von Dr. Ewald Blum und Dipl.-Psych. Stefan Richter
Situatives Führen konstruktiv umsetzen
In Bezug auf die Schulen gibt es die weit verbreitete Auffassung, dass hier in gleicher Weise qualifizierte Akademiker und Akademikerinnen mit vergleichbarer Aufgabenstellung arbeiten, so dass eine Differenzierung des Führungsstils eigentlich nicht möglich und nicht sinnvoll ist. Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass dies nicht stimmt.
Das Thema »situative Führung« stellt eines der Dauerthemen in der Psychologie und den angrenzenden Verhaltenswissenschaften dar. Was zunächst als ein Richtungsstreit begann (Aufgaben- versus Menschenorientierung) und folglich der Realität von Führungsarbeit in Schulen nicht gerecht wurde, entwickelte sich zu einem mehrdimensionalen Führungskonzept, das die Entscheidung »entweder – oder« auflöst und statt dessen ein »sowohl als auch« einfordert. Heute ersetzt das Konzept des situativen Führens die Frage »Was für eine Führungskraft bin ich?« durch die Frage »Wann braucht es welchen Führungsstil?« Das situative Führungshandeln bestimmt sich dabei über die Fähigkeit einerseits und die Motivation andererseits (vgl. Abb. 1).
Während diese »Kern-Botschaft« mittlerweile von vielen Führungskräften verinnerlicht wurde, scheinen weitere Annahmen des Modells deutlich weniger umgesetzt:
- Das Führungsverhalten soll nicht nur der Typik der Mitarbeiter/-innen, sondern gleichzeitig der jeweiligen Situation angepasst werden. Das heißt, die starre Einordnung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gilt es zu vermeiden und der Führungsstil muss der Situation/Aufgabe angemessen sein. Interventionen hinsichtlich der Motiviertheit von Mitarbeitenden sind ein deutlich schwierigeres und psychologisch komplexeres Unterfangen, was deshalb differenziert betrachtet werden sollte.
1. Situatives Führen
Das Modell der situativen Führung basiert auf der Grundannahme, dass Menschen entwicklungsfähig sind. In Bezug auf die Fähigkeiten müssen Führungskräfte beim Bestimmen des Führungsstils immer daran denken, dass Vorgesetzte dann unterstützend tätig sein müssen, wenn Mitarbeitende noch nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen (vgl. Blanchard/Zigarmi/Zigarmi 2019, S. 95). Ferner ist es hilfreich, wenn eine Führungskraft sich immer wieder erneut die Frage stellt: »Was braucht mein Mitarbeiter in der aktuellen Situation von mir?« Dabei macht es durchaus Sinn, die Mitarbeitenden bei der Beantwortung der Frage einzubeziehen. In Bezug auf die Motivation wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich Interventionen in diesem Bereich deutlich komplexer auswirken. Deshalb ist es als Führungskraft hilfreich, sechs Handlungsfelder zu unterscheiden (vgl. Abb. 2). Dabei sollte man sich bewusst sein, dass Motivation zum großen Teil Sache des Einzelnen ist. Jeder entscheidet für sich, ob seine gewählte Arbeit Freude macht – oder nicht (vgl. Mitarbeiterin Abb. 2). Gleichzeitig können Rahmenbedingungen einer Organisation die Arbeitsmoral der Mitarbeitenden fördern oder behindern. Sie bewusst zu gestalten ist Sache der Führungskräfte (vgl. Führungskraft in Abb. 2).
Demnach soll sich das Hauptbemühen von Führungskräften darauf konzentrieren, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Leistung ermöglichen und Demotivation vermeiden. Dazu gehört die Tätigkeitsfelder so auszuwählen, dass Mitarbeitende von sich aus möglichst motiviert sind. Dabei gilt es diese durch gezielte Herausforderungen (nicht Überforderung) zu fördern. Ferner sollten Freiräume eröffnet werden, die Selbstverantwortung und Eigeninitiative unterstützen.
Die in Abbildung 3 und in den weiteren Ausführungen dargestellten Tendenzen sollten nicht als randscharfe Quadranten, sondern stets als kernprägnante Schwerpunkte betrachtet werden. Ferner gilt es eine fixe Einordnung von Mitarbeitenden zu vermeiden. Eine Zuordnung darf sich lediglich auf eine konkrete Situation beziehen.
1.1 Fördern / Anleiten
Bei neuen Mitarbeitenden oder bei der Übernahme einer neuen Aufgabe ist oftmals eine hohe Motivation gegeben, es fehlt jedoch (noch) an den notwendigen Fähigkeiten und der Erfahrung. Hier sollte der Vorgesetzte Mitarbeitende gezielt beim Aufbau der erforderlichen Fähigkeiten unterstützen. Konkrete Anleitungen können dabei hilfreich sein und der Vorgesetzte sollte für Fragen verfügbar sein. Um nicht zu demotivieren erscheint es wichtig, dass Mitarbeitende in Entscheidungen einbezogen und deren Ideen gehört werden. Ferner ist es wichtig, die Tätigkeitsfelder und Stärken soweit wie irgend möglich aufeinander abzustimmen (vgl. Abb. 2).
1.2 Ermutigten / Einbinden
Im Verlauf der Entwicklung verfügen Mitarbeitende häufig über alle wichtigen Fähigkeiten und auch die notwendige Erfahrung, trauen sich aber noch nicht wirklich, Aufgaben vollkommen selbstständig anzugehen. Führungskräfte sollten hier nicht mehr vorgeben, was zu tun ist, sondern Mitarbeiter und Mitarbeiterinnendazu ermutigen, eigenverantwortlich zu denken und Entscheidungen zu treffen. Sofern Mitarbeitende (z.B. mit Blick auf Eigeninteressen) die Tendenz haben, wenig Eigeninitiative zu entwickeln, gilt es die intrinsische Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu aktivieren. Insbesondere sollten die Fähigkeiten wertgeschätzt und der Beitrag herausgestellt werden, den diese Mitarbeitenden mit ihren Kompetenzen für die Gesamtorganisation leisten kann. Ferner gilt es, durch gezielte Herausforderungen zu fordern und zu fördern (vgl. auch Abb. 2).
1.3 Delegieren
Bringen Mitarbeitende alle nötigen Fähigkeiten, die richtige Motivation und Einstellung mit, um ihre Aufgabenselbstständig zu erledigen, braucht ein Vorgesetzter kaum noch eingreifen. Stattdessen kommt es darauf an, Mitarbeitenden Freiräume zu gewähren. Wichtig auf dieser Stufe ist nicht nur das Delegieren von Aufgaben, sondern auch das langfristig Abgeben der damit verbundenen Verantwortung. Die Wertschätzung für die erfolgreiche Erledigung von größeren Arbeitspaketen soll jedoch auch hier nicht fehlen. Diese Lehrkräftemüssen nicht motiviert werden, sondern es gilt Demotivation zu vermeiden (vgl. auch Abb. 2). Gleichzeitig darf die Führungskraft die Fürsorgepflicht gegenüber diesen Mitarbeitenden nicht aus den Augen verlieren.
»Die Aufgabe von schulischen Führungskräften liegt darin, die spezifischen Talente bei den Lehrkräften zu erkennen und jene zu ermutigen, dieses Potential gezielt in die Schul- und Unterrichtsentwicklung einzubringen. (Burow 2016, S. 35).«
1.4 Anleiten / Anweisen
Fehlt es einem Mitarbeitenden sowohl an den nötigen Fähigkeiten als auch an der Motivation, sind zwei Handlungsbereiche zu unterscheiden. Auf der Tätigkeitsebene sollten Vorgesetzte möglichst genaue und detaillierte Vorgaben machen und ihre Erwartungen kommunizieren, damit Mitarbeitende ganz genau wissen, was sie zu tun haben. Wichtig ist dabei auch die anschließende Kontrolle, um zu sehen, ob auch wirklich die erwarteten Leistungen erbracht wurden. Die zeitnahe ehrliche Anerkennung von Fortschritten ist hilfreich.
»Die zeitnahe ehrliche Anerkennung von Fortschritten ist hilfreich.«
Darüber hinaus kann die Motivationsebene für Führungskräfte durchaus als herausfordernd bezeichnet werden. Dabei geht es insbesondere darum, offen mit dem Mitarbeitenden, die innere Einstellung zur Arbeit zu betrachten. Sprenger (2015, S. 38) spricht von »Commitment leben« und meint damit, dass Mitarbeiter die Wahlfreiheit haben, wieder voll einzusteigen, etwas zu verändern oder weggehen zu können (vgl. auch Abb.2). Gerade im Bereich der Veränderungsmöglichkeiten könnte folgende Frage bedeutsam sein: »Was müsste passieren, dass Sie wieder zufriedener mit Ihrer Arbeit sind?« Wenngleich hier meist mehrere Gespräche notwendig sind, ist es wichtig, dass Mitarbeitende dabei unterstützt werden, die Opferrolle zu verlassen und Selbstverantwortung zu übernehmen. Der anleitende/anweisende Führungsstil ist darüber hinaus in Krisensituationen (kurzfristig) meist der effektivste Führungsansatz. Die Notwendigkeit sollte dann aber offenkommuniziert werden.
2. Umsetzung im Führungsalltag
In Bezug auf die Umsetzung möchten wir abschließend nochmals betonen, dass hier keine generelle Einordnung von Lehrkräften erfolgt, sondern dass das Führungsverhalten der Situation entsprechend angepasst werden sollte. So kann beispielsweise eine Lehrkraft eine hohe Fähigkeit und Motivation im Aufgabenbereich der Inklusion aufweisen, im Bereich der unterrichtlichen Umsetzung von digitalen Unterrichtswerkzeugen ist die gleiche Lehrkraft aber noch äußerst unsicher in ihren Fähigkeiten und benötigt dort Förderung durch die pädagogische Führungskraft (vgl. Abb. 3).
Aus Sicht von Führungskräften wäre es vermutlich wünschenswert möglichst Lehrkräfte zu haben, denen Aufgaben delegiert werden können (vgl. 1.3). Gleichzeitig gehört es aber auch zu den Aufgaben einer Führungskraft in ihrer Rolle als »Personalentwickler« Mitarbeiter dazu zu befähigen, sich in diese Richtung zu entwickeln. Diese Erkenntnis ist auch ausschlaggebend dafür, dass Ansätze des Coachings im Bereich der Personal-/Schulentwicklung wieder mehr in den Mittelpunkt rücken (vgl. Blum 2020, S. 82). Insbesondere die dem Coaching entlehnte Form des »Führens durch Fragen« hat sich nach Ansicht der Autoren als besonders hilfreich erwiesen. Dabei ist es jedoch wichtig, dass man sogenannte »systemische Fragen« wohl dosiert und mit der richtig Haltung (»Ich bin an dir als Mensch und deinen Aussagen wirklich interessiert«) einsetzt. Damit Führungskräfte dieser Rolle gut gerecht werden können, sollten sie über die Kompetenz verfügen, das Führungstool des Mitarbeitergespräches im Führungsalltag gut umsetzen können. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein Halbtag gezieltes Training anhand von Praxisfällen der Teilnehmenden ausreicht, um erfahrene Führungskräfte mit einem kompetenzorientierten Qualifizierungsansatz auf einem Basislevel vertraut zu machen.