Das Urteil
Das OLG Celle stellt fest, dass die Kündigung des AG vom 14.12.2016 gleich aus mehreren selbstständigen Gründen als Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 8 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 4 VOB/B wirksam geworden ist.
AN befand sich mit der Vollendung der Ausführung in Verzug
Nach § 5 Abs. 4, 2. Alt. VOB/B kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung setzen und erklären, dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vertrag kündigen wird, wenn der Auftragnehmer mit der Vollendung der Ausführung in Verzug gerät.
Im vorliegenden Fall war eine Ausführungsfrist von 48 Werktagen vereinbart. Diese Vertragsfrist hat sich durch die anfängliche Behinderung nicht verlängert. Lediglich der Ablauf dieser Frist wird in den Zeiträumen, in denen der AN eine Verzögerung nicht zu vertreten hat, gemäß § 6 Nr. 1 i.V.m. § 6 Nr. 2 Abs. 1 a VOB/B ausgesetzt.
Spätestens ab Ende Juni 2016 war die Behinderung (fehlende Vorarbeiten durch den Abbruchunternehmer) beendet.
Der AN wäre daher gemäß § 6 Abs. 3 S. 2 VOB/B gehalten gewesen, ohne Weiteres und unverzüglich die Arbeiten wieder aufzunehmen und den AG davon zu benachrichtigen. Weitere Behinderungen, die den AN bei der Ausführung seiner Leistungen maßgeblich behindert haben, bestanden nicht. Insbesondere berechtigen Nachtragsverhandlungen den Auftragnehmer beim VOB-Vertrag nicht zur Einstellung der Arbeiten (zumal der AN hier noch nicht einmal ein prüfbares Nachtragsangebot vorgelegt hat).
Außerdem kann sich der AN nicht darauf berufen, dass die Freigabe für einzelne Streckenabschnitte gefehlt haben. Der AN hätte seine Arbeiten an anderer Stelle ausführen können und müssen. In Anbetracht der untergeordneten Bedeutung der nicht freigegebenen Flächen (weniger als 7 %) kann sich der AN im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht darauf berufen, er habe sich nicht im Verzug befunden.
Er hätte die Möglichkeit und die Pflicht gehabt, alle anderen dringend anstehenden Bauleistungen zu erbringen. Dieser Pflicht ist der AN nicht nachgekommen, sodass er nach Ablauf der vereinbarten Ausführungsfrist mit der Vollendung seiner Leistung in Verzug geraten ist.
Nach Feststellung des OLG Celle stellt das Verhalten des AN eine derart schwere Vertragsverletzung dar, dass es für den AG nicht mehr zumutbar war, noch weiter mit dem AN zusammenzuarbeiten. Hierbei berücksichtigt das OLG Celle insbesondere, dass sich in der Zeit vom 05.09.2016 bis zum 27.09.2016 überhaupt keine (!) Arbeiter auf der Baustelle befanden und auch die weiteren Mahnschreiben des AG nicht dazu geführt haben, dass der AN sich wieder vertragstreu verhalten hat.
Aufgrund der hier gegebenen beträchtlichen Verzögerung des Bauvorhabens war es dem AG aus Sicht des OLG Celle bei der gebotenen Gesamtwürdigung nicht mehr zumutbar, eine weitere Verzögerung durch Nachfristsetzung hinzunehmen.
Aus diesem Grund hält das OLG Celle (ausnahmsweise) sogar eine Kündigung des Vertrages ohne vorherige Fristsetzung mit Kündigungsandrohung für zulässig.
Ausnahmsweise reicht die unter Fristsetzung ausgesprochene Aufforderung aus, die fristgerechte Erfüllbarkeit des Bauvertrages nachzuweisen
Der AG hat dem AN mit Schreiben vom 16.11.2016 eine Frist zur Aufstockung der eingesetzten Arbeitskräfte und zur Erklärung, ob der AN die weiteren gesetzten Einzelfristen erfüllen kann, bis zum 21.11.2016 gesetzt. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs hat der AG die Kündigung des Vertrages angedroht.
Eine solche Vorgehensweise reicht ausnahmsweise aus, wenn die Erfüllung des Bauvertrages durch Hindernisse aus dem Verantwortungsbereich des Auftragnehmers ernsthaft in Frage gestellt wird und dem AG deshalb ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar ist.
Der Auftraggeber kann dem Auftragnehmer in diesem Fall eine angemessene Frist setzen, die fristgerechte Erfüllbarkeit des Bauvertrages nachzuweisen und ihm gleichzeitig für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die Auftragsentziehung androhen (BGH, Urt. v. 21.10.1982 - VII ZR 51/82; OLG Stuttgart, Urt. v. 23.11.2006 - 13 U 53/06).
Eine solche Situation lag nach Auffassung des OLG Celle vor. Der AG war angesichts weiterer Gewerke und eines Gesamtfertigstellungstermins im Dezember darauf angewiesen, dass die Arbeiten des AN beendet werden. In einem solchen Fall ist der Auftraggeber befugt, Einzelfristen zu setzen, auch wenn dies im Vertrag nicht vorgesehen ist (OLG Stuttgart, Urt. v. 23.11.2006 - 13 U 53/06). Mit der Einhaltung dieser Einzelfristen hätte der AN nachweisen können, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Arbeitern seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen kann.
Es war dem AG nicht zumutbar zunächst abzuwarten, bis auch die letzte gesetzte Einzelfrist fruchtlos abläuft. Daher durfte er dem AN eine (relativ kurze) Erklärungsfrist vom 16.11.2016 bis zum 21.11.2016 setzen. Da der AN hierauf nicht reagierte, durfte der AG am 14.12.2016 gemäß §§ 8 Abs. 3, 5 Abs. 4 VOB/B kündigen.
Außerordentliche Kündigung war gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B unter dem Gesichtspunkt einer groben Vertragsverletzung zulässig
Das OLG Celle stellt klar, dass § 8 Abs. 3 VOB/B (über den Wortlaut hinaus) die Bedeutung einer Generalklausel für Fälle grober Vertragsverletzungen durch den Auftragnehmer zukommt. Es verweist insofern auf die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach der Auftraggeber eines Werkvertrages in bestimmten Fällen zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages berechtigt ist.
Ein solcher Fall liegt (auch beim VOB-Vertrag) vor, wenn der Auftragnehmer durch sein schuldhaftes Verhalten den Vertragszweck so gefährdet hat, dass es dem vertragstreuen Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, den Vertrag fortzusetzen (BGH, Urt. v. 21.03.1974 - VII ZR 139/71 = NJW 1974, 1080 f.; Urt. v. 06.02.1975 - VII ZR 244/73 = NJW 1975, 825 f.; Urt. v. 25.03.1993 - X ZR 17/92 = BauR 1993,4 169,470).
In Fällen der schwerwiegenden Vertragsverletzung ist eine vorherige Fristsetzung und Kündigungsandrohung grundsätzlich nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 06.02.1975 - VII ZR 244/73 = NJW 1975, 825 f.; Urt. v. 23.05.1996 - VII ZR 140/95).
Vor allem dann, wenn der Auftragnehmer trotz Abmahnungen des Auftraggebers mehrfach und nachhaltig gegen eine Vertragspflicht verstößt und damit die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich der Auftragnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird, ist der Auftraggeber zu einer fristlosen Kündigung berechtigt (BGH, Urt. v. 23.05.1996 - VII ZR 140/95).
Diese Voraussetzung sieht das OLG Celle im vorliegenden Fall ebenfalls als erfüllt an. Der AN hatte in der Zeit vom 05.09.2016 bis zum 27.09.2016 überhaupt keine Arbeiter auf der Baustelle im Einsatz. Außerdem hat er auch auf die mehrfachen Mahnungen des AG nicht reagiert.
Vor diesem Hintergrund konnte der AG nicht davon ausgehen, dass der AN seine Arbeiten zeitnah zu Ende bringen würde.
Schwerwiegende Kooperationspflichtverletzung ist ebenfalls Grund zur Kündigung
Das OLG Celle wertet das Verhalten des AN außerdem als schwerwiegende Verletzung der ihm obliegenden Kooperationspflichten. Die Vertragsparteien eines VOB/B-Vertrages sind während der Vertragsdurchführung zur Kooperation verpflichtet. Aus dem Kooperationsverhältnis ergeben sich Obliegenheiten und Pflichten zur Mitwirkung und gegenseitigen Information (BGH, Urt. v. 23.05.1996 – VII ZR 140/95).
Die Kooperationspflichten sollen unter anderem gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung der Vertragspartner die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung oder der Inhalt des Vertrages an die geänderten Umstände angepasst werden muss, Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden (BGH, Urt. v. 28.10.1999 – VII ZR 393/98).
Der AN hat sich seiner Kooperationspflicht dadurch grob vertragswidrig entzogen, dass er nicht auf die Mahnungen und Fristsetzungen des AG reagiert hat.
Die Tatsache, dass der AN seine Kooperationspflicht schwerwiegend verletzt hat und nicht dazu bereit war, den Konflikt einvernehmlich zu regeln, rechtfertigt für sich genommen ebenfalls die fristlose Kündigung des Vertrages.
Praxishinweis
Eine (vermeintlich außerordentliche) Vertragskündigung ist als freie Kündigung nach § 8 Abs. 1 VOB/B bzw. § 648 BGB auslegen, wenn der Auftraggeber nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigt war.
Eine verfrühte Kündigung kommt den Auftraggeber daher teuer zu stehen: In diesem Fall kann er vom Auftragnehmer nicht die Mehrkosten erstattet verlangen, die ihm entstehen, weil er die Leistung nach der Kündigung durch ein Drittunternehmen fertigstellen lässt. Außerdem muss er dem Auftragnehmer sogar die vereinbarte Vergütung für die gekündigten Leistungen zahlen, abzüglich der ersparten Aufwendungen und eines etwaigen anderweitigen Erwerbs durch den Auftragnehmer.
Eine außerordentliche Kündigung sollte daher grundsätzlich nur ausgesprochen werden, wenn in rechtlicher Hinsicht geklärt ist, dass die notwendigen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Es ist deshalb jedem Auftraggeber dringend zu empfehlen, sich vor einer Vertragskündigung qualifizierten rechtlichen Rat einzuholen.