Autor:in: Prof. Dr. Harald Christa, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Dresden
Es dürfte im sozialen Sektor kaum ein anderes Managementinstrument geben, welches so kontrovers diskutiert und gleichzeitig von Mythen und Missverständnissen umrankt wird, wie die Balanced Scorecard. Wir möchten in unserem Beitrag diesen Controllingansatz daher zunächst vom Grunde her erläutern und dann Möglichkeiten der Anwendung der Balanced Scorecard als Element des strategischen Kita-Managements aufzeigen.
Das Modell der Balanced Scorecard sieht mit »Finanzen«, »Kunden«, »Organisation und Prozesse« sowie »Lernen und Entwickeln« vier Schwerpunkte vor, die die wesentlichen strategischen Elemente der Unternehmensentwicklung erfassen können.
Diese vier »Karten« der Balanced Scorecard werden »Perspektiven« genannt:
- Die finanzielle Perspektive dient zur Orientierung der anderen Schwerpunkte, sie ist im erwerbswirtschaftlichen Unternehmen notwendigerweise leitend für alle anderen Perspektiven. In diesem Bereich sollen in gewinnorientierten Organisationen beispielsweise die Steigerung der Ertragskraft oder das »Shareholder Value« (Wert für die Anteilseigner) berücksichtigt werden. Messgrößen können dabei Kennzahlen wie Umsatzwachstum, Cash Flow, Kostensenkung oder Kapitalbindung sein.
- Die kundenbezogene Perspektive zeigt auf, durch welche Leistungen des Unternehmens ein Kundennutzen geschaffen werden sollte. Mögliche Ziele in diesem Bereich können sein: Marktanteile erhöhen, Produktinnovationen entwickeln, Kundenzufriedenheit verbessern etc. Zur Darstellung dieses Bereiches werden im erwerbswirtschaftlichen Sektor Kennzahlen wie Marktanteil, Wiederkaufsraten, Abwanderungsraten etc. verwendet.
- Die interne Organisations- und Prozessperspektive bildet die wichtigsten Merkmale der Strukturen und der Geschäftsprozesse des Unternehmens ab. Mögliche Ziele sind hierbei: Durchlaufzeiten optimieren, ineffiziente Prozesse eliminieren bzw. verändern, Umweltschutz verbessern. Zur Abbildung dieses Bereichs werden in Industrie und Handel beispielsweise Messgrößen verwendet, die sich Fehlerraten, fehlgeleitete Vorgänge, Kapazitätsauslastung oder Schadstoffvermeidung beziehen.
- Die Perspektive des Lernens und Entwickelns konzentriert sich auf die Infrastruktur und die entsprechenden Maßnahmen, die ein Unternehmen aufbauen muss, um langfristig eine Verbesserung der Wettbewerbsposition und Wachstum zu ermöglichen. Hier können die Ziele die Bereiche Leistungsfähigkeit des Informationssystems, Anwendungszufriedenheit der Mitarbeitenden sowie deren Motivation und Qualifikation betreffen. Kennzahlen wie Fluktuationsrate, Fehlstundenrate, zukünftiges und gegenwärtiges Ausbildungsniveau kommen zum Einsatz.
Für die Wortkomponente »Balanced« gibt es eine zweifache Erklärung: Nach Maßgabe dieses Modells sind diese vier Perspektiven nicht nur gleichbedeutend zu behandeln, sie richten sich zudem möglichst ausgewogen ebenso nach außen in Richtung Kunden, Lieferanten, Anteilseigner und Interessensgruppen wie nach innen mit Bezug auf Mitarbeitende, Prozesse und Strukturen sowie Lernen und Entwicklung.
Zu Beginn der Arbeit mit bzw. an der Balanced Scorecard sind die für die Kita geeigneten Perspektiven auszuwählen. Dabei kann auf die klassischen vier Dimensionen zurückgegriffen werden, eine Prüfung, inwieweit diese ergänzt oder gar ersetzt werden sollen, kann natürlich vorgenommen werden. Wir gehen im Folgenden von einer Beibehaltung der ursprünglichen vier »Karten« aus.
Dies führt direkt zu der Bedeutung der in der BSC enthaltenen »Perspektiven« für Kindertagesstätten:
- Finanzierung: Einrichtungen der Elementar- und Hortpädagogik sind in ihrer großen Mehrzahl einzelleistungsfinanziert. Der Ertrag der Kita steht und fällt mit der Anzahl der angemeldeten Kinder bzw. der Anzahl an vereinbarten Stunden. Die Strategie der Kita muss diesem Umstand Rechnung tragen. Die Perspektiven müssen sich auf Fragen der Auslastung und der damit korrespondierenden Einnahmen ebenso wie auf Kostengesichtspunkte erstrecken. Die Sicherung der Liquidität und des strukturellen finanziellen Gleichgewichts, aber ggfls. auch der finanziellen Unabhängigkeit dienen dem Bestands- und Substanzerhalt einer Kita und werden die Basis mittel- bis längerfristiger Zielstellungen sein müssen.
- Kunden: Die Realisierung der unter der finanziellen Perspektive genannten Ziele setzt die möglichst hohe Inanspruchnahme der Einrichtung voraus. Dies wiederum benötigt zufriedene »Kunden«. Eine hinreichend bzw. plangemäße Auslastung hängt zweifellos von einer Reihe nicht beherrschbarer »externer Effekte« ab. Veränderungen in der privaten Situation von Eltern, Umzüge in einen anderen Stadtteil, neue familiale Konstellationen oder Änderungen in des Erwerbsverhaltens können in Einzelfällen dazu führen, dass Eltern ihre Kinder abmelden oder die Stundenzahl verringern. Andererseits wird die Inanspruchnahme und damit die Auslastung einer Kita nicht unwesentlich davon bestimmt, welche Attraktivität sie bei ihren Zielgruppen genießt. Eine Kita hat damit auch eine explizite »Kundenperspektive«, mittel- bis längerfristige Zielstellungen betreffen die Kinder- und die Elternzufriedenheit ebenso wie die Akzeptanz im Umfeld, das Image der Einrichtung etc.
- Organisation und Prozesse: Die Zufriedenheit der »Kunden« wird durch eine hohe Leistungs- und Servicequalität der Kita erreicht, in Einzelfällen auch durch ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Kita wird sich folglich mit dem Problem zu befassen haben, wie die Organisation und die Prozesse aufgestellt sein sollen, um die Kundenanforderungen mit einem finanzierbaren Quantum an Ressourceneinsatz zu erfüllen. Entsprechende Anliegen der Kita betreffen die funktionale Organisationsstruktur ebenso wie bedarfsgerechte, zielerfüllende und effiziente Abläufe.
- Lernen und Entwickeln: Die vierte Perspektive schafft einerseits die Voraussetzungen zur Verwirklichung der ersten drei skizzierten Perspektiven durch eine Generierung und Förderung der erforderlichen Lern- und Entwicklungsspielräume. Die Anliegen der Kita werden sich beziehen müssen auf Faktoren wie die konzeptionelle Ausrichtung, die fachliche Entwicklung, die Umfeldeinbindung, die Ausstattung, aber auch die Qualifikation und die Motivation der Mitarbeitenden.
Mögliche »Themen«, die den Einstieg in eine Strategieentwicklung und die anschließende Erstellung einer BSC dominieren können, reichen von finanzieller Sicherung und Elternzufriedenheit bis hin zu Sicherheit und Zuverlässigkeit, fachlicher Qualitätsentwicklung, »Win-Win-Beziehungen« im Umfeld oder Gewinnung und Bindung von pädagogischen Fachkräften.
Je nach Mission, Grundsätzen, Vision, Umfeld und Strategie einer Kita können sehr unterschiedliche Ziele im Rahmen der oben genannten vier Perspektiven ausgewählt und genauer präzisiert werden.
Aus einer großen Bandbreite an potenziellen Zielstellungen möchten wir untenstehend einige wenige beispielhaft herausgreifen.
- Finanzperspektive: Ertragssteigerung, Kostensenkung, Refinanzierung von Investitionen.
- Kundenperspektive: Zufriedenheit der Kinder und der Eltern, Kundentreue im Sinne von Beibehaltung der Anmeldung oder Ausweitung der Stundenzahl, Weiterempfehlungen durch Eltern, Verbesserung pädagogischer Wirkungen.
- Interne Perspektive: Abbau von Hierarchieebenen, Beschleunigung von Geschäftsprozessen, Beseitigung von Störungen in wichtigen Abläufen, Qualifizierung pädagogischer Prozesse, Intensivierung der Qualitätsentwicklung.
- Lernen und Entwickeln: Anpassung der Qualifikation des pädagogischen Personals an neue Bedarfe, Verbesserung der Zufriedenheit der Mitarbeitenden, Verbesserung des Betriebsklimas, Verringerung der Fluktuation, Verbesserung der Informationsstrukturen.
Die BSC ist ein explizit an Kennzahlen orientiertes Instrument der Steuerung. »Unter Kennzahl wird jede Art von quantitativer Information verstanden, die über unternehmensinterne oder unternehmensexterne Sachverhalte Auskunft gibt« (Burkert 2008, S. 9). In der Literatur wird häufiger auch der Begriff »Indikator« verwendet.
Kennzahlen sind praktisch unerlässlich, um die Ziele objektiv zu erfassen bzw. ihre Erreichung bestimmen (messen) zu können. Als Vorgabe der Balanced Scorecard soll noch angefügt werden, dass auch angegeben werden muss, in welchen Abständen und auf welche Weise die jeweilige Kennzahl zu ermitteln ist.
Um ein strategisches Programm zu operationalisieren, sind noch die Zielvorgaben als Soll-Werte festzulegen.
Beispiel
Das strategische Ziel »Erhöhung der Mitarbeitendenzufriedenheit in der Kita« enthält u.a. die Kennzahl »Fluktuationsrate«, diese wird gemessen als Zahl der freiwillig-dauerhaften Abgänge im Verhältnis zur Zahl der Mitarbeitenden (pro Jahr). Die Zielstellung (als mit den Maßnahmen zur Erhöhung der Mitarbeitendenzufriedenheit anzustrebender Soll-Wert) kann nun lauten: Verringerung auf 5 Prozent.
Damit können strategische Programme einer genaueren Prüfung unterzogen werden. So kann bspw. die Frage beantwortet werden, ob tatsächlich mit den Maßnahmen zur Erhöhung der Mitarbeitendenzufriedenheit in der Kita ein Absenken der Abwanderungsquote von Personal erreicht werden kann. Kausale Verhältnisse der Steuerung von Kita-Entwicklung geraten damit in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Beziehungen sind zunächst einmal als »Thesen« bzw. als Fragen zu behandeln, welche jedoch ohne genaue Prüfung über objektive Daten niemals einer genaueren Beantwortung zugeführt werden können.
Die Balanced Scorecard ist nicht nur als ein Kennzahlensystem zu verstehen. Sie soll vielmehr als »Managementsystem« ein Bindeglied zwischen der Entwicklung einer Strategie und ihrer Umsetzung sein. Die BSC kann damit auch als Ausgangspunkt der Aktions- und Innovationsplanung gesehen werden. Jede Perspektive bzw. »Karte« enthält daher in Form in einer Tabelle spezifische Angaben zu Zielen, Kennzahlen, Vorgaben sowie diesbezügliche Maßnahmen. Die konkrete Ausgestaltung bzw. Ausformulierung der BSC obliegt dem Sozialunternehmen selbst. In diesem letzten Abschnitt der Arbeit an der Konstitution einer Kita-BSC wird also deren strategisches Management mit der operativen Ebene verbunden, indem konkrete Maßnahmen vereinbart werden. Auch diese stehen wieder unter dem Primat, möglichst objektiv im Hinblick auf ihre Wirkung bestimmbar zu sein.
Die BSC kann auch in der Kita als Basis für ein Management by Objectives (zielorientiertes Führen) herangezogen werden. Oftmals leiden entsprechende Gespräche zwischen Leitung und Mitarbeitenden unter dem Umstand, dass die herangezogenen Ziele diffus bleiben, weil sie nicht an solchen der Einrichtung anknüpfen und nicht messbar gemacht bzw. operationalisiert werden. »Selbstverständlich dürfen quantitativ nicht fassbare Parameter nicht künstlich in fiktive Zahlen übersetzt werden. Wenn es aber gelingt, nur einen kleinen Teil der Zielvereinbarungen quantitativ und qualitativ in Kennziffern fassbar zu machen, ist durchaus ein Nutzen auf der Organisationsebene nachweisbar« (Bergmann 2010, S. 87).
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