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Recht & Verwaltung28 April, 2021

An der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis – zwei Herausgeber der ZdiW im Interview

Ein Gespräch mit Dr. Nina-Luisa Siedler und Prof. Dr. Markus Köhler über Inhalte und Fokus der neuen Zeitschrift für das Recht in der digitalen Wirtschaft (ZdiW). Als Mitherausgebende der Fachzeitschrift berichten die beiden im Interview, welche aktuellen Rechtsfragen die Digitalwirtschaft beschäftigen und vor welchen Herausforderungen sie steht.

1. Die Zeitschrift für das Recht in der digitalen Wirtschaft (ZdiW) versteht sich als ein Forum, das über vielfältige Rechtsfragen des digitalen Wirtschaftslebens aufklärt. Welche sind, aus Ihrer Sicht, die aktuell brennenden Rechtsfragen in der Digitalwirtschaft?

N. Siedler: Der Digitalwirtschaft kommt eine wesentliche Aufgabe zu, denn sie stellt die digitale Infrastruktur zur Verfügung, die letztlich für viele Bereiche unseres Lebens wichtig ist. Nachdem die Wirtschaft gut zwei Jahrzehnte in dieser Hinsicht freien Lauf hatte, ist nun deutlich geworden, dass es bei der Weiterentwicklung einer Lenkung bedarf. Vor allem, um zu große Monopole und einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. In einer ganzen Serie von Regulierungsvorschlägen wird dieses Thema aktuell in Angriff genommen, um bestehende Schwachstellen zu beseitigen. Eine der Hauptaufgaben ist es dabei, die richtige Balance zu finden – zwischen der Orientierung an einem gesamtgesellschaftlichen Wohl bei der digitalen Entwicklung einerseits und der Vermeidung von Überregulierung und Behinderung der zukünftigen Entwicklungen andererseits.

M. Köhler: Aus meiner Sicht sind die brennenden Fragen der Digitalwirtschaft im Augenblick zweierlei – und beiden Bereichen widmet sich die Zeitschrift für das Recht in der digitalen Wirtschaft: Der eine Bereich betrifft die Old Economy, in der wir analoge Prozesse rasch digitalisieren müssen, ¬¬¬¬das zeigt die Corona-Pandemie gerade sehr deutlich. Ich denke an das E-Rezept oder E-Government. Der andere Bereich ist die New Economy, bei der es darum geht, neue Regelungen auszutarieren, um das richtige Maß zwischen möglichst wenigen Beschränkungen für ein Geschäftsmodell einerseits und dem notwendigen Schutz von berührten Rechtsgütern andererseits zu finden. Etwa beim Dateneigentum: Wem gehören die Daten einer Autofahrt durch Deutschland, die nicht zwingend personalisierte, aber dennoch für den Hersteller und dritte Dienstleister (Versicherung, Staumelder, Wetterwarnung etc.) wertvolle Daten produziert?

 

2. Braucht es eine Modernisierung in der wirtschaftlichen Rechtspraxis und was sollte generell stärker berücksichtigt werden in Hinblick auf den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien?

N. S.: Es ist ganz wichtig, dass man im Hinterkopf behält, dass digitale Services nicht an Ländergrenzen haltmachen. Eine nationale Regulierung dieser Themen erscheint grundsätzlich wenig sinnvoll und die aktuelle Entwicklung zeigt genau dies: EU-weite Regulierungen erfolgen immer häufiger nicht in Form von (national jeweils noch umzusetzenden) Richtlinien, sondern als unmittelbar geltendes Recht in Form von Verordnungen. Es fließt inzwischen viel öffentliches Geld in die digitale Weiterentwicklung – etwa, wenn man sich Projekte wie GAIA X oder die Identity-Initiative des Bundeskanzleramts anschaut. Für die Vertreter*innen der Digitalwirtschaft ist es meiner Ansicht nach jetzt bedeutsam, nicht den Anschluss zu verlieren. Die ZdiW kann dabei unterstützen. Auf die Rechtspraxis bezogen, würde ich sagen, dass sie ebenfalls nicht von der digitalen Entwicklung abgekoppelt ist. In unserem Bereich der Kanzleilandschaft gibt es das ehemalige Geschäft mit großen Due Dilligences und Massen von Associates heute nahezu nicht mehr, weil vieles hier bereits digitalisiert ist. Die persönliche Beratung in den Kanzleien verlagert sich damit immer weiter in augenblicklich noch nicht standardisierungsfähige Bereiche. Gleichzeitig kommen mit der Welle der neuen Regulierungen neue Rechtsfragen auf die Wirtschaft zu. Es gleicht also einem iterativen Prozess.

M. K.: Wir müssen flexibler werden im Denken und im Umgang mit hergebrachten Prinzipien und bereit sein, Abwägungen neu vorzunehmen. Dies zeigt sich aktuell ganz eindrücklich an der Corona-App: Natürlich ist der digitale Datenschutz eine Errungenschaft der letzten 20 Jahre. Seine konsequente Umsetzung führt nun aber dazu, dass eine Corona-App entwickelt wird, die – dringend gebraucht – wegen des Datenschutzes nicht richtig funktionsfähig ist. Ein anders Beispiel ist die Haftung von intermediären Kommunikations- und Social-Media-Plattformen, bei denen wir das Verhältnis von Freiheit und dem Schutz von Individualinteressen neu austarieren müssen. Ein wichtiger Motor dieser Flexibilität ist der kreative Austausch zwischen Theorie und Praxis unterschiedlicher Disziplinen. Genau an diesem Punkt setzt die ZdiW an, denn sie versucht, sich auf bedeutsame Transformationsprozesse in Old und New Economy zu fokussieren und die Einbindung unterschiedlicher Disziplinen und Rechtsbereiche abzubilden. Zwei Perspektiven werden dabei wichtig: Denn auf der einen Seite braucht es die Macher in der Rechtspraxis, die meist unter Zeitdruck praktische Lösungen finden müssen, auf der anderen Seite aber auch die Wissenschaft, die Korsettstangen einzieht und uns zu einer strukturierten Denkweise anleitet.

 

3. An dieser Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis sieht man sich auch mit der Aufgabe einer Begriffsanalyse konfrontiert. Welche Klärungen und Änderungen bedarf es für die wirtschaftliche Rechtspraxis, angesichts des zunehmenden Einsatzes digitaler Technologien?

N. S.: Ich würde sagen, es geht dabei nicht allein nur um die Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis, sondern auch um die Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen. Jede Disziplin nutzt ihre eigene Sprache. Gerade in der Rechtspraxis im Digitalbereich kommen viele Wissenschaftsbereiche zusammen – neben der Technologie und den Fragen zu Hard- und Software sind immer ökonomische, aber auch soziologische Aspekte zu berücksichtigen. Am Anfang eines Projekts steht daher oftmals die interdisziplinäre Verständigung auf Begrifflichkeiten. Dabei ist es besonders wichtig, offen zu sein und nicht zu selbstverständlich von der Sprache der eigenen Disziplin auszugehen. Vor allem in diesem spannenden Prozess interdisziplinärer Wechselwirkungen bei der Behandlung digitaler Themen wird die ZdiW sicherlich einen wichtigen Platz einnehmen.

M. K.: Der Blick über den Tellerrand der Disziplinen ist ein ganz wichtiger. Die rechtliche Einordnung digitaler Vorgänge ist schon ohne ein Wissen über den technischen und wirtschaftlichen Hintergrund nicht möglich. Dies gilt aber auch für die Betrachtung durch verschiedene Rechtsbereiche. Man kann digitale Materien nicht eindimensional aus der Brille einer Disziplin betrachten. Ein Beispiel: Abwägungen, wie sie etwa im Falle der Plattformhaftung erfolgen, erfordern datenschutz-, kartell- und haftungsrechtliche sowie technische Betrachtungen. Sie sind aber auch ohne die Berücksichtigung ökonomischer, kaufmännischer wie auch gesellschaftlicher Folgen nicht sinnvoll möglich.

 

4. Welche Auswirkungen haben die derzeit noch ungelösten Fragen auf die juristisch beratende Praxis?

M. K.: Juristisch ungelöste Fragen führen vor allem zu Unsicherheit und Vorsicht. Damit verlangsamen sie Transformationsprozesse. Das Problem für die Unternehmen ist, dass sie nicht absehen können, wohin die Reise in der Rechtsprechung geht. Meist sind es dort iterative Prozesse, die sich an die Lösung herantasten, was viele Jahre dauert. Schaut man sich zum Beispiel digitale Haftungsthemen an, dann sieht man, wie sich diese seit mehr als 15 Jahren iterativ entwickeln, in Deutschland wie in Europa. Ein ungelöstes Problem ist derzeit auch das Thema Dateneigentum. Solange die hier auftretenden Fragen nicht gelöst sind, müssen sich die Markteilnehmer und Unternehmen, die in diesem Bereich ein Geschäftsmodell entwickelt haben, darauf einstellen, dass die rechtliche Behandlung unsicher bleibt. Die juristische Beratung ist in solchen Bereichen anspruchsvoll. Nur wer sich genau auskennt, weiß, wo aktuell die roten Linien verlaufen und kann relativ sicheren Rat erteilen.

N. S.: Wir müssen den Mandant*innen helfen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Wir müssen Wege aufzeigen, wie sich diese auf ein akzeptables Maß einschränken lassen. Das ist nicht immer möglich und leider sehe ich in der Praxis viele Projekte, die sich recht schnell nach einer Erstberatung aus Deutschland verabschieden und einen anderen, vorhersehbareren Standort wählen. In diesem Bereich können wir besser werden.

 

5. Was beschäftigt die Beratungs- und Spruchpraxis aktuell: Könnten Sie ein konkretes Beispiel für ungelöste, aber dringende Fragen in der Digitalwirtschaft nennen?

M. K.: Im Prinzip sind es genau die bereits angerissenen Themen. Ich habe zwei in meiner Beratungspraxis brennende Fragen genannt: Die rechtliche Infrastruktur für die Tätigkeit von Plattformen einerseits und die Fragen rund um das Dateneigentum andererseits. Und dann hat jede Branche ihre spezifischen Themen: Das große Projekt der Gesundheitsbranche heißt E-Rezept. Das große Projekt der Automobilindustrie ist das vernetzte Fahren.

N. S.: Da kann ich nur zustimmen. Datenschutz ist sicherlich weiterhin ein brennendes Thema, vor allem nachdem es die ersten spektakulären Bußgeldbescheide gegeben hat. Wir warten dringend auf die Veröffentlichung der Auslegungsempfehlungen des European Data Protection Board, die hoffentlich bald für mehr Klarheit sorgen sollten. In meinem speziellen Bereich Blockchain und DLT ist gerade die Regulierung der Kryptomärkte ein großes Thema. Diese Regulierung wird aktuell noch angetrieben aus der Angst vor Libra/Diem, der Facebook-Kryptowährung. Die sonstigen Interessen der Realwirtschaft werden hingegen noch wenig berücksichtigt, obwohl Kryptowährungen und Kryptowerte allgemein viel mehr sind als nur Facebook und Diem. Eine der Hauptaufgaben von Politik und Verwaltung wird es also in der kommenden Zeit sein, die richtige Balance zu finden.

 

6. Was sind relevante Praxisbereiche wirtschaftlicher Rechtsfragen, die die ZdiW behandelt? Und gibt es zudem Querschnittsbereiche?

M. K.: Die Zeitschrift hat sich fünf relevante Praxisbereiche und Schwerpunkte herausgesucht: Industrie 4.0, E-Commerce, Digital Finance und Digital HR sowie M&A und Corporate. Damit haben wir die derzeit wichtigsten Transformationsbereiche beschrieben. Wenn sich andere oder weitere ergeben, wird die Schriftleitung gemeinsam mit den Herausgeber*innen reagieren. Allen Bereichen ist gemeinsam, dass sie ohne Querschnittsbetrachtungen nicht auskommen. Das heißt, man wird jeweils unterschiedliche Rechtsbereiche zur Lösung von Problemkreisen heranziehen müssen. Genau hierin soll das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Zeitschrift liegen. Thematisch stehen derzeit vor allem die Finanzbranche, die Gesundheitsbranche, (vernetzte) Mobilität sowie die Medienbranche mit den Kommunikationsplattformen und deren Austarierung im Fokus.

N. S.: Das Bemühen in der ZdiW war es, die Themen zu clustern. Allerdings nicht so sehr nach strengen Rechtsgebieten, sondern thematisch nach Industrien. Das lässt auch Querschnittsbereiche zu, die nicht nur in eines der fünf Cluster passen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Thema digitale Identitäten, das in allen fünf Themenclustern eine Rolle spielt. Denn digitale Identitäten kann es für Sachen, Maschinen oder natürliche Personen geben. Gleiches gilt für jede Art von Grundlagentechnologie: Zum Beispiel Internet, Blockchain und DLT, die in allen fünf Schwerpunktbereichen zum Einsatz kommen. Die Gliederung der ZdiW macht es dem Leser leicht, sich je nach gesuchtem Schwerpunkt zu orientieren und zu informieren.
Dr. Nina-Luisa Siedler lebt und arbeitet in Berlin. Sie leitet als Partnerin bei der DWF Germany Rechtsanwaltsgesellschaft die globale Blockchain Competence Group und ist Mitherausgeberin der Zeitschrift für das Recht in der digitalen Wirtschaft.
Prof. Dr. Markus Köhler lebt und arbeitet in Stuttgart. Er ist Partner bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte und leitet dort die Practice Group IP. Zudem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift für das Recht in der digitalen Wirtschaft.
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