Die »Digital Acts« – Verschärfte Spielregeln für die digitale Welt
I. Ausgangslage und Rückblick
Seitdem die e-Commerce-Richtlinie1 im Jahr 2000 in Kraft getreten ist, hat sich die digitale Welt gewandelt. Neue Technologien sind entwickelt worden. Neue Geschäftsmodelle wurden etabliert. Digitalunternehmen stehen an der Spitze der Liste der wertvollsten Unternehmen der Welt.2 Schließlich konnten die Mitgliedstaaten nicht nur nationale Gesetze erlassen, um die Anforderungen der e-Commerce-Richtlinie umzusetzen, sondern auch praktische Erfahrungen sammeln. In letzter Zeit haben die Mitgliedstaaten den Spielraum, den die e-Commerce-Richtlinie als Maßnahme der Mindestharmonisierung lässt, zunehmend genutzt, um weitergehende Gesetze vorzuschlagen oder zu erlassen, die Dienstanbietern zusätzliche Pflichten in Hinblick auf die Inhalte der Nutzer auferlegen. Dazu zählen in Deutschland etwa das NetzDG3 oder in Frankreich das – zwischenzeitlich als verfassungswidrig erklärte – »Loi Avia«. Die EU-Kommission will mit den »Digital Acts« auf diese Veränderungen reagieren und gleichzeitig einen harmonisierten europäischen Rechtsrahmen für den digitalen Binnenmarkt schaffen. Aus diesem Grund sind die »Digital Acts« als Verordnungen entworfen, so dass sie unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten entfalten werden.Hinzu treten neue Herausforderungen: Als Reaktion auf die in gewissen Bereichen bestehende Marktdominanz US-amerikanischer Plattformbetreiber sehen die Entwürfe das Marktort- bzw. Auswirkungsprinzip vor: Unabhängig vom Sitz oder einer Niederlassung des Anbieters sollen die Regelungen gelten, wenn die betroffenen Dienste im europäischen Binnenmarkt für EU-Bürger angeboten werden. Der DSA enthält die aus der e-Commerce-Richtlinie bekannten Haftungsprivilegien für Vermittlungsdienste und schreibt den Anbietern von Vermittlungsdiensten, insbesondere Online-Plattformen, Sorgfalts- und Transparenzpflichten vor. Mithilfe des DMA sollen Beschränkungen des Wettbewerbs durch sog. »Gatekeeper« verhindert werden, also Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktstellung und -bedeutung eine Schlüsselrolle im Wirtschaftsgeschehen einnehmen und gleichsam die »Tür« zu den Märkten kontrollieren können, u.a. um neue potenzielle Marktteilnehmer auszugrenzen.
Unter dem Leitsatz »Ein Europa für das digitale Zeitalter« verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, das kommende Jahrzehnt zu einer »Digital Decade« Europas zu machen.4 Danach sollen im europäischen Raum einheitliche Standards gesetzt und zugleich die »digitale Souveränität« ausgebaut werden.5 Mit den vorgesehenen Regelungen haben die beiden Entwürfe das Potenzial, die digitalen Märkte neu zu ordnen. In den nächsten Monaten ist aber sicher noch mit einer lebhaften Diskussion zu den geplanten Regelungsinhalten zu rechnen.
II. Geplante Regelungsinhalte – Ein Überblick
1. Der Digital Markets Act
Der DMA6 soll den Monopolisierungstendenzen im digitalen Binnenmarkt entgegenwirken. Damit gehen auch die Pläne für eine ex-ante-Regulierung der großen »systemischen« Onlineplattformen einher, die sog. »core platform services«7 anbieten, in Märkten eine »Torwächter-Stellung« (Gatekeeper) besetzen und neuen Markteilnehmern den Markteintritt erschweren oder gänzlich unmöglich machen (könnten).Der DMA soll insofern verhindern, dass vor allem die etablierten US-amerikanischen Plattformen als Gatekeeper anderen Unternehmen und Verbrauchern unfaire Bedingungen aufzwingen und wichtige digitale Märkte abschotten. Die Verordnung soll dabei flankierend zu der bereits bestehenden kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle – auf europäischer Ebene Art. 102 AEUV8 – eingeführt werden und auch die sogenannte Platform-to-Business-Verordnung (P2B-VO) sowie Vorgaben der Datenschutzgrund-Verordnung komplementieren.9
Unter mehreren möglichen politischen Optionen zur Regulierung von Gatekeepern hat sich die EU-Kommission mit dem DMA für einen flexiblen Rahmen entschieden, in welchem mit einer Kombination von quantitativen und qualitativen Kriterien Anbieter von Onlineplattformen als Gatekeeper qualifiziert werden sollen. Ob ein Unternehmen eine Gatekeeper-Stellung innehat, wird bspw. anhand der jeweiligen Größe des Unternehmens und aktiven Nutzerzahlen seiner Dienste im DMA festgelegt. Die Gatekeeper-Kriterien sind erfüllt, wenn ein Unternehmen
- eine starke wirtschaftliche Position mit erheblichen Auswirkungen auf den Binnenmarkt innehat und in mehreren
EU-Ländern aktiv ist, - über eine starke Vermittlungsposition verfügt, d.h. eine
große Nutzerbasis mit einer großen Anzahl von Unternehmen verbindet, und - eine gefestigte und dauerhafte Marktstellung hat (oder bald haben wird), d.h. langfristig stabil ist.
Nach dem Verordnungsentwurf soll es eine (widerlegbare) Vermutung dafür geben, dass eine starke wirtschaftliche Position mit erheblichen Auswirkungen auf den Binnenmarkt vorliegt, wenn ein Anbieter einen jährlichen EWR-weiten Umsatz von mind. 6,5 € Mrd. in den letzten drei Geschäftsjahren erzielt hat bzw. sein Marktwert/-kapitalisierung 65 € Mrd. beträgt sowie der Plattformanbieter in mind. drei EU-Mitgliedstaaten seine Dienste anbietet.10 Eine starke Vermittlungsposition soll vermutet werden, wenn die Plattform monatlich mehr als 45 Mio. aktive Endnutzer und mehr als 10.000 jährliche geschäftliche Nutzer in der EU hat.11 Sofern sich das für die letzten drei Jahre konstatieren lässt, wird auch vermutet, dass es sich um eine dauerhafte Marktstellung im Sinne des Verordnungsentwurfs handelt.12
Die nach diesen Maßstäben zu bestimmenden Anbieter von »core platform services« sollen dies der EU-Kommission selbst anzeigen. Darüber hinaus soll die EU-Kommission auch die Befugnis erhalten, Unternehmen nach einer Marktuntersuchung als Gatekeeper zu benennen.13 Die Gatekeeper-Stellung eines Unternehmens soll spätestens alle zwei Jahre oder auch auf Antrag des betroffenen Unternehmens überprüft werden können.
Mit Blick auf künftige mögliche Marktverhaltensweisen sollen Gatekeeper insgesamt daran gehindert werden, die Dienste anderer Anbieter zugunsten der eigenen Dienste zu diskriminieren. In diesem Zusammenhang werden ein Verbot der Bevorzugung eigener Produkte (sog. »self-preferencing«), Vorgaben zur Datenoffenheit und Interoperabilität sowie strengere Transparenzvorgaben vorgesehen, um strukturelle Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern.14
Im Einzelnen soll dazu im DMA eine »Verbotsliste« mit untersagten wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken normiert werden. Insbesondere die Untersagung des self-preferencing soll verhindern, dass etwa bei Suchmaschinen oder Onlineshops diese Unternehmen ihre eigenen Produkte und Dienstleistungen bevorzugt Nutzern vorschlagen.15 Auch die Vorinstallation von Apps oder Software auf Endgeräten oder Betriebssystemen darf nach den Vorstellungen der EU-Kommission nicht mehr ohne Löschungsmöglichkeit vorgenommen werden.16
Zudem erhalten Geschäftskunden und Verbraucher umfassende Informations- und Zugangsrechte, die den Inhalt und Umfang der Datennutzung durch Gatekeeper betreffen.17
Eine weitere wichtige Neuerung stellen die vorgesehenen Normen zur Interoperabilität dar.18 Damit soll bspw. bei Messengerdiensten wie WhatsApp & Co. die Möglichkeit gewährleistet werden, dass Nutzer verschiedener Dienste miteinander kommunizieren können, wie dies heute schon bei der herkömmlichen Telefonie der Fall ist. Auch soll es Kunden erleichtert werden, zwischen Anbietern zu wechseln (»switching«).19 Dies soll auch für Anbieter von Bezahldiensten gelten, so dass nicht mehr nur eine Bezahlung innerhalb eines Bezahldienstanbieters erfolgen kann. Dadurch soll im Ergebnis auch kleineren Anbietern oder neuen Start-Ups der Zugang zum Markt erleichtert werden.20
Ein Mehr an Transparenz für den Verbraucher soll es zudem bspw. auch im Rahmen von sogenannten Empfehlungsalgorithmen geben. Plattformen sollen u.a. verpflichtet werden offenzulegen, wie ihr Empfehlungsalgorithmus wirkt, ohne dabei aber den Algorithmus selbst offenlegen zu müssen.21
2. Der Digital Services Act
Der DSA22 ist eine sogenannte »horizontale Verordnung«, die sich an Anbieter von Vermittlungsdiensten, wie reine Leitungs- und Zwischenspeicherdienste, sowie Hosting-Services richtet.23 Sektorspezifische Regelungen gehen dem DSA als leges speciales vor.24 Auch die e-Commerce-Richtlinie – die primär den unmittelbaren Absatz, nicht die Vermittlung betrifft – bleibt weiterhin in Kraft,25 wird aber entsprechend angepasst.Zunächst sieht der DSA das aus den Art. 12–15 der e-Commerce-Richtlinie bekannte Haftungsprivileg für Anbieter von Vermittlungsdiensten vor. Allerdings sollen die Art. 12–15 der e-Commerce-Richtlinie aus dieser herausgelöst und durch die Art. 3, 4, 5 und 7 des DSA ersetzt werden.26 Dabei bleibt es im Rahmen des aktualisierten Haftungsprivilegs weiterhin bei dem Grundsatz, dass die Anbieter nicht für die Inhalte haften, die Nutzer ihrer Vermittlungsdienste hochladen. Sie haften nur ausnahmsweise, insbesondere wenn sie im Rahmen des »Notice and Action«-Verfahrens über rechtswidrige Inhalte informiert werden und dennoch nicht eingreifen.27 Dieses Providerprivileg bleibt somit im Grundsatz im DSA enthalten. Allerdings werden die Regelungen aktualisiert und konkretisiert. Dies gilt insbesondere für die Beteiligung der Betroffenen, wenn Inhalte geblockt oder gelöscht werden.28 Eine generelle Überwachungspflicht trifft die Anbieter von Vermittlungsdiensten damit weiterhin nicht.29 Erwähnenswert ist zudem, dass Anbieter von Vermittlungsdiensten nicht mit haftungsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie, ohne rechtlich verpflichtet zu sein, aktiv gegen illegale Inhalte vorgehen.30
Detaillierte Pflichten im Zusammenhang mit dem Haftungsprivileg betreffen Hosting-Dienste.31 Anbieter von Hosting-Diensten müssen einen Mechanismus etablieren, über den Nutzer ihrer Ansicht nach illegale Inhalte melden können.32 Meldet ein Nutzer einen illegalen Inhalt über diesen Mechanismus, führt dies dazu, dass dem Hosting-Anbieter die relevante Kenntnis unterstellt wird.33 Zudem müssen die Anbieter begründen, warum sie Inhalte löschen.34
Der DSA richtet sich zudem spezifisch an Online-Plattformen, die eine Untergruppe der Hosting-Services darstellen. Abhängig von ihrer Größe müssen Online-Plattformen Sorgfalts- und Transparenzpflichten einhalten.35 In der Regel sind diese Pflichten so ausgestaltet, dass sie für alle Online-Plattformen dem Grunde nach greifen, diese Pflichten allerdings – abhängig von der Größe der Online-Plattform – unterschiedlich detailliert ausfallen.
Besondere Pflichten sollen für sehr große Online-Plattformen mit einer hohen Nutzerzahl gelten, die erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben und mindestens 45 Mio. Nutzer in der EU bzw. 10 % der Bevölkerung erreichen.36 Die EU-Kommission will dadurch systemischen Risiken begegnen, die aus ihrer Sicht durch Online-Plattformen für die Gesellschaft, aber auch den Einzelnen entstehen.37 Die EU-Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf drei Risikofelder: (i) auf die Gefahr, dass illegale Inhalte durch Online-Plattformen schneller und effizienter verbreitet werden können, (ii) auf die Gefahr für die Grundrechte der Bevölkerung, insbesondere die Meinungsfreiheit, die z.B. durch algorithmische Empfehlungssysteme gefährdet werden kann, und (iii) auf die Gefahr, die dadurch entsteht, dass Online-Plattformen gezielt manipuliert und dadurch große Teile der Bevölkerung durch sog. »Fake News« beeinflusst werden können.38 Um diesen Risiken zu begegnen, werden Online-Plattformen verpflichtet, umfassend und regelmäßig Risiken zu analysieren und darüber hinaus aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um den Missbrauch ihrer Plattform zu verhindern.39 Die genannten sehr großen Online-Plattformen müssen sich zudem jährlich auditieren lassen.40 Weitere Pflichten betreffen die Identifikation von Händlern auf Onlinemarktplätzen41 und die Informationen darüber, wie verhaltensbasierte Werbung eingesetzt wird.42
III. Durchsetzung von DMA und DSA
Die EU setzt dabei nicht nur auf neue Standards, sondern
auch auf konsequente Kontrolle. Zukünftig soll in jedem
Mitgliedstaat eine Behörde, der »Digital Service Coordinator«, darüber wachen, ob die Regelungen des DSA
eingehalten werden. Auf EU-Ebene soll zudem ein neues
Gremium, das sog. »European Board for Digital Services«,
als Kontrollinstanz geschaffen werden. Auch wird ein Eskalationsmechanismus für die Fälle installiert, in denen
eine systematische Verletzung der auferlegten Pflichten im
Raum steht.
Die EU-Kommission soll ein breites Spektrum an Auskunfts- und Untersuchungsrechten erhalten. Auch werden der EU-Kommission weitgehende Interventions- und Sanktionsmechanismen für Verstöße gegen die Rechtspflichten aus den geplanten EU-Verordnungen an die Hand gegeben. So sehen die Verordnungsentwürfe etwa Zwangsgelder bei Rechtsverstößen vor. Der DSA soll zudem Geldbußen gegen Unternehmen von bis zu 6 % ihres weltweiten jährlichen Gruppenumsatzes erlauben, der DMA-Entwurf sogar – wie auch schon aus dem Kartellrecht bekannt – von bis zu 10 % bei gravierendem Fehlverhalten.
Bei systematischen Verstößen gegen den DMA können Gatekeepern nach dem DMA zudem zusätzliche – verhaltensorientierte oder strukturelle – Abhilfemaßnahmen auferlegt werden; letztlich sogar auch die Veräußerung von Geschäftsbereichen. Die Kommission betont dabei, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden soll.43
IV. Einordnung
Es wird sich zeigen, ob die Initiative der Europäischen Kommission vom EU-Gesetzgeber in dieser Form auch tatsächlich
verabschiedet wird. Die mit dem DMA und DSA intendierten Ziele sind durchaus nachvollziehbar. Insbesondere die
Regelungen des DMA könnten helfen, ein wirtschaftliches
Ungleichgewicht und digitale Abhängigkeiten einer Vielzahl
von Marktteilnehmern zu vermeiden. Es bleibt allerdings die
Frage, ob mit dem neuen Rechtsrahmen die ehrgeizigen Pläne
der Kommission auch ohne Weiteres Erfolg haben werden,
nämlich einerseits ein »faireres Geschäftsumfeld« und »neue
Möglichkeiten für Innovatoren und Technologie-Start-ups«
zu schaffen, andererseits Verbraucher/innen direkten Zugang
zu »besseren Dienstleistungen und fairen Preisen« zu eröffnen, ohne dabei die Innovationsmöglichkeiten und -anreize
der Gatekeeper zu beschneiden.
Insbesondere mit Blick auf die Rechtssicherheit besteht noch Diskussionsbedarf, lässt sich doch absehen, dass die Fragen, ob eine Gatekeeper-Stellung besteht und ob Geschäftspartner von den Diensten abhängig sind, im Einzelfall strittig sein werden. Dies ist allerdings kein neues Phänomen und nicht zuletzt auch bei der kartellrechtlichen Frage des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung vielfach und immer wieder eine Herausforderung. Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, wie sich die verschiedenen rechtlichen Regelungsrahmen (DSA/ DMA – Kartellrecht – Datenschutzrecht – Verbraucherschutzrecht) zueinander verhalten werden. Dies gilt umso mehr, als es hier auch erhebliche Unterschiede auf Ebene der jeweiligen Mitgliedstaaten gibt. So hat bspw. das Bundeskartellamt im Verfahren gegen Facebook bereits eine »innere Entflechtung« der verschiedenen Dienste (etwa Facebook, WhatsApp, Instagram) gefordert.44 Das deckt sich mit dem Verbot im DMA, nutzerbezogene Daten aus verschiedenen Diensten der Gatekeeper nicht ohne Einverständnis miteinander zu kombinieren.45 Ebenso laufen – auf das Kartellrecht gestützte – Verfahren gegen Amazon mit dem Vorwurf, Marktdaten von im Wettbewerb stehenden Nutzern des Amazon-Marketplace, die Amazon (als Plattformanbieter) erlangt, für das eigene wettbewerbliche Verhalten (als Verkäufer) zu nutzen.46 Eine darauf maßgeschneiderte Verbotsnorm findet sich ebenfalls im DMA-Entwurf.47 Es wird insofern auch der Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission bedürfen, welche Behörde ein Verfahren einleitet, vor allem mit denjenigen Mitgliedstaaten, in denen das nationale Recht spezifische Instrumentarien dafür bereithält. So ist etwa in Deutschland gerade erst am 19.01.2021 die 10. GWB-Novelle in Kraft getreten,48 die dem Bundeskartellamt weitreichende Befugnisse u.a. gegenüber Unternehmen mit Intermediationsmacht und mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb an die Hand gibt.49
Der große Unterschied der »Digital Acts« im Vergleich zu bisherigen – nationalen sowie EU-weiten – Regelungen dürfte sein, dass hier die großen Digitalunternehmen proaktiv in die Verantwortung genommen werden und ihnen (ex ante) ein Verhalten und die Schaffung von Strukturen abverlangt wird, um faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern. Im Ergebnis bedarf das Einschreiten dann nicht mehr eines Rechtsverstoßes, dessen (ex post) Verfolgung oftmals komplex und mit erheblichem (vor allem zeitlichen) Aufwand verbunden ist.50
V. Ausblick
Die beiden Verordnungsentwürfe werden nun durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat geprüft, so dass es bis zum Vorliegen eines finalen Entwurfes noch dauern wird. Der Vorschlag vermittelt aber bereits jetzt ein klareres Bild davon, wie sich die EU-Kommission den digitalen Binnenmarkt der Zukunft vorstellt. Unternehmen sollten diese Beratungsphase nutzen, sich auf die Neuerungen einzustellen: Auch wenn die Details der gesetzlichen Neuregelungen noch nicht feststehen, ist dennoch bereits jetzt absehbar, dass ein höheres Maß an Transparenz und Kontrolldichte auf die Marktteilnehmer der digital economy zukommt. Die Tatsache, dass die bisherigen Global Player rechtlich in die Schranken gewiesen werden sollen, könnte für europäische Unternehmen zugleich Raum für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle öffnen.
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*Dr. Sebastian Janka, LL.M. (Stellenbosch) ist Rechtsanwalt und Partner im Bereich Kartellrecht der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH; Christian Kuss, LL.M. (Bristol) ist Rechtsanwalt und Partner im Bereich IP/IT der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH; Sandra Waletzko, LL.M. (Cape Town) ist als Rechtsanwältin im Bereich Commercial bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH tätig.
1 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 08.06.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insb. des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt. 2 S. die Liste der größten Unternehmen der Welt nach ihrem Marktwert im Jahr 2020, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 12108/umfrage/top-unternehmen-der-welt-nach-marktwert [20.01.2021]. 3 Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG).
4 Siehe https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age_de [19.01.2021] sowie die Mitteilung der Europäischen Kommission, Gestaltung der digitalen Zukunft Europas, KOM(2020)endg. v. 19.02.2020. 5 State of the Union, Rede der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament v. 16.09.2020, https://ec.europa.eu/ commission/presscorner/detail/de/SPEECH_20_1655 [20.01.2021]. 6 COM/2020/842 final, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52020PC0842&from=en [20.01.2021].
7 Als solche »Kernplattformdienste« bezeichnet der DMA-Entwurf Dienstleistungen u.a. in den Bereichen Online-Suchmaschinen, digitale soziale Netzwerke, Video-Sharing-Plattformen, Betriebssysteme und Cloud-Dienste, aber auch weit gefasst Online-Vermittlungsdienste (also letztlich fast jede Form von gewerblichen Plattformen und Marktplätzen), Art. 2 (2) DMA-Entwurf. 8 Die Vorschrift verbietet den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Entsprechende (und strengere) Normen gibt es auch auf nationaler Ebene, wie etwa die §§ 18 ff. GWB in Deutschland. 9 S. Explanatory Memorandum zum DMA-Entwurf, S. 3 f. 10 Art. 3 Nr. 2(a) DMA-Entwurf. 11 Art. 3 Nr. 2(b) DMA-Entwurf. 12 Art. 3 Nr. 2(c) DMA-Entwurf. 13 S. Art. 14 ff. DMA-Entwurf. 14 Art. 5 ff. DMA-Entwurf. 15 Art. 6 Nr. 1(d) DMA-Entwurf. 16 Art. 6 Nr. 1(b) DMA-Entwurf. 17 S. Art. 6 Nr. 1(g)-(j) DMA-Entwurf. 18 Art. 6 Nr. 1(c) DMA-Entwurf. 19 S.a. Art. 6 Nr. 1(e) DMA-Entwurf. 20 S. EG 61 des DMA-Entwurf. 21 Art. 19 Nr. 1 Satz 2 und Art. 21 Nr. 3 DMA-Entwurf. 22 COM/2020/825/final, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52020PC0825&from=en [20.01.2021]. 23 S. Art. 1, 3, 4, 5 DSA-Entwurf. 24 S. EG 9 DSA-Entwurf. 25 S. Art. 1 Nr. 5 DSA-Entwurf. 26 S. Art. 71 DSA-Entwurf. 27 BGH 10.05.2012, I ZR 57/09; BGH 11.03.2004, I ZR 304/01 – Internetversteigerung; KG Berlin 25.08.2014, 4 Ws 71/14 – 141 AR 363/14. 28 S. Art. 14 und 15 DSA-Entwurf. 29 S. Art. 7 DSA-Entwurf. 30 S. Art. 6 DSA-Entwurf. 31 S. Art. 5 DSA Entwurf. 32 S. Art. 14 DSA-Entwurf. 33 S. Art. 14 DSA-Entwurf. 34 S. Art. 15 DSA-Entwurf. 35 S. dazu Art. 10–37 DSA-Entwurf. 36 S. Art. 25 DSA-Entwurf. 37 S. EG 54 ff. DSA-Entwurf. 38 S. EG 57 DSA-Entwurf. 39 S. z.B. Art. 20 DSA-Entwurf oder Art. 26 DSA-Entwurf. 40 S. Art. 28 DSA-Entwurf. 41 S. Art. 22 DSA-Entwurf. 42 S. Art. 24 DSA-Entwurf. 43 S. Explanatory Memorandum zum DMA-Entwurf, S. 5 f.
44 S. dazu die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes v. 07.02.2019, Bundeskartellamt untersagt Facebook die Zusammenführung von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen, https://www.bundeskartellamt.de/ SharedDocs/Publikation/DE/Pressemitteilungen/2019/07_02_2019_ Facebook.pdf [20.01.2021]. 45 Art. 5(a) DMA-Entwurf. 46 Siehe dazu Pressemitteilung der EU-Kommission, Kartellrecht: Kommission richtet Mitteilung der Beschwerdepunkte an Amazon wegen Nutzung nichtöffentlicher Daten unabhängiger Verkäufer und leitet zweite Untersuchung der E-Commerce-Geschäftspraxis des Unternehmens ein v. 10.11.2020, Kartellrecht__Kommission_richtet_Mitteilung_der_ Beschwerdepunkte_an_Amazon_wegen_Nutzung_nicht_ffentlicher_ Daten_unabh_ngiger_Verk_ufer_und_leitet_zweite_Untersuchung_der_ E-Commerce-Gesch_ftspraxis_des_Unternehm.pdf [20.01.2021]. 47 Art. 6 (1)(a) DMA-Entwurf. 48 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer Bestimmungen (GWB-Digitalisierungsgesetz), BGBl I 2021 Nr. 1 v. 18.01.2021, S. 2. 49 S. insb. die neu eingeführten Vorschriften § 18 Abs. 3b und § 19a GWB. S. zu den Neuerungen im Überblick auch https://www.luther-lawfirm. com/newsroom/pressemitteilungen/detail/gwb-digitalisierungsgesetz-heute-verabschiedet-wichtige-kartellrechtliche-neuerungen [19.01.2021]. 50 So auch der Ansatz im novellierten GWB: Mit dem neu eingeführten § 19a GWB kann das Bundeskartellamt durch Verfügung feststellen, dass einem Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf sog. mehrseitigen (Plattform-)Märkten tätig ist (siehe § 18 Abs. 3a GWB), eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Darauf aufbauend hat das Amt eine ganze Reihe von Untersagungsmöglichkeiten für Verhaltensweisen des Unternehmens, die denen in Art. 5 ff. des DMA-Entwurfs ähneln (etwa self-preferencing, Vorinstallation von Apps, Verweigerung von Interoperabilität etc.), s. § 19a Abs. 2 GWB.