Kai Henning, Dortmund
Recht & Verwaltung01 Februar, 2023
BGH: Deutsche Zuständigkeit auch bei Umzug nach Antragstellung ins europäische Ausland
Leitsatz des Bearbeiters:
Stellt der Schuldner bei einem örtlich unzuständigen Insolvenzgericht einen Eröffnungsantrag und verzieht anschließend vor Verweisung an das zuständige Insolvenzgericht in einen anderen EU-Mitgliedstaat, bleiben die deutschen Gerichte für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig.
BGH, Beschl. v. 07.07.2022 – IX ZB 14/21, Abdruck in Volltext in ZInsO 2022, 2024
Stellt der Schuldner bei einem örtlich unzuständigen Insolvenzgericht einen Eröffnungsantrag und verzieht anschließend vor Verweisung an das zuständige Insolvenzgericht in einen anderen EU-Mitgliedstaat, bleiben die deutschen Gerichte für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig.
BGH, Beschl. v. 07.07.2022 – IX ZB 14/21, Abdruck in Volltext in ZInsO 2022, 2024
Sachverhalt und Entscheidungsgründe in Auszügen
Mit Schriftsatz vom 24.10.2018 hat die weitere Beteiligte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Der Antrag ist am 28.10.2018 beim AG – Insolvenzgericht – Cottbus eingegangen. Mit Beschluss vom 12.06.2019 hat das AG Cottbus die Sache an das AG – Insolvenzgericht – Charlottenburg verwiesen.Die Schuldnerin bezweifelt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags beim AG Cottbus wies das Handelsregister als Sitz der Schuldnerin eine Ortschaft im Bezirk des AGs Cottbus aus. Die Schuldnerin war dort jedoch nie tätig geworden. Im März 2017 hatte sie vielmehr in Berlin ein Gewerbe angemeldet. Mit notariellem Vertrag vom 24.04.2019 übertrug der damalige Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin seine Anteile auf eine in Polen ansässige Person. Zugleich wurde der Sitz der Gesellschaft nach Berlin verlegt und eine weitere in Polen ansässige Person zur Geschäftsführerin bestellt. Diese teilte dem Insolvenzgericht unter dem 25.07.2019 mit, sie führe die Geschäfte der Schuldnerin ausschließlich von Polen aus.
Das AG – Insolvenzgericht – Charlottenburg hat den Eröffnungsantrag mit Beschluss vom 08.07.2019 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin weiterhin die Abweisung des Eröffnungsantrags als unzulässig erreichen.
Die Rechtsbeschwerde ist … statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte richtet sich nach Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (fortan: Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren oder EuInsVO). Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO sind die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dabei kommt es, wie der EuGH zunächst zu der Vorgängervorschrift des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29.05.2000 (fortan: EuInsVO 2000) entschieden hat, auf den Zeitpunkt der Antragstellung an, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt (EuGH, Urt. v. 17.01.2006 – C-1/04, –… Rn. 22 ff.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 09.02.2006 – IX ZB 418/02, …; v. 02.03.2006 – IX ZB 192/04, … Rn. 10). Nach Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts hat der EuGH für Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entsprechend entschieden (EuGH, Urt. v. 24.03.2022 – C-723/20, …). Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist ebenfalls dahingehend auszulegen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens befasst ist, für die Eröffnung eines solchen Verfahrens weiter ausschließlich zuständig bleibt, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nach Antragstellung, aber vor der Entscheidung über diesen Antrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird.
Im Zeitpunkt des Eingangs des Eröffnungsantrags beim AG Cottbus … befand sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin im Inland, nämlich in Berlin. Die Geschäftsanteile wurden erst am 24.04.2019 an eine in Polen ansässige Person veräußert. Die in Polen ansässige Geschäftsführerin ist ebenfalls erst am 24.04.2019 bestellt worden. Erst nach diesem Zeitpunkt können die Geschäfte der Schuldnerin, deren satzungsmäßiger Sitz nach wie vor im Inland lag, von Polen aus geführt worden sein.
Darauf, ob das AG Cottbus örtlich zuständig war, kommt es bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nicht an. Nach deutschem Recht lief seit dem 28.10.2018 ein Insolvenzantragsverfahren gegen die Schuldnerin. Ein Insolvenzantrag wird mit Eingang bei dem zuerst angerufenen Insolvenzgericht (vgl. § 2 Abs. 1 und 2 InsO) anhängig. Das Zulassungsverfahren beginnt (vgl. …). Stellt das zunächst angerufene Gericht seine fehlende örtliche Zuständigkeit fest (vgl. § 3 Abs. 1 InsO), verweist es die Sache auf Antrag an das örtliche zuständige Insolvenzgericht (§ 4 InsO i.V.m. § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO;…). Durch die Verweisung wird kein neues Eröffnungsverfahren begründet. Das bisher bei dem unzuständigen Gericht geführte Verfahren wird bei dem Gericht fortgesetzt, an welches es verwiesen worden ist, und zwar in dem Stadium, in welchem es sich im Zeitpunkt der Verweisung befand (…).
Der europäische Bezug des vorliegenden Verfahrens ändert hieran nichts. Die EuInsVO regelt wie ihre Vorgängerverordnung nur die internationale Zuständigkeit eines angerufenen Gerichts. Dazu, welche Gerichte in den Mitgliedstaaten sachlich und örtlich zuständig sind, sagt sie nichts. Darüber entscheiden die Mitgliedstaaten selbst. Im Erwägungsgrund 26 der EuInsVO heißt es: „Die Zuständigkeitsvorschriften dieser Verordnung legen nur die internationale Zuständigkeit fest, d.h. sie geben den Mitgliedstaat an, dessen Gerichte Insolvenzverfahren eröffnen dürfen. Die innerstaatliche Zuständigkeit des betreffenden Mitgliedstaats sollte nach dem nationalen Recht des betreffenden Staates bestimmt werden.“ Folgerichtig verweist Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO nur auf „die Gerichte“ des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen habe, ohne nähere Bestimmungen zu treffen. Die Legaldefinition des Begriffs „Gericht“ in Art. 2 Nr. 6 lit. ii) EuInsVO enthält ebenfalls keine Einschränkungen hinsichtlich der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach dem jeweiligen nationalen Recht. Der Begriff „Gericht“ ist hier funktional auszulegen; er erfasst neben den Justizorganen alle Stellen eines Mitgliedstaats, die befugt sind, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, die Eröffnung eines solchen Insolvenzverfahrens zu bestätigen oder im Rahmen des Verfahrens Entscheidungen zu treffen (…). …
Anmerkung
Die einschlägigen Normen wie auch § 335 InsO stellen bei der internationalen Zuständigkeit nach ihrem Wortlaut auf die Eröffnung des Verfahrens ab. Hieraus könnte geschlossen werden, dass noch nach Insolvenzantragstellung in dem einen Staat eine Wohn- oder Geschäftssitzverlegung in einen anderen Staat erfolgen könnte, um so die Eröffnung des Verfahrens in dem anderen Staat zu erreichen. Beispiel: Ein Gläubiger beantragt zu dem Vermögen einer in Wuppertal lebenden Schuldnerin die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vor dem deutschen Insolvenzgericht. Die Schuldnerin verlegt sofort nach Zustellung des Insolvenzantrags ihren Wohnsitz nach Spanien, da sie das dortige Insolvenzverfahren für schuldnerfreundlicher hält. Diese Verlegung des Wohnsitzes nach Spanien lässt aber die Zuständigkeit des zuerst angerufenen deutschen Insolvenzgerichts nicht entfallen wie der BGH in der vorliegenden Entscheidung bestätigt.
Der Grundsatz des lex fori concursus gilt im Übrigen auch für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens und insbesondere auch bei der Bestimmung der Pfändbarkeit des Einkommens des Schuldners. Beispiel: Über das Vermögen des Schuldners wird in Deutschland ein Insolvenzverfahren durchgeführt. Er bezieht eine deutsche Rente und eine ausländische Rente, die nach dem Recht des ausländischen Staates unpfändbar, nach deutschen Recht aber pfändbar ist. Im deutschen Insolvenzverfahren ist die Pfändbarkeit des Einkommens allein nach deutschem Recht zu bestimmen. Die ausländische Rente ist daher pfändbar. Von der Frage der Pfändbarkeit eines Vermögensgegenstandes ist die Frage des Eigentums des Schuldners an bestimmten Vermögensgegenständen zu unterscheiden. Der Insolvenzbeschlag eines deutschen Insolvenzverfahrens erfasst auch das ausländische Immobilieneigentum des Schuldners. Allerdings richtet es sich nach dem Recht des Staates, in dem das Grundstück belegen ist, ob der Schuldner überhaupt Eigentümer ist (vgl. BGH, Beschl. v. 20.07.2017 – IX ZB 69/16, InsbürO 2017, 475 = ZInsO 2017, 1858).
Anmerkung:
Dieser Artikel ist ursprünglich in der InsbürO – Zeitschrift für die Insolvenzpraxis, Ausgabe 11, Seiten 438 bis 440 erschienen.
Anmerkung:
Dieser Artikel ist ursprünglich in der InsbürO – Zeitschrift für die Insolvenzpraxis, Ausgabe 11, Seiten 438 bis 440 erschienen. Die Zeitschrift InsbürO – Zeitschrift für die Insolvenzpraxis befasst sich praxisorientiert mit Themen aus den Bereichen Unternehmens- und Verbraucherinsolvenz, Organisation, Tabellenführung, Vergütung, Rechnungswesen, Rechnungslegung, Verwertung und Personalwesen.
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