Wie sollten Ärzte und Ärztinnen mit Entscheidungsdilemmata im ärztlichen Alltag umgehen? Welche Grundlagen können Krankenhausverantwortliche schaffen, um präzise Diagnosen und zielführende Therapiestellungen zu gewährleisten? Diese Herausforderungen des Krankenhausalltags standen Mitte November im Fokus eines Webinars in der Reihe GWKdirekt.
Der Anspruch an den Mediziner hat sich verändert, so die Beobachtung von Prof. Dr. David M. Leistner. Das „schnellere Gesundheitssystem“ von heute habe dazu geführt, dass Behandler:innen in immer kürzerer Zeit immer komplexere Patient:innen zu managen hätten. Die Krankenhausführung erwarte möglichst kurze Liegedauern und stringente Abläufe. Dabei seien komplexe Fälle mit 25 Diagnosen keine Seltenheit, so der Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Frankfurt weiter. Der Ausblick sei ernüchternd: Der demografische Wandel bringe immer mehr ältere Patient:innnen und komplexere Fälle mit sich, die kaum mehr zu handhaben seien. Andererseits sinke die Zahl an Ärzt:innen, und immer mehr von ihnen würden nicht auf eine Work-Life-Balance verzichten wollen – was Verfügbarkeiten weiter mindert.
Evidenz aus Wissenssystemen zur Entscheidung heranziehen
Eine wichtige Rolle spiele ferner die laufend tiefere Spezialisierung der Mediziner:innen – gegenüber einer großen Bandbreite an medizinischem Wissen. „So ist es einfach keinem Behandler und keiner Behandlerin möglich, ‚alles‘ zu wissen.“ Folglich, fuhr Prof. Leistner fort, müssten Mediziner:innen künftig nicht (nur) Wissen erwerben, sondern methodisch in der Lage sein, sich gut aufbereitete, handlungstaugliche, qualitativ hochwertige/evidenzbasierte Informationen bzw. kompakte Zusammenfassungen schnell zu besorgen. „Im Kontext von Demographie und ökonomischem Wandel ist Decision Support also ein essenzieller Baustein – und nicht ein Eingeständnis von ‚Schwäche‘ und Wissenslücken“, betonte der Experte. „Auch ich nutze die Entscheidungsunterstützung.“
Einsatz insbesondere für Differentialdiagnosen
Die Tätigkeit von Ärzt:innen ist geprägt von einer eklatanten Arbeitsverdichtung, fügte Christian Menke hinzu, Assistenzarzt der Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber und Stoffwechselerkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover. Schon in seiner Weiterbildungszeit habe sich das Wissen potenziert; unterstützende Technologien seien hier essenziell.
Entscheidungsunterstützung sollte insbesondere für schnelle Differentialdiagnosen gängiger Erkrankungen zum Einsatz kommen; und die Systeme sollten nicht auf „Nutzen nur für junge/Assistenzärzte“ oder „Benefits bei seltenen Erkrankungen“ reduziert werden, betonte Prof. Leistner.
Bei besonders guten Entscheidungen unter Einsatz von Technologie sei eine qualitätsorientierte Vergütung angemessen, sagte Prof. Ghanem. Er regte ein Umdenken an – im Kontext der Diskussion über die Überwindung der DRGs. Wie lässt sich Qualität messbar machen, fragte Prof. Leister: Effektives Behandeln von Patienten stelle eine Herausforderung dar im Hinblick auf das DRG-System, das Prozeduren vorgibt und somit allenfalls mäßige Ergebnisse ermögliche. Schnell richtige Entscheidungen fällen, das ineffektive Recherchieren in einer Vielfalt mitunter fragwürdiger Quellen durch vertrauenswürdige Entscheidungsunterstützung ersetzen – das sei ein Zeichen von patientenzentrierter Qualität.
Standardisierung durch Verfügbarkeit von Evidenz
„Es gibt Dinge, die wir nicht wissen und/oder nicht kennen“, kommentierte Prof. Dr. Alexander Ghanem. „Systeme wie UpToDate stellten eine Instanz dar, die unsere Augen für neue Ansätze öffnet … und uns durch die präsentierten fundierten Arbeiten renommierter Kolleg:innen emotional entlastet“. Das Denken entgrenzen – das gehe nur mit Entscheidungsunterstützung, so der Chefarzt der Abteilung für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin der Asklepios Klinik Nord – Heidberg, Hamburg. Er sprach sich auch für einen Kulturwandel bei Zweitmeinungen aus – der Patient solle entscheiden.
Eine Veränderung des Mindsets fand auch Simone Mahn, Head of Marketing DACH, BeNeLux, Nordics & CEE for Clinical Effectiveness von Wolters Kluwer Health, begrüßenswert. Sie plädierte dafür, Unterstützung durch vertrauenswürdige Technologien wie UpToDate zu akzeptieren. Entscheidungshilfen sollten früh im Prozess zum Einsatz kommen, in Verzahnung mit dem KIS. Das Spektrum der Nutzer sei breit gefächert, zitierte Mahn aus Befragungen – von Studierenden über Assistenzärzt:innen und Oberärzt:innen bis zu Chef:ärztinnen. Erfahrene würden UpToDate etwas weniger oft einsetzen, aber mitunter auch zur Qualitätssicherung. Den Einsatz des Systems über diese Nutzergruppen hinweg erlebt auch beispielsweise Menke in der täglichen Routine.
„Ein wichtiges Merkmal unserer modernen Medizin ist evidenzbasiertes Handeln – was Standardisierung bedeutet“, unterstrich Prof. Leistner. Dies bedeute eine signifikante Veränderung im Vergleich zur bislang praktizierten intuitiven Medizin. „Wir arbeiten im Übergang zum Zeitalter der Präzisionsmedizin! Auf validen Trainingsdaten beruhende Algorithmen und standardisierte Abläufe machen Zweitmeinungen künftig sowieso überflüssig.“
Qualität, Mitarbeiterentwicklung und Wirtschaftlichkeit – diese Aufgabenkomplexe lassen sich nur mit validen entscheidungsunterstützenden Systemen meistern, betonte Prof. Ghanem. Auch bei den meisten Patient:innen ist der Technologieeinsatz inzwischen akzeptiert, sagte Menke. Als Ausbilder den Wissenserwerb an Technologien wie UpToDate outsourcen – diese Möglichkeit biete sich an, stellte Prof. Leistner fest.