Im Januar 2023 ist das „Wohngeld Plus“ in Kraft getreten. Durch die Wohngeldreform haben jetzt dreimal so viele Haushalte Anspruch auf die staatliche Förderung. Das führt aktuell zu einem enormen Anstieg an Anträgen und einer damit verbundenen, teils massiven zusätzlichen Belastung der Ämter, die vielerorts ohnehin bereits unter Personalmangel leiden. Mit Burkhardt Vitt, Business Manager Public Digital & Customer Solutions bei Wolters Kluwer Deutschland, sprachen wir über die Herausforderungen im Arbeitsalltag öffentlicher Verwaltungen. Er erklärt, wie eine Digitalisierungsstrategie für kommunale Ämter bei Problemen im Arbeitsablauf Abhilfe schaffen und welche Rolle dabei der Einsatz von Softwarelösungen spielen kann.
Durch die Wohngeldreform ist zuletzt die Arbeitsbelastung in den Ämtern enorm gestiegen. Wo sehen Sie aktuell die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt der öffentlichen Verwaltung?
Das größte Thema ist die Verfügbarkeit von qualifiziertem Fachpersonal. Stellen werden beantragt, im Bedarfsplan entsprechend ausgeschrieben, jedoch ist das Fachpersonal schlicht und ergreifend nicht vorhanden. Auch die öffentliche Verwaltung hat Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Fachkräften. Zudem trifft der demografische Wandel sie in voller Härte. Dazu kommt dann das „Wohngeld Plus“, das viele Behörden endgültig an ihre Grenzen stoßen lässt. In früheren Jahren war das Modell bei Verwaltungen sehr häufig: Für ein temporäres Problem werden Mitarbeiter:innen aus anderen Abteilungen zur Verfügung gestellt, um damit kurzfristig diesen Engpass zu lösen. Dieses Modell ist nicht mehr existent. Das heißt, die einzige Chance, der Lage Herr zu werden, ist, Arbeitsabläufe zu optimieren, was sich vor allem durch Digitalisierung erreichen lässt. Die Anzahl der zu bearbeitenden Fälle steigt unaufhörlich, ihre Komplexität nimmt zu, gleichzeitig steigt der Zeitdruck, und qualifiziertes Fachpersonal fehlt. Diese Herausforderungen lassen sich meiner Meinung nach ohne Digitalisierung gar nicht bewältigen.
Kommunale Arbeitgeber haben aktuell nicht nur mit fehlenden Fachkräften zu kämpfen, sondern sehen sich auch mit einem massiven Verlust von Fachkräften in den kommenden Jahren konfrontiert. Wie lässt sich vorhandenes Wissen bewahren, strukturieren und weitergeben, damit es der Verwaltung weiterhin zur Verfügung steht?
Ich persönlich glaube an die Renaissance des Begriffs Wissensmanagement. Dieser hat in den letzten Jahren eher ein Schattendasein geführt und viele konnten sich unter dem Begriff wahrscheinlich nicht so viel vorstellen. Wissensmanagement ist aber zunächst nur die Gesamtheit aller Aktivitäten, um möglichst gut dafür zu sorgen, dass bestehendes Wissen innerhalb einer Organisation weitergegeben und damit weiter von ihr genutzt werden kann. Am Ende des Tages geht es also darum, dass relevante Informationen in einem standardisierten Prozess den Mitarbeitenden jederzeit und passend zum jeweiligen Arbeitsschritt zur Verfügung gestellt werden können. Dabei empfiehlt es sich, keine Insellösungen zu schaffen, sondern am besten gleich eine digitale Softwarelösung aufzusetzen, die nicht nur die behördeneigenen Informationen beinhaltet, sondern diese auch sinnvoll mit den für die Arbeit relevanten allgemeinen Rechtsinformationen in Beziehung setzt. Das wäre für mich eine neue Form von Wissensmanagement, die dabei hilft, bereits vorhandenes Wissen auch zu entwickeln, zu strukturieren, zu transferieren und schließlich abzuspeichern und punktgenau verfügbar zu machen – auch hier spielt also Digitalisierung eine tragende Rolle.
Welche Voraussetzungen muss eine Verwaltung erfüllen, um Digitalisierung erfolgreich zu machen?
Wenn ich mir die Digitalisierung als Gesamtprojekt für die Verwaltung anschaue, ist das Wichtigste, dass die Mitarbeitenden abgeholt und mitgenommen werden: Verwaltungen müssen mit ihren Prozessschritten zur Digitalisierung sicherstellen, transparent und begreifbar machen, dass Digitalisierung eine Arbeitserleichterung und Konzentration aufs Wesentliche ermöglicht und damit das Nutzenversprechen einlösen. Wenn Mitarbeitende den Effekt der Digitalisierungsmaßnahme sofort erkennen können, dann werden sie sehr viel schneller zu Fürsprechern und klammern sich nicht an althergebrachte Arbeitsweisen. Damit geht einher, dass alle Anwendungen auch nutzerfreundlich sein müssen. Das gilt sowohl für die Bürger:innen- als besonders auch für die Verwaltungsseite. Es hilft nicht, wenn die Anträge digital eingehen und die Mitarbeitenden zweimal am Tag zwei Stockwerke tiefer die Anträge ausdrucken müssen, um sie dann der Kollegin oder dem Kollegen auf den Tisch zu legen. Ein weiteres wichtiges Thema für die Voraussetzung von Digitalisierung in Verwaltungen ist das Schnittstellenmanagement. Digitalisierung funktioniert nur, wenn die relevanten Prozesse und Schnittstellen mitgedacht werden. Sachbearbeitende sind immer in einer bestehenden Landschaft unterwegs: So arbeiten sie mit Fachverfahren, mit Dokumentenmanagementsystemen oder mit Office-Produkten, und möglicherweise kommen Anträge auch in Papierform herein. Das heißt, es gibt immer eine Schnittstellenthematik, die bedient werden sollte. Die relevanten Fragen lauten also: Wer braucht zu welcher Zeit welche Information und wo geht sie aus welchem System und über welchen Kanal hin?
Die Arbeitsbelastung führt in den Ämtern zu Verzögerungen in der Sachbearbeitung. Wie kann die Verwaltung konkret in ihrer Arbeit unterstützt werden?
Wenn wir von Wolters Kluwer als Anbieter von Fachinformationen und Softwarelösungen auf die Situation schauen, sehen wir zunächst, dass Verwaltungen unterschiedlich aufgebaut sind. Sie haben sehr differenzierte Anforderungen und gewachsene Strukturen. Das können – und sollten – Verwaltungen nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Das heißt, digitale Lösungen, die Verwaltungen sofort unterstützen, greifen idealerweise bestehende Strukturen auf.
Für die Fallbearbeitung sind sie zudem auf zahlreiche Informationsquellen angewiesen. Insbesondere das Sammeln, Bereitstellen und Pflegen lokal geltender Vorschriften ist mit hohem Zeitaufwand verbunden. All das haben wir bei der Entwicklung unserer Expertenlösung eGovPraxis berücksichtigt. Sie ist die einzige Lösung im Markt, die es den Ämtern ermöglicht, ihre eigenen Inhalte zu integrieren. Darüber hinaus verknüpft die Lösung die Inhalte mit relevanten Rechtsinformationen und stellt mit der kontinuierlichen Aktualisierung von Rechtsinformationen sowie mit dem Redaktionsservice sicher, dass die Inhalte immer aktuell und gepflegt sind, und somit auch auf die Arbeitsprozesse im eigenen Haus passen. Das ermöglicht auch neuen Mitarbeitenden, schnell zu relevanten Informationen und damit zum Bearbeiten ihrer Aufgaben zu kommen. Sie können immer sicher sein, dass die Informationen, die sie in eGovPraxis vorfinden, tatsächlich korrekt und vollständig sind und zu einer rechtssicheren Lösung führen. Erfahrene Mitarbeitende profitieren ebenfalls beim Onboarding: Neue Kolleg:innen einzuarbeiten ist wichtig, aber aufwändig. Mit zentral bereitgestellten, gesicherten, vollständigen, gut strukturierten und leicht verständlich aufbereiteten Inhalten ist hingegen in weiten Teilen eine selbstständige Einarbeitung möglich und erfahrene Mitarbeitende gewinnen dadurch Zeit für ihre Kernaufgaben. Deshalb ist die Expertenlösung auch beim Thema Onboarding so gewinnbringend.
Welche Anforderungen sollten Verwaltungen an eine Software stellen?
Im besten Fall sollte eine Software eine „Plug-and-play-Lösung“ sein, das heißt, einen einfachen Einstieg in die Anwendung des Tools ohne großen Projekt- und Implementierungsaufwand bieten. Das kann etwa heißen, dass eine „Software-as-a-Service“ (SaaS)-Applikation, bei der die IT-Hürden so gering wie möglich gehalten werden, genutzt wird. Das zweite Schlagwort ist „Joy of Use“, das heißt, es sollte auch immer ein wenig Spaß machen, mit dieser Anwendung zu arbeiten. Eine weitere wichtige Anforderung ist aus meiner Sicht, ein möglichst offenes System zu nutzen, um die Kommunikation mit anderen Anwendungen zu ermöglichen. Deshalb sollten Verwaltungen schon bei der Auswahl des Systems darüber nachdenken, mit welchen anderen Ämtern, Institutionen – aber auch Softwareprogrammen und Fachverfahren – das System zusammenarbeiten muss. Für Mitarbeitende in der Verwaltung ist von enormer Wichtigkeit, dass sie Verwaltungshandeln rechtssicher umsetzen. Voraussetzung dafür ist, auf der Basis aktueller rechtlicher Grundlagen zu arbeiten.
Deswegen müssen die genutzten Informationssysteme genau dieses Versprechen einlösen. Im Falle neuer Regelungen – wie beispielsweise alle relevanten Neuerungen zum Jahreswechsel oder den umfangreichen Änderungen beim Bürgergeld – hatten die Anwender von eGovPraxis innerhalb kürzester Zeit in der Expertenlösung sowohl Zugriff auf die neuen Rechtsnormen als auch auf leicht verständliche, praxisorientierte Informationen.