer Bibliothek). Was würden Sie sagen, zeichnet das Werk aus, so dass es diesen hohen Stellenwert hat?
In erster Linie die Aktualität und die Vielfalt der Themen. Der Werner/Pastor ist erstmals 1976 erschienen. Er war das erste Werk, das alle materiellen Probleme des Baurechts mit einem strengen prozessualen Aufbau behandelt hat. Die wesentlichen Fragen werden an der Stelle dargestellt, an der sie im Prozess von Bedeutung sind. Seitdem hat sich das Buch ständig weiterentwickelt. Alle für den Baurechtler bedeutsamen Themen werden anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte in einfacher und klarer Sprache dargestellt. Dabei beschränkt sich das Buch nicht auf die klassischen Themen des Architekten- und Bauvertragsrechts im engeren Sinne, also Vergütung, Gewährleistung und Sicherheiten. Der Werner/Pastor behandelt daneben auch viele andere praktische Fragen, mit denen mit Baurecht befasste Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Richterinnen und Richter in ihrer alltäglichen Praxis immer wieder konfrontiert werden. Dazu gehört die Darstellung der Haftungsfragen bei den leider immer wieder auftretenden Baustellenunfällen einschließlich der für die Haftung der verschiedenen Baubeteiligten bedeutsamen sozialrechtlichen Bezüge ebenso wie die strenge Rechtsprechung zur Beschädigung von im Erdboden verlegten Versorgungsleitungen bei Tiefbauarbeiten.
Die besondere praktische Bedeutung gerade dieser Thematik hat sich gerade in den letzten Monaten eindrucksvoll gezeigt, als bei Baggerarbeiten an der Düsseldorfer Kö Kabel der Telekom beschädigt wurden, wodurch große Teile der Landesverwaltung einschließlich der Justiz vorübergehend stark beeinträchtigt wurden und nicht erreichbar waren. Wenige Tage wenig später wurde ebenfalls bei Bauarbeiten an einer Bahnstrecke bei einem ähnlichen Schadensfall der Flughafen Frankfurt über Stunden lahmgelegt. Auch die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Schäden am Nachbargrundstück durch Bauarbeiten und die nachbarrechtlichen Fragen bei einem Überbau im Zuge der energetischen Sanierung von Gebäuden werden behandelt. Der BGH hat hierzu zuletzt am 1.7.2022 entschieden (V ZR 23/21).
Mal ein Blick nach vorne. Ist jetzt schon absehbar, welche Bereiche/Themen/Fragen in der nächsten Auflage hinzukommen bzw. mehr Raum erhalten werden?
Unser Buch ist viel zu aktuell, um hierzu jetzt schon viel sagen zu können. Es wird in jedem Fall spannend sein, zu beobachten, ob und wie die neue HOAI als Preisorientierung von der Praxis angenommen wird. Für den gewerblichen Bauvertrag steht die Aktualisierung der VOB/B an. Sie muss an das seit mehr als fünf Jahren bestehende neue Bauvertragsrecht im BGB angepasst werden. Nachdem das Nachtragsrecht jetzt im BGB eine Regelung gefunden hat, die sich von einem bisher weit verbreiteten Verständnis der VOB-Regelungen absetzt, stellt sich die Frage, ob die VOB als grundsätzlich der Inhaltskontrolle unterliegende Allgemeine Geschäftsbedingung ihre Rolle als Alternative zum BGB-Vertrag beibehalten will und kann. Noch nicht abschließend geklärt ist auch, ob der BGH seine Grundsätze zur Berechnung der geänderten Vergütung bei Mengenmehrungen im VOB-Vertrag nach § 2 Abs. 3 VOB/B (BGH Urteil vom 8.8.2019 – VII ZR 34/18, BauR 2019, 1766) auch auf geänderte und zusätzliche Leistungen erstrecken wird (zuletzt offengelassen im Beschluss vom 14.12.2022 – VII ZR 271/19 Rn 18).
Für Verträge mit Privaten kommt dem Verbraucherschutz im Baurecht immer mehr Bedeutung zu. Die Kapitel über die prozessualen Besonderheiten des Bauprozesses sind bereits in der letzten und dieser Auflage erweitert und vertieft worden. Das wird in der nächsten Auflage fortgeführt werden.