von Paul H. Assies und Dr. Maik Kirchner (CBH Rechtsanwälte)
Offene Immobilienfonds: Neubewertung der Bestandsimmobilien, Kurssturz und Haftungsfolgen
I. Einleitung
Der einem offenen Immobilienfonds beigemessene Wert basiert auf dessen Net Asset Value (NAV) und damit der Summe seiner Vermögenswerte abzüglich der vorhandenen Verbindlichkeiten. Hinzu treten weitere Parameter. Die Bewertung der Bestandsimmobilien erfolgt durch unabhängige Sachverständige, wobei die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) als Grundlage dient. Die aufwendige Prüfung verhindert regelmäßig sprunghafte Bewertungsänderungen. Die Häufigkeit der vorzunehmenden Bewertungen gibt § 251 KAGB vor.
Im Sommer kam es bei einem beliebten offenen Immobilienfonds nun zu einer plötzlichen massiven Abwertung mit der Folge, dass der Anteilspreis um fast 17 % von einem Tag auf den anderen sank. Die seit einiger Zeit zu beobachtenden Verwerfungen am Immobilienmarkt, gestiegene Bau- und Sanierungs- sowie Personal- und Zinskosten hatten im Zuge einer Sonderbewertung durch Sachverständige zu einer erheblichen Reduzierung der Ertragswerte geführt.
Banken sowie freien Anlage- Beratern und Vermittlern wird nun von Kunden vorgeworfen, Pflichten verletzt zu haben. Die Beteiligungen seien in der Vergangenheit als risikoarm veräußert worden auch an sicherheitsorientierte Anleger (aktuelle Risikoeinstufung 2 „risikoscheu“ in einer Skala von 1 „konservativ“ bis 5 „hoch spekulativ“). Auf bestehende Verlustrisiken sei nicht hinreichend hingewiesen worden. Zudem habe die Fondsgesellschaft ein Bewertungsverfahren verwendet, welches Marktveränderungen zu spät abbilde. Die Verwerfungen seien zudem jedenfalls im Jahr 2022 bereits erkennbar gewesen. Von Anfang 2020 bis Mitte 2023 hatte sich der Fonds in kleinen Schritten recht durchgehend positiv entwickelt. Ab dann setzte ein Rückgang des Werts bis auf den des Jahres 2020 ein, bevor es Ende Juni 2024 zu dem beschriebenen Absturz als Folge der Sonderbewertung kam.
II. Rechtsprechung des BGH zur Haftung in der Anlageberatung
Durch die derzeitige Entwicklung und die sich andeutenden Klageverfahren gegen Fondsgesellschaften und deren Vertriebspartner rückt einmal mehr die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur objekt- und anlegergerechten Beratung in den Mittelpunkt des Geschehens. Voraussetzung ist, dass zwischen den Parteien ein Beratungsvertrag geschlossen wurde, wobei auch bei einer bloßen Anlagevermittlung Hinweis- und Aufklärungspflichten bestehen. Seit dem Bond-Urteil (BGH, Urt. 06.07.1993 – XI ZR 12/93) ist es für die objektgerechte Beratung entscheidend, dass der Kunde über alle wesentlichen Eigenschaften und Risiken des Immobilienfonds aufgeklärt wird. Dazu gehört insbesondere, dass der Berater auf mögliche Risiken hinweist, die mit offenen Immobilienfonds verbunden sind, wie etwa die Möglichkeit, dass die Fondsanteile nicht jederzeit zurückgegeben werden können oder dass es zu Verlusten durch Wertschwankungen kommen kann. Die Tiefe und der Umfang der Beratung hängen vom jeweiligen Kunden und seinen Vorkenntnissen ab. Wenn der Kunde wenig Erfahrung mit solchen Anlageformen hat oder eine geringe Risikobereitschaft zeigt, muss der Berater besonders ausführlich auf die Risiken hinweisen. Der Berater darf diese Risiken keinesfalls verharmlosen. Er muss sicherstellen, dass der Kunde die Risiken vollständig verstanden hat und sich der möglichen Konsequenzen bewusst ist, bevor er die Investition tätigt. Das Risiko, dass sich die Anlageentscheidung später als unvorteilhaft herausstellt, trägt jedoch der Kunde, solange die Beratung ordnungsgemäß war.
Auch wenn eine objektgerechte Beratung stattgefunden hat, darf der Berater nicht automatisch davon ausgehen, dass der Kunde bereit ist, die beschriebenen Risiken zu akzeptieren. Wenn der Anlageberater sich nicht ausdrücklich nach der genauen Risikobereitschaft des Kunden erkundigt, erfüllt er seine Pflicht zur anlegergerechten Beratung nur, wenn er sicherstellt, dass der Kunde die von ihm erklärten Risiken in vollem Umfang verstanden hat. Der Berater muss also vor der endgültigen Anlageentscheidung des Kunden eindeutig klären, dass der Kunde die Risiken nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch vollständig nachvollzogen hat.
III. Folgen für die Praxis
In streitigen Auseinandersetzungen wird nun die Frage virulent, ob bereits im Jahr 2022 Marktverwerfungen erkennbar waren und auch über jederzeit mögliche Sonderbewertungen mit Auswirkungen auf den Wert der Fondsanteile gesprochen wurde.
Es wird im Speziellen darauf ankommen, ob der Beratungsprozess die jeweiligen zugänglichen Informationen im Rahmen der Kundenberatung und –evaluation vollständig abbildet. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der gesetzlichen Dokumentationspflichten, wie sie in §§ 12-18 FinVermV, den Regelungen des WpHG und den entsprechenden EU-Vorschriften, wie der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), vorgesehen sind, von Bedeutung.
Eine ordnungsgemäße Dokumentation ist deshalb wesentlich, da sie als Nachweis dafür dient, dass die Beratung sowohl anlegergerecht (d. h. auf die individuellen Bedürfnisse und Risikobereitschaft des Kunden abgestimmt) als auch objektgerecht (d. h. den spezifischen Risiken und Eigenschaften des empfohlenen Anlageprodukts entsprechend) erfolgt ist. Die Dokumentation ermöglicht es, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere die des BGH, im Streitfall zu belegen. Zur Erfüllung dieser Pflicht sieht § 18 Abs. 1 FinVermV in der zu fertigenden Geeignetheitserklärung zwingend vor, dass die erbrachte Anlageberatung zu nennen ist und es einer Erläuterung bedarf, wie auf die Präferenzen, Anlageziele und die sonstigen Merkmale des Anlegers eingegangen wurde.
Zu den wesentlichen Pflichten des Beraters gehört daher die korrekte Einstufung des Kunden gemäß dessen Risikoprofil und Anlagezielen, was eine gründliche Ermittlung der Risikobereitschaft und des finanziellen Hintergrunds des Kunden umfasst. Ebenso ist bei der Empfehlung von Anlageprodukten sicherzustellen, dass sie zu den individuellen Bedürfnissen des Kunden passen und angemessen sind. Eine sorgfältige Beratung und Dokumentation, wie in den §§ 12-18 FinVermV vorgesehen, schafft dann eine belastbare Grundlage, um potenzielle Haftungsansprüche zu vermeiden. Die Dokumentation zeigt im Idealfall, dass der Kunde umfassend über die Chancen und Risiken der empfohlenen Anlageprodukte aufgeklärt wurde.
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