Dr. Wolfgang Breyer
Stand Anfang 2023 gibt es in Deutschland 14 Bauprojekte auf Basis der integrierten Projektabwicklung (IPA). Hierunter versteht das IPA-Zentrum (= formell eine Abteilung des German Lean Construction Institute ) ein partnerschaftlich orientiertes Projektabwicklungsmodell, das wesentlich an das US-amerikanische Integrated Project Delivery (IPD) angelehnt ist. Dabei sind Vertragsmodelle mit partnerschaftlichen Ansätzen in Deutschland nicht neu, sondern spielen seit über 20 Jahren insbesondere im Hochbau als vorwiegend von der Bauindustrie entwickelte Konzepte eine beachtliche Rolle.
Diese sind alle ähnlich aufgebaut: Ein Generalunternehmer begleitet die Entwurfsplanung des Architekten und der Fachplaner des Bauherrn, optimiert sie idealerweise und legt nach Abschluss dieser Phase ein Angebot für die Bauausführung und (oft) die weitere (Ausführungs-) Planung vor, das häufig als Pauschalpreisangebot in Form eines Guaranteed Maximum Price ausgestaltet ist.
Diese Konzepte haben mit den vorgenannten ausländischen Vorbildern eines gemeinsam – aber auch nur das: Das sog. „Early Contractor Involvement“, mithin die frühzeitige Einbindung des ausführenden Unternehmers in die Planung. Im Übrigen unterscheiden sie sich aber deutlich: So zielt bspw. das australische „Alliancing“ auf die Vergemeinschaftung der Haftung der Vertragsparteien ab, während die englischen Standardverträge keine Spur hiervon erkennen lassen. Dort bleibt die Haftung alleine bei dem, dem die jeweilige Leistung zugeordnet ist.
Deutliche Unterschiede gibt es bei der Vergütung
So wird in den USA und Australien wesentlich auf Selbskostenerstattungsbasis gearbeitet mit Anteilen für Gewinn und teilweise (allgemeinen) Geschäftskosten in einem separaten „Topf“ (nachfolgend: Chancen-Risiko-Pool oder CRP) dessen Entwicklung abhängig von den tatsächlichen Kosten zu den Zielkosten und dem Erreichen weiterer Projektziele ist. Demgegenüber sieht etwa PPC 2000 (England) nach Abschluss der „Pre-Construction Phase“ die Vergütung auf Basis eines Preises (idR als „Agreed Maximum Price“) vor. Warum dieser Ausflug ins Ausland? Weil es dort mit diesen sehr unterschiedlichen Konzepten langjährige Erfahrungen gibt – im Guten wie im Schlechten, die hierzulande leider oft ignoriert werden. Das gilt bereits für die Modelle selbst, deren Charakteristika keiner gründlichen (wenn überhaupt) Analyse zugeführt wurden.
Ich empfinde diese Ignoranz mindestens gefährlich und jedenfalls arrogant. Wenn uns die ausländischen Modelle als „Vorbilder“ dienen können, ist damit kein Appell zu einem reflektionslosen Nacheifern verbunden, sondern zu einer kritischen Analyse und Auseinandersetzung auf Basis der zahlreichen Erfahrungswerte, die in der Regel nicht der Geheimhaltung unterliegen und grundsätzlich gut zugänglich sind.
Vor allem aber dürfen wir nicht den Fehler begehen, einzelne Elemente aus einem anderen in sich geschlossenen Vertragssystem zu übernehmen („cherry picking“), um dann (manchmal zu spät) zu erkennen, dass das Endprodukt nicht funktioniert und Probleme nach sich zieht, deren Lösung nicht überzeugend gelingt.
Kritischer Blick auf das Modell
Beispielsweise werden in einem Mehrparteienvertrag die Kosten der Mängelbeseitigung für reine (weder ganz noch teilweise auf Planungsfehlern beruhende) Ausführungsfehler vergemeinschaftet. Das wird dadurch erreicht, dass derartige Kosten als abrechenbar im Sinne des Systems definiert werden und zunächst gegen die Anteile der Parteien (ohne den Bauherren) am Chancen-Risiko-Pool laufen.
Fragt man nach dem Grund hierfür hört man, das gegenseitige „Finger-pointing“ solle vermieden werden, um eine „No Blame-Kultur“ zu schaffen. Nun ja, ein legitimes Ziel. Nur: Wird es so erreicht (1.) und ist es die vertraglichen Folgen wert, die ein solcher Ansatz mit sich bringt (2.)?
Zu (1.): Man stelle sich die Stimmung im Team vor, wenn einer oder mehrere Bauunternehmer Mängelbeseitigungskosten durch unsachgemäße Ausführung verursachen, die die CRP-Anteile der anderen „Partner“ großteils oder vollständig aufzehren und danach der Bauherr zur Kasse gerufen wird. Denn: Welchen Einfluss haben die anderen Partner – etwa ein Fachplaner oder andere ausführende Gewerke – hierauf? Vielleicht gibt es eine überzeugende Antwort hierauf, die ich nicht kenne.
Zu (2.): Der Ansatz konsequent zu Ende gedacht müsste sich über die Abnahme hinaus auch auf die Gewährleistungszeit erstrecken – also 5 Jahre plus X. Das gesamte System vorzuhalten und nicht endabrechnen zu können will man (nachvollziehbarerweise) aber nicht. Also gibt es „Lösungsansätze“: Nur Mängelbeseitigungskosten aus Mängeln, die vor Abnahme entdeckt werden, sollen von der Gemeinschaft getragen werden – danach auftretende vom Verursacher. Aber lässt sich das wirklich sachlich rechtfertigen?
Grundsätzliche Ansätze sorgfältig überdenken
Es gibt auch Ansätze, das Problem über das Projektmanagementteam (PMT) zu regeln. Das soll entscheiden, ob die Gemeinschaft die Mängelbeseitigungskosten trägt oder alleine der Verursacher – freilich mit dem stimmberechtigten mängelverursachenden Partner einstimmig. Wird es jemals eine Entscheidung bei dieser Frage geben oder ist der Streit, den man mit diesen Regelungen vermeiden will, nicht geradezu vorprogrammiert? Damit wäre das Gegenteil von dem erreicht, was man wollte.
Es geht bei dieser und anderen Gestaltungsfragen nicht um richtig oder falsch. Es geht darum, grundsätzliche Ansätze sorgfältig zu überdenken: Welche Vorteile versprechen diese für den Projekterfolg im Sinne aller Beteiligten und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus? Die Möglichkeit, Verantwortung auf mehrere Schultern zu legen und damit einen aktiven Beitrag zur Risikominimierung zu leisten, ist einer der großen Vorteile des Mehrparteienvertrags.
Die Möglichkeit zur Risikominimierung muss aber hierzu gegeben sein und sollte im Erfolgsfall honoriert werden. Der bisherige Erfolg des IPA-MPV Ansatzes in Deutschland ist beachtlich, kann aber mittel- und langfristig nur durch in sich durchdachte, ausbalancierte und vom Markt akzeptierte Systeme fortgeführt werden.