von Notar Dr. Benedikt Jugl, LL.M. (Cambridge), Naila
Mit Wirkung zum 01.01.2023 tritt nach dessen Art. 16 das „Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ vom 04.05.20211 in Kraft. Es enthält zahlreiche für die notarielle Praxis wichtige Änderungen, über die in dem nachfolgenden Beitrag ein Überblick gegeben werden soll.
Zielsetzung des zweiteiligen Aufsatzes ist es dabei nicht, jedes Detail der neuen Rechtslage auszuleuchten, sondern kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes einen ersten Eindruck davon zu bekommen, was zu erwarten ist, und sich vertiefter mit den Änderungen zu beschäftigen, mit denen Notare und ihre Mitarbeiter ab dem kommenden Jahr konfrontiert werden.
Dabei werden in einem ersten Teil in diesem Heft zunächst kurz die Hintergründe der Reform beleuchtet und auf das neue Ehegattenvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten, die Änderungen im Bereich der Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen sowie des Vormundschaftsrechts eingegangen, bevor im zweiten Teil, der im kommenden Heft folgen wird, die Neuregelungen in Bezug auf das Betreuungs- und Pflegschaftsrecht sowie weitere notarrelevante Änderungen betrachtet werden.
Anlass des Reformgesetzes ist die im Vergleich zur ursprünglichen Konzeption des BGB abweichende Entwicklung dahingehend, dass Betreuungen inzwischen deutlich zahlreicher sind als Vormundschaften. Noch ist das BGB allerdings so konzipiert, dass der Abschnitt 3 des 4. Buches (Familienrecht), der mit „Vormundschaft, Rechtliche Betreuung, Pflegschaft“ bezeichnet ist, in den §§ 1773-1895 BGB von der Vormundschaft und nur in den §§ 1896-1908k BGB von der rechtlichen Betreuung spricht. Diese quantitative und auch qualitative Verteilung der Paragraphen entsprach längst nicht mehr der gesellschaftlichen Realität und der juristischen Praxis und erschwerte deswegen bislang die Rechtsanwendung.2 Der Kern der Normen zum Vormundschaftsrecht stammt dabei noch aus der Zeit der Entstehung des BGB und enthält hierzu detaillierte Regelungen. Dagegen stammt das Betreuungsrecht im Wesentlichen aus dem Jahre 1992 und verweist in weiten Teilen auf das Vormundschaftsrecht, insbesondere im Bereich der Personensorge. Erkannt wurde auch, dass das derzeit noch geltende Recht nicht den Anforderungen an das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen entspricht, das durch Art. 12 UN-BRK vorgegeben ist.
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zur 19. Legislaturperiode war deswegen das Ziel einer umfassenden Reform dieser Rechtsbereiche enthalten. Dieses Vorhaben ist nunmehr mit dem „Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ abgeschlossen worden. Das Gesetz bildet die Grundlage für Änderungen in insgesamt 46 Gesetzen und allein im BGB werden dadurch mehr Paragrafen geändert als mit der Schuldrechtsreform 2002.3 So haben nicht nur die Bezieher von Ergänzungslieferungen von Loseblattsammlungen des BGB, sondern auch dessen Rechtsanwender sich auf erhebliche, teils redaktionelle, größtenteils aber inhaltliche Änderungen einzustellen. Auch in der notariellen Praxis besteht Bedarf, sich die Neuerungen genauer anzusehen und seine Muster entsprechend anzupassen.
Voraussetzung für das Vertretungsrecht des Ehegatten ist neben einer bestehenden Ehe, dass der zu vertretende Ehegatte seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit rechtlich nicht selbst besorgen kann, § 1358 Abs. 1 BGB n.F. Damit soll sich an den Voraussetzungen der Bestellung eines Betreuers (§ 1814 BGB n.F.) orientiert werden.8 In diesen Fällen kann der vertretende Ehegatte in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe einwilligen, sie untersagen sowie ärztliche Aufklärungen entgegennehmen (Nr. 1), Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abschließen und durchsetzen (Nr. 2), über freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 Abs. 4 BGB n.F. entscheiden, sofern deren Dauer im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet (Nr. 3), und Ansprüche, die dem vertretenen Ehegatten aufgrund der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, geltend machen und diese an Leistungserbringer abtreten oder Zahlung an diese verlangen (Nr. 4).
Besteht danach ein Vertretungsrecht, so sind die behandelnden Ärzte nach § 1358 Abs. 2 BGB n.F. dem vertretenden Ehegatten gegenüber in diesen Angelegenheiten von der Schweigepflicht entbunden und dürfen ihn auch Krankenunterlagen einsehen lassen und auf seine Anweisung hin weitergeben. Die Berechtigung zur Vertretung besteht nach § 1358 Abs. 3 BGB n.F. allerdings dann nicht (mehr), wenn die Ehegatten i.S.v. § 1567 Abs. 1 BGB getrennt leben (Nr. 1), dem vertretenden Ehegatten oder dem behandelnden Arzt bekannt ist, dass der zu Vertretende eine Vertretung durch den Ehegatten ablehnt (Nr. 2 lit. a), dieser eine Vorsorgevollmacht errichtet hat, die die Befugnisse des Ehegattenvertretungsrechts umfasst (Nr. 2 lit. b), ein Betreuer mit den Befugnissen des Ehegattenvertretungsrechts bestellt ist (Nr. 3) oder die Voraussetzungen für die Vertretungsbedürftigkeit nicht mehr vorliegen oder unabhängig davon sechs Monate seit dem Eintritt des von dem behandelnden Arzt festgestellten, die Vertretungsbedürftigkeit begründenden Zeitpunkts vergangen sind (Nr. 4). Der Arzt darf sich dabei auf die Angaben des vertretenden Ehegatten verlassen und braucht nicht weiter prüfen oder nachforschen und auch dem vertretenden Ehegatten wird keine Ermittlungspflicht dahingehend auferlegt, ob sein Ehegatte einen entgegenstehenden Willen geäußert oder er gar eine Vorsorgevollmacht errichtet hat.9
Der Arzt, gegenüber dem das Vertretungsrecht ausgeübt wird, hat nach § 1358 Abs. 4 BGB n.F. ein Dokument zu erstellen, in dem das Vorliegen für die Voraussetzungen des Vertretungsrechts nach Abs. 1 und der Zeitpunkt, zu dem der das Vertretungsrecht begründende Zustand spätestens eingetreten ist, bestätigt werden (S. 1 Nr. 1), dieses dem vertretenden Ehegatten zur Bestätigung dieser Voraussetzungen und zur Erklärung über das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe nach Abs. 3 vorzulegen (S. 1 Nr. 2), sich von diesem schriftlich versichern zu lassen, dass das Vertretungsrecht wegen der aktuellen Erkrankung bisher nicht ausgeübt wurde und kein Ausschlussgrund des Abs. 3 vorliegt (S. 1 Nr. 3) und dieses Dokument anschließend an den vertretungsberechtigten Ehegatten auszuhändigen (S. 2). Das Dokument soll sodann als eine Art Nachweis der Vertretungsbefugnis dienen10, ohne freilich eine konstitutive Wirkung haben oder gar Gutglaubensschutz entfalten zu können.
Wird während des Zeitraums der Vertretungsbedürftigkeit ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis des Ehegattenvertretungsrechts bestellt, so darf das Vertretungsrecht nicht mehr ausgeübt werden, § 1358 Abs. 5 BGB n.F.; die Vertretungsbefugnis erlischt dadurch aber wohl nicht.11 § 1358 Abs. 6 BGB n.F. verweist schließlich auf verschiedene Normen des neuen Betreuungsrechts, die Betreuer (und Vorsorgebevollmächtigte) zu beachten haben und damit ebenso der vertretungsberechtigte Ehegatte, insbesondere auf betreuungsgerichtliche Genehmigungserfordernisse, s.u. im weiteren Verlauf dieses Beitrags. Bemerkenswert ist dabei, dass § 1831 Abs. 1 BGB n.F. nicht genannt ist, so dass eine Unterbringung nicht von der Vertretungsmacht des vertretenden Ehegatten gedeckt ist.12 Außerdem ist gar kein Verweis auf § 1832 BGB n.F. enthalten, so dass dessen Einschränkungen wohl nicht gelten sollen, obwohl die dort genannten Maßnahmen von § 1358 Abs. 1 BGB umfasst sein können.
Nach § 78a Abs. 1 S. 1 BNotO n.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 7 VRegV n.F. kann ein Widerspruch gegen eine Vertretung durch den Ehegatten im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert werden. Eine Verpflichtung des behandelnden Arztes, dieses ohne weitere Anhaltspunkte einzusehen, kann wohl allerdings nicht angenommen werden. Art. 15 EGBGB n.F. regelt zum internationalen Privatrecht, dass das Ehegattenvertretungsrecht gemäß § 1358 BGB n.F. in Angelegenheiten der Gesundheitssorge immer gilt, wenn diese im Inland wahrgenommen werden, unabhängig davon, ob nach anderen Vorschriften ausländisches Recht Anwendung finden würde. Eine Rechtswahl diesbezüglich ist danach nicht möglich. Und nach § 12 Abs. 4 PStG n.F. ist bei der Eheschließung vom Standesamt auf das Ehegattenvertretungsrecht hinzuweisen.
Die Einführung eines „Notvertretungsrechts“ für Ehegatten ist eine der größten Änderungen der Reform, da damit ein völlig neues Instrument geschaffen wird, und aus notarieller Sicht nicht zu begrüßen.13 Die verbreitete falsche Vorstellung, dass Ehegatten sich gegenseitig vertreten können, wird dadurch bestärkt und die bislang klare Rechtslage aufgeweicht. Dass das Vertretungsrecht nur in Gesundheitsangelegenheiten gilt, nur in bestimmten Situationen greift, nur bestimmte Maßnahmen ermöglicht und außerdem auf sechs Monate beschränkt ist, wird oft erst dann bewusst werden, wenn ein Ehegattenvertretungsrecht nicht (mehr) besteht und das Ziel der Vermeidung einer Betreuerbestellung wird dann nicht erreicht werden. Viele Tatbestandsmerkmale der neuen Norm werden die Praxis und insbesondere auch die behandelnden Ärzte vor große Auslegungsschwierigkeiten stellen, vor allem in Bezug auf die Ausschlussgründe. Auch das durch den Arzt zu erstellende Dokument wird mehr Verwirrung als Aufklärung schaffen, vor allem auch, wenn es mehrere behandelnde Ärzte gibt. Dadurch, dass der Arzt bestimmte Punkte, wie eine Trennung der Ehegatten, oder ob der vertretene Ehegatte eine Vertretung ablehnt, nicht prüfen kann und sich ganz auf die Angaben des vertretenden Ehegatten verlassen muss, kann ein Missbrauch dieses Rechts nicht ausgeschlossen werden. Es ist daher weiter Aufgabe insbesondere der Notare und ihrer Mitarbeiter auf diese Unzulänglichkeiten hinzuweisen und die Errichtung von Vorsorgevollmachten zu empfehlen.
Lehnt ein Ehegatte die Vertretung durch einen anderen Ehegatten ab, so kann und sollte dies im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert werden. Hierauf ist vor allem in der Beratung von sich trennenden Mandanten besonderes Augenmerk zu legen. Insbesondere bietet es sich an, in Trennungs- und Scheidungsvereinbarungen zur Klarstellung eine Passage dazu aufzunehmen, dass der Vertretung durch den Ehegatten ausdrücklich widersprochen wird und ggf. eine Registrierung vorzunehmen.
Die Vorsorgevollmacht erfreut sich in der Praxis immer größerer Beliebtheit, insbesondere, da die Aussicht auf Anordnung einer Betreuung für viele Menschen eine Horrorvorstellung ist, sei es aus eigenen Erfahrungen oder denen von Bekannten oder aus nicht immer ganz zutreffenden Fernsehberichten. So wie es § 1896 Abs. 2S. 2 BGB bisher schon festlegt, hat sich jedenfalls herumgesprochen, dass die Betreuung einer Vollmacht gegenüber subsidiär ist. Mit § 1820 BGB n. F. wurde nun erstmals eine zentrale Norm zur Vorsorgevollmacht (und Kontrollbetreuung) geschaffen.
In § 1820 Abs. 1 BGB n.F. wird lediglich geregelt, dass Vorsorgevollmachten dem Betreuungsgericht zur Kenntnis zu bringen sind, wenn man davon erfährt, dass ein Betreuungsverfahren eingeleitet wird, und man eine solche Vollmacht besitzt sowie dass das Betreuungsgericht eine Abschrift davon verlangen kann.
§ 1820 Abs. 2 BGB n.F. verlangt, dass bestimmte Maßnahmen in der Vollmacht ausdrücklich erwähnt sein müssen, wenn diese von der Vollmacht umfasst sein sollen und dass die Vollmacht hierfür schriftlich erteilt sein muss. Dies betrifft die Einwilligung oder Nichteinwilligung in ärztliche Maßnahmen nach § 1829 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB n.F., die Unterbringung und weitere freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 Abs. 1 und 4 BGB n.F. sowie ärztliche Zwangsmaßnahmen nach § 1832 Abs. 1 und 4 BGB n.F. und entspricht daher der bislang schon geltenden Rechtslage. Wichtig ist dabei, dass bereits bestehende Vorsorgevollmachten trotz der ab 01.01.2023 „falschen“ Verweisung weiterhin auch diesbezüglich ihre Gültigkeit bewahren und nicht neu errichtet werden müssen.14
Auch die Kontrollbetreuung hat mit § 1820 Abs. 3 BGB n.F. ihren Weg ins Gesetz gefunden. Zwar war diese auch bislang schon in § 1896 Abs. 3 BGB zu finden, jedoch nur als Aufgabenkreis eines Betreuers gegenüber einem Bevollmächtigten, wie dies nunmehr in § 1815 Abs. 3 BGB n.F. angesprochen ist. Es wird ausdrücklich geregelt, dass ein Kontrollbetreuer durch das Betreuungsgericht zu bestellen ist, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seine Rechte gegenüber dem Bevollmächtigten auszuüben (Nr. 1) und wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Bevollmächtigte die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt (Nr. 2).15
Völlig neu ist die Möglichkeit nach § 1820 Abs. 4 BGB n.F. eine Vorsorgevollmacht vorübergehend außer Kraft zu setzen und so einen eventuellen Missbrauch prüfen zu können, ohne die Vollmacht gleich komplett zu widerrufen. So kann das Betreuungsgericht anordnen, dass der Bevollmächtigte die ihm erteilte Vollmacht nicht ausüben darf und die Vollmachtsurkunde an den (Kontroll-)Betreuer herauszugeben hat (S. 1), wenn die dringende Gefahr besteht, dass der Bevollmächtigte nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet (Nr. 1) oder der Bevollmächtigte den Betreuer bei der Wahrnehmung seiner Aufhaben behindert (Nr. 2).16 Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, so hat das Betreuungsgericht die Anordnung wieder aufzuheben und den Betreuer zu verpflichten, die Vollmachtsurkunde dem Bevollmächtigten herauszugeben, wenn die Vollmacht nicht erloschen ist (S. 2). Durch die Möglichkeit der „Suspendierung“ der Vorsorgevollmacht soll dem Betreuungsgericht ein neues Instrument an die Hand gegeben werden, um in Zweifelsfällen bei einem möglichen Missbrauch die Notwendigkeit eines Widerrufs der Vollmacht erst gründlich prüfen und trotzdem in eilbedürftigen Fällen schnell reagieren zu können.17
In § 1820 Abs. 5 BGB n.F. werden nunmehr schließlich die Voraussetzungen für den Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch einen Betreuer niedergelegt, die bisher nicht kodifiziert waren.18 Danach ist ein Widerruf einer Vollmacht, die zu Maßnahmen der Personensorge oder zu Maßnahmen in wesentlichen Bereichen der Vermögenssorge ermächtigt, mit Genehmigung des Betreuungsgerichts dann möglich, wenn eine künftige Verletzung der Person oder des Vermögens des Betreuten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere zu befürchten ist und mildere Maßnahmen zur Abwehr eines Schadens für den Betreuten nicht geeignet erscheinen. Dann ist nicht mehr an der Vollmacht festzuhalten und kann deren Herausgabe an den Betreuer angeordnet werden. Die Erteilung der Genehmigung bleibt nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RpflG n.F. dem Richter vorbehalten. Auch der teilweise Widerruf einer Vorsorgevollmacht ist danach möglich.19
Nach §78a BNotO n.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. h) VRegV n.F. können künftig im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer auch die E-Mail-Adressen von Bevollmächtigten eingetragen werden. Gemäß § 78a BNotO n.F. i.V.m. § 6 Abs. 1 VRegV n.F. ist es nunmehr auch Ärzten möglich, Einsicht in das ZVR zu nehmen und sich damit die Nachfrage beim Betreuungsgericht über das Bestehen einer Vorsorgevollmacht zu sparen.
Mit § 1820 BGB n.F. ist es dem Gesetzgeber gelungen, dass nunmehr eine zentrale Norm die wesentlichen Fragen zur Vorsorgevollmacht beantwortet, was sehr zu begrüßen ist. Aus notarieller Sicht ist jedoch zum einen bedauernswert, dass eine genauere Definition der Vorsorgevollmacht in § 1820 Abs. 1 BGB n.F. unterblieben ist.20 Die Tauglichkeit einiger Tatbestandsmerkmale, insbesondere bei der Suspendierung nach Abs. 4 und dem Widerruf nach Abs. 5, wird sich in der Praxis zeigen. Außerdem wäre es wünschenswert gewesen, die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht von einer Beurkundung abhängig zu machen, um den Wert der notariellen Beratung, der höheren Beweiskraft und der Prüfung der Geschäftsfähigkeit des Verfügenden durch den Notar deutlich zu machen.21 Eine solche Änderung hätte jedoch dem erklärten Ziel des Gesetzgebers widersprochen, die Verbreitung von Vorsorgevollmachten zu fördern.22
Trotz der umfassenden Neuregelung sind in den notariellen Mustern bis auf Normverweise keine weiteren Änderungen veranlasst. Eine Bezugnahme auf die neuen Vorschriften ist selbstverständlich vorzunehmen.
Im Bereich der Patientenverfügung gibt es materiell-rechtlich keine Änderungen. Die maßgebliche Vorschrift zur Patientenverfügung erhält lediglich eine neue „Hausnummer“, nämlich § 1827 BGB n.F. (bisher: § 1901a BGB). § 1901b BGB (Gespräche zur Feststellung des Patientenwillens) wird § 1828 BGB n.F.
Jedoch wird es in Zukunft nach § 78a BNotO n.F. i.V.m. § 9 VRegV n.F. möglich sein, auch isoliert errichtete Patientenverfügungen im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer zu registrieren. Dies war bislang nur dann möglich, wenn diese im „Paket“ mit einer Vorsorgevollmacht beurkundet wurden.23 In § 78b BNotO n.F. i.V.m. § 6 Abs. 1 VRegV n.F. wird zudem auch ein Einsichtsrecht für Ärzte geschaffen, so dass auch ohne Vorlage der Patientenverfügung oder Mitteilung durch Dritte vom behandelnden Arzt Auskunft darüber erlangt werden kann, ob eine solche besteht.
Diese Neuerungen sind aus Sicht der notariellen Praxis zu begrüßen. Dass isoliert Patientenverfügungen errichtet werden, stellt keine Seltenheit dar und die Registrierung im ZVR wird meist gewünscht. Das Einsichtsrecht der Ärzte hat den großen Vorteil, dass in eiligen Situationen nicht erst das Betreuungsgericht kontaktiert werden muss, um zu erfahren, ob eine Patientenverfügung errichtet worden ist.24 Zu befürchten ist jedoch auch, dass von den behandelnden Ärzten durch dieses Einsichtsrecht von dem Vorhandensein einer Patientenverfügung auf deren „standardmäßigen“ Inhalt geschlossen wird, obwohl dieser ja gerade nicht aus dem ZVR ersichtlich ist und auf eine Vorlage der Patientenverfügung und deren inhaltlicher Kenntnisnahme eher verzichtet werden wird.
Mehr Änderungen gibt es im Vormundschaftsrecht. Sind bislang die meisten Normen auf die Vermögenssorge gerichtet, so stehen nun vermehrt die Personensorge und die Rechte des Mündels im Mittelpunkt der reformierten Normen, die die notarielle Praxis aber meist nur am Rand betreffen und deswegen hier nicht vertieft behandelt werden sollen. Die bisherigen §§ 1773-1895 BGB schrumpfen auf §§ 1773-1808 BGB n.F. zusammen, da vieles ins Recht der Betreuung verlagert wird.
Das für die erbrechtliche Praxis wichtige Vormundbenennungs- bzw. -ausschlussrecht der Eltern durch letztwillige Verfügung findet sich künftig in § 1782 BGB n.F. Eine wünschenswerte Regelung dazu im Fall der dauernden Verhinderung der Sorgeberechtigten, z. B. bei Geschäftsunfähigkeit im Rahmen einer Vorsorgevollmacht, enthält auch die neue Gesetzeslage leider nicht. Lediglich in § 1778 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. ist geregelt, dass bei der Auswahl eines Vormunds der wirkliche oder mutmaßliche Wille der Eltern zu berücksichtigen ist und aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass dabei auch ein in einer Vorsorgevollmacht erklärten Wille zu berücksichtigen ist.25 Eine Bestellung zum Vormund ist nunmehr nach § 1785 Abs. 2 BGB n.F. erst dann möglich, wenn sich die ausgewählte Person zur Übernahme der Vormundschaft auch bereit erklärt hat.
Erwähnenswert ist auch, dass die Bestellung eines Gegenvormunds nunmehr nicht mehr möglich ist, was in den Mustern zur Vormundbenennung berücksichtigt werden sollte, falls bislang die Bestellung eines Gegenvormunds explizit ausgeschlossen wird.26 Außerdem ist es in Zukunft nur noch bei Ehegatten möglich, zwei Personen gemeinsam zum Vormund zu bestellen, § 1775 BGB n.F.27 Dennoch können einzelne Sorgerechtsangelegenheiten nach § 1776 BGB n.F. mit Zustimmung des (ehrenamtlichen) Vormunds auf einen zusätzlichen Pfleger übertragen werden.
Mit Wirkung zum 01.01.2023 tritt nach dessen Art. 16 das „Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ vom 04.05.20211 in Kraft. Es enthält zahlreiche für die notarielle Praxis wichtige Änderungen, über die in dem nachfolgenden Beitrag ein Überblick gegeben werden soll.
Zielsetzung des zweiteiligen Aufsatzes ist es dabei nicht, jedes Detail der neuen Rechtslage auszuleuchten, sondern kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes einen ersten Eindruck davon zu bekommen, was zu erwarten ist, und sich vertiefter mit den Änderungen zu beschäftigen, mit denen Notare und ihre Mitarbeiter ab dem kommenden Jahr konfrontiert werden.
Dabei werden in einem ersten Teil in diesem Heft zunächst kurz die Hintergründe der Reform beleuchtet und auf das neue Ehegattenvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten, die Änderungen im Bereich der Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen sowie des Vormundschaftsrechts eingegangen, bevor im zweiten Teil, der im kommenden Heft folgen wird, die Neuregelungen in Bezug auf das Betreuungs- und Pflegschaftsrecht sowie weitere notarrelevante Änderungen betrachtet werden.
I. Hintergründe der Reform
Anlass des Reformgesetzes ist die im Vergleich zur ursprünglichen Konzeption des BGB abweichende Entwicklung dahingehend, dass Betreuungen inzwischen deutlich zahlreicher sind als Vormundschaften. Noch ist das BGB allerdings so konzipiert, dass der Abschnitt 3 des 4. Buches (Familienrecht), der mit „Vormundschaft, Rechtliche Betreuung, Pflegschaft“ bezeichnet ist, in den §§ 1773-1895 BGB von der Vormundschaft und nur in den §§ 1896-1908k BGB von der rechtlichen Betreuung spricht. Diese quantitative und auch qualitative Verteilung der Paragraphen entsprach längst nicht mehr der gesellschaftlichen Realität und der juristischen Praxis und erschwerte deswegen bislang die Rechtsanwendung.2 Der Kern der Normen zum Vormundschaftsrecht stammt dabei noch aus der Zeit der Entstehung des BGB und enthält hierzu detaillierte Regelungen. Dagegen stammt das Betreuungsrecht im Wesentlichen aus dem Jahre 1992 und verweist in weiten Teilen auf das Vormundschaftsrecht, insbesondere im Bereich der Personensorge. Erkannt wurde auch, dass das derzeit noch geltende Recht nicht den Anforderungen an das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen entspricht, das durch Art. 12 UN-BRK vorgegeben ist. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zur 19. Legislaturperiode war deswegen das Ziel einer umfassenden Reform dieser Rechtsbereiche enthalten. Dieses Vorhaben ist nunmehr mit dem „Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ abgeschlossen worden. Das Gesetz bildet die Grundlage für Änderungen in insgesamt 46 Gesetzen und allein im BGB werden dadurch mehr Paragrafen geändert als mit der Schuldrechtsreform 2002.3 So haben nicht nur die Bezieher von Ergänzungslieferungen von Loseblattsammlungen des BGB, sondern auch dessen Rechtsanwender sich auf erhebliche, teils redaktionelle, größtenteils aber inhaltliche Änderungen einzustellen. Auch in der notariellen Praxis besteht Bedarf, sich die Neuerungen genauer anzusehen und seine Muster entsprechend anzupassen.
II. Die notarrelevanten Änderungen im Überblick
1. Das gegenseitige Vertretungsrecht von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge, § 1358 BGB n.F.
In der Besprechungspraxis machen Notare und ihre Mitarbeiter nicht selten die Erfahrung, dass Mandanten selbstverständlich davon ausgehen, dass sich Ehegatten4 gegenseitig vertreten können. Bislang war dies jedoch nur im Rahmen der sog. Schlüsselgewalt nach § 1357 BGB bei Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie möglich. Wird ein solches durch einen Ehegatten abgeschlossen, so wird dadurch auch der andere Ehegatte berechtigt und verpflichtet. Im politischen Diskurs wurde jedoch schon lange darüber debattiert, ob es nicht in Akut- oder Notsituationen5 darüberhinausgehende Beistands- und Vertretungsmöglichkeiten geben sollte, was durch die Reform nunmehr umgesetzt wird.6 Im Vermögensbereich ergeben sich dadurch im Prinzip keine Änderungen. Jedoch wurde mit § 1358 BGB n.F. ein Vertretungsrecht eingeführt, das es einem Ehegatten ermöglicht, für den anderen Ehegatten maximal sechs Monate lang über Angelegenheiten der Gesundheitssorge und damit zusammenhängende vermögensrechtliche Angelegenheiten zu entscheiden, um die Anordnung einer vorläufigen Betreuung zu vermeiden.7
a) Die Neuregelung
Voraussetzung für das Vertretungsrecht des Ehegatten ist neben einer bestehenden Ehe, dass der zu vertretende Ehegatte seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit rechtlich nicht selbst besorgen kann, § 1358 Abs. 1 BGB n.F. Damit soll sich an den Voraussetzungen der Bestellung eines Betreuers (§ 1814 BGB n.F.) orientiert werden.8 In diesen Fällen kann der vertretende Ehegatte in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe einwilligen, sie untersagen sowie ärztliche Aufklärungen entgegennehmen (Nr. 1), Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abschließen und durchsetzen (Nr. 2), über freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 Abs. 4 BGB n.F. entscheiden, sofern deren Dauer im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet (Nr. 3), und Ansprüche, die dem vertretenen Ehegatten aufgrund der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, geltend machen und diese an Leistungserbringer abtreten oder Zahlung an diese verlangen (Nr. 4). Besteht danach ein Vertretungsrecht, so sind die behandelnden Ärzte nach § 1358 Abs. 2 BGB n.F. dem vertretenden Ehegatten gegenüber in diesen Angelegenheiten von der Schweigepflicht entbunden und dürfen ihn auch Krankenunterlagen einsehen lassen und auf seine Anweisung hin weitergeben. Die Berechtigung zur Vertretung besteht nach § 1358 Abs. 3 BGB n.F. allerdings dann nicht (mehr), wenn die Ehegatten i.S.v. § 1567 Abs. 1 BGB getrennt leben (Nr. 1), dem vertretenden Ehegatten oder dem behandelnden Arzt bekannt ist, dass der zu Vertretende eine Vertretung durch den Ehegatten ablehnt (Nr. 2 lit. a), dieser eine Vorsorgevollmacht errichtet hat, die die Befugnisse des Ehegattenvertretungsrechts umfasst (Nr. 2 lit. b), ein Betreuer mit den Befugnissen des Ehegattenvertretungsrechts bestellt ist (Nr. 3) oder die Voraussetzungen für die Vertretungsbedürftigkeit nicht mehr vorliegen oder unabhängig davon sechs Monate seit dem Eintritt des von dem behandelnden Arzt festgestellten, die Vertretungsbedürftigkeit begründenden Zeitpunkts vergangen sind (Nr. 4). Der Arzt darf sich dabei auf die Angaben des vertretenden Ehegatten verlassen und braucht nicht weiter prüfen oder nachforschen und auch dem vertretenden Ehegatten wird keine Ermittlungspflicht dahingehend auferlegt, ob sein Ehegatte einen entgegenstehenden Willen geäußert oder er gar eine Vorsorgevollmacht errichtet hat.9
Der Arzt, gegenüber dem das Vertretungsrecht ausgeübt wird, hat nach § 1358 Abs. 4 BGB n.F. ein Dokument zu erstellen, in dem das Vorliegen für die Voraussetzungen des Vertretungsrechts nach Abs. 1 und der Zeitpunkt, zu dem der das Vertretungsrecht begründende Zustand spätestens eingetreten ist, bestätigt werden (S. 1 Nr. 1), dieses dem vertretenden Ehegatten zur Bestätigung dieser Voraussetzungen und zur Erklärung über das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe nach Abs. 3 vorzulegen (S. 1 Nr. 2), sich von diesem schriftlich versichern zu lassen, dass das Vertretungsrecht wegen der aktuellen Erkrankung bisher nicht ausgeübt wurde und kein Ausschlussgrund des Abs. 3 vorliegt (S. 1 Nr. 3) und dieses Dokument anschließend an den vertretungsberechtigten Ehegatten auszuhändigen (S. 2). Das Dokument soll sodann als eine Art Nachweis der Vertretungsbefugnis dienen10, ohne freilich eine konstitutive Wirkung haben oder gar Gutglaubensschutz entfalten zu können.
Wird während des Zeitraums der Vertretungsbedürftigkeit ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis des Ehegattenvertretungsrechts bestellt, so darf das Vertretungsrecht nicht mehr ausgeübt werden, § 1358 Abs. 5 BGB n.F.; die Vertretungsbefugnis erlischt dadurch aber wohl nicht.11 § 1358 Abs. 6 BGB n.F. verweist schließlich auf verschiedene Normen des neuen Betreuungsrechts, die Betreuer (und Vorsorgebevollmächtigte) zu beachten haben und damit ebenso der vertretungsberechtigte Ehegatte, insbesondere auf betreuungsgerichtliche Genehmigungserfordernisse, s.u. im weiteren Verlauf dieses Beitrags. Bemerkenswert ist dabei, dass § 1831 Abs. 1 BGB n.F. nicht genannt ist, so dass eine Unterbringung nicht von der Vertretungsmacht des vertretenden Ehegatten gedeckt ist.12 Außerdem ist gar kein Verweis auf § 1832 BGB n.F. enthalten, so dass dessen Einschränkungen wohl nicht gelten sollen, obwohl die dort genannten Maßnahmen von § 1358 Abs. 1 BGB umfasst sein können.
Nach § 78a Abs. 1 S. 1 BNotO n.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 7 VRegV n.F. kann ein Widerspruch gegen eine Vertretung durch den Ehegatten im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert werden. Eine Verpflichtung des behandelnden Arztes, dieses ohne weitere Anhaltspunkte einzusehen, kann wohl allerdings nicht angenommen werden. Art. 15 EGBGB n.F. regelt zum internationalen Privatrecht, dass das Ehegattenvertretungsrecht gemäß § 1358 BGB n.F. in Angelegenheiten der Gesundheitssorge immer gilt, wenn diese im Inland wahrgenommen werden, unabhängig davon, ob nach anderen Vorschriften ausländisches Recht Anwendung finden würde. Eine Rechtswahl diesbezüglich ist danach nicht möglich. Und nach § 12 Abs. 4 PStG n.F. ist bei der Eheschließung vom Standesamt auf das Ehegattenvertretungsrecht hinzuweisen.
b) Bewertung aus notarieller Sicht und Folgerungen für die Praxis
Die Einführung eines „Notvertretungsrechts“ für Ehegatten ist eine der größten Änderungen der Reform, da damit ein völlig neues Instrument geschaffen wird, und aus notarieller Sicht nicht zu begrüßen.13 Die verbreitete falsche Vorstellung, dass Ehegatten sich gegenseitig vertreten können, wird dadurch bestärkt und die bislang klare Rechtslage aufgeweicht. Dass das Vertretungsrecht nur in Gesundheitsangelegenheiten gilt, nur in bestimmten Situationen greift, nur bestimmte Maßnahmen ermöglicht und außerdem auf sechs Monate beschränkt ist, wird oft erst dann bewusst werden, wenn ein Ehegattenvertretungsrecht nicht (mehr) besteht und das Ziel der Vermeidung einer Betreuerbestellung wird dann nicht erreicht werden. Viele Tatbestandsmerkmale der neuen Norm werden die Praxis und insbesondere auch die behandelnden Ärzte vor große Auslegungsschwierigkeiten stellen, vor allem in Bezug auf die Ausschlussgründe. Auch das durch den Arzt zu erstellende Dokument wird mehr Verwirrung als Aufklärung schaffen, vor allem auch, wenn es mehrere behandelnde Ärzte gibt. Dadurch, dass der Arzt bestimmte Punkte, wie eine Trennung der Ehegatten, oder ob der vertretene Ehegatte eine Vertretung ablehnt, nicht prüfen kann und sich ganz auf die Angaben des vertretenden Ehegatten verlassen muss, kann ein Missbrauch dieses Rechts nicht ausgeschlossen werden. Es ist daher weiter Aufgabe insbesondere der Notare und ihrer Mitarbeiter auf diese Unzulänglichkeiten hinzuweisen und die Errichtung von Vorsorgevollmachten zu empfehlen. Lehnt ein Ehegatte die Vertretung durch einen anderen Ehegatten ab, so kann und sollte dies im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert werden. Hierauf ist vor allem in der Beratung von sich trennenden Mandanten besonderes Augenmerk zu legen. Insbesondere bietet es sich an, in Trennungs- und Scheidungsvereinbarungen zur Klarstellung eine Passage dazu aufzunehmen, dass der Vertretung durch den Ehegatten ausdrücklich widersprochen wird und ggf. eine Registrierung vorzunehmen.
2. Änderungen im Bereich der Vorsorgevollmacht, § 1820 BGB n.F.
Die Vorsorgevollmacht erfreut sich in der Praxis immer größerer Beliebtheit, insbesondere, da die Aussicht auf Anordnung einer Betreuung für viele Menschen eine Horrorvorstellung ist, sei es aus eigenen Erfahrungen oder denen von Bekannten oder aus nicht immer ganz zutreffenden Fernsehberichten. So wie es § 1896 Abs. 2S. 2 BGB bisher schon festlegt, hat sich jedenfalls herumgesprochen, dass die Betreuung einer Vollmacht gegenüber subsidiär ist. Mit § 1820 BGB n. F. wurde nun erstmals eine zentrale Norm zur Vorsorgevollmacht (und Kontrollbetreuung) geschaffen.
a) Die Neuregelung
In § 1820 Abs. 1 BGB n.F. wird lediglich geregelt, dass Vorsorgevollmachten dem Betreuungsgericht zur Kenntnis zu bringen sind, wenn man davon erfährt, dass ein Betreuungsverfahren eingeleitet wird, und man eine solche Vollmacht besitzt sowie dass das Betreuungsgericht eine Abschrift davon verlangen kann. § 1820 Abs. 2 BGB n.F. verlangt, dass bestimmte Maßnahmen in der Vollmacht ausdrücklich erwähnt sein müssen, wenn diese von der Vollmacht umfasst sein sollen und dass die Vollmacht hierfür schriftlich erteilt sein muss. Dies betrifft die Einwilligung oder Nichteinwilligung in ärztliche Maßnahmen nach § 1829 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB n.F., die Unterbringung und weitere freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 Abs. 1 und 4 BGB n.F. sowie ärztliche Zwangsmaßnahmen nach § 1832 Abs. 1 und 4 BGB n.F. und entspricht daher der bislang schon geltenden Rechtslage. Wichtig ist dabei, dass bereits bestehende Vorsorgevollmachten trotz der ab 01.01.2023 „falschen“ Verweisung weiterhin auch diesbezüglich ihre Gültigkeit bewahren und nicht neu errichtet werden müssen.14
Auch die Kontrollbetreuung hat mit § 1820 Abs. 3 BGB n.F. ihren Weg ins Gesetz gefunden. Zwar war diese auch bislang schon in § 1896 Abs. 3 BGB zu finden, jedoch nur als Aufgabenkreis eines Betreuers gegenüber einem Bevollmächtigten, wie dies nunmehr in § 1815 Abs. 3 BGB n.F. angesprochen ist. Es wird ausdrücklich geregelt, dass ein Kontrollbetreuer durch das Betreuungsgericht zu bestellen ist, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seine Rechte gegenüber dem Bevollmächtigten auszuüben (Nr. 1) und wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Bevollmächtigte die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt (Nr. 2).15
Völlig neu ist die Möglichkeit nach § 1820 Abs. 4 BGB n.F. eine Vorsorgevollmacht vorübergehend außer Kraft zu setzen und so einen eventuellen Missbrauch prüfen zu können, ohne die Vollmacht gleich komplett zu widerrufen. So kann das Betreuungsgericht anordnen, dass der Bevollmächtigte die ihm erteilte Vollmacht nicht ausüben darf und die Vollmachtsurkunde an den (Kontroll-)Betreuer herauszugeben hat (S. 1), wenn die dringende Gefahr besteht, dass der Bevollmächtigte nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet (Nr. 1) oder der Bevollmächtigte den Betreuer bei der Wahrnehmung seiner Aufhaben behindert (Nr. 2).16 Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, so hat das Betreuungsgericht die Anordnung wieder aufzuheben und den Betreuer zu verpflichten, die Vollmachtsurkunde dem Bevollmächtigten herauszugeben, wenn die Vollmacht nicht erloschen ist (S. 2). Durch die Möglichkeit der „Suspendierung“ der Vorsorgevollmacht soll dem Betreuungsgericht ein neues Instrument an die Hand gegeben werden, um in Zweifelsfällen bei einem möglichen Missbrauch die Notwendigkeit eines Widerrufs der Vollmacht erst gründlich prüfen und trotzdem in eilbedürftigen Fällen schnell reagieren zu können.17
In § 1820 Abs. 5 BGB n.F. werden nunmehr schließlich die Voraussetzungen für den Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch einen Betreuer niedergelegt, die bisher nicht kodifiziert waren.18 Danach ist ein Widerruf einer Vollmacht, die zu Maßnahmen der Personensorge oder zu Maßnahmen in wesentlichen Bereichen der Vermögenssorge ermächtigt, mit Genehmigung des Betreuungsgerichts dann möglich, wenn eine künftige Verletzung der Person oder des Vermögens des Betreuten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere zu befürchten ist und mildere Maßnahmen zur Abwehr eines Schadens für den Betreuten nicht geeignet erscheinen. Dann ist nicht mehr an der Vollmacht festzuhalten und kann deren Herausgabe an den Betreuer angeordnet werden. Die Erteilung der Genehmigung bleibt nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RpflG n.F. dem Richter vorbehalten. Auch der teilweise Widerruf einer Vorsorgevollmacht ist danach möglich.19
Nach §78a BNotO n.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. h) VRegV n.F. können künftig im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer auch die E-Mail-Adressen von Bevollmächtigten eingetragen werden. Gemäß § 78a BNotO n.F. i.V.m. § 6 Abs. 1 VRegV n.F. ist es nunmehr auch Ärzten möglich, Einsicht in das ZVR zu nehmen und sich damit die Nachfrage beim Betreuungsgericht über das Bestehen einer Vorsorgevollmacht zu sparen.
b) Bewertung aus notarieller Sicht und Folgerungen für die Praxis
Mit § 1820 BGB n.F. ist es dem Gesetzgeber gelungen, dass nunmehr eine zentrale Norm die wesentlichen Fragen zur Vorsorgevollmacht beantwortet, was sehr zu begrüßen ist. Aus notarieller Sicht ist jedoch zum einen bedauernswert, dass eine genauere Definition der Vorsorgevollmacht in § 1820 Abs. 1 BGB n.F. unterblieben ist.20 Die Tauglichkeit einiger Tatbestandsmerkmale, insbesondere bei der Suspendierung nach Abs. 4 und dem Widerruf nach Abs. 5, wird sich in der Praxis zeigen. Außerdem wäre es wünschenswert gewesen, die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht von einer Beurkundung abhängig zu machen, um den Wert der notariellen Beratung, der höheren Beweiskraft und der Prüfung der Geschäftsfähigkeit des Verfügenden durch den Notar deutlich zu machen.21 Eine solche Änderung hätte jedoch dem erklärten Ziel des Gesetzgebers widersprochen, die Verbreitung von Vorsorgevollmachten zu fördern.22 Trotz der umfassenden Neuregelung sind in den notariellen Mustern bis auf Normverweise keine weiteren Änderungen veranlasst. Eine Bezugnahme auf die neuen Vorschriften ist selbstverständlich vorzunehmen.
3. Änderungen im Bereich der Patientenverfügung
Im Bereich der Patientenverfügung gibt es materiell-rechtlich keine Änderungen. Die maßgebliche Vorschrift zur Patientenverfügung erhält lediglich eine neue „Hausnummer“, nämlich § 1827 BGB n.F. (bisher: § 1901a BGB). § 1901b BGB (Gespräche zur Feststellung des Patientenwillens) wird § 1828 BGB n.F. Jedoch wird es in Zukunft nach § 78a BNotO n.F. i.V.m. § 9 VRegV n.F. möglich sein, auch isoliert errichtete Patientenverfügungen im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer zu registrieren. Dies war bislang nur dann möglich, wenn diese im „Paket“ mit einer Vorsorgevollmacht beurkundet wurden.23 In § 78b BNotO n.F. i.V.m. § 6 Abs. 1 VRegV n.F. wird zudem auch ein Einsichtsrecht für Ärzte geschaffen, so dass auch ohne Vorlage der Patientenverfügung oder Mitteilung durch Dritte vom behandelnden Arzt Auskunft darüber erlangt werden kann, ob eine solche besteht.
Diese Neuerungen sind aus Sicht der notariellen Praxis zu begrüßen. Dass isoliert Patientenverfügungen errichtet werden, stellt keine Seltenheit dar und die Registrierung im ZVR wird meist gewünscht. Das Einsichtsrecht der Ärzte hat den großen Vorteil, dass in eiligen Situationen nicht erst das Betreuungsgericht kontaktiert werden muss, um zu erfahren, ob eine Patientenverfügung errichtet worden ist.24 Zu befürchten ist jedoch auch, dass von den behandelnden Ärzten durch dieses Einsichtsrecht von dem Vorhandensein einer Patientenverfügung auf deren „standardmäßigen“ Inhalt geschlossen wird, obwohl dieser ja gerade nicht aus dem ZVR ersichtlich ist und auf eine Vorlage der Patientenverfügung und deren inhaltlicher Kenntnisnahme eher verzichtet werden wird.
4. Änderungen im Vormundschaftsrecht
Mehr Änderungen gibt es im Vormundschaftsrecht. Sind bislang die meisten Normen auf die Vermögenssorge gerichtet, so stehen nun vermehrt die Personensorge und die Rechte des Mündels im Mittelpunkt der reformierten Normen, die die notarielle Praxis aber meist nur am Rand betreffen und deswegen hier nicht vertieft behandelt werden sollen. Die bisherigen §§ 1773-1895 BGB schrumpfen auf §§ 1773-1808 BGB n.F. zusammen, da vieles ins Recht der Betreuung verlagert wird. Das für die erbrechtliche Praxis wichtige Vormundbenennungs- bzw. -ausschlussrecht der Eltern durch letztwillige Verfügung findet sich künftig in § 1782 BGB n.F. Eine wünschenswerte Regelung dazu im Fall der dauernden Verhinderung der Sorgeberechtigten, z. B. bei Geschäftsunfähigkeit im Rahmen einer Vorsorgevollmacht, enthält auch die neue Gesetzeslage leider nicht. Lediglich in § 1778 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. ist geregelt, dass bei der Auswahl eines Vormunds der wirkliche oder mutmaßliche Wille der Eltern zu berücksichtigen ist und aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass dabei auch ein in einer Vorsorgevollmacht erklärten Wille zu berücksichtigen ist.25 Eine Bestellung zum Vormund ist nunmehr nach § 1785 Abs. 2 BGB n.F. erst dann möglich, wenn sich die ausgewählte Person zur Übernahme der Vormundschaft auch bereit erklärt hat.
Erwähnenswert ist auch, dass die Bestellung eines Gegenvormunds nunmehr nicht mehr möglich ist, was in den Mustern zur Vormundbenennung berücksichtigt werden sollte, falls bislang die Bestellung eines Gegenvormunds explizit ausgeschlossen wird.26 Außerdem ist es in Zukunft nur noch bei Ehegatten möglich, zwei Personen gemeinsam zum Vormund zu bestellen, § 1775 BGB n.F.27 Dennoch können einzelne Sorgerechtsangelegenheiten nach § 1776 BGB n.F. mit Zustimmung des (ehrenamtlichen) Vormunds auf einen zusätzlichen Pfleger übertragen werden.