Insolvenz
Recht & Verwaltung08 August, 2024

BGH: Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters für pflichtwidrige Zahlungen

Redaktion Wolters Kluwer Online

  1. Wenn das Insolvenzgericht gegenüber einem mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten vorläufigen Verwalter anordnet, er solle ein Unternehmen in Abstimmung mit dem Schuldner fortführen, so folgt daraus ohne ergänzende gerichtliche Anordnung keine Befugnis des Verwalters, Verfügungen anstelle des Schuldners mit Wirkung für und gegen die spätere Insolvenzmasse vorzunehmen.

  2. Entsprechende Zahlungen können eine Pflichtverletzung des vorläufigen Verwalters darstellen und zu dessen Haftung führen.

Sachverhalt: Klage eines Verwalters gegen den vorläufigen Verwalter wegen Zahlungen

Der Kläger ist seit Januar 2019 Verwalter in dem auf Eigenantrag im November 2018 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (Schuldnerin).
Der Beklagte war im Eröffnungsverfahren am im September 2018 zum vorläufigen Verwalter bestellt worden. Es war ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt angeordnet.
Der Beschluss über die Bestellung des Beklagten sah unter anderem weiter vor, dass der Beklagte ein Unternehmen, das die Schuldnerin betrieb, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Abstimmung mit der Schuldnerin fortführen solle.
Die Schuldnerin war als Speditionsunternehmen im Bereich Transport und Logistik von Waren aller Art tätig.

Zahlungen von Treuhandkonto

Im September 2018 leistete der Beklagte von einem auf seinen Namen geführten Treuhandkonto Zahlungen an die R. auf eine Rechnung vom September 2018 in Höhe von 94.345,19 Euro und auf eine Rechnung vom September 2018 in Höhe von 42.907,63 Euro jeweils für weiterbelastete Fahrzeugbetriebskosten (Kraftstoffe und Mautgebühren) sowie weitere Zahlungen an verschiedene Hauptzollämter auf Kraftfahrzeugsteuern, deren Höhe der Kläger anteilig für den Zeitraum ab dem Insolvenzantrag auf 2.884,81 Euro beziffert.

Der Kläger nimmt den Beklagten persönlich wegen der am im September 2018 geleisteten Zahlungen auf Schadensersatz in Höhe von 140.137,63 Euro nebst Zinsen in Anspruch. Er hält die Begleichung einfacher Insolvenzforderungen durch den Beklagten für pflichtwidrig.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Begründung: Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters

Mit dem vorliegenden Urteil vom 21.03.2024 - IX ZR 12/11 - hat der BGH zur Zulässigkeit einer Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter im Eröffnungsverfahren Stellung genommen.
Nach Auffassung des BGH kommt hier eine Pflichtverletzung des beklagten vorläufigen Verwalters in Betracht.
Für einen vorläufigen Insolvenzverwalter ordnet § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO insbesondere die entsprechende Geltung der Haftungsvorschriften der §§ 60 ff. InsO an.
Daher ist der vorläufige Insolvenzverwalter einem Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er, diesem gegenüber wahrzunehmende insolvenzrechtliche Pflichten schuldhaft verletzt. Der hier erhobene Anspruch auf Ersatz eines Gesamtschadens gehört zur Insolvenzmasse und ist gemäß § 92 S. 2 InsO von dem Kläger als neu bestelltem Insolvenzverwalter geltend zu machen.

Keine Befugnis, Verfügungen anstelle des Schuldners vorzunehmen

Wenn das Insolvenzgericht gegenüber einem mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten vorläufigen Verwalter anordnet, er solle ein Unternehmen in Abstimmung mit dem Schuldner fortführen, folgt daraus ohne ergänzende gerichtliche Anordnung keine Befugnis des Verwalters, Verfügungen anstelle des Schuldners mit Wirkung für und gegen die spätere Insolvenzmasse vorzunehmen.
Der vorläufige Verwalter tritt nicht an die Stelle des Schuldners, sondern an seine Seite und hat kein Initiativrecht.
Der beklagte vorläufige Verwalter hatte deshalb hier keine unternehmerischen Entscheidungen zu treffen.
Eine Betriebsfortführung kommt nur in Betracht, wenn der Schuldner seinen Geschäftsbetrieb bei Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung noch nicht eingestellt hatte.
Im konkreten Fall sind nach Auffassung des BGH jedoch keine Feststellungen getroffen worden, die die Annahme eines noch laufenden Geschäftsbetriebs rechtfertigen. Vielmehr lag bei objektiver Betrachtung für den Beklagten die Einstellung oder das Nichtvorhandensein eines (eigenständigen) Geschäftsbetriebs der Schuldnerin nahe.

Nur Maßnahmen pflichtgemäß, die keinen Aufschub duldeten

Deshalb war im Zeitpunkt der Zahlungen jedenfalls noch unklar, ob es noch einen laufenden Geschäftsbetrieb gab. Aus diesem Grund waren - eine entsprechende Verfügungsbefugnis unterstellt - nur solche Maßnahmen des Beklagten pflichtgemäß, deren Umsetzung unter Berücksichtigung der Ziele eines Insolvenzverfahrens keinen Aufschub duldete.
Wenn der vorläufige Verwalter bei noch unklarer Lage solche Maßnahmen ergreift, die unter Berücksichtigung der Verfahrensziele Aufschub geduldet hätten, verletzt er hingegen seine Pflichten.
Die Wahrung von Geschäftschancen kann unaufschiebbar sein, wenn diese sich später nicht mehr bieten würden und die damit verbundenen Risiken gering sind. Aus Sicht des BGH lässt sich hier jedoch nicht feststellen, dass die Zahlungen an die R. und die Hauptzollämter diese Voraussetzungen erfüllten.

Praktische Bedeutung des Urteils vom 21.03.2024 – IX ZR 12/22

Der BGH verdeutlicht in diesem Urteil die Voraussetzungen einer Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter im Eröffnungsverfahren und einer möglichen Haftung des vorläufigen Verwalters.
Nach Auffassung des BGH obliegt einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt nur die Sicherung des vorhandenen Vermögens und, wenn in einem solchen Fall der Schuldner seinen Betrieb im Eröffnungsverfahren fortführt, die Kontrolle der Geschäftsführung des Schuldners (BGH, Urteil vom 24.01.2019 - IX ZR 110/17).
Sind die beratende Einflussnahme auf den Schuldner und der Versuch, die erforderlichen Maßnahmen auf kooperativem Wege gemeinsam umzusetzen, gescheitert, darf der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht anstelle des Schuldners tätig werden, betont der BGH.

Vielmehr sollte der vorläufige Verwalter zusätzliche Ermächtigungen beim Insolvenzgericht bis hin zur Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf ihn anregen, auf eine entsprechende Beschlussfassung des Gerichts hinwirken und die Entscheidung abwarten.

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