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Recht & Verwaltung29 Juli, 2024

Zum Geschäftswert eines notariellen Nachlassverzeichnisses (ein Auszug aus der Zeitschrift „ZNotP- Zeitschrift für die Notarpraxis“, 2022, 461 ff.)

von Christian Bachmayer, LL.M.(Hagen), Notar in Eppingen

Die Bedeutung notarieller Nachlassverzeichnisse nimmt in der Beurkundungspraxis zu, damit fast zwangsläufig auch die Zahl der einschlägigen Gerichtsentscheidungen. Während die meisten Judikate sich allerdings mit den (inhaltlichen) Anforderungen an die Errichtung des Verzeichnisses befassen, liegt nunmehr mit dem Beschluss des OLG Sachsen-Anhalt v. 03.03.2022 – 5 Wx 11/21, NotBZ 2022, 273 [OLG Düsseldorf 21.10.2021 - 3 Wx 182/21] – soweit ersichtlich: erstmals – eine obergerichtliche Entscheidung zum Geschäftswert des Nachlassverzeichnisses vor.

1. Ausgangspunkt

Einschlägige Vorschrift für die Ermittlung des Geschäftswerts eines notariellen Nachlassverzeichnisses ist § 115 GNotKG. Nach S. 1 dieser eher knapp gefassten Norm bestimmt sich der Geschäftswert für die Aufnahme von Vermögensverzeichnissen „nach dem Wert der verzeichneten {…} Gegenstände“.

Da Kostenrecht Folgerecht des Zivilrechts ist, ist der Begriff des „Gegenstandes“ in § 115 GNotKG vordergründig in einem bürgerlich-rechtliche Sinne zu verstehen. Gegenstände sind damit nicht nur Sachen (§ 90 BGB), sondern „alle individualisierbaren, vermögenswerten Objekte und Güter“. [1] Auch aus diesem Grund besteht Einigkeit darüber, dass auch verzeichnete Gegenstände, welche nicht mehr zum Nachlass gehören (namentlich die Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösenden früheren Schenkungen des Erblassers) den Geschäftswert des Verzeichnisses erhöhen. [2]

Nach überkommenem Verständnis fallen unter den Begriff des „Vermögens“ allerdings nicht Verbindlichkeiten. [3] U.a. aus diesem Grund ordnet § 1967 Abs. 1 BGB an, dass der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten haftet. Die neuere zivilrechtliche Kommentarliteratur fasst den Vermögensbegriff allerdings weiter; [4] hiernach ist bei einer „ganzheitlichen Betrachtung“ jedenfalls unter dem Begriff „Erbschaft“ die Gesamtheit aller vererbbaren Rechtsverhältnisse jeweils mit Einschluss der Verbindlichkeiten zu verstehen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich in das Nachlassverzeichnis aufzunehmende Verbindlichkeiten auswirken, wenn das GNotKG unter der amtlichen Überschrift „Vermögensverzeichnis“ für die Ermittlung des Werts nur auf die verzeichneten „Gegenstände“ abstellt und die Schulden des Erblassers unerwähnt lässt. Umfassen die zu bewertenden „Gegenstände“ i.S.d. § 115 GNotKG auch die Verbindlichkeiten?

2. Der Meinungsstand in der Literatur

In der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einigkeit besteht noch darin, dass § 38 GNotKG selbstverständlich Anwendung findet, d.h.: dass die verzeichneten Verbindlichkeiten nicht auch noch vom Aktivvermögen abgezogen werden. [5] Namentlich sind die Vorschriften, welche in Verfahren mit erbrechtlichem Bezug einen ganzen oder teilweisen Schuldenabzug vorsehen, also z.B. § 40 GNotKG für das Erbscheinsverfahren sowie insbesondere § 102 GNotKG für „erbrechtliche Angelegenheiten“, nicht anwendbar. [6] Die „erbrechtlichen Angelegenheiten“, für welche das GNotKG einen begrenzten Abzug der Verbindlichkeiten vorschreibt, sind in § 102 GNotKG abschließend aufgezählt; die Errichtung von Nachlassverzeichnissen zählt nicht dazu. Eine entsprechende Anwendung der Norm kommt nach der Systematik des GNotKG nicht in Betracht.

Im Übrigen gehen die Meinungen aber auseinander. Während einige Kommentatoren die verzeichneten Verbindlichkeiten des Erblassers komplett unberücksichtigt lassen[7] oder allenfalls dann berücksichtigen wollen, wenn faktisch nur Schulden verzeichnet werden, [8] sind andere Autoren der Auffassung, dass die verzeichneten Verbindlichkeiten den Geschäftswert des Nachlassverzeichnisses erhöhen, also dem vorhandenen Aktivvermögen hinzuzurechnen sind. [9] Beide Meinungen können jeweils eine Gerichtsentscheidung auf Landgerichtsebene für sich ins Feld führen. [10]

Für die erste Meinung wird im Wesentlichen als Begründung (nur) angeführt, dass die Addition von Negativvermögen dem GNotKG fremd sei. [11] Die zweite Meinung argumentiert (in Anlehnung an die neuere zivilrechtliche Auffassung von dem Begriff „Vermögen“ bzw. „Erbschaft“ i.S.d. § 1922 BGB), dass es kostenrechtlich nur darauf ankomme, was verzeichnet werde, nicht auch, ob es sich um „positive“ oder „negative“ Vermögensgegenstände handele. [12] Ebenso, wie bereits veräußerte Gegenstände (fiktiver Nachlass – z.B. frühere Schenkungen) zu verzeichnen seien und den Geschäftswert erhöhten, sind auch die Schulden des Erblassers zu verzeichnen und damit Bestandteil des Nachlassverzeichnisses. [13] Es sei gleichsam rein formal darauf abzustellen, was verzeichnet werde; dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um Aktivvermögen oder um Schulden handele. So verstanden, sind alle verzeichneten Positionen aus kostenrechtlicher Sicht „Gegenstände“ i.S.d. § 115 GNotKG und werden damit insgesamt zu einem zutreffenden Geschäftswert addiert.

Diese zuletzt genannte Auffassung hat für sich, dass sie Wertungswidersprüche vermeidet. Der Gesetzgeber hat bewusst mit der Einführung des GNotKG von der früheren kombinierten Wert-/Zeitgebühr gem. § 52 Abs. 1 KostO auf eine reine Wertgebühr umgestellt. Diese sollte aber nach dem Willen des Gesetzgebers so ausgestaltet sein, dass sie weiterhin den mit der Aufnahme eines (Nachlass-)Verzeichnisses verbundenen Aufwand und die damit verbundene Haftung widerspiegelt. [14] Vor diesem Hintergrund wäre es schwer verständlich, weshalb ein Nachlassverzeichnis, welches bei einem schuldenfreien Erblasser nur Aktivvermögen umfasst, dieselbe Gebühr auslösen würde wie ein Nachlassverzeichnis, welches neben demselben Aktivvermögen auch erhebliche Verbindlichkeiten umfasst. Insbesondere aufgrund der durch die jüngere Rechtsprechung stetig gestiegenen Anforderungen an die Amtstätigkeit des Notars bei der Erstellung von Nachlassverzeichnissen erfordert die korrekte Ermittlung auch der Verbindlichkeiten des Erblassers einen hohen Aufwand und ist mit einem entsprechenden Haftungspotential verbunden. [15] Der gegenüber der früheren Regelung weggefallene Zeitfaktor kann damit nur über den Geschäftswert aufgefangen werden, um dem gesetzgeberischen Anliegen einer dem Aufwand angemessenen Gebühr gerecht zu werden.

3. Die Entscheidung und ein „Ausblick“

Das OLG Sachsen-Anhalt schließt sich in dem Beschl. v. 03.03.2022 – 5 Wx 11/21 – allerdings der ersten Meinung an und entscheidet, dass die verzeichneten Nachlassverbindlichkeiten den Geschäftswert nicht erhöhen. Begründet wird dies insbesondere damit, dass die Behandlung von Verbindlichkeiten im Kostenrecht in § 38 GNotKG eine abschließende Regelung erfahren habe. Eine Hinzurechnung von Verbindlichkeiten komme im Gesetz an keiner Stelle zum Ausdruck. Das in § 38 GNotKG geregelte Schuldenabzugsverbot mache auch nur Sinn, wenn die Verbindlichkeiten allgemein nicht zu einer Geschäftswerterhöhung führten. Wäre die Hinzurechnung der Verbindlichkeiten im Gesetz die Regel, käme ein Abzug von Schulden vor vorneherein nicht in Betracht, so dass es der Norm gar nicht bedurft hätte.

Dem wird freilich entgegen gehalten, dass diese Schlussfolgerung des Gerichts nicht zwingend sei. § 38 GNotKG regele nur – im Kontext z.B. mit §§ 40, 102 GNotKG – das Verbot des Abzugs von Schulden; die Norm verbiete hingegen nicht deren Addition. Wäre die Aussage des OLG richtig, sei die Vorschrift des § 115 GNotKG in der aktuellen Fassung nicht wirklich verständlich. Hätte der Gesetzgeber § 38 GNotKG so verstanden wie das Gericht, hätte er in § 115 GNotKG besser anordnen sollen, dass der „reine Wert des verzeichneten Vermögensbestandes“ den Geschäftswert bilden solle, statt zu regeln, dass der Geschäftswert sich aus einer Addition des Werts der „verzeichneten Gegenstände“ ergebe. [16]

Wudy, immerhin wissenschaftlicher Leiter der Prüfungsabteilung der Ländernotarkasse Leipzig, welche ihrerseits Stellungnahmen zu kostenrechtlichen Fragestellungen in Gerichtsverfahren auch im Zuständigkeitsbereich des OLG Sachsen-Anhalt abgibt, kritisiert an der Entscheidung u.a., dass das Gericht die Rechtbeschwerde zum BGH mit der Begründung nicht zugelassen hat, dass der Wunsch des Notars – angesichts der unterschiedlichen, in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen – eine höchstrichterliche Klärung in seinem Sinne (= Erhöhung des Geschäftswerts) herbeizuführen, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung verleihe. [17] Nachdem die Literaturmeinungen, welche sich für eine Erhöhung des Geschäftswerts durch die verzeichneten Nachlassverbindlichkeiten aussprächen, in jüngerer Zeit stärker würden, und namentlich auch der „Streifzug“ diesbezüglich seine Position geändert habe, ist aus Sicht von Wudy eine höchstrichterliche Klärung der Frage durchaus wünschenswert. [18]

Die weitere Entwicklung ist daher abzuwarten und bleibt spannend.

Fußnoten

1 Vgl. nur MüKoBGB/Stresemann, 9. Aufl. 2021, § 90 Rn. 1.
2 S. nur Notarkasse A.d.Ö.R., Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl., Rn. 3172.
3 S. Wikipedia, Begriff „Vermögen (Recht)“, (Abruf am 12.09.2022), m.w.N.
4 BeckOK BGB/Müller-Christmann, 63. Ed. 01.05.2022, § 1922 BGB R. 12; MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, § 1922 Rn. 17.
5 LG Cottbus, Beschl. v. 04.05.2016, 7 OH 8/15, NotBZ 2016, 354; Bormann/Diehn/Sommerfeldt/Pfeiffer, GNotKG, 4. Aufl. 2021, § 115 Rn. 4; Leipziger GNotKG/Zimmer, Otto, Klingsch, 3. Aufl. 2021, § 115 Rn. 1;
Korintenberg/Gläser, GNotKG, 22. Aufl. 2022, § 115 Rn. 6; Rohs/Wedewer-Waldner, GNotKG, 132. AL 05/2021, § 115 Rn. 2.
6 So ausdrücklich auch das OLG Naumburg in der hier besprochenen Entscheidung.
7 Leipziger GNotKG/Zimmer, Otto, Klingsch a.a.O. (Fn. 5); Rohs/Wedewer-Waldner a.a.O. (Fn. 5).
8 So Korintenberg/Gläser a.a.O. (Fn. 5), Rn. 6 a.E. A.A. insoweit ausdrücklich Leipziger GNotKG/Zimmer, Otto, Klingsch a.a.O. (Fn. 5).
9 Bormann/Diehn/Sommerfeldt/Pfeiffer a.a.O. (Fn. 5); BeckOK KostR/Neie, 38. Ed. 01.01.2022, § 115 GNotKG Rn. 11; „Streifzug“ (Fn. 2), Rn. 3172a (anders noch in der Vorauflage); Diehn, Notarkostenberechnungen, 8. Aufl. 2022, Rn. 1865b; Schönenberg-Wessel, notar 2019, 323 (335).
10 Für die erste Meinung (keine Erhöhung des Geschäftswerts): LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 01.07.2021, 6 OH 7/20 (juris); für die zweite Meinung (Erhöhung des Geschäftswerts): LG Münster, Beschl. v. 29.06.2020 – 5 OH 5/20, ZEV 2021, 106.
11 Korintenberg/Gläser a.a.O. (Fn. 5).
12 So insb. Diehn a.a.O. (Fn. 9).
13 BeckOK KostR/Neie a.a.O. (Fn. 9); Diehn a.a.O. (Fn. 9); Zimmermann, NotBZ 2022, 274.
14 BT-Drucks. 11/11471 (neu), S. 227 f.
15 So insb. Zimmermann a.a.O., (Fn. 13).
16 So zu Recht Zimmermann a.a.O., (Fn. 13).
17 Wudy, notar 2022, 211 (223 f.).
18 Wudy a.a.O. (vorherige Fußnote).

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