Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht | Dortmund
Rechtsprechung im Überblick - Unpfändbarkeit der NRW-Soforthilfe
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht | Dortmund
Mit Beschluss vom 10. März 2021 (-VII ZB 24/20-) schließt der 7. Zivilsenat in einer Einzelzwangsvollstreckungsangelegenheit außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Diskussion über die Pfändbarkeit der Corona-Soforthilfen ab:
Eine finanzielle Hilfe nach dem Soforthilfeprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen („NRW-Soforthilfe 2020“) ist unpfändbar gem. § 851 Abs. 1 ZPO. Die auf einem Pfändungsschutzkonto eingehende Soforthilfe ist gem. § 850k Abs. 4 ZPO freizugeben.Sachverhalt und Entscheidungsgründe in Auszügen:
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen einer titulierten Forderung in Höhe von 12.204,60 €. Die Schuldnerin unterhält bei der Drittschuldnerin ein Pfändungsschutzkonto. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 4. Mai 2016 wurden die Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen. Mit Bescheid der Bezirksregierung K. vom 29. März 2020 wurde der Schuldnerin aufgrund des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm "Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige" und dem ergänzenden Landesprogramm "NRW-Soforthilfe 2020" eine Zuwendung in Höhe von 9.000 € bewilligt und am 2. April 2020 auf ihrem Pfändungsschutzkonto bei der Drittschuldnerin gutgeschrieben. […] Mit Schreiben vom 17. April 2020 hat die Schuldnerin beim Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - beantragt, ihr eine Bescheinigung auszustellen, wonach die Drittschuldnerin ihr den Betrag von 9.000 € auszuzahlen habe, was diese unter Hinweis auf bestehende Pfändungen verweigert habe. Mit Beschluss vom 4. Juni 2020 hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - den pfändungsfreien Betrag der Schuldnerin für den Monat April 2020 gemäß § 850k Abs. 4 ZPO um 9.000 € erhöht. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag auf Abweisung der von der Schuldnerin begehrten Erhöhung des Pfändungsfreibetrags weiter.
Die […] zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache nicht begründet. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, bei der Corona-Soforthilfe handele es sich um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung, was zur Erhöhung des pfandfreien Betrags führen müsse. […] Eine Pfändung käme allenfalls für Gläubiger einer der Zweckbindung entsprechenden "Anlassforderung" in Betracht, zu welchen der Gläubiger nicht gehöre. Fehl gehe auch der Einwand, die Soforthilfe habe möglicherweise nicht gewährt werden dürfen. Dies sei im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zu prüfen. […]
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass es sich bei der Corona-Soforthilfe um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung handelt […]. Im Hinblick auf die Verwirklichung der mit der Corona-Soforthilfe verbundenen Zweckbindung ist hinsichtlich des auf dem Pfändungsschutzkonto der Schuldnerin gutgeschriebenen Betrags in Höhe von 9.000 € der Pfändungsfreibetrag in entsprechender Anwendung des § 850k Abs. 4 ZPO zu erhöhen […].
Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie übertragbar ist. Damit verweist § 851 Abs. 1 ZPO unter anderem auf die Regelung des § 399 1. Fall BGB. Danach kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. § 399 1. Fall BGB erfasst Forderungen, die aufgrund ihres Leistungsinhalts eine so enge Verknüpfung zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses herbeiführen, dass ein Wechsel in der Gläubigerperson als unzumutbar anzusehen ist beziehungsweise die Identität der Forderung nicht gewahrt bleibt (BGH, Beschluss vom 30. April 2020 - VII ZB 82/17 Rn. 17, NJW-RR 2020, 820; Beschluss vom 8. November 2017 - VII ZB 9/15 Rn. 13, MDR 2018, 553). Hierzu gehören zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt (BGH, Beschluss vom 30. April 2020 - VII ZB 82/17 Rn. 17, NJW-RR 2020, 820; Urteil vom 30. März 1978 - VII ZR 331/75, MDR 1978, 747, juris Rn. 17). Nach diesen Grundsätzen ist die Corona-Soforthilfe ausweislich der ihr zugrundeliegenden Bestimmungen als zweckgebunden einzustufen (vgl. BFH, Beschluss vom 9. Juli 2020 - VII S 23/20, NJW 2020, 2749, juris Rn. 26; LG Köln, Beschluss vom 23. April 2020 - 39 T 57/20, ZinsO 2020, 1028, juris Rn. 18; AG Zeitz, Beschluss vom 2. September 2020 - 14 M 222/20, Rpfleger 2020, 751, juris Rn. 7; AG Passau, Beschluss vom 7. Mai 2020 - 4 M 1551/20, JurBüro 2020, 330, juris Rn. 6; Ahrens, NZI 2020, 495; Jungmann, WuB 2020, 457). […]
Nach dieser Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag einen von § 850k Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 ZPO abweichenden pfändungsfreien Betrag festsetzen. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend ausführt, sind die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Weder handelt es sich bei der Corona-Soforthilfe um eine als Arbeitseinkommen zu qualifizierende Zuwendung im Sinne der §§ 850a ff. ZPO noch um eine der Schuldnerin gewährte Sozialleistung auf Grund des Sozialgesetzbuches. Vielmehr stellt diese eine freiwillig gewährte Subvention zugunsten von Kleingewerbetreibenden dar, die dazu dienen soll, eine durch die Corona-Pandemie begründete wirtschaftliche Notlage der Schuldnerin auszugleichen (vgl. Saager, ZVI 2020, 288). Hinsichtlich solcher aufgrund landes- oder bundesrechtlicher Vorschriften gewährter öffentlich-rechtlicher Subventionen enthält das Gesetz eine planwidrige Lücke, die im Hinblick auf den mit der Gewährung der Corona-Soforthilfe verfolgten Zweck dahin zu schließen ist, dass in entsprechender Anwendung des § 850k Abs. 4 ZPO der pfändungsfreie Betrag um den Betrag der gewährten Zuwendung zu erhöhen ist (vgl. Meller-Hannich, MDR 2020, 1025; Ahrens, NZI 2020, 495, 496; Jungmann, WuB 2020, 459, 460; kritisch Meier, BKR 2020, 363). […]
Die Pfändungsschutzvorschrift in § 850k Abs. 4 ZPO enthält keine Regelung zu der Frage, ob öffentlich-rechtliche Subventionen, die zu bestimmten Zwecken aufgrund landes- oder bundesrechtlicher Vorschriften gewährt werden, zu einer Erhöhung des Pfändungsfreibetrags zugunsten des Schuldners führen können, der ein Pfändungsschutzkonto unterhält. Der Gesetzgeber hat diesen Fall erkennbar nicht bedacht. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass die geplante gesetzliche Neuregelung der die Führung eines Pfändungsschutzkontos betreffenden Vorschriften zukünftig eine Regelung für staatliche Beihilfeleistungen enthalten soll (vgl. BT-Drucks. 19/19850 S. 12 f., 38 zu § 902 Satz 1 Nr. 7 ZPO-E).
Die Interessenlage des Schuldners, dem eine Corona-Soforthilfe gewährt und auf seinem als Pfändungsschutzkonto geführten Konto gutgeschrieben wird, ist mit derjenigen eines Schuldners vergleichbar, der eine Leistung nach dem Sozialgesetzbuch zur Sicherung seines Lebensunterhalts erhält. Mit der Corona-Soforthilfe wird ebenfalls die Sicherung der Existenz des Unternehmens oder des Selbständigen bezweckt. Dieses Ziel würde nicht erreicht, wenn der Empfänger auf die gewährte Beihilfe nach Gutschrift auf seinem Pfändungsschutzkonto nicht mehr im Rahmen der Zweckbindung zugreifen könnte. Diese besondere Zweckbindung rechtfertigt es daher, die Gewährung der Corona-Soforthilfe der Auszahlung einer der Sicherung des Lebensunterhalts dienenden Sozialleistung gleichzustellen mit der Folge, dass auf Antrag des Schuldners in entsprechender Anwendung des § 850k Abs. 4 ZPO der pfändungsfreie Betrag um den Betrag der gewährten Soforthilfe zu erhöhen ist. […]
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es unerheblich, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Corona-Soforthilfe in der Person der Schuldnerin vorlagen oder nicht. Dies ist im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zu prüfen. Die Frage betrifft vielmehr das Rechtsverhältnis der Schuldnerin zu der die Beihilfe bewilligenden Stelle. Die Schuldnerin ist, sofern die Voraussetzungen für die Gewährung der Corona-Soforthilfe nicht vorgelegen haben sollten, zur Rückerstattung der Beihilfe verpflichtet. Ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers, auf eine dem Schuldner unberechtigt gewährte Beihilfeleistung im Wege der Pfändung zugreifen zu können, besteht dagegen nicht. Denn auch eine unberechtigte Beihilfegewährung.
Anmerkung unseres Experten:
Praxisrelevant ist, dass der BGH zur Sicherung der Soforthilfe auf einem Pfändungsschutzkonto § 850k Abs. 4 ZPO entsprechend anwendet und damit Freigabeanträge der Schuldner ermöglicht. Diese entsprechende Anwendung wird auch in weiteren durch § 850k Abs. 4 ZPO nicht ausdrücklich erfassten Konstellationen in Frage kommen. Schließlich ist auch die Feststellung des BGH für die Praxis hilfreich, dass in einem Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zu entscheiden ist, ob die Soforthilfe zu Recht gewährt wurde. Diese Frage ist allein im Verhältnis des Schuldners zur Beihilfe bewilligenden Stelle zu entscheiden.
Nutzen Sie Ihre Zeit effizienter durch zielgerichtete Weiterbildungen, digitale Assistenten und Recherche in hochwertigen, aktuellen Inhalten. Testen Sie jetzt kostenlos und unverbindlich das Modul Heymanns Insolvenzrecht Premium.
- 12 Online-Seminare pro Jahr (nach § 15 FAO und lt. GOI) zu aktuellsten Themen (z.B. StaRUG) mit renommierten Referenten
- Formular-Assistent Insolvenzrecht
- Hochwertige Inhalte zum Insolvenz-, Sanierungs- und Restrukturierungsrecht
- Stets aktuell informiert durch die Zeitschrift ZInso inkl. FOKUS Sanierung (auch als Printausgabe enthalten), Insbüro, KTS, DER BETRIEB und ZdiW
- NEU: Antworten und Perspektiven für Ihre praktische Arbeit in unseren Experten-Kurz-Interviews "Kurz nachgefragt bei..."
Bildnachweis: onephoto/stock.adobe.com