Wir befinden uns im Zeitalter der „engen“ Künstlichen Intelligenz – aber was heißt das? Foto: Tiko – stock.adobe.com
Von Christian Dirschl, Chief Content Architect, Wolters Kluwer Deutschland
Die Prüfung beginnt. Ich soll einen Zoo modellieren. Es gibt Elefanten, Löwen und Pinguine und alle haben ihre Eigenschaften: Die Vögel haben Federn und zwei Beine, die Elefanten haben ein Gewicht von mehr als fünf Tonnen und vier stämmige Beine.
Als ich fertig bin, lasse ich das Programm ablaufen und kann automatisch Fragen beantworten wie: Welches Tier hat zwei Beine und schwimmt im Meer? Das System spuckt zum Glück den Pinguin aus.
Wir schreiben das Jahr 1988 und dies ist mein erster Kontakt mit „Künstlicher Intelligenz“. Ich bringe dem Computer Dinge bei und das System zieht daraus seine eigenen Schlussfolgerungen. Das finde ich cool.
Künstliche Intelligenz verspricht, dass sich die Computer um uns herum intelligent verhalten. Aber damals funktionierte das irgendwie nicht. Sobald der Zoo größer wurde, schlichen sich Fehler und Widersprüche ein, die das System nicht auflösen konnte. Und jede Änderung führte zu neuen Fehlern, die man aber oft auch nicht nachvollziehen, geschweige denn finden konnte. Es wäre schön gewesen, wenn das System selber gelernt hätte, was korrekt ist und was nicht. Und es hätte auch alles viel schneller sein müssen, denn jede noch so einfache Antwort brauchte einige Sekunden Zeit – das hat genervt.
Zeitalter der „engen“ Künstlichen Intelligenz
Heute – anno 2019 – hat sich viel verändert; und doch wieder nicht! Das Ding heißt immer noch Künstliche Intelligenz und auch die Probleme und Versprechen sind die gleichen geblieben. Allerdings kann man heute den Zoo fast beliebig vergrößern und auch die Antworten bekommt man sehr schnell, wenn man genug Rechenpower dahinter legt.
Und natürlich gibt es viele Anwendungen, bei denen es große Fortschritte gibt, wie zum Beispiel bei der Bilderkennung, der Spracherkennung oder beim Durchforsten großer Datenmengen. Diese Fortschritte basieren hauptsächlich darauf, dass heutige Rechner sehr schnell geworden sind und Speicherplatz im Zeitalter der Cloud fast grenzenlos zur Verfügung steht. Auch das Problem der statischen und damit nicht lernfähigen Systeme hat sich mit neuen maschinellen Lernverfahren deutlich gemildert.
All diese Fortschritte sollten aber über eines nicht hinwegtäuschen: Wir sind und bleiben bis auf weiteres im Zeitalter der sogenannten „engen“ Künstlichen Intelligenz. Dies bedeutet, dass ein System eine ganz spezifische Aufgabe sehr gut und möglicherweise viel besser als jeder Mensch lösen kann – man denke nur an Schach oder Go oder die Quizsendung Jeopardy. Die menschliche Analogie, dass wenn jemand gut in einem Quiz ist, er dann generell ein gutes Allgemeinwissen hat und dies auch sinnvoll beim Smalltalk einsetzen kann, trifft eben auf die jetzigen Systeme nicht zu. Sie sind hervorragende Spezialisten, fokussiert und trainiert auf eine Aufgabe – nicht mehr und nicht weniger.
Daraus ergibt sich auch, dass es „die“ Künstliche Intelligenz nicht gibt. Jedes Anwendungsszenario wie Bilder, Sprache, Schlüsse ziehen, Übersetzen hat seine eigenen Verfahren und Lösungsstrategien, und wenn man in die Forschung sieht, dann sind das oft auch ganz eigene Teams, die sich mit jeweils einem Gebiet beschäftigen. Übergreifende Dinge wie das Modellieren von Wissen oder die Lernfähigkeit von Systemen gibt es ab einer gewissen „Flughöhe“, aber so weit sind wir heute noch nicht.