Verfahrensbeendigung, Mängel, BGH
Recht & Verwaltung15 Dezember, 2023

Stolperfalle beseitigt

Der BGH hat die zuvor bestehende Rechtsprechung von der nach Mängeln der getrennten Verfahrensbeendigung aufgegeben (Urteil v. 22.06.2023 - VII ZR 881/21). Was genau besagt die neue Regelung und besteht noch Optimierungspotenzial?

VRiKG Björn Retzlaff

Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist – anders als vom Gesetzgeber gewollt – in der Praxis leider oft ein zähes Unterfangen. Doch damit nicht genug. Verfolgt ein Antragsteller in einem Beweisverfahren mehrere unterschiedliche Baumängel, entpuppte sich dies in der Vergangenheit nicht selten obendrein als Verjährungsfalle, und zwar in der folgenden – regelmäßig auftretenden – Konstellation:

Nachdem der Gerichtssachverständige sein Gutachten vorgelegt hat, haben die Parteien noch Rückfragen, aber nicht zu allen untersuchten Mängeln, sondern nur zu einigen davon. Das Gericht holt nun ein schriftliches Ergänzungsgutachten des Sachverständigen ein, an das sich möglicherweise weitere Rückfragen und ein weiteres Ergänzungsgutachten anschließen. Dies alles nimmt noch einige Zeit in Anspruch, betrifft aber eben nur einige Mängel; mit den übrigen beschäftigen sich die Beteiligten für das restliche Verfahren nicht mehr.

BGH-Urteil von 1992

Für diesen Fall hatte der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1992 (Urteil vom 03.12.1992, VII ZR 86/92) angenommen, dass hinsichtlich der Mängel ohne weiteren Ermittlungsbedarf die Beweisaufnahme sachlich erledigt und das Beweisverfahren damit insoweit i.S.v. § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB „anderweitig beendet“ sei. Somit lief nach sechs Monaten die Verjährung eines Anspruchs weiter, der auf einen nicht mehr im Fokus liegenden Mangel gestützt war, während das Verfahren als solches aber noch nicht abgeschlossen war.

Die Vermutung liegt nahe und die Rechtsprechung der vergangenen Jahre belegt, dass diese Möglichkeit der schrittweisen Beendigung eines Beweisverfahrens häufig übersehen wurde. Dann schnappte die Verjährungsfalle also zu, und dies obendrein bei Mängeln, die der Sachverständige im Beweisverfahren so unzweifelhaft feststellen konnte, dass gerade kein weiterer Nachfragebedarf bestand. Ein unerfreuliches Resultat.

Natürlich lässt sich immer sagen, dass der Antragsteller eines Beweisverfahrens bzw. sein Rechtsanwalt die Rechtsprechung kennen muss, aber muss diese deshalb ohne Not Schwierigkeiten für die Rechtsdurchsetzung konstruieren? Denn dass einzelne verfahrensgegenständliche Mängel nicht mehr an der Hemmungswirkung eines noch laufenden Beweisverfahrens teilhaben, ist alles andere als eine zwingende Schlussfolgerung.

BGH-Urteil beseitigt diese Stolperfalle

Umso erfreulicher ist es, dass der Bundesgerichtshof diese Stolperfalle nun beseitigt und seine Rechtsprechung von der nach Mängeln getrennten Verfahrensbeendigung aufgegeben hat (Urteil vom 22.06.2023, VII ZR 881/21). Zuvor hatte sich ihr bereits das OLG Stuttgart mit überzeugender Argumentation in der Berufungsinstanz verweigert (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.11.2021, 10 U 58/21).

Fortan gilt also, dass die Verjährung sämtlicher Mängelansprüche, die Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sind, solange gehemmt ist, wie die Beweisaufnahme jedenfalls wegen eines Mangels noch läuft. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ein (Ergänzungs-)Gutachten noch aussteht, eine vom Gericht gesetzte Frist zur Stellungnahme noch läuft oder ein anberaumter bzw. beantragter Anhörungstermin noch aussteht.

Rechtssicherheit geschaffen

Diese Wende in der Rechtsprechung schafft Rechtssicherheit für die Parteien eines selbständigen Beweisverfahrens, das sich hinzieht, weil das Gericht den Sachverständigen mit Ergänzungsgutachten beauftragt. Noch besser wäre es allerdings, würden die Gerichte in selbständigen Beweisverfahren von schriftlichen Ergänzungsgutachten weitgehend Abstand nehmen. Diese Praxis ist die Hauptursache dafür, dass die eigentlich als Schnellläufer gedachten Verfahren zeitlich so oft aus dem Ruder geraten.

Wenn eine Partei nach dem ersten Gutachten noch Klärungsbedarf sieht, sollte das Gericht immer postwendend einen zeitnahen Anhörungstermin anberaumen, in dem der Sachverständige von den Beteiligten mündlich befragt werden kann. Es ist auch nichts gegen eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen zur Vorbereitung dieses Termins einzuwenden. Entscheidend ist, dass die schriftliche Stellungnahme den mündlichen Termin nicht ersetzt und nicht eingeholt wird, ohne dass der Anhörungstermin anberaumt ist. Denn der anstehende Termin markiert das nahe Ende des Verfahrens und bringt bei allen Beteiligten Zug in die Bearbeitung.

Wenn doch noch Fragen bestehen oder eine Seite mit der Sichtweise des Sachverständigen nicht einverstanden ist, ist der nachfolgende Hauptsacheprozess der Ort, in dem dies zu klären ist. Dort kann die beim Gerichtssachverständigen „unterlegene“ Partei zum Beispiel das Gutachten eines Privatsachverständigen vorlegen, das, wenn es überzeugend ist, das Gericht umstimmen kann.

Wenn ein Gericht diesen Weg bedauerlicherweise nicht geht und stattdessen auf schriftliche Ergänzungsgutachten ohne zeitnahen Anhörungstermin setzt, dann wissen die Parteien nun aber wenigstens, dass dabei aus dem Fokus geratende Mängelansprüche nicht „heimlich“ verjähren.
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Retzlaff_Bjoern
Autor
VRiKG Björn Retzlaff

Vorsitzender Richter des 21. Zivilsenats am Berliner Kammergericht, der für Bausachen zuständig ist.

Mitherausgeber der Zeitschrift „baurecht“.

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