Von: Yannick Hoppe, LL.M. (Stellenbosch)
Das Oberlandesgericht Hamburg befasste sich mit zwei Negativbewertungen auf Kununu gegen ein Unternehmen aus Hamburg.
Zu OLG Hamburg Beschl. v. 08.02.2024 – 7 W 11/24
Yannick Hoppe, LL.M. (Stellenbosch)*
Das OLG Hamburg hat ein Bewertungsportal zur Unterlassung der Verbreitung einer Bewertung verpflichtet, weil der Bewerter gegenüber dem bewerteten Unternehmen nicht hinreichend individualisiert wurde, so dass ein geschäftlicher Kontakt überprüft werden konnte. Die Entscheidung hat Auswirkungen auf die Prüfverfahren von Bewertungsportalen.
I. Sachverhalt
Streitgegenständlich waren zwei negative Bewertungen auf dem Bewertungsportal Kununu über die Antragstellerin, ein Vertriebs-Unternehmen mit 22 Beschäftigten aus Hamburg. Die Antragsgegnerin betreibt die Bewertungs-Plattform Kununu. Diese kann von Arbeitnehmern, ehemaligen An-gestellten, Auszubildenden und Bewerbern genutzt werden, um eigene Erfahrungen mit einem Arbeitgeber zu bewerten. Bei Veröffentlichung der Bewertung muss der Klarname des jeweiligen Nutzers nicht angegeben werden. Die Identität der Bewerter bleibt dem betroffenen Unternehmen und den übrigen Profilbesuchern so verborgen. Der Arbeitgeber kann außerdem zunächst anonym bewertet werden, ohne dass vor-ab gegenüber Kununu ein Nachweis über die tatsächliche Erfahrung erbracht werden muss. Die beiden streitgegenständlichen Bewertungen über die Antragstellerin wurden ebenfalls anonym veröffentlicht.
Die Antragstellerin forderte deshalb von der Bewertungsplatt-form die Löschung der beiden Bewertungen. Zur Begründung hieß es in den anwaltlichen Löschungsaufforderungen jeweils gleichlautend: »Der genannte Bewerter hat unsere Mandantschaft negativ bewertet. Der Bewerber- und Mitarbeiter-Kontakt zu dem Bewerter wird mit Nichtwissen bestritten, da er nicht zugeordnet werden kann.« Zuvor hatte die Antrag-stellerin bereits elf Bewertungen auf ihrer Kununu-Seite mit identischem Wortlaut beanstandet. Nach der Beanstandung kontaktierte die Plattform die jeweiligen Nutzer und forderte diese zur Vorlage von Nachweisen über eine tatsächliche Erfahrung mit der Antragstellerin auf. Die sodann vorgelegten Nachweise in Form von angeblichen Tätigkeitsnachweisen leitete Kununu an die Antragstellerin mit der Mitteilung weiter, dass das Löschungsbegehren aufgrund einer erwiesenen tatsächlichen Mitarbeitererfahrung abgelehnt werde. Vor der Weiterleitung wurden die Tätigkeitsnachweise jedoch von Kununu-Mitarbeitern anonymisiert – mit Verweis auf den Datenschutz der Bewerter.
Das angerufene LG Hamburg hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zunächst zurückgewiesen (vgl. LG Hamburg 08.01.2024, 324 O 559/23). Nach der erstinstanzlichen Entscheidung sei die Übermittlung ungeschwärzter Tätigkeitsnachweise an das bewertete Unternehmen nicht erforderlich, um eine tatsächliche Mitarbeiterstellung der Rezensenten nachzuweisen. Eine Überprüfung der Identität könne die Antragstellerin jedenfalls nicht verlangen. Dies gelte ins-besondere dann nicht, wenn die vorgelegten Nachweise von Mitarbeitern der Bewertungsplattform auf eine Authentizität hinreichend überprüft worden seien. Ein Unterlassungsan-spruch bezüglich der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Bewertungen stehe der Antragstellerin daher nicht zu.
II. Entscheidungsgründe
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin war erfolgreich. Danach stehe der Antragstellerin gem. § 1004 I BGB analog i.V.m. § 823 I BGB und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 19 III GG der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.
Für den vorliegenden Sachverhalt gelten die vom BGH entwickelten Haftungsgrundsätze für Betreiber eines Bewertungsportals im Sinne der mittelbaren Störerhaftung. Danach haftet die Antragsgegnerin als Portalbetreiberin als solche nur eingeschränkt. Werden einzelne Bewertungen durch ein betroffenes Unternehmen jedoch derart konkret beanstandet, dass ein Rechtsverstoß unschwer, d.h. »ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung«, bejaht werden kann, muss der Portalbetreiber den gesamten Sachverhalt er-mitteln und hierfür gegebenenfalls eine Stellungnahme des für die Bewertung verantwortlichen Nutzers einholen (vgl. BGH 09.08.2022, VI ZR 1244/20, NJW 2022, 3072 ff.)
Hinsichtlich der Anforderungen an die Beanstandung ist es bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs ausreichend, wenn der Betroffene den tatsächlichen Kontakt des Bewerters mit dem bewerteten Unternehmen rügt. Die Rüge darf auch so lange aufrechterhalten werden, bis der Rezensent derart hin-reichend individualisiert wird, dass das Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes durch das bewertete Unternehmen überprüft werden kann.
Von einem Rechtsmissbrauch kann nicht bereits dann aus-gegangen werden, wenn das betroffene Unternehmen zahlreiche Bewertungen mit einer wortlautgleichen Löschungsaufforderung – wie vorliegend geschehen – beanstandet. Denn es könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass auf einem Bewertungsportal tatsächlich viele Bewertungen abgegeben werden, die nicht auf einem tatsächlichen Geschäftskontakt zwischen dem Bewerter und dem bewerteten Unternehmen beruhen.
Bei einer entsprechenden Rüge durch die Antragstellerin müssen die Bewerter ihr gegenüber so identifizierbar gemacht werden, dass es der Antragstellerin möglich ist, das tatsächliche Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes zu überprüfen. Unterbleibt die hinreichende Identifizierung, liegt darin eine Verletzung der Prüfpflichten des Plattformbetreibers. Die Identifizierbarmachung kann auch nicht dadurch ersetzt werden, dass der Plattformbetreiber die durch die Bewerter eingereichten Nachweise selbstständig prüft und dem betroffenen Unternehmen dann lediglich mitteilt, dass der angeforderte Nachweis positiv erbracht wurde. Andernfalls stünde der Betroffene, der den tatsächlichen Kontakt des Bewerters bestreitet, der Einschätzung des Portalbetreibers wehrlos gegenüber. Danach ist eine umfangreiche Beteiligung des betroffenen Unternehmens am Prüfverfahren notwendig, auf deren Grundlage der Bewertete selbstständig prüfen kann, ob der Bewerter jemals mit ihm im geschäftlichen Kontakt stand oder für ihn gearbeitet hat.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass es sich vorliegend um ein Arbeitgeber-Bewertungsportal handelt. Anders als die Antragsgegnerin meint, ist es dem bewerteten Arbeitgeber nicht per se möglich, aufgrund der in der Bewertung geschilderten Umstände ein tatsächliches Beschäfti-gungsverhältnis zu identifizieren. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber nur eine geringe Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftige.
Die Nicht-Vorlage identifizierender Merkmale des Bewerters kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass der Bewerter – anders als ein einmaliger Hotelgast – eventuelle Repressalien durch den von ihm negativen bewerteten Arbeitgeber fürchten müsse. Auch in diesem Fall müsse der Arbeitgeber, der im Internet einer öffentlichen Kritik ausgesetzt werde, die Möglichkeit erhalten, den tatsächlichen Kontakt zu überprüfen, um sich in der Sache positionieren zu können.
Dagegen sprechen auch keine Datenschutzgründe des Bewerters bzw. die Frage, ob das Bewertungsportal gegenüber Dritten dessen Namen oder weitere personenbezogene Daten kenntlich machen dürfe. Wenn der behauptete tatsächliche Kontakt durch das bewertete Unternehmen anders als durch eine Identifizierung des Bewerters nicht geprüft werden könne, so trägt das Bewertungsportal das Risiko der weiteren öffentlichen Zugänglichmachung einzelner Bewertungen als deren Verbreiter.
III. Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Hamburg hat weitreichende Folgen für Kununu und andere Bewertungsportale. Zukünftig kann sich die Bewertungsplattform im Prüfverfahren nicht mehr darauf zurückziehen, den tatsächlichen Geschäftskontakt selbstständig geprüft zu haben. Stattdessen müssen die bewerteten Unternehmen umfassend an dem Prüfverfahren beteiligt werden. Sie müssen durch die Plattform in die Lage versetzt werden, die bewertete Erfahrung eigenmächtig zu überprüfen. Eine unzulässige Bewertung zu löschen kann aus verschiedenen Gründen notwendig sein. Denn häufig sind negative Bewertungen nicht bloß unangenehm: Sie können erhebliche Auswirkungen auf das Image eines Unternehmens haben. Dieses ist wiederum entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Zudem sind Kununu-Bewertungen relevante Faktoren für potentielle Bewerber, die in Zeiten des Fachkräftemangels auch von der Konkurrenz heiß umworben werden. Doch bisher sind die Mitwirkungsmöglichkeiten eines bewerteten Unternehmens bei einer angestoßenen Bewertungslöschung arg begrenzt. Wird die Bewertung anonym oder unter einem Pseudonym auf einem Bewertungsportal veröffentlicht, können diese zwar mit dem Hinweis auf einen fehlenden tat-sächlichen Geschäftskontakt oder eine tatsächlich gemachte Erfahrung gerügt werden; von einer weiteren Überprüfung des Sachverhalts werden die betroffenen Unternehmen jedoch bislang durch die Portalbetreiber ausgeschlossen. Wenn der Bewerter im Rahmen des angestoßenen Prüfverfahrens einen angeblichen Nachweis vorlegt, bekommt das betroffene Unter-nehmen diesen meist nicht zu Gesicht. In jedem Fall werden entsprechende Unterlagen vor einer Weitergabe an das bewertete Unternehmen durch den Portalbetreiber anonymisiert – so wie vorliegend bei Kununu. Hält das Bewertungsportal den Nachweis für ausreichend, bleibt die Bewertung online.
Diese Praxis hat das OLG Hamburg nun einstweilig für rechtswidrig befunden. Setzt sich die Rechtsprechung durch, müssen Bewertungsportale zukünftig auf Verlangen umfang-reiche identifizierende Merkmale des Bewerters mitteilen, die es dem betroffenen Unternehmen ermöglichen, den behaupteten geschäftlichen Kontakt zu überprüfen. Wollen sie die Daten ihrer Nutzer nicht herausgeben, müssen Bewertungen gelöscht werden. Dies dürfte zu einer höheren Authentizität der veröffentlichten Bewertungen führen. Denn bislang lässt sich nur eingeschränkt überprüfen, ob der Bewerter tatsächlich die bewertete Erfahrung gemacht hat. Handelt es sich wirklich um einen Kunden oder ehemaligen Arbeitnehmer? Diese Frage bleibt beim Agieren in der Anonymität zuweilen offen. Falschbehauptungen und Rufschädigungen über das Unternehmen bleiben somit oft ohne Konsequenz. Diese Praxis dürfte sich ändern, wenn der Bewerter mit der Offenlegung seiner persönlichen Daten gegenüber dem von ihm bewerteten Unternehmen rechnen muss.
Die Anforderungen an den Grad der Individualisierbarkeit werden durch die Entscheidung des OLG Hamburg deutlich erhöht, auch wenn sich dieser keine generelle Klarnamenpflicht entnehmen lässt. Wenn sich die Entscheidung durch-setzt, müssen Bewertungsportale im Prüfverfahren zukünftig derart genaue Angaben über die Bewerter machen, dass eine Identifizierung jedenfalls ohne Mühe möglich ist. Die Entscheidung der Hamburger Richter stärkt die Rechte der betroffenen Unternehmen, die sich heute kaum mehr einer öffentlichen Bewertung im Netz entziehen können und jeder-zeit mit einem drohenden Reputationsverlust – ob berechtigt oder unberechtigt – rechnen müssen. Bei der massiven Beein-trächtigung, die von Bewertungen auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ausgehen, ist es folgerichtig, dass den Betroffenen eine transparente Beteiligung am Prüfverfahren von Bewertungen eingeräumt wird.
* Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kölner Medienkanzlei Brost Claßen Rechtsanwälte