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Recht & Verwaltung17 Februar, 2025

BGH: Regelungen zur Bindung an Stimmabgabe vor Abschluss der Beschlussfassung

Die Bindung an eine Stimmabgabe vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens in einer Personengesellschaft ergibt sich im Ausgangspunkt aus den im Gesellschaftsvertrag oder für den konkreten Abstimmungsvorgang getroffenen Vereinbarungen der Gesellschafter. Zusätzlich kann ein eventuell ausdrücklich oder schlüssig geäußerter Bindungswille eine Rolle spielen.

Redaktion Wolters Kluwer Online

Sachverhalt: Nichtigkeitsfeststellungsklage einer Immobilienfonds-Anlegerin

Die Klägerin ist als Treugeberin mittelbar an der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Publikumskommanditgesellschaft mit mehr als 12.000 Anlegern, beteiligt.

Die W. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH (KV-GmbH) informierte die Anleger darüber, dass vorbehaltlich der Zustimmung der Anleger auch ein Kaufvertrag über die letzte Fondsimmobilie habe abgeschlossen werden können und die Anleger dazu zur Abstimmung im schriftlichen Umlaufverfahren eingeladen würden.

Angebot der Klägerin zum Ankauf der Anteile

Die Klägerin unterbreitete den Anlegern der Beklagten das Angebot, ihre Anteile für 34 % des Nominalwerts anzukaufen und sie von der Nachhaftung freizustellen. Das Angebot war befristet und stand unter der Bedingung, dass der Anleger bei TOP 9 gegen die von der Fondsgeschäftsführung vorgeschlagene Veräußerung der Fondsimmobilie der Objektgesellschaft stimmte.

Änderung der Stimmabgabe durch die Treugeberin W.

Die Treugeberin W., die über 25 Stimmen verfügte und hinsichtlich TOP 9 am 15.11.2019 mit an diesem Tag bei der KV-GmbH eingegangenem Stimmzettel zunächst mit „Ja" gestimmt hatte, übersandte daraufhin einen weiteren Stimmzettel mit „Nein" zu TOP 9 und den Vermerken „Korrektur vom 20.11.2019" sowie „Ich stimme gegen den Verkauf". Außerdem widerriefen weitere Treugeber, die insgesamt über drei Stimmen verfügten, ihre zunächst erteilte Zustimmung und stimmten nunmehr mit „Nein" zu TOP 9.

Laut Protokoll der Beschlussfassung vom Dezember 2019 wurden insgesamt 191.956 Stimmen abgegeben. Davon stimmten 143.978 mit „Ja", was 75,01 % der abgegebenen Stimmen entspricht, und 47.978 mit „Nein", was 24,99 % der abgegebenen Stimmen entspricht. Zudem gab es 3.923 Enthaltungen. Abschließend wurde in einem Protokoll festgestellt, dass allen zur Abstimmung gestellten Beschlussgegenständen mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt worden sei.

Klage gegen Beschluss

Die Klägerin hat gegen den zu TOP 9 gefassten Beschluss Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben, die das LG abgewiesen hat. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Begründung: Wirksamkeit der Beschlussfassung

Mit dem vorliegenden Urteil vom 22.10.2024 - II ZR 64/23 - hat der BGH zu einem Abstimmungsverfahren in einer Personengesellschaft und hierbei insbesondere zu einer Bindung an eine Stimmabgabe Stellung genommen.

Entscheidung des BGH zu TOP 9

Der BGH hat entschieden, dass der Beschluss zu TOP 9 mit der dafür nach dem Gesellschaftsvertrag notwendigen 3/4 -Mehrheit unter Einbeziehung der von der Treugeberin W. abgegebenen „Ja"-Stimmen gefasst worden ist. Nach Ansicht des BGH ist die „Ja"-Stimme der Treugeberin W. bereits am 15.11.2019 durch Zugang an den Versammlungsleiter gemäß § 130 Abs. 1 BGB wirksam geworden.

Zur Begründung weist der BGH darauf hin, dass die Stimmabgabe eines Gesellschafters im Rahmen der Beschlussfassung einer Personengesellschaft eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, die als solche grundsätzlich den allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte und damit § 130 Abs. 1 BGB unterliegt. Danach wird die Stimmerklärung im Zeitpunkt ihres Zugangs beim Adressaten wirksam, sofern diesem nicht zuvor oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

Zugang der Stimmerklärung

Nach dem Gesellschaftsvertrag (GV) ist hier die Gesellschaft als maßgebliche Adressatin für den Zugang der Stimmerklärung im Sinn von § 130 Abs. 1 BGB anzusehen. Konkret kam es auf den Zugang der Stimmabgabe bei dem Versammlungsleiter an, der die Gesellschaft bei der Abstimmungsdurchführung nach dem GV vertrat.

Die Treugeberin W. war an ihre wirksame Stimmabgabe vom 15.11.2019 gebunden und konnte diese nicht mehr widerrufen.

Regelungen zur Bindung an eine Stimmabgabe

Die Bindung an eine Stimmabgabe vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens in einer Personengesellschaft richtet sich nach Worten des BGH zunächst nach den im Gesellschaftsvertrag oder für den konkreten Abstimmungsvorgang getroffenen Vereinbarungen der Gesellschafter sowie einem eventuell ausdrücklich oder schlüssig geäußerten Bindungswillen. Ergibt sich daraus keine Einschränkung der Bindungswirkung, so kann ein Gesellschafter seine Stimmabgabe nach deren Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens grundsätzlich nicht mehr frei widerrufen.

Im konkreten Fall ist dem GV bei gebotener objektiver Auslegung kein (stillschweigender) Ausschluss des Widerrufs einer abgegebenen Stimme vor Ablauf der Abstimmungsfrist zu entnehmen.

Die Treugeberin W. war hier an einem freien Widerruf ihrer Stimmerklärung nach Zugang beim Versammlungsleiter gehindert. Die Stimmabgabe in einer Personengesellschaft ist nach ihrem Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens vorbehaltlich einer anderen vertraglichen Regelung oder Bindungserklärung des Abstimmenden grundsätzlich bindend und jedenfalls nicht mehr frei widerruflich.

Praktische Bedeutung des Urteils vom 22.10.2024 – II ZR 64/23

Der BGH hat in diesem Urteil die umstrittene Frage der Bindung eines Gesellschafters an seine Stimmabgabe bei der Beschlussfassung in einer Personengesellschaft nach deren Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens geklärt.

Er hat sich der herrschenden Meinung im Schrifttum angeschlossen, die eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme bei Personengesellschaften grundsätzlich ablehnt. Ob ausnahmsweise ein Widerrufsrecht aus wichtigem Grund anzuerkennen ist, musste nach Ansicht des BGH hier nicht entschieden werden. Eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme wäre aus Sicht des BGH mit dem grundsätzlichen Zweck des Abstimmungsverfahrens einer nicht nur einfachen, raschen und zielgerichteten, sondern vor allem auch möglichst rechtssicheren kollektiven Willensbildung nicht zu vereinbaren.

Nach Auffassung des BGH wird außerdem dem schutzwürdigen Interesse eines Gesellschafters, bei Bekanntwerden neuer Gesichtspunkte oder Eintreten neuer Umstände nicht mehr an seine Stimmerklärung gebunden zu sein, durch die Möglichkeit der Anfechtung der Stimmabgabe unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB ausreichend Rechnung getragen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, auf eine Änderung der Beschlussfassung hinzuwirken. Zudem können Gesellschafter die Möglichkeit eines Widerrufs bereits abgegebener Stimmen bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens vertraglich regeln.

Bildnachweis: undrey/stock.adobe.com

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