OLG Hamm: Verbraucherbauvertrag kann schon bei Beauftragung eines einzelnen Gewerks vorliegen
Die Entscheidung des OLG Hamm (Urt. v. 24.04.2021 – 24 U 198/20) hat erhebliche Bedeutung für die Praxis. Denn die Vorschriften zum Verbraucherbauvertrag nach den §§ 650i ff. BGB können danach schon dann Anwendung finden, wenn ein Unternehmer von einem Verbraucher im Zuge eines Neubaus oder erheblicher Umbauarbeiten lediglich mit der Ausführung eines untergeordneten Gewerks (etwa Maler- und Verputzerarbeiten) beauftragt wird.
Der Fall
Der Inhaber eines Handwerksbetriebes für Stahl- und Hallenbau (im Folgenden: AN), wird von der Eigentümerin eines Grundstücks (im Folgenden: AG) durch Auftragsbestätigung vom 11.04.2019 mit der Errichtung einer Mehrzweck-Industriehalle auf dem Grundstück der AG beauftragt. Das Fundament der Industriehalle wird durch einen Drittunternehmer errichtet. Die Halle wird nach Fertigstellung der Bauarbeiten durch ein metallverarbeitendes Unternehmen genutzt, dessen Geschäftsführer der Ehemann der AG ist. Die AG will das Grundstück nebst Halle an das Unternehmen vermieten.
Nach Fertigstellung seiner Leistungen stellt der AN die Schlussrechnung. Die AG weigert sich unter Berufung auf angebliche Mängel, weitere Zahlungen zu leisten.
Der AN verlangt daraufhin die Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB. Dies lehnt die AG ab. Nach ihrer Ansicht handelt es sich bei dem mit dem AN geschlossenen Bauvertrag um einen Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i BGB. Daher könne der AN nach § 650f Abs. 6 Nr. 2 BGB keine Bauhandwerkersicherung verlangen.
Bau- und Planervertrag: Wann verjähren verzugsbedingte Ansprüche?
Das Urteil
Das OLG Hamm teilt die Auffassung der AG, dass ein Verbraucherbauvertrag vorliegt und daher kein Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung besteht.
Gemäß § 650f Abs. 6 Nr. 2 BGB findet § 650f Abs. 1 bis 5 BGB keine Anwendung, wenn der Besteller Verbraucher ist und es sich um einen Verbraucherbauvertrag nach § 650i BGB oder einen Bauträgervertrag nach § 650u BGB handelt.
Verbraucherbauverträge sind gemäß § 650i Abs. 1 BGB Verträge, durch die der Unternehmer von einem Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude verpflichtet wird.
Die Verbrauchereigenschaft der AG ist gegeben. Verbraucher ist nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Gegenstand des Bauvertrages ist die Errichtung einer Halle zur Erzielung von Mieteinnahmen.
Die Verwaltung eigenen Vermögens stellt grundsätzlich keine gewerbliche Tätigkeit dar (BGH in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa Urt. v. 03.03.2020 – XI ZR 461/18). Erst dann, wenn der Umfang der hiermit verbundenen Geschäfte einen planmäßigen Geschäftsbetrieb erfordert, wird die Vermögensverwaltung zu einer Berufs- oder gewerbsmäßigen Tätigkeit. Für einen solchen Umfang liegen im konkreten Fall keine Anhaltspunkte vor.
Darüber hinaus handelt es sich bei der Errichtung der Halle um den Bau eines neuen Gebäudes im Sinne von § 650i Abs. 1 BGB. Der Gebäudebegriff ist nach Auffassung des OLG Hamm entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht (vgl. Merkle, in: beck-online.GK, Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Stand: 01.04.2021, § 650i BGB Rn. 34) nicht auf den Bau von Wohngebäuden beschränkt.
Liegt ein Verbrauchervertrag nach § 650i Abs. 1 BGB vor?
Problematisch ist vor allem die Frage, ob der Unternehmer sich mit dem Vertrag zum Bau des gesamten Gebäudes „aus einer Hand“ verpflichtet haben muss, damit ein Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 BGB vorliegt. Denn im konkreten Fall war der AN nicht mit sämtlichen Bauleistungen beauftragt. Die AG hatte die Herstellung des Fundaments an ein Drittunternehmen beauftragt.
Nach einer Ansicht ist dies notwendige Voraussetzung (so etwa Jurgeleit, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 2, Rn. 49; BeckOK BauVertrR/Langjahr, 8. Ed. 31.1.2020, BGB § 650i Rn. 14; Retzlaff, in: Palandt, BGB, 80. Auflage 2021, § 650i BGB Rn. 3; Kniffka/Retzlaff, ibr-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 04.05.2020, § 650i BGB Rn. 8). In diesem Fall wäre ein Verbraucherbauvertrag grundsätzlich nur gegeben, wenn der Unternehmer mit sämtlichen Neubauleistungen beauftragt ist. Nur Gewerke, die eine lediglich untergeordnete Bedeutung haben (wie z. B. Maler- oder Bodenbelagsarbeiten), sollen im Leistungsumfang des Unternehmers fehlen dürfen, ohne dass die Herstellungsverpflichtung „aus einer Hand“ entfällt (vgl. Jurgeleit, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 2, Rn. 49). Diese Ansicht stützt sich in erster Linie auf den Wortlaut der Regelung und den Regelungszweck (zu den Einzelheiten siehe etwa Jurgeleit, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 2, Rn. 47 und Rn. 49).
Nach anderer Ansicht ist im Interesse des Verbraucherschutzes eine weite Auslegung geboten. Daher soll auch bei einer Aufteilung des Neubaus in Einzelgewerke, die für den jeweiligen Unternehmer erkennbar in einem engen Zusammenhang mit der Gesamtbaumaßnahme stehen, ein Verbraucherbauvertrag vorliegen (so etwa Lenkeit, in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, § 650i BGB, Rn. 24; Merkle, in: beck-online.GK, Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Stand: 01.04.2021, § 650i BGB, Rn. 48).
Das OLG Hamm schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Daher kommt es zu dem Ergebnis, dass schon bei der Beauftragung eines einzelnen Gewerks ein Verbraucherbauvertrag vorliegen kann. Das Gewerk müsse lediglich zum Bau des neuen Gebäudes beitragen. Weitere Voraussetzung sei, dass die Beauftragung zeitgleich oder jedenfalls in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolge und die Erstellung eines neuen Gebäudes für den Unternehmer ersichtlich sei. Diese Voraussetzungen seien im konkreten Fall gegeben. (OLG Hamm, Urt. v. 24.04.2021 – 24 U 198/20).
Fazit
Das OLG Hamm hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Der Grund hierfür ist, dass es über ein Teilurteil des LG Münster zu entscheiden hatte. Dieses war schon aus formalen Gründen gemäß § 301 ZPO unzulässig, so dass das OLG das Teilurteil aufgehoben und die Sache an das LG Münster zurückverwiesen hat.
Daher wollte das OLG seine rechtlichen Ausführungen zu der Frage, ob ein Verbraucherbauvertrag auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegt, lediglich als Hinweise zu seiner derzeitigen rechtlichen Bewertung an das LG Münster verstanden wissen.
Es bleibt daher abzuwarten, welche Ansichten andere Gerichte (letzten Endes der BGH) zu dieser Frage vertreten werden.
Das Urteil des OLG Hamm hat Relevanz für alle Verträge, die ab dem 01.01.2018 geschlossen worden sind. Ab diesem Zeitpunkt finden die Vorschriften zum neuen Bauvertragsrecht 2018 Anwendung.
Bedeutung für die Praxis
Nach der Urteilsbegründung ist für jedes Gewerk, auch wenn es für die Gesamtbaumaßnahme noch so unbedeutend ist (z.B. Malerarbeiten), der Anwendungsbereich des Verbraucherbauvertragsrechts grundsätzlich eröffnet. Für den Unternehmer ist diese Situation mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden:
Er muss beachten, dass der Verbraucherbauvertrag gemäß § 650i Abs. 2 BGB der Textform bedarf. Ein Verstoß gegen dieses Formerfordernis (der z. B. bei einem mündlichen Vertragsschluss vorliegt) führt dazu, dass der Vertrag gemäß § 125 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig ist.
Außerdem ist der Verbraucher nach § 650l BGB berechtigt, den Verbraucherbauvertrag zu widerrufen. Die 14-tägige Widerrufsfrist beginnt frühestens, wenn der Unternehmer den Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt hat. Die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher nach Ausführungsbeginn kann für den Unternehmer empfindliche Folgen haben. Wertersatz gemäß § 357d BGB kann der Unternehmer nur für bis zum Widerruf erbrachte Leistungen verlangen, deren Rückgewähr ihrer Natur nach ausgeschlossen ist. Hat er z. B. für das Bauvorhaben speziell angefertigte Fenster produziert, aber noch nicht eingebaut, kann er hierfür keine Vergütung verlangen. Denn nicht eingebaute Bauteile und -stoffe stellen noch keine erbrachte Leistung dar.
Baubeschreibung überlassen
Falls der Verbraucher oder ein von ihm Beauftragter, z.B. ein Architekt, nicht die wesentlichen Planungsvorgaben gemacht hat (was jedoch in der Regel bei einer gewerkeweisen Vergabe der Fall ist), muss der Unternehmer ihm rechtzeitig vor dessen Vertragserklärung gemäß § 650j BGB i. V. m. Art. 249 EGBGB eine Baubeschreibung überlassen. Diese muss neben den in Art. 249 § 2 Abs. 1 EGBGB vorgeschriebenen Angaben zu den wesentlichen Eigenschaften des angebotenen Werks gemäß Art. 249 § 2 Abs. 2 EGBGB auch verbindliche Angaben zum Fertigstellungszeitpunkt enthalten (oder zumindest zur Ausführungsdauer, falls der Beginn der Baumaßnahme noch nicht feststeht). Die vorvertraglichen Angaben in der Baubeschreibung und zur Bauzeit werden ggf. gemäß § 650k Abs. 1 BGB Vertragsbestandteil, sofern die Vertragspartner nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbaren.
Außerdem regelt § 650k Abs. 2BGB, dass eine unvollständige oder unklare Baubeschreibung unter Berücksichtigung sämtlicher vertragsbegleitender Umstände (vor allem des Komfort- und Qualitätsstandards der übrigen Leistungen) auszulegen ist. Zweifel bei der Auslegung gehen zu Lasten des Unternehmers. Der Unternehmer sollte daher prüfen, ob er vom Verbraucher oder dessen Architekten die wesentlichen Planungsvorgaben für seine Leistungen erhält. Falls dies nicht der Fall ist, sollte er äußerste Sorgfalt auf die Erstellung einer vollständigen und eindeutigen Baubeschreibung verwenden und dort auch verbindliche Angaben zur Bauzeit machen.
Abschlagsrechnung und Sicherheit
Der Unternehmer darf bei Verbraucherbauverträgen gemäß § 650m Abs. 1 BGB durch Abschlagsrechnungen bis maximal 90 Prozent der Gesamtvergütung verlangen (die letzten 10 Prozent darf er erst mit der Schlussrechnung abrechnen).
Außerdem muss er dem Besteller gemäß § 650m Abs. 2 BGB bei der ersten Abschlagszahlung eine Sicherheit für die rechtzeitige Herstellung des Werks ohne wesentliche Mängel in Höhe von 5 Prozent der vereinbarten Gesamtvergütung stellen (in der Regel erfolgt dies durch Stellung einer Bürgschaft oder indem der Verbraucher einen entsprechenden Einbehalt von der Abschlagsrechnung vornimmt). Bei Nachträgen muss diese Sicherheit ggf. aufgestockt werden.
Herausgabe von Unterlagen nach § 650n BGB
Weiterhin ist der Unternehmer gemäß § 650n BGB verpflichtet, dem Verbraucher bestimmte Unterlagen herauszugeben. Nach § 650n Abs. 1 BGB muss der Unternehmer dem Verbraucher rechtzeitig vor Beginn seiner Leistungen diejenigen Planungsunterlagen erstellen und herausgeben., die der Besteller zum Nachweis gegenüber Behörden benötigt, dass die Leistung unter Einhaltung der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt wird. Dies gilt nicht, wenn der Besteller (oder ein in dessen Auftrag tätiger Dritter) die wesentlichen Planungsvorgaben erstellt hat.Gemäß § 650n Abs. 2 BGB muss der Unternehmer spätestens mit der Fertigstellung des Werks diejenigen Unterlagen erstellen und dem Verbraucher herausgeben, die dieser benötigt, um gegenüber Behörden den Nachweis führen zu können, dass die Leistung unter Einhaltung der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt worden ist. Diese Regelung gilt unabhängig davon, wer die wesentlichen Planungsvorgaben erstellt hat.
Nach § 650n Abs. 3 BGB finden die Abs. 1 und 2 entsprechende Anwendung, wenn ein Dritter, etwa ein Darlehensgeber, Nachweise für die Einhaltung bestimmter Bedingungen verlangt und der Unternehmer zuvor die berechtigte Erwartung des Verbrauchers geweckt hatte, diese Bedingungen einzuhalten.
Schließlich ist zu beachten, dass von den Vorschriften des Verbraucherbauvertrages mit wenigen Ausnahmen nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden kann, § 650o S. 1 BGB. Die Vorschriften zum Verbrauchervertrag finden gemäß § 650o S. 2 BGB auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.
Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge
Wer trägt die plötzlichen Mehrkosten? Ist die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB gestört? Und gibt es wirksame Vertragsanpassungen, die für beide Seiten eine gute Lösung darstellen?
RA Stefan Reichert gibt Ihnen Antworten auf diese aktuellen Fragen.