Unterkunft
Recht & Verwaltung21 August, 2023

BGH: Vermieterhaftung bei Unterbringung des Mieters in einer öffentlichen Notunterkunft

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online
Ein Vermieter haftet, wenn er schuldhaft nicht mehr in der Lage ist, dem Mieter den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung zu gewähren und wenn der Mieter hiernach zur Vermeidung sonst drohender Obdachlosigkeit in einer öffentlichen Notunterkunft untergebracht wird.  

Sachverhalt: Ansprüche eines ehemaligen Untermieters auf Ersatz von Unterbringungskosten

Die Klägerin, eine Einrichtung zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende, macht aus übergegangenem Recht Ansprüche des ehemaligen Untermieters der Beklagten auf Ersatz von Unterbringungskosten sowie auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen geltend.

Die Beklagte vermietete mit Vertrag vom 01.07.2017 eine Wohnung in H., die sie ihrerseits angemietet hatte, an Herrn T. Die monatliche Nettokaltmiete betrug zu Mietbeginn 615 Euro zuzüglich monatlicher Vorauszahlungen auf die Betriebs- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 307 Euro.

Die Miete sowie die Betriebs- und Heizkosten wurden von der Klägerin als Unterkunftskosten für Herrn T. und dessen - insgesamt vierköpfige - Familie übernommen und direkt an die Beklagte gezahlt.

Der Hauptvermieter kündigte das Mietverhältnis der Beklagten gegenüber im Februar 2018 wegen aus seiner Sicht unerlaubter Untervermietung und im Juni 2018 erneut aufgrund von Zahlungsrückständen. Im August 2018 schlossen die Beklagte und der Hauptvermieter einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich die Beklagte verpflichtete, die untervermietete Wohnung an den Hauptvermieter herauszugeben.

Die Beklagte erklärte daraufhin gegenüber Herrn T. die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Untermietverhältnisses und forderte diesen zum Auszug auf. Auch der Hauptvermieter machte ihm gegenüber unter Hinweis auf die Beendigung des Hauptmietverhältnisses die Herausgabe der Wohnung geltend.

Der Untermieter kam diesem Verlangen nach. Er wurde daraufhin mit seiner Familie in einer Unterkunft von "f&w fördern und wohnen AöR" untergebracht. Hierbei handelt es sich um ein Unternehmen der Freien und Hansestadt Hamburg ("fördern und wohnen").

Die Klägerin übernahm auch die für diese Notunterbringung anfallenden Kosten und zahlte an "fördern und wohnen" auf der Grundlage von an Herrn T. gerichteten "Kostenfestsetzungsbescheiden" für die Zeit vom 26.10.2018 bis zum 15.08.2020 insgesamt einen Betrag in Höhe von 53.909,60 Euro. Diese wurden analog der Hamburgischen Gebührenordnung für öffentlich veranlasste Unterbringung" berechnet.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung der vorgenannten Unterbringungskosten sowie auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen in Anspruch genommen. Die Forderung betrifft den gesamten Zeitraum des Untermietverhältnisses (Juli 2017 bis Oktober 2018) in Höhe von 4.912 Euro - jeweils nebst Zinsen.

Das AG hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LG das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und lediglich deren Verurteilung zur Rückzahlung der Betriebskostenvorauszahlungen (4.912 Euro nebst Zinsen) aufrechterhalten.

Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin in Höhe von zuletzt 37.423,60 Euro der zugesprochenen Mehrkosten für die Unterbringung die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Begründung: Anspruch eines Untermieters auf Ersatz der Unterbringungskosten in einer „Notunterkunft“

Mit dem vorliegenden Urteil vom 21.06.2023 - VIII ZR 303/21 - hat der BGH zur Haftung eines Vermieters Stellung genommen, wenn der Mieter in einer öffentlichen Notunterkunft untergebracht wird, weil der Vermieter schuldhaft nicht mehr in der Lage ist, dem Mieter den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung zu gewähren.

Der BGH hat entschieden, dass hier ein Anspruch des ehemaligen Untermieters T. der Beklagten auf Ersatz der Kosten der Unterbringung bei "fördern und wohnen" in Betracht kommt.

Der Anspruch ergibt sich aus § 536a Abs. 1, § 536 Abs. 3 BGB und ist gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II auf die Klägerin übergegangen.

Schaden: Belastung mit den Mehrkosten für eine anderweitige Unterkunft

Der Schaden besteht in der Belastung mit den Mehrkosten für eine anderweitige Unterkunft. Aus Sicht des BGH ist dieser dem Grunde nach vom Schutzzweck der Vertragspflicht der Beklagten zur Gebrauchsüberlassung umfasst.

Nach Auffassung des BGH haftet die Beklagte somit dem ehemaligen Untermieter T. gemäß § 536a Abs. 1, 536 Abs. 3 BGB dem Grunde nach auf Schadensersatz.

Nach § 536a Abs. 1 BGB kann der Mieter Schadensersatz verlangen, wenn ein Mangel der Mietsache bei Vertragsschluss vorhanden war oder später wegen eines Umstands, den der Vermieter zu vertreten hat, entsteht.

Mangelhaftigkeit der Mietsache

Ein Mangel der Mietsache liegt gemäß § 536 Abs. 3 BGB auch dann vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil entzogen wird.

Nach Ansicht des BGH liegen diese Voraussetzungen hier vor. Der Hauptvermieter hatte seinen Herausgabeanspruch geltend gemacht. Deshalb war die Beklagte nach Worten des BGH ihrerseits schuldhaft nicht mehr in der Lage, dem Untermieter den vertragsgemäßen Gebrauch des Mietobjekts zu gewähren.

Nach dem Verlust der von der Beklagten angemieteten Wohnung ist es dem vormaligen Untermieter nicht gelungen, für sich und seine Familie in H. eine Wohnung zu finden. Die hierdurch ausgelösten Kosten unterfallen auch dem Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht der Beklagten.

Obwohl der ehemalige Untermieter keine neuen Räume angemietet hat, sondern ihm eine Notunterkunft zugewiesen wurde, stellen die hierfür angefallenen Kosten dem Grunde nach einen ersatzfähigen Schaden dar.

Haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang

Der Ansicht des BGH nach besteht auch ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden. In der Belastung mit den Kosten der Unterbringung in einer öffentlichen Einrichtung zur Vermeidung sonst drohender Obdachlosigkeit wirkt die durch die Beklagte begangene schuldhafte Vertragspflichtverletzung fort. Der Schaden stammt aus dem Bereich der Gefahren, zu deren Abwendung diese verletzte Vertragspflicht besteht.

Nach Ansicht des BGH fehlt es an dem Zusammenhang auch nicht deshalb, weil der ehemalige Untermieter infolge seiner Notunterbringung nicht (mehr) die Rechte und Pflichten eines Mieters hatte.

An einem Schaden des ehemaligen Untermieters der Beklagten fehlt es nicht deshalb, weil mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht er, sondern die Klägerin die Unterkunftskosten nach dem SGB II übernommen und direkt an "fördern und wohnen" gezahlt hat.

Der BGH hat daher das angefochtene Urteil teilweise aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

Praktische Bedeutung des Beschlusses vom 21.06.2023 - VIII ZR 303/21

Der BGH hat in diesem Urteil jedoch auch bekräftigt, dass die Schadensersatzpflicht eines Vermieters für die Mehrkosten einer neuen Unterkunft in zeitlicher Hinsicht begrenzt ist.

Die Ansprüche auf Erstattung der Mietdifferenz wegen der Mehrkosten einer Ersatzwohnung sind demnach auf den Zeitraum bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer oder bis zur Wirksamkeit der ersten möglichen Kündigung durch den Vermieter beschränkt.

Der Mieter kann außerdem nur die erforderlichen Mehrkosten, die ihm durch den Bezug einer anderweitigen Unterkunft entstehen, ersetzt verlangen.

Bezogen auf den konkreten Fall weist der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht die angemessenen Unterkunftskosten und den Zeitraum, für den die Beklagte die Mehrkosten zu tragen hat, zu ermitteln haben wird.
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