Widerrufsrecht
Die Regelungen zum Widerrufsrecht in § 312g BGB geben dem Verbraucher ein Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie bei Fernabsatzverträgen. Nach § 312g Abs. 1 BGB hat der Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht.
Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge
Der Vertragsschluss erfolgt bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit beider Vertragspartner außerhalb der Büro- oder Geschäftsräume des Unternehmers. An welcher Stelle der Vertragsschluss außerhalb der Büro- oder Geschäftsräume stattfindet (z. B. in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des Verbrauchers, in der Öffentlichkeit usw.), spielt keine Rolle. Außerdem kommt es nicht mehr darauf an, ob der Verbraucher das Treffen mit dem Unternehmer selbst veranlasst hat.
Der Vertragsschluss auf einer Messe findet in der Regel nicht „außerhalb der Büro- oder Geschäftsräume“ des Unternehmers statt (EuGH, Urt. v. 07.08.2018 – Rs. C-485/17, IBR 2019, 103), so dass dem Verbraucher insofern grundsätzlich kein Widerrufsrecht zusteht.
Kein Widerrufsrecht besteht außerdem, wenn der Unternehmer den Verbraucher zunächst unverbindlich in dessen Wohnung trifft, ein Vertrag (oder ein bindendes Angebot des Verbrauchers) jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder per Post zustande kommt (es sei denn, es liegt ein Fernabsatzvertrag vor, hierzu sogleich mehr).
Fernabsatzvertrag
Der Vertragsschluss erfolgt ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln (z. B. Internet, Telefon, Fax, Post) und darüber hinaus außerdem im Rahmen eines für die Lieferung im Fernvertrieb organisierten Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystems (z. B. Online-Plattform, Online-Shop u. ä.). Beide Voraussetzungen müssen gleichzeitig gegeben sein. An das Vorliegen eines Vertriebs- oder Dienstleistungssystems sind insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen.
Allerdings soll es nach der Gesetzesbegründung noch nicht ausreichen, wenn der Unternehmer Webseiten betreibt, auf denen er lediglich Informationen über das Unternehmen, seine Waren oder Dienstleistungen sowie seine Kontaktdaten anbietet. Auch reicht es z. B. nicht, wenn ein Vertrag zwar mit Fernkommunikation angebahnt, dann jedoch in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen wird.
Ausübung des Widerrufsrechts
Liegt einer der beiden Fälle vor, dann kann der Verbraucher den Vertrag gemäß § 355 BGB ohne Begründung innerhalb einer Widerrufsfrist von 14 Tagen ab Vertragsschluss durch einseitige Erklärung gegenüber dem Unternehmer frei widerrufen.
Kein Beginn der Widerrufsfrist ohne ordnungsgemäße Information des Verbrauchers
Die Widerrufsfrist beginnt gemäß § 356 Abs. 3 BGB erst, wenn der Unternehmer den Verbraucher unter Einhaltung der in Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Informationspflichten über sein Widerrufsrecht informiert hat. Hierzu muss er dem Verbraucher eine Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular aushändigen. Erfolgt dies nicht, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen (BGH, Urt. v. 26.11.2020 – I ZR 169/19, IBR 2021, 101).
Erfüllung der Informationspflichten durch Übermittlung der Muster-Widerrufsbelehrung und des Muster-Widerrufsformulars
Der Unternehmer kann seine Informationspflicht zum Widerrufsrecht gegenüber dem Verbraucher dadurch erfüllen, dass er diesem die gesetzlich vorgesehene Muster-Widerrufsbelehrung (Anlage 1 zu Art. 246a § 1 BGB) und das gesetzlich vorgesehene Muster-Widerrufsformular (Anlage 2 zu Art. 246a § 1 EGBGB) jeweils zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt.
Erlöschen des Widerrufsrechts nach Ablauf der Höchstfrist von 12 Monaten und 14 Tagen
Wird der Verbraucher nicht oder nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht informiert, erlischt das Widerrufsrecht gemäß § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB nach spätestens 12 Monaten und 14 Tagen.
Erlöschen des Widerrufsrechts nach vollständiger Leistungserbringung
Das Widerrufsrecht erlischt gemäß § 356 Abs. 4 BGB bereits vor Ablauf der 14 Tage, wenn die vertragliche Leistung vollständig erbracht ist. Dies allerdings nur, wenn der Verbraucher vorher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert worden ist der Ausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist ausdrücklich zugestimmt und seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei Fertigstellung der Bauarbeiten verliert.
Rechtsfolge des rechtzeitigen Widerrufs
Bei rechtzeitigem Widerruf müssen die empfangenen Leistungen gegenseitig zurückgewährt werden, § 357 Abs. 1 BGB. Wenn dem Verbraucher die Rückgabe der erhaltenen Leistungen nicht möglich ist – das ist bei Bauleistungen in der Regel der Fall – bleibt nur Wertersatz.
Formalien nicht eingehalten: Kein Wertersatz!
Der Verbraucher muss gemäß § 357 Abs. 8 BGB nur Wertersatz zahlen, wenn er vom Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, vor Ablauf der Widerrufsfrist mit den Leistungen zu beginnen. Bei Verträgen, die außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen werden, muss dieses Verlangen auf einem dauerhaften Datenträger (z. B. auf einem Schriftstück) übermittelt worden sein.
Weitere Voraussetzung ist, dass der Unternehmer ihn vor Baubeginn ordnungsgemäß nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB über sein Widerrufsrecht informiert. Hierzu muss er dem Verbraucher eine Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular aushändigen. Außerdem muss der Unternehmer den Verbraucher gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EGBGB darauf hingewiesen hat, dass er nach § 357 Abs. 8 BGB einen angemessenen Betrag für die erhaltenen Leistungen zahlen muss, wenn er widerruft, nachdem die Ausführung auf seinen ausdrücklichen Wunsch begonnen worden ist.
Erfüllt der Unternehmer seine Informationspflichten nicht vollständig, kann er im Falle des Widerrufs für die bis dahin erbrachten Leistungen keinen Wertersatz verlangen (BGH, Urt. v. 26.11.2020 – I ZR 169/19, IBR 2021, 101). Außerdem kann er die
Leistungen, die er bereits verbaut hat, nicht zurückfordern (vgl. LG Stuttgart, Urt. v. 02.06.2016 – 23 O 47/16).
Berechnung des Wertersatzes
Der Wertersatz wird grundsätzlich auf der Grundlage der vertraglichen Preise ermittelt. Ist allerdings der Vertragspreis „unverhältnismäßig hoch", wird der Wertersatz gemäß § 357 Abs. 8 BGB (nur) auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung berechnet.
Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Widerrufsrechts
Auch beim Verbraucherwiderrufsrecht greifen die oben zu den Informationspflichten genannten Ausnahmen (§ 312 Abs. 2 BGB, z. B. Verbraucherbauvertrag etc.). Darüber hinaus ist das Widerrufsrecht von vornherein ausgeschlossen in einer Reihe von weiteren Fällen nach § 312g Abs. 2 BGB.
Hierzu zählen z. B. Verträge über die Herstellung und Lieferung von Waren, wenn hierfür die individuelle Auswahl oder Bestimmung des Verbrauchers maßgeblich ist oder wenn sie eindeutig auf seine Bedürfnisse zugeschnitten sind (z. B. die Herstellung und Lieferung von Fenstern nach den Vorgaben des Kunden).
Eine weitere Ausnahme besteht nach § 312g Abs. 2 Nr. 11 BGB für Verträge, bei denen der Unternehmer auf Wunsch des Verbrauchers dringende Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten durchführt.