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Recht & Verwaltung16 Juni, 2021

Gamification-Konzepte für die Schule

Dr. Andreas Osterroth | Akademischer Mitarbeiter am Institut für Germanistik an der Universität Koblenz-Landau

1. Alter Wein in neuen Schläuchen 

Sie kennen Gamification wahrscheinlich bereits, nur nicht unter genau diesem Begriff. Ob Sie nun Flugmeilen

sammeln, Payback-Punkte oder jede elfte Pizza umsonst erhalten, all dies fällt unter den Begriff der

Gamification. Dass diese äußeren Anreize sehr wirksam sind, zeigt sich darin, dass große Konzerne wie

Amazon darauf zurückgreifen, um ihre Mitarbeiter/-innen zu motivieren. Pädagog/-innen wissen schon lange,

dass Spiele lernförderlich sind (vgl. Huizinga 1956) und kennen Gamification unter anderen Begriffen, wie

z.B. extrinsische Motivation oder auch operante Konditionierung. Im Grund wird erwünschtes Verhalten in

Form von Punkten belohnt, die wiederum Auswirkungen auf z.B. die schulische Bewertung haben.

Andreas Osterroth

2. Grundkonzept

Wenn etwas gamifiziert wird, dann läuft es in den meisten Fällen so ab, dass Spiel-Design-Elemente innerhalb eines Lernkontextes genutzt werden. Diese Spiel-Design-Elemente können sein:
XP / Punkte XP ist ein Akronym für Experience Points. In vielen Spielen erhält man diese für das Erledigen bestimmter Aufgaben.
Level Der Level zeigt die Erfahrung der Spieler/-innen an. Je mehr XP eine SpielerIn hat, desto höher ist das Level. 
Ranglisten
Ranglisten sortieren die Spieler/-innen nach Leveln und XP
Badges Badges sind Aufzeichnungen, die für das Erledigen bestimmter Aufgaben vergeben werden. Im Spielbereich werden sie meist Achievements oder Trophäen genannt.
Quests Quests sind Aufgaben mit besonderen Anforderungen. So müssen die Spieler/-innen z.B. eine Aufgabe lösen, die nicht alleine lösbar ist. 
Doppel-XP Zeiträume In der Spielebranche werden doppelte Punkte vergeben, um Spieler/-innen für das Spiel zu motivieren. Dieselbe Aufgaben lohnen sich also mehr.
 

3. Gamification nicht gleich Lernspiele

Trotz des Namens handelt es sich bei Gamification keineswegs um Lernspiele, eher um das genaue Gegenteil. Gamification lässt sich definieren als die Integration von Spiel-Design-Elementen in Nicht-Spiel-Kontexte (vgl. Deterding et al. 2011). Lernspiele dagegen versuchen, Nicht-Spiel-Design-Elemente (z.B. Lerninhalte) in Spiel-Kontexte zu packen.
Um dies beispielhaft zu erläutern, sei Gamification mit einem Vokabel-Memory verglichen.

Bei einem Vokabel-Memory wird ein traditionelles Spiel mit Lerninhalten, in diesem Falle Vokabeln, gefüllt. Die Kinder können dieses Spiel nun spielen und lernen so nebenbei Vokabeln.

Wenn man das Konzept stattdessen gamifizieren würde, dann würden die Kinder für das Lernen von Vokabeln Punkte erhalten, könnten sich innerhalb einer Rangliste positionieren (wer ist z.B. der Vokabelkönig) und sie könnten Badges erhalten (100 Vokabeln gelernt). Ihre Handlungen sind nicht spielerisch, nur die Auswertung ist es.

4. Vor- und Nachteile der Gamification

Gamification hat dieselben Vor- und Nachteile wie jede extrinsische Motivation. Zum einen werden die Schüler/-innen natürlich motiviert, sich mit ungeliebten Lerninhalten auseinander zu setzen, zum anderen geschieht dies aber extrinsisch.

Vorteile (McGonigal 2011: 52):

  1. »Steigern von Zufriedenheit: Die kontinuierliche Dokumentation des eigenen Verhaltens visualisiert gemachte Fortschritte, ermöglicht das Ableiten erreichbarer, persönlicher Ziele und erlaubt unmittelbares Feedback, sodass Gefühle hoher Leistungsfähigkeit entstehen.
  2. Vermitteln von Optimismus: Gamification vermittelt Nutzern Selbstbestimmtheit und das Erleben von Erfolgserlebnissen bzw. die Hoffnung, Erfolge aus eigenem Antrieb erzielen zu können.
  3. Ermöglichen sozialer Interaktion: Das mit Gamification verbundene Eintreten in eine soziale Gemeinschaft, ermöglicht mit dieser in Austausch und/oder Wettbewerb zu treten.
  4. Vermitteln von Bedeutung: Gamification vermittelt Nutzern oftmals die Teilhabe an der Lösung übergeordneter Probleme, die über die eigenen Möglichkeiten hinausgehen.«

5. Prozess > Produkt

Jede moderne Art des Unterrichts betont, wie wichtig eine Prozessorientierung gegenüber einer Produktorientierung ist. Und Gamification ist genau das. Sie bewertet den Prozess und gibt den Schüler/-innen einen sehr transparenten Überblick über ihren derzeitigen Leistungsstand. Die Schulgesetze der einzelnen Bundesländer legen nahe, dass jede SchülerIn zu jeder Zeit Einblick in den eigenen Leistungsstand haben sollte und Gamification erleichtert diese Anforderung erheblich.

6. Konkrete Umsetzung

Den Unterricht zu gamifizieren ist organisatorisch relativ einfach. Im Grunde muss man sich nur im Klaren sein, was die Schüler/-innen zu tun haben und es an Spiel-Design-Elemente knüpfen. Um den Rahmen dieses Beitrages nicht zu sprengen, wird auf die drei basalen Elemente der Gamification zurückgegriffen:

  • XP: Die Schüler/-innen erhalten Punkte für erledigte Aufgaben. Die Lehrkraft muss die gestellten Aufgaben also quantifizieren und überlegen, welche Aufgaben wie viele Punkte wert sind.
  • Rangliste: Aus den erlangten XP leitet sich dann die Rangliste ab. Es ist empfehlenswert, diese nicht vollständig öffentlich zu machen. Es genügt, wenn jede SchülerIn ihren Rangplatz kennt und die fünf besten öffentlich genannt werden.
  • Badges: Für gewisse Punktgrenzen oder bestimmte Aufgaben können Badges verliehen werden, also Auszeichnungen.

6.1 Beispielhafte Umsetzung

Die folgende Umsetzung bezieht sich auf die Ebenen vor, während und nach der Gamifizierung

6.1.1 Vor der eigentlichen Durchführung

  • Festlegen des zeitlichen Umfangs (4 Wochen): Es ist wichtig, die Gamification zeitlich klar zu begrenzen. Dies macht es am Ende auch leichter, Noten für die Leistungen zu vergeben. Ein Umfang von 4 Wochen ist z.B. sehr gut überschaubar und passend für eine thematische Unterrichtsreihe.
  • Aufgaben quantifizieren: Das Quantifizieren der Aufgaben ist nicht schwierig, es muss jedoch sowohl Umfang als auch Schwierigkeit in Betracht gezogen werden. Wenn es auch sogenannte »Fleißaufgaben« gibt, die den Lernerfolg erhöhen, steigert man auch die Motivation leistungsschwächerer Schüler/-innen. Als Vorschlag sei jeder Aufgabe ein Wert von 1–10 zugewiesen. Es müssen genug Aufgaben vorhanden sein, um die geplante Zeit zu füllen, hierbei kann man sich durchaus an Wochenplan-Arbeiten orientieren.
  • Badges entwerfen: Welche Meilensteine können die Schüler/-innen erreichen. Für den Einstieg genügt es, wenn die Meilensteine derartig aufgebaut sind:

    1. Einsteiger (mindestens 3 Aufgaben bearbeitet)
    2. Leistungstier (3 Aufgaben an einem Tag abgeschlossen)
    3. Helfer (Einem anderen Schüler bei einer Aufgabe geholfen)
    4. Topscorer (für mind. 1 Tag auf Platz 1–3 der Rangliste)

  • Benotung andenken: Es sollte von Anfang an klar sein, welche Punkte welche Note ergeben. Eine gute Richtlinie ist, dass die Erledigung aller Fleißaufgaben mindestens mit einer 3 bewertet wird. Dies stellt sicher, dass nur Schüler/-innen, die sich verweigern, tatsächlich eine schlechte Note erhalten. Man muss hier aufpassen, dass die Noten nicht zu einfach zu erreichen sind.

6.1.2 Während der Gamification

Es sollte Freiräume für die Klasse geben, die Gamification-Aufgaben zu bearbeiten. Diese können im Unterricht oder nach der Schule sein. So könnten sich Input und Bearbeitung der Gamification-Aufgaben abwechseln und man könnte in der Zeit der Gamification auf die Hausaufgaben verzichten.

In dieser Zeit hat die Lehrkraft viel zu tun, da ständig Aufgaben abgegeben werden, die bepunktet werden müssen. Der entstehende Korrekturaufwand wird aber wieder etwas davon abgefangen, dass man keine Leistungsüberprüfung am Ende der Unterrichtsreihe durchführen muss. Auch ist es klug, Abgabetage einzuführen, damit die Aufgaben nicht ständig zwischen Tür und Angel abgegeben werden. Eine Digitalisierung wäre wünschenswert, da man sich hier sehr viel Aufwand erspart.

6.1.3 Nach der Gamfication

... ist vor der Gamification. Wichtig ist, dass man seine Erfahrungen evaluiert. Sowohl die Meinungen der Schüler/-innen als auch die eigene Wahrnehmung sind wichtig und sollten zukünftige Projekte verbessern. Neben der Notenvergabe ist es wichtig, dass sie in das Gespräch mit dem Schüler/-innen kommen und festhalten, was man verbessern kann. Gamification ist kein Konzept, das flächendeckend an der ganzen Schule durchgeführt werden kann, aber es lockert den Alltag auf und stellt eine andere Art der Leistungsbeurteilung dar, die von Schüler/-innen gerne angenommen wird. Deshalb ist es wichtig, sich deren Vorschläge anzuhören, um den nächsten Durchgang zu optimieren.

7. Digitalisieren

Wie bereits gezeigt, kann man Gamification komplett analog betreiben, doch die Digitalisierung bietet sehr viele Möglichkeiten, den Vorgang zu vereinfachen. Im Folgenden seien einige Anregungen gegeben, die man mehr oder weniger schnell in den eigenen Unterricht einbauen kann. Allen gemein ist, dass sie recht benutzerfreundlich und auf den Einsatz in der Schule ausgelegt sind.

7.1 Die Komplettlösung aus einer Hand

Es gibt kommerzielle Lösungen, wie z.B. Classcraft1, welches bereits mehrere Preise erhalten hat und großflächig im Einsatz ist. Die genaue Beschreibung des Tools würde an dieser Stelle zu weit führen, aber im Grunde wird eine gamifizierte Lernumgebung präsentiert, die die Lehrkraft für sich und die Klasse sehr gut anpassen kann.

7.2 Die selbstgemachte Lösung

Wenn Sie einfach nur XP, Rangliste und Badges digitalisieren, genügt es, wenn Sie eine einfache Excel-Tabelle mit diesen Daten erstellen und den Schüler/-innen passwortgeschützt zur Verfügung stellen. Der Vorteil ist, dass Sie keine handschriftliche Liste mit sich führen müssen und das Aktualisieren schneller von der Hand geht.

7.3 Besonders nützliche Tools, die man schnell verwenden kann

Sie können sich Ihr Gamification-Projekt aus einer schier endlosen Zahl an Apps zusammensetzen. Im Folgenden sollen einige besonders interessante genannt werden:

  • Verwaltung der Listen, XP und Badges: Google Classroom2 bietet hierfür eine Komplettlösung an. Hier können z.B. problemlos Aufgaben bearbeitet und Punkte vergeben werden. Dieses Tool ist sehr umfangreich und eignet sich als
    Lernplattform, wenn die Schule keine eigene anbietet.
  • Quizzes und Lernkontrollen: Für die schnelle, gamifizierte Wissensabfrage eignen sich Tools wie Kahoot3 oder Quizlet4 sehr gut. Beide lassen sich kostenfrei und schnell im Unterricht einsetzen. Im Grunde handelt es sich um kleine Quizspiele, die auch eine Bestenliste führen und den Schüler/-innen anzeigen, ob sie sich im Laufe der Unterrichtssequenz verbessert haben oder nicht. Die Lehrkraft kann die Ergebnisse mit Badges oder Punkten belohnen.

8. Fazit

Dieser kurze Beitrag soll nur einen groben Überblick über Gamification geben und es gibt mannigfaltige
Quellen, sich hier weiter zu informieren. Wichtig ist zu sehen, dass Gamification kein Allheilmittel für den
Unterricht darstellt, aber eine hochinteressante Art des Lernens ist (vgl. Erenli 2013).

Links mit Gamification-Ideen

https://www.spieleratgeber-nrw.de/Gamification--Best-Practice.4712.de.1.html

https://www.medienkompetenzportal-nrw.de/handlungsfelder/schule/medienpaedagogisches-lernen/gamification-im-unterricht.https://www.betzold.de/blog/gamification/

https://www.betzold.de/blog/gamification/

https://schulesocialmedia.com/2018/12/13/ueber-gamification-im-deutschunterricht-und-die-quantifizierbarkeit-von-lektuereerlebnissen

Literatur

Deterding, Sebastian; Dixon, Dan; Khaled, Rilla; Nacke, Lennard, E. (2011): Gamification: Toward a Definition. Online verfügbar unter http://gamification-research.org/wp-content/uploads/2011/04/02-Deterding-Khaled-Nacke-Dixon.pdf .

Erenli, Kai (2013): The Impact of Gamification – Recommending Education Scenarios. In: International Journal of Emerging Technologies in Learning (8), S. 15–21.

Huizinga, Johan (1956): Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rowohlt.

McGonigal, Jane (2011): Reality Is Broken. Why Games Make Us Better and How They Can Change the World. New York: The Penguin Press.

Quellen

20210616_Autor_Dr_Andreas_Osterroth

Akademischer Mitarbeiter am Institut für Germanistik an der Universität Koblenz-Landau

 

Dr. Andreas Osterroth

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