Bereits mehrfach haben mein Kollege Herbert E. Förster und ich in dieser Fachzeitschrift (Kita aktuell) über den Themenbereich der ressourcenfokussierenden und lösungserschaffenden Frühpädagogik und Kitaorganisation geschrieben. Im Fokus des vorliegenden Beitrags steht die Frage: Wie funktionieren lösungsorientierte Fallbesprechungen in der Kita? Es geht um den notwendigen Blick auf bzw. die Entscheidung für eine Haltung, aus der heraus das Sprechen mit Kindern und über Kinder wirkungsvoll verlaufen kann. Außerdem werden Inhalte und Methoden vorgestellt, deren gute Effekte in jahrelanger Fachberatung und Supervision erlebt werden durften."
Katrin Trappe
Richtung bestimmen - Kompass einstellen
„Wie und worüber wir sprechen zeigt, in welcher Welt wir leben und leben möchten“, dem viel zitierten Satz von Matthias Schwaab kommt auch in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu, wenn wir uns auf eine lösungserschaffende Fallbesprechung einstellen möchten.
Zunächst einmal geht es darum, ganz bewusst Haltung einzunehmen, sich zu verorten, sich des eigenen Standpunkts bewusst zu werden.
Wie stehe ich da – äußerlich und auch innerlich auf das Thema oder Kind bezogen?
Ich richte mich auf, ich fokussiere mich auf meine fachlichen Stärken und Fähigkeiten, auf meine guten Herz- und /oder Bauchgefühle, kurzum auf all meine Kompetenzen, die in mir ruhen. Nehme ich mir vor einer Fallbesprechung einen kurzen Moment, um mich in dieser Haltung zu verorten, steigen die Chancen des Zugriffs auf all diese guten Quellen in mir.
Probieren Sie es ruhig einmal aus: verorten Sie sich mit beiden Füßen gut auf dem Boden, nehmen Sie eine aufrechte Haltung ein, sitzend oder auch stehend und richten Sie Ihren Kopf in Richtung Universum und all die Möglichkeiten, die sich Ihnen von dort und in Ihnen bieten. Schließen Sie die Augen und werden Sie für einen kurzen Moment ganz ruhig und gewiss, dass Ihnen eine lösungserschaffende Fallbesprechung gelingen möge.
Wenn Sie dann in dieser Gewissheit, den Kompass in die Hand nehmen und sich auf Lösungen, auf eine gute Zukunft einstellen, haben Sie eine Entscheidung getroffen, wie und worüber Sie in der folgenden Fallbesprechung sprechen möchten.
Grundsätzlich haben wir immer die Wahl, wie wir die wertvolle Reflexionszeit über ein Kind oder auch mit einem Kind, mit Kindern füllen möchten. In der Regel besprechen wir uns, wenn es eine Aufgabe zu bewältigen gibt. Wir könnten auch sagen, wenn wir vor einem Problem stehen oder es etwas zu beklagen gibt.
Schon an dieser Stelle gibt es zukünftig die Möglichkeit, sich für kurze Fallreflexionen zu entscheiden, deren Inhalt gut Funktionierendes und Gelingendes darstellt. Aus dem, was gut funktioniert, können wir sehr viel Entwicklungspotential schöpfen, so der vorliegende Glaubenssatz. Wenn wir also den Blick genau darauf lenken, lenken wir ihn auf das, was wir erhalten und erweitern möchten. Der Erfahrung nach ergeben sich so nicht nur rund um das eine Kind, um das es in dem Moment geht, vielversprechende Wege. Auch für andere Kinder und Situationen nehmen wir auf diese Weise Faktoren, den Umgebungsrahmen und Verhaltensweisen in den Blick, deren Reflexion Potentiale entfalten lassen, wenn wir uns auf Lösungen ausrichten.
Zurück zur oft erlebten Praxis: Im Alltag finden, unserer Erfahrung nach, Fallbesprechungen zur Problemlösung statt. Eine sehr gute Idee! Gleichzeitig liegt darin die Verführung, mehr oder weniger ausführlich über das Problem und seine Entstehung zu sprechen.
Richtet sich die Kompassnadel auf Lösungen aus, so entscheiden wir uns bewusst und immer wieder neu während des Gesprächs dafür, eine wünschenswerte Zukunft in den Blick zu nehmen und Gelungenes aus der Vergangenheit zu betrachten. Um Lösungen zu entwerfen macht es einen Unterschied, ob wir uns über den Ist -Stand beklagen und den Blick in die Vergangenheit nutzen, um zu erklären, wie das Problem entstanden ist oder ob wir die wertvolle Zeit damit verbringen, uns auf das Gewünschte zu fokussieren.
Wahrscheinlich geht es nicht so sehr um ein „entweder - oder“, sondern vielmehr um ein „sowohl als auch“ mit der Einladung zu einer bewussten Entscheidung: Wieviel möchte ich über das Problem sprechen? Wieviel möchte ich (mich be-) klagen, um etwas zu lösen?
Im Folgenden wird Steve de Shazers Satz: „problem talk creates problems - solution talk creates solutions“ als richtungsweisend angenommen.
Sternstunde – ein erster Schritt mit der Sicherheit der Gegenwart
Nicht weil rosarote Verklärung oder blumige Beschönigung das Handeln leiten sollen, sondern weil es einer Sicherheit bedarf, einer Stabilität, von der aus wir Entwicklungsschritte in gemäßigt Neues unternehmen können, beginnen wir mit einer Sternstunde.
Der Ressourcenstern als Methode, Stärken und Fähigkeiten und das Wachstum derselben für Kinder regelmäßig zu dokumentieren, bietet eine stabile Basis für Überlegungen in neue Welten. Mit einem Datum versehen schreiben wir den Namen des Kindes in die Mitte des Sterns, quasi in das Herz. Drumherum malen wir Zacken, deren Überschrift das betiteln, was das Kind kann. Wir schreiben auf, was zum Beispiel „Björk“ ausmacht, was er gerne tut, was er gut kann, was seine Spezialitäten sind, was er an Besonderheiten mitbringt. Wir versuchen die Überschriften beschreibend zu formulieren statt bewertend. Um aus dem Vollen zu schöpfen, nutzen wir viele Perspektiven. Was können wir selbst über das Kind sagen? Was würden seine Eltern, Geschwister, andere Bezugspersonen anführen? Was taucht im Kontext der Kita auf? Was sagen Kollegen*innen, ein*e Köch*in, ein*e Hausmeister*in, Praktikant*innen? Wir halten viel davon, im Rahmen der Reflexion über ein Kind auch die anderen Kinder der Gruppe zu befragen. Als Ritual bewährt es sich, Sternstunden im Stuhlkreis durchzuführen. Kinder wie Erwachsene setzen ein Kind bildlich gesprochen auf den Thron und setzen ihm eine Krone auf, malen an der Flipchart einen riesengroßen Stern für das Kind! Was meint ihr, was kann Björk gut? Was spielt ihr gern mit ihm? Wobei kann er euch helfen? Was schätzt ihr besonders an Björk? Wenn diese ritualisierte Form des Gesprächs über Kinder noch nicht etabliert ist, können Erwachsene in ihrer Besprechung auch die Perspektiven der Kinder einnehmen. Was würde XY über die Stärken und Fähigkeiten des Freundes Björk benennen?
Wir schaffen mit diesem Sternstundenritual Modelle, deren Effekte sich erfahrungsgemäß auf die ganze Gruppe auswirken. Einerseits lernen alle Beteiligten, Ressourcen zu betrachten und wertschätzend und über Gruppenmitglieder zu sprechen. Andererseits wird mit der Auswahl deutlich, was sind Ziele für Entwicklung auf unterschiedlichen Ebenen. Wünschenswertes Verhalten wird benannt, erstrebenswerte Kompetenzen werden fokussiert. Diese Form der Kommunikation bringt Lösungen in einen Raum und verteilt diese unter allen Gesprächsteilnehmern*innen, so die Erfahrung.
Ein Stern mit vielen Zacken entsteht. Manchmal tauchen auch Formulierungen auf, die ausweisen, dass eine Fähigkeit nicht immer oder nicht vollständig erworben ist. Auch das darf als Überschrift aufgenommen werden: “Manchmal kann Björk schon …, im Kontakt mit …. gelingt es Björk, häufig ...“
Wenn wir jetzt noch hinzufügen was das Kind gerne macht, in welchen Tätigkeiten es versinken kann, es glücklich zu sein scheint, dann haben wir eine gute Basis für nächste Schritte geschaffen.