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Recht & Verwaltung11 Juni, 2024

OLG Karlsruhe: Angemessene Abfindung bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out

Redaktion Wolters Kluwer Online

Der Börsenwert der Aktie ist Untergrenze der angemessenen Barabfindung für ausgeschlossene Minderheitsaktionäre bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out.

Dieser Börsenwert ist nach dem Durchschnittskurs innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der beabsichtigten Strukturmaßnahme zu bestimmen.

Der Referenzzeitraum ist nicht vorzuverlegen im Hinblick auf die Bekanntmachung von zeitlich früheren Maßnahmen, die den späteren Squeeze-Out vorbereitet haben.

Sachverhalt: Klage von ausgeschlossenen Minderheitsaktionären auf höhere Abfindung bei einem Squeeze-Out

Die Beteiligten streiten um die angemessene Barabfindung nach der Übertragung von Anteilen auf die Hauptaktionärin.

Die Antragsteller waren Aktionäre der M. Holding AG. Die M. Holding AG (MAG) war die börsennotierte Muttergesellschaft der M. -Gruppe, eines Versicherungskonzerns.

Die Antragsgegnerin ist die vormalige d. i. versicherung aktiengesellschaft (div). Nach der Einschmelzung der MAG firmiert die Antragsgegnerin zunächst als M. Holding Aktiengesellschaft, Dortmund (MAG neu).

Die Antragsgegnerin ist über die Con. Holding Aktiengesellschaft, Dortmund (Con.) eine mittelbare Tochtergesellschaft der Con. Krankenversicherung a.G. Im Jahr 2015 wurde sie mit der Con. Holding Aktiengesellschaft verschmolzen und führt seither diese Firma.

Die österreichische Versicherungsgruppe U. war seit dem Jahr 2004 Mehrheitsaktionärin der MAG und baute ihre Beteiligung kontinuierlich aus. Im Jahr 2011 hielt die U. 57.883.230 Aktien an der MAG (91,68 %).

Im November 2011 teilte die U. per Ad-Hoc-Mitteilung den beabsichtigten Verkauf der Beteiligung an der MAG an die Con.-Gruppe mit. Mit Kaufvertrag vom April 2012 erwarb die Antragsgegnerin von der U. deren Anteile an der MAG.

Mit ad-hoc-Mitteilung vom 17.07.2012 wurde die Absicht der Konzernverschmelzung der MAG mit der div und eines Ausschlusses der Minderheitsaktionäre der MAG im Zusammenhang mit der Verschmelzung (umwandlungsrechtlicher Squeeze-Out) bekannt gegeben.

Die Antragsgegnerin hat die angemessene Barabfindung auf der Grundlage einer Unternehmensbewertung der MAG unter sachverständiger Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K. auf 3,73 Euro/Aktie festgelegt.

Im Oktober 2012 schlossen die Antragsgegnerin und die MAG den Verschmelzungsvertrag unter der aufschiebenden Bedingung, dass im Zusammenhang mit der Verschmelzung ein Ausschluss der Minderheitsaktionäre erfolgen soll.

Die außerordentliche Hauptversammlung der MAG beschloss am 18.12.2012 im Rahmen der Verschmelzung die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der MAG auf die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin gegen Gewährung einer Barabfindung von 3,73 Euro/Aktie.

Die Verschmelzung der MAG (alt) mit der Antragsgegnerin wurde im März 2013 im Handelsregister beim AG eingetragen. Der Übertragungsbeschluss und die Verschmelzung wurden im Bundesanzeiger bekannt gemacht.

Ausgeschlossene Minderheitsaktionäre der MAG haben beim LG Anträge auf gerichtliche Bestimmung der angemessenen Barabfindung gestellt. Im Spruchverfahren haben die Antragsteller erstinstanzlich geltend gemacht, die von der Antragsgegnerin gewährte Barabfindung sei zu niedrig bemessen.

Das LG hat die Anträge zurückgewiesen. Die angemessene Barabfindung sei nach dem Börsenwert zum Stichtag 17.07.2012 zu bestimmen und betrage – wie von der Antragsgegnerin festgesetzt  – 3,73 Euro je Aktie. Hiergegen richten sich die sofortigen Beschwerden der Antragsteller.

Begründung: Kein Anspruch auf höhere Abfindung

Mit dieser Entscheidung vom 16.04.2024 - 12 W 27/23 - hat das OLG Karlsruhe zur Bestimmung der angemessenen Abfindung für ausgeschlossene Minderheitsaktionäre bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out Stellung genommen.

Das OLG hat entschieden, dass die auf 3,73 Euro festgesetzte Abfindung nicht zu erhöhen ist.

Bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out wie im vorliegenden Fall hat der Hauptaktionär gemäß § 327a Abs. 1, § 327b AktG den ausgeschlossenen Minderheitsaktionären eine angemessene Abfindung zu gewähren.

Angemessenheit der Abfindungshöhe

Angemessen ist eine Abfindung nach Worten des OLG, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung im Wert seiner Unternehmensbeteiligung verschafft, – hier entspricht der Wert der Aktie der MAG.

Daher ist der Grenzwert zu ermitteln, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann.

Die volle Entschädigung darf nicht unter dem Verkehrswert liegen, der bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden darf. Die Minderheitsaktionäre dürfen nicht weniger erhalten als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Squeeze-out erlangt hätten.

Im konkreten Fall ist das LG zu Recht von einem Börsenwert in Höhe von 3,73 Euro je Aktie als Untergrenze der Barabfindung ausgegangen. Dieser Betrag ist nicht zu niedrig angesetzt.

Die angemessene Abfindung ist nach Überzeugung des OLG nach dem Börsenwert der Aktie zu bestimmen, wenn dieser über dem nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Schätzwert liegt und keine Marktenge bestand.

Der Börsenwert ist aufgrund eines nach Umsatz gewichteten inländischen Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Maßnahme zu ermitteln. Der Börsenwert kann nur unterschritten werden, wenn er ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt.

Ermittlung des Referenzzeitraums

Das OLG erläutert, dass der maßgebliche Referenzzeitraum für die Ermittlung des Börsenwerts an dem erstmaligen Bekanntwerden von belastbaren Informationen über die beabsichtigte Strukturmaßnahme auszurichten ist. Ein Referenzzeitraum von mehr als drei Monaten, insbesondere von mehr als sechs Monaten, kommt dabei grundsätzlich nicht in Betracht.

Aus Sicht des OLG ist der Börsenwert hier anhand des nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses der MAG-Aktie im Zeitraum vom 17.04.2012 bis zum 16.07.2012 zu ermitteln, also anhand des Drei-Monats-Zeitraums vor dem 17.07.2012.

Die Absicht der Verschmelzung und des Squeeze-out wurde erstmals mit Ad-hoc Mitteilung der div vom 17.07.2012 bekannt gegeben. Erst ab diesem Zeitpunkt war die Umsetzung des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre hinreichend wahrscheinlich.

Der Referenzzeitraum muss nicht auf die Bekanntmachung von zeitlich früheren Maßnahmen vorverlegt werden - hier Anteilserwerb durch die Hauptaktionärin –, die den späteren Squeeze-Out vorbereitet haben.

Einer Vorverlegung des Referenzzeitraums auf die Veröffentlichung von Maßnahmen, die einen Squeeze-out in der Rückschau vorbereitet haben, steht nach Auffassung des OLG entgegen, dass die Barabfindung gemäß § 327b Abs. 1 S. 1 AktG die Verhältnisse der Gesellschaft »im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung« berücksichtigen muss.

Im konkreten Fall ist der Börsenkurs im Referenzzeitraum grundsätzlich geeignet, den Verkehrswert der MAG-Aktie widerzuspiegeln.

Der nach Umsatz gewichtete durchschnittliche Börsenkurs im Referenzzeitraum
beträgt 3,73 Euro.

Nach Auffassung des OLG hat auch keine Hochrechnung des Börsenkurses auf den maßgeblichen Stichtag zu erfolgen, da zwischen der Bekanntgabe des Squeeze-out am 17.07.2012 und der Hauptversammlung am 18.12.2012 nur fünf Monate lagen. Dabei handelt es sich nicht um einen längeren Zeitraum im Sinne der »Stollwerck«-Entscheidung des BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 19.07.2010 - II ZB 18/09).

Normal oder üblich ist angesichts des Aufwands für Bewertungsgutachten, Prüfung der Angemessenheit und Vorbereitung der Hauptversammlung nach allgemeiner Auffassung jedenfalls ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Im konkreten Fall besteht mangels eines längeren Zeitraums zwischen Bekanntgabe und Beschlussfassung keine Missbrauchsgefahr.

Aus Sicht des OLG scheidet darüber hinaus eine Verzinsung des Börsenwerts bis zum Bewertungsstichtag aus. § 327b Abs. 2 AktG schreibt eine Verzinsungspflicht erst ab der Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister vor.

Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beschwerden keinen Erfolg haben.

Praktische Bedeutung des Beschlusses vom 16.04.2024 – 12 W 27/23

Das OLG Karlsruhe verdeutlicht in dieser Entscheidung die Anforderungen an eine Bestimmung der angemessenen Abfindung für die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre bei einem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out.

Nach Auffassung des OLG Karlsruhe bestehen hierbei keine Bedenken, den von der BaFin mitgeteilten, nach Umsatz gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs im Referenzzeitraum, als Untergrenze der Barabfindung zugrunde zu legen.

Der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs nach § 5 Abs. 3 WpÜG-AngebotsVO ist nach dem Gesamtumsatz im Berechnungszeitraum dividiert durch die Gesamtzahl der umgesetzten Aktien zu berechnen.  


Bildnachweis: ktasimar/stock.adobe.com
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