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Recht & Verwaltung05 September, 2022

Materialpreissteigerung: Ist eine Weitergabe der Mehrkosten möglich?

Zahlreiche Schlüsselmaterialien am Bau sind von Preissteigerungen betroffen. Nicht selten fragen sich Unternehmer, ob sie diesen Preisanstieg an die Auftraggeber weitergeben können. Ist dies nicht bereits im Vertrag geregelt, so muss auf gesetzliche Anspruchsgrundlagen zurückgegriffen werden.

Prof. Dr. Mark von Wietersheim

Der Bund hat für seine Bauvorhaben bereits den Versuch einer Regelung unternommen und in einem Erlass die Tür für die Weitergabe von gestiegenen Kosten grundsätzlich geöffnet (Erlass BWI7-70437/9#4 vom 25. März 2022). Die öffentliche Hand sieht sich aber natürlich in einer besonderen Verantwortung, da eine strikte Verweigerungshaltung ganze Branchen in eine finanzielle Schieflage bringen würde, was volkswirtschaftlich und politisch relevant sein könnte. Daher ist bei der Betrachtung der Erlasse des Bundes im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf Verträge zwischen Privaten Vorsicht geboten.

Enthält nicht bereits der Vertrag selber Möglichkeiten einer Preisanpassung, muss auf gesetzliche Anspruchsgrundlagen zurückgegriffen werden. Vor allem die Anpassung des Vertrages wegen Anpassung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB wird intensiv diskutiert.

Betrachtet man die Diskussion, sind vorab zwei Besonderheiten festzustellen. Zum einen gehen erste frühe Artikel mehr oder weniger ausgesprochen davon aus, dass es zu einer dauerhaft kontinuierlichen Preissteigerung kommen würde. Dies hat sich nicht bewahrheitet, in großen Bereichen sind die Preissteigerungen nach einer Phase sprunghafter Anstiege zum Stillstand gekommen.

Zum anderen wird bei der Darstellung der abzuwägenden Interessen immer wieder übersehen, dass viele Verträge nicht Endkunden betreffen, sondern Zwischenunternehmer wie z.B. Generalunternehmer oder Anbieter schlüsselfertiger Gebäude. Diese haben im Verhältnis zu ihren Auftraggebern die gleichen Probleme sowie zu berücksichtigenden Interessen wie ihre Lieferanten und Nachunternehmer.

Demgegenüber können Endkunden durchaus in einer anderen Interessenlage sein. Die folgende Darstellung wird daher auch auf Anpassungsmöglichkeiten zwischen Nachunternehmern bzw. Lieferanten und solche zwischengeschalteten Unternehmen eingehen.

Als Beispiel werden im folgenden Text vor allem die Preissteigerungen im Stahlbereich betrachtet.

1. Verlauf der Darstellung

Für einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB muss zum einen die Geschäftsgrundlage entfallen sein (unten 2.), zum anderen muss die weitere unveränderte Durchführung des Vertrages unzumutbar sein (unten 3.).

Es wird dann noch zur Höhe eines möglichen Anspruchs Stellung genommen (unten 4.).

2. Wegfall der Geschäftsgrundlage als Anspruchsvoraussetzung

Frühere Entscheidungen zur Preisentwicklung in der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre und der Stahlpreisentwicklung Anfang der 2000er-Jahre sind in weitem Umfang nicht als Prüfungsgrundlage geeignet, da sie fast durchgängig die geltend gemachten Anpassungsansprüche wegen grundsätzlicher Vorhersehbarkeit der Preissteigerungen ablehnen. Dies kann in dieser Krise Lieferanten und Unternehmern nicht entgegengehalten werden, da nicht ersichtlich ist, wieso sie mehr Einblick in die Zukunft gehabt haben sollten als praktisch die gesamte politische und wirtschaftliche Elite.

Es ist daher weitgehend auf allgemeine Grundsätze in der Literatur zurückzugreifen. Bei allen Überlegungen einer Vertragsanpassung ist die überragende Bedeutung des Grundsatzes der Vertragstreue (so schon BGH v. 08.02.1978, VIII ZR 221/76; Kues/Simlesa in NZBau 2022, S. 319) zu berücksichtigen. Eingriffe in den Vertrag sind daher möglichst gering zu halten (Lührmann/Egle/Thomas, NZBau 2022, S. 250).

Danach ist bereits äußerst fraglich, ob bei Preissteigerungen überhaupt die Geschäftsgrundlage des Vertrages beeinträchtigt ist.

Geschäftsgrundlage sind vor allem die nicht zum Vertragsinhalt erhobenen, aber beim Vertragsschluss zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragspartners (auch „kleine“ Geschäftsgrundlage“). Eine konkrete, individuell verhandelte oder mitgedachte Geschäftsgrundlage, es werde nicht zu Preisentwicklungen kommen, kann nicht gesehen werden. Es war vielmehr beiden Vertragspartnern bewusst, dass es Änderungen des Preises geben wird und dass der Lieferant diese bei normalem Verlauf trägt.

Mit Urteil vom 12. Januar 2022 (XII ZR 8/21) hat der BGH einen Fall entschieden, in dem es um die aufgrund einer Corona-bedingten Allgemeinverfügung weggefallene Nutzbarkeit einer vermieteten Einzelhandelsimmobilie geht. Dabei geht der BGH auf eine „Große Geschäftsgrundlage“ ein, die im konkreten Fall weggefallen sei. Dazu führt der BGH aus:

„Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde …“ (RN 45)

Es müsste also ein vergleichbarer Fall der massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben vorliegen.

Der BGH nennt konkret das Beispiel Fall der Hyperinflation. Nach einer als weit verbreitet angesehenen, als Faustregel aufgestellten Definition von Phillip D. Cagan wird von einer Hyperinflation bei monatlichen Inflationsraten von 50 % (entsprechend einer jährlichen Rate von umgerechnet rund 13.000 %) ausgegangen.

Hiervon ist die Preisentwicklung bei Stahl weit entfernt. Bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft liegt die Inflation ebenfalls unter 10 %. Im Moment haben sich die Preise wieder stabilisiert. Auch die anderen Beispiele des BGH sind auf Bauverträge nicht anwendbar, zumal der eigentliche Krieg selber unser Land nicht betrifft.

Dies ist auch zu berücksichtigen bei der Bewertung von rechtlichen Auffassungen, die zu einem frühen Zeitpunkt des Ukraine-Krieges veröffentlicht wurden. Diesen ersten Bewertungen liegt mehr oder weniger ausgesprochen die Erwartung zugrunde, dass die Preisentwicklung nicht einmalig sprunghaft erfolgt, sondern mit einer fortdauernden Erhöhung der Preise zu rechnen ist („… und steigt täglich weiter…“, Kues/Scheuermann am 16.03.2022 in IBR-Online; „die stetig steigenden Preise“, Kues/Simlesa in NZBau 2022, 318). Tatsächlich sind die Preissteigerungen teilweise zum Stillstand gekommen.

Corona-Krise mit stärkeren Auswirkungen

Auch ansonsten erscheinen die Folgen des Ukraine-Krieges im Baubereich nicht mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Nutzung von Räumen des Einzelhandels für Textilien aller Art und Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs (so im Fall des BGH) vergleichbar. Im Fall des BGH waren aufgrund einer Allgemeinverfügung die Geschäftsräume vorübergehend überhaupt nicht mehr zu ihrem vertraglich vereinbarten Zweck zu nutzen, die Leistung des Vermieters also gewissermaßen auf „Null“ reduziert.

Dies erfolgte in einem Gesamtumfeld mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen teils erheblicher Art mit gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen. Dies ist mit Lieferschwierigkeiten und prozentualen Preiserhöhungen in einem Teilbereich der Bauwirtschaft nach der hier vertretenen Auffassung nicht vergleichbar. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich insoweit eine andere und in der Literatur teilweise schon vertretene Auffassung durchsetzt.

Daher ist auch die vom BGH angesprochene „Große Geschäftsgrundlage“ bei der hier betrachteten Preisentwicklung im Baubereich davon nicht berührt. Soweit Preissteigerungen auf Auswirkungen der Corona-Pandemie beruhen, ist davon auszugehen, dass diese inzwischen vorhersehbar sind und schon deswegen keine Vertragsanpassung rechtfertigen.

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Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge

Wer trägt die plötzlichen Mehrkosten? Ist die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB gestört? Und gibt es wirksame Vertragsanpassungen, die für beide Seiten eine gute Lösung darstellen?
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3. Unzumutbarkeit der Vertragsdurchführung, insbesondere Überschreiten einer Opfergrenze als Anspruchsvoraussetzung

Einen Wegfall der Geschäftsgrundlage unterstellt, setzt die Anpassung des Vertrages voraus, dass die unveränderte Fortsetzung des Vertrages unzumutbar ist. Bei dieser Zumutbarkeit sind die Interessen beider Vertragspartner zu berücksichtigen.

Das Aufzehren des Auftragnehmer-Gewinns allein ist kein zwingender Grund für eine Vertragsanpassung (Kues/Simlesa in NZBau 2022, 322 mwN). Bei Auftragnehmern wird dabei vielmehr von einer sog. Opfergrenze gesprochen, bis zu der ihnen eine unveränderte Vertragsfortsetzung zugemutet werden kann. Diese Opfergrenze ist nicht allgemein feststehend, sondern einzelfallbezogen zu ermitteln. Es ist aber regelmäßig von einer zumutbaren Veränderung von mindestens 20 % auszugehen (z.B. Zerwell/Holatka, IBR-Online 30.03.2022, z.B. überschritten erst ab einer Mehrmenge von 30 % OLG Schleswig v. 10.10.2008, 17 U 6/08, oder einer Preiserhöhung von 33 %, OLG Düsseldorf v. 19.12.2008, 23 U 48/08; nicht mehr hinnehmbar 61,3 %, BAG v. 23.09.1997, 3 ABR 85/96).

Nicht nachvollziehbar erscheint dem Verfasser die Auffassung, die Unternehmen eine Anpassung auch bei einem nicht bezifferten, niedrigeren Prozentsatz zubilligen will, und zwar wegen bereits bestehender Probleme der Unternehmen und einer deswegen gesenkten Zumutbarkeitsgrenze (Kues/Simlesa in NZBau 2022 S. 323). Dies kann schon in dieser Allgemeinheit nicht für alle Unternehmen gelten, da die Corona-Krise nicht alle Unternehmen gleich betroffen hat.

Es steht auch nicht fest, dass nur Auftragnehmer, nicht aber Auftraggeber wirtschaftlich vorbelastet sind. Eine zugunsten nur des Auftragnehmers zu beachtende besondere Vorbelastung gibt es gerade dann nicht, wenn wie hier Ansprüche zwischen zwei in der gleichen Branche, nur auf verschiedenen Ebenen als Nachunternehmer oder Zwischen-/Generalunternehmer tätig sind. Auch Vermieter von zu errichtenden Immobilien können unter pandemiebedingten Problemen leiden

Bei der Prüfung, ob die unveränderte Durchführung des Vertrags zumutbar ist, müssen die Interessen beider Vertragspartner berücksichtigt werden, also auch die des Auftraggebers. Der Auftraggeber hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der unveränderten Vertragsdurchführung (z.B. BGH v. 08.02.1978, VIII ZR 221/76). Er hat aber auch weitere Interessen, die bei der Zumutbarkeitsprüfung zu berücksichtigen sind, wie z.B. Probleme bei einer Finanzierung oder eintretende Verluste bei einer Weiterveräußerung (Lührmann/Egle/Thomas, NZBau 2022, S. 250).

Hier ist bei den mehrstufigen Vertragsverhältnissen zu prüfen, ob und inwieweit der Zwischenunternehmer Mehrkosten an den Endkunden weitergeben kann. Im Hinblick darauf, dass die Zumutbarkeitsgrenze immer auf den Gesamtauftragswert zu ermitteln ist und die hier als Beispiel angenommenen Stahllieferungen sicher nur einen Teil der Gesamtleistungen ausmachen, ist aber davon auszugehen, dass sich der Auftraggeber erfolgreich gegen eine Kostenübernahme wehren kann.

4. Höhe des Anspruchs

Ein Anspruch auf Anpassung kann nur den über die Opfergrenze hinausgehenden Teil der Mehrkosten betreffen. Den unterhalb der Opfergrenze liegenden Teil trägt der Auftragnehmer allein.

In welcher Weise über die Opfergrenze hinausgehende Mehrkosten von beiden Vertragspartnern zu tragen ist, ist umstritten. So führen Kues/Simlesa in NZBau 2022, S. 323, aus, es müssten sich nicht zwingend beide Vertragspartner daran zu 50 % beteiligen, dem Auftraggeber sei auch eine höhere Beteiligung zuzumuten. Allerdings begründen sie diese Auffassung nicht näher und beziffern die Aufteilung auch nicht. Nach der von Lührmann/Egle/Thomas, NZBau 2022, S. 252 zitierten Entscheidung des BGH (NJW 1984, S. 1746) bietet sich eine solche Halbteilung aber im Regelfall an:

„Diese Aufteilung [auf beide Parteien zur Hälfte] bietet sich bei Fehlen von Anhaltspunkten, die für eine andere Verteilung sprechen könnten, an, wenn die Folge der Grundlagenstörung nicht einer Partei allein zugewiesen werden können.

Hier ist kein Grund ersichtlich, die Folgen der Ukraine-Krise allein oder überwiegend dem Auftraggeber zuzuweisen.

Es gibt auch Stimmen, die sich gegen eine „doppelte“ Belastung des Auftragnehmers durch die Opfergrenze einerseits und eine Teilung der darüberhinausgehenden Mehrkosten andererseits aussprechen (Lührmann/Egle/Thomas, NZBau 2022, S. 252). Diese Auffassung übersieht nach meiner Auffassung, dass die Opfergrenze auch Ausfluss der einer Kalkulation innewohnenden Risiken und auch Chancen ist. Es würde auch die berechtigten Interessen des Auftraggebers und den Grundsatz der Vertragstreue massiv beeinträchtigen, den Auftraggeber jenseits der Opfergrenze alleine zu belasten. Daher ist es keine unzulässige „Risiko-Kumulation“, dem Auftragnehmer die Mehrkosten bis zum Erreichen der Opfergrenze vollständig und danach anteilig aufzuerlegen.

Jedenfalls sind die entstandenen Mehrkosten konkret darzustellen. Dies kann sich an den Grundsätzen orientieren, die sich aus der Rechtsprechung des BGH zur den tatsächlich erforderlichen Mehrkosten ergeben (vgl. die Rspr. des BGH zu Änderungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B, BGH 8.8.2019, VII ZR 34/18). Hierfür reichen die bisher eingereichten, allgemein gehaltenen Unterlagen jedoch nicht aus.

5. Fazit

Somit sind im Ergebnis Preissteigerungen in der betrachteten Konstellation von zwischengeschalteten Unternehmen ( z.B. Generalunternehmern) nicht auszugleichen. Das ist natürlich für die Unternehmen, bei denen die Preissteigerungen anfallen, eine bittere Pille. Umso wichtiger ist eine vorausschauende Vertragsgestaltung. So kann man in vielen Fällen mit Preisgleitklauseln einen Interessenausgleich herbeiführen: Der Auftraggeber erhält anfänglich realistische Preise ohne Risikopuffer, muss allerdings die tatsächlichen Mehrkosten tragen.

In der anstehenden 22. Auflage des Ingenstau/Korbion zur „VOB Teil A und B“ werden diese Problematik und die sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten ebenfalls aufgegriffen und im Gesamtzusammenhang von Vergabe- und Vertragsrecht dargestellt.

Prof. Dr. Mark von Wietersheim
Rechtsanwalt, Honorarprofessor


Ingenstau / Korbion

VOB Teile A und B

Kommentar
Buch. Hardcover
22. Auflage. 2022
3100 S.
Werner Verlag. ISBN 978-3-8041-5486-5
Erscheint ab Dezember 2022
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