Zahlreiche Schlüsselmaterialien am Bau sind von Preissteigerungen betroffen. Nicht selten fragen sich Unternehmer, ob sie diesen Preisanstieg an die Auftraggeber weitergeben können. Ist dies nicht bereits im Vertrag geregelt, so muss auf gesetzliche Anspruchsgrundlagen zurückgegriffen werden.
Prof. Dr. Mark von Wietersheim
Der Bund hat für seine Bauvorhaben bereits den Versuch einer Regelung unternommen und in einem Erlass die Tür für die Weitergabe von gestiegenen Kosten grundsätzlich geöffnet (Erlass BWI7-70437/9#4 vom 25. März 2022). Die öffentliche Hand sieht sich aber natürlich in einer besonderen Verantwortung, da eine strikte Verweigerungshaltung ganze Branchen in eine finanzielle Schieflage bringen würde, was volkswirtschaftlich und politisch relevant sein könnte. Daher ist bei der Betrachtung der Erlasse des Bundes im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf Verträge zwischen Privaten Vorsicht geboten.
Enthält nicht bereits der Vertrag selber Möglichkeiten einer Preisanpassung, muss auf gesetzliche Anspruchsgrundlagen zurückgegriffen werden. Vor allem die Anpassung des Vertrages wegen Anpassung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB wird intensiv diskutiert.
Betrachtet man die Diskussion, sind vorab zwei Besonderheiten festzustellen. Zum einen gehen erste frühe Artikel mehr oder weniger ausgesprochen davon aus, dass es zu einer dauerhaft kontinuierlichen Preissteigerung kommen würde. Dies hat sich nicht bewahrheitet, in großen Bereichen sind die Preissteigerungen nach einer Phase sprunghafter Anstiege zum Stillstand gekommen.
Zum anderen wird bei der Darstellung der abzuwägenden Interessen immer wieder übersehen, dass viele Verträge nicht Endkunden betreffen, sondern Zwischenunternehmer wie z.B. Generalunternehmer oder Anbieter schlüsselfertiger Gebäude. Diese haben im Verhältnis zu ihren Auftraggebern die gleichen Probleme sowie zu berücksichtigenden Interessen wie ihre Lieferanten und Nachunternehmer.
Demgegenüber können Endkunden durchaus in einer anderen Interessenlage sein. Die folgende Darstellung wird daher auch auf Anpassungsmöglichkeiten zwischen Nachunternehmern bzw. Lieferanten und solche zwischengeschalteten Unternehmen eingehen.
Als Beispiel werden im folgenden Text vor allem die Preissteigerungen im Stahlbereich betrachtet.
1. Verlauf der Darstellung
Für einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB muss zum einen die Geschäftsgrundlage entfallen sein (unten 2.), zum anderen muss die weitere unveränderte Durchführung des Vertrages unzumutbar sein (unten 3.).
Es wird dann noch zur Höhe eines möglichen Anspruchs Stellung genommen (unten 4.).
2. Wegfall der Geschäftsgrundlage als Anspruchsvoraussetzung
Frühere Entscheidungen zur Preisentwicklung in der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre und der Stahlpreisentwicklung Anfang der 2000er-Jahre sind in weitem Umfang nicht als Prüfungsgrundlage geeignet, da sie fast durchgängig die geltend gemachten Anpassungsansprüche wegen grundsätzlicher Vorhersehbarkeit der Preissteigerungen ablehnen. Dies kann in dieser Krise Lieferanten und Unternehmern nicht entgegengehalten werden, da nicht ersichtlich ist, wieso sie mehr Einblick in die Zukunft gehabt haben sollten als praktisch die gesamte politische und wirtschaftliche Elite.
Es ist daher weitgehend auf allgemeine Grundsätze in der Literatur zurückzugreifen. Bei allen Überlegungen einer Vertragsanpassung ist die überragende Bedeutung des Grundsatzes der Vertragstreue (so schon BGH v. 08.02.1978, VIII ZR 221/76; Kues/Simlesa in NZBau 2022, S. 319) zu berücksichtigen. Eingriffe in den Vertrag sind daher möglichst gering zu halten (Lührmann/Egle/Thomas, NZBau 2022, S. 250).
Danach ist bereits äußerst fraglich, ob bei Preissteigerungen überhaupt die Geschäftsgrundlage des Vertrages beeinträchtigt ist.
Geschäftsgrundlage sind vor allem die nicht zum Vertragsinhalt erhobenen, aber beim Vertragsschluss zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragspartners (auch „kleine“ Geschäftsgrundlage“). Eine konkrete, individuell verhandelte oder mitgedachte Geschäftsgrundlage, es werde nicht zu Preisentwicklungen kommen, kann nicht gesehen werden. Es war vielmehr beiden Vertragspartnern bewusst, dass es Änderungen des Preises geben wird und dass der Lieferant diese bei normalem Verlauf trägt.
Mit Urteil vom 12. Januar 2022 (XII ZR 8/21) hat der BGH einen Fall entschieden, in dem es um die aufgrund einer Corona-bedingten Allgemeinverfügung weggefallene Nutzbarkeit einer vermieteten Einzelhandelsimmobilie geht. Dabei geht der BGH auf eine „Große Geschäftsgrundlage“ ein, die im konkreten Fall weggefallen sei. Dazu führt der BGH aus:
„Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde …“ (RN 45)
Es müsste also ein vergleichbarer Fall der massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben vorliegen.
Der BGH nennt konkret das Beispiel Fall der Hyperinflation. Nach einer als weit verbreitet angesehenen, als Faustregel aufgestellten Definition von Phillip D. Cagan wird von einer Hyperinflation bei monatlichen Inflationsraten von 50 % (entsprechend einer jährlichen Rate von umgerechnet rund 13.000 %) ausgegangen.
Hiervon ist die Preisentwicklung bei Stahl weit entfernt. Bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft liegt die Inflation ebenfalls unter 10 %. Im Moment haben sich die Preise wieder stabilisiert. Auch die anderen Beispiele des BGH sind auf Bauverträge nicht anwendbar, zumal der eigentliche Krieg selber unser Land nicht betrifft.
Dies ist auch zu berücksichtigen bei der Bewertung von rechtlichen Auffassungen, die zu einem frühen Zeitpunkt des Ukraine-Krieges veröffentlicht wurden. Diesen ersten Bewertungen liegt mehr oder weniger ausgesprochen die Erwartung zugrunde, dass die Preisentwicklung nicht einmalig sprunghaft erfolgt, sondern mit einer fortdauernden Erhöhung der Preise zu rechnen ist („… und steigt täglich weiter…“, Kues/Scheuermann am 16.03.2022 in IBR-Online; „die stetig steigenden Preise“, Kues/Simlesa in NZBau 2022, 318). Tatsächlich sind die Preissteigerungen teilweise zum Stillstand gekommen.
Corona-Krise mit stärkeren Auswirkungen
Auch ansonsten erscheinen die Folgen des Ukraine-Krieges im Baubereich nicht mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Nutzung von Räumen des Einzelhandels für Textilien aller Art und Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs (so im Fall des BGH) vergleichbar. Im Fall des BGH waren aufgrund einer Allgemeinverfügung die Geschäftsräume vorübergehend überhaupt nicht mehr zu ihrem vertraglich vereinbarten Zweck zu nutzen, die Leistung des Vermieters also gewissermaßen auf „Null“ reduziert.
Dies erfolgte in einem Gesamtumfeld mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen teils erheblicher Art mit gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen. Dies ist mit Lieferschwierigkeiten und prozentualen Preiserhöhungen in einem Teilbereich der Bauwirtschaft nach der hier vertretenen Auffassung nicht vergleichbar. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich insoweit eine andere und in der Literatur teilweise schon vertretene Auffassung durchsetzt.
Daher ist auch die vom BGH angesprochene „Große Geschäftsgrundlage“ bei der hier betrachteten Preisentwicklung im Baubereich davon nicht berührt. Soweit Preissteigerungen auf Auswirkungen der Corona-Pandemie beruhen, ist davon auszugehen, dass diese inzwischen vorhersehbar sind und schon deswegen keine Vertragsanpassung rechtfertigen.