Elwine Kaschner, Patentanwaltsfachangestellte, Ausbildungsleiterin und Personalreferentin sowie Mitglied in der Prüfungskommission der Patentanwaltskammer.
Das Einheitspatent: Frischer Wind in der Patentwelt – Herausforderung für Ausbildung und Formalsachbearbeitung (Teil 2/2)
Der Weg zum Einheitspatent
Das „klassische“ EP-Patent ist ein Bündel von nationalen Patenten, das nach einem zentralen Erteilungsverfahren in voneinander unabhängige nationale Teile zerfällt, die der Patentinhaber einzeln aufrechterhalten muss, wenn er Interesse am jeweiligen Land hat (= Validierungsprozess).Der späteste Zeitpunkt, sich Gedanken über die Validierung zu machen, ist der Eingang der Mitteilung nach Regel 71(3) EPÜ.
Die nachfolgende Grafik zeigt, welche Validierungswege nach der Erteilung offenstehen:
Die Möglichkeit, ein EP-Patent einzeln zu validieren, bleibt bestehen.
Die Kombination aus Einheitspatent und zusätzlicher Validierung in EPÜ-Vertragsstaaten, die keine EU-Staaten sind (z.B. UK, CH) oder nicht am Einheitlichen Patentsystem teilnehmen (z.B. CZ, ES), ist möglich.
Hingegen ist die Kombination aus Einheitspatent und zusätzlicher Validierung in den vom Einheitspatent bereits abgedeckten Staaten (z.B. DE, IT) nicht möglich.
Wünscht der Anmelder ein Einheitspatent, d.h. eine einzige „Validierung“ in allen 17 EU Mitgliedstaaten, müssen von Seiten der Formalsachbearbeitung folgende Punkte für die Erlangung der einheitlichen Wirkung beachtet und umgesetzt werden:
Sind alle Erfordernisse erfüllt, wird der Antrag auf einheitliche Wirkung in einem vom EPA geführten Register für den einheitlichen Patentschutz hinterlegt und das Patent wird in den Ländern wirksam, die vom EPGÜ umfasst werden.
Einer der größten Pluspunkte des Einheitspatents ist dabei, dass im Gegensatz zu klassischen europäischen Patenten, die nach der Erteilung in einzelne nationale Teile „zerfallen“, die vor den jeweiligen nationalen Ämtern – ggf. unter Hinzuziehung entsprechender nationaler Vertreter – durchgesetzt werden müssen, das EPA zentrale Anlaufstelle (engl.: „one-stop-shop“) in Bezug auf „Validierung“ des Einheitspatents, Einzahlung von Jahresgebühren sowie Eintragung von Rechtsübergängen und Lizenzen für das Einheitspatent ist.
Fristversäumnis – Gibt es Heilungsmöglichkeiten?
Was passiert, wenn der Antrag auf einheitliche Wirkung und die Übersetzung nicht innerhalb der 1-monatigen Frist eingereicht werden?
Falls der Antrag auf einheitliche Wirkung nicht fristgerecht eingereicht wird, kann der Antrag auf einheitliche Wirkung nur noch zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von 2 Monaten nach Ablauf der 1-monatigen Frist eingereicht werden.
Zudem müssen die Kriterien für die Wiedereinsetzung, also eine entsprechende Begründung mit Glaubhaftmachung der zur Begründung dienenden Tatsachen, erfüllt und eine Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet werden.
Wird die Übersetzung nicht zusammen mit dem Antrag auf einheitliche Wirkung eingereicht, verschickt das EPA eine Aufforderung, die Übersetzung innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von 1 Monat nachzureichen.
Sollte diese Nachfrist auch versäumt werden, wird der Antrag auf einheitliche Wirkung zurückgewiesen; Wiedereinsetzung kann nicht beantragt werden.
Jahresgebühren
Im Rahmen der klassischen Validierung sind die Jahresgebühren bei den jeweiligen nationalen Ämtern einzuzahlen. Der Einzahler muss verschiedene Zahlungsformen, Konten oder Gebührensätze berücksichtigen.
Für das Einheitspatent ist eine „einheitliche“ Jahresgebühr zentral an das EPA zu entrichten, solange das Einheitspatent aufrechterhalten werden soll. Das ist von Vorteil, da man nicht verschiedene nationale Vertreter oder Dienstleister mit der Einzahlung beauftragen muss.
Von Nachteil ist, dass der Patentinhaber über die Jahre hinweg keine Länder streichen kann, um somit die Höhe der Jahresgebühren zu reduzieren. Beim Einheitspatent gilt das Prinzip „alles oder nichts“. Ein selektives Fallenlassen ist nicht möglich.
Der Fälligkeitstag, an dem die Jahresgebühren für Einheitspatente zu entrichten sind, richtet sich nach der bisherigen EPA-Praxis.
Die Jahresgebühr kann bereits 3 Monate vor Fälligkeit entrichtet werden.
Sollte die Jahresgebühr nicht zum Fälligkeitsdatum entrichtet werden, hat man noch 6 Monate Zeit, um die Jahresgebühr mit einer Zuschlagsgebühr von 50 % der verspätet gezahlten Jahresgebühr zu zahlen.
Bei Nichtzahlung der Jahresgebühr erlischt das Einheitspatent. Wiedereinsetzung in die 6 monatige Nachfrist kann jedoch beantragt werden.
Welche Rolle spielt das Einheitliche Patentgericht?
Das Einheitliche Patentgericht (EPG) ist die zweite Säule des einheitlichen Patentsystems.
Mit Inkrafttreten des EPGÜ wird das EPG seine Arbeit aufnehmen.
Das EPG ist zuständig für Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen betreffend:
- bereits erteilte europäische Patente, die bei Inkrafttreten des EPGÜ noch nicht erloschen sind oder die nach diesem Zeitpunkt erteilt werden („Altbestand“)
- europäische Patentanmeldungen, die bei Inkrafttreten des EPGÜ anhängig sind oder die nach diesem Zeitpunkt eingereicht werden
- Einheitspatente
- ergänzende Schutzzertifikate.
Das EPG ist in Bezug auf bereits erteilte europäische Patente nur mit Wirkung für die Staaten zuständig, in denen das EPGÜ in Kraft ist.
Von Vorteil für den Patentinhaber ist, dass das Einheitspatent im Falle einer Verletzungsklage zentral vor dem EPG durchgesetzt werden kann.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass der Rechtsbestand des Einheitspatents zentral vor dem EPG angegriffen werden kann. Dies kann von Nachteil sein, da im Fall einer Nichtigerklärung das Einheitspatent auf einen Schlag für alle Mitgliedstaaten wegfällt. Der Inhaber eines Einheitspatents setzt also immer alles auf eine Karte (engl.: „put all your eggs in one basket“. Der Weg zu den nationalen Gerichten über das Einheitspatent ist verwehrt.
Das EPG besteht aus
- einem Gericht erster Instanz,
- einem Berufungsgericht und
- einer Kanzlei.
Das Gericht erster Instanz umfasst eine Zentralkammer (mit Sitz in Paris und einer Abteilung in München) sowie mehrere Lokal- und Regionalkammern.
Das Berufungsgericht hat seinen Sitz in Luxemburg.
Die Zuständigkeiten der Zentralkammern sind nach technischen Gebieten aufgeteilt.
Opt-out
Der Anmelder/Inhaber muss sich entscheiden, ob das EPG automatisch für alle seine bereits erteilten europäischen Patente und alle seine anhängigen europäischen Patentanmeldungen zuständig sein soll. Dies ist immer eine Einzelfallentscheidung, ein Patentrezept gibt es hierfür nicht.
Für bestehende europäische Patentanmeldungen und Patente besteht die Möglichkeit, durch Abgabe einer "Opt-out" Erklärung (Art. 83(3) EPGÜ) vor dem EPG, die Zuständigkeit des EPG auszuschließen.
Damit bleiben, wie bisher auch, ausschließlich die nationalen Gerichte für die Klärung von Rechtstreitigkeiten zuständig.
Die wichtigsten Punkte für die Formalsachbearbeitung in Bezug auf Opt-out können dabei wie folgt zusammengefasst werden:
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass Opt-out einmalig zurückgenommen werden kann (= Opt-in), solange keine Klage vor einem nationalen Gericht eingegangen ist.
Wie geht es weiter?
Wie eingangs erwähnt, wird voraussichtlich am 1. März 2023 die Sunrise Period starten und somit die Pforte zum EPG öffnen. Es kann nur empfohlen werden, die Entwicklungen des Einheitspatents und des Einheitlichen Patentgerichts zu verfolgen und sich mit Seminaren, Newslettern und Fachartikeln auf dem Laufenden zu halten.
Es werden sicherlich noch viele neue Informationen in Bezug auf das Einheitspatent und das Einheitliche Patentgereicht auf uns „einprasseln“ und Formalsachbearbeiter wie auch Anwälte vor neue Herausforderungen stellen.
Aber wie heißt es so schön? „Jede neue Herausforderung ist ein Tor zu neuen Erfahrungen“ (Ernst Ferstl).
Sie haben Teil 1 verpasst?
Lesen Sie hier den ersten Teil unseres Artikels: Das Einheitspatent: Frischer Wind in der Patentwelt – Herausforderung für Ausbildung und Formalsachbearbeitung (Teil 1/2)Unsere Empfehlung zum Thema
Einheitspatentsystem – Kommentar
Voraussichtlich im Juni 2023 wird das Einheitliche Patentgericht seine Arbeit aufnehmen und werden Einheitspatente beantragbar sein. Dieser konzise Handkommentar gehört in die Bibliothek eines jeden Praktikers, der sich mit dem Einheitspatentsystem beschäftigt.
Hinweis: Die Neuauflage ist voraussichtlich ab dem 15. Juli 2023 verfügbar. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie eine Benachrichtigung, sobald der Titel erhältlich ist.