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Recht & Verwaltung16 Juni, 2021

Homeschooling – Haben Schüler aus sozialschwachen Familien Anspruch auf ein Endgerät?

von Marco Bijonk

Das Problem: Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft haben nur knapp 28 Prozent aller 12-jährigen Schüler einen eigenen PC zur Verfügung. Bei Kindern aus sozial schwachen Familien liegt der Anteil nur bei 15 Prozent. Sollen die übrigen Schüler am Homeschooling sinnvoll und ungestört teilnehmen, so muss ein Endgerät her. Was sagt insoweit das Sozialrecht?

Worum geht es

Eine wichtige Entscheidung zu diesem Problemkreis musste jüngst das Landessozialgericht (LSG) Thüringen treffen. Die Mutter einer Achtklässlerin und Empfängerin von Arbeitslosengeld 2 hatte die Übernahme der Kosten für einen Computer sowie Drucker nebst Zubehör für den Schulunterricht beantragt. Sie begründete dies damit, dass ihre Tochter nach der coronabedingten Schließung der Schule ohne ein internetfähiges Gerät nicht auf die Thüringer Schul-Cloud zugreifen könne. Sie forderte die Kostenübernahme, weil diese nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sei.

Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 Sozialgesetzbuch II

Das LSG teilte diese Ansicht mit Beschluss vom 08.01.2021 (L 9 AS 862/20 B ER) und verpflichtete die Antragsgegnerin dazu, entweder die beantragten Endgeräte selbst zu beschaffen oder die Kosten der Anschaffung bis zu einem Höchstbetrag von 500,00 EUR zu erstatten. Das Gericht erkennt einen Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6
Sozialgesetzbuch II:

„Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger Bedarf besteht. […] Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend erfüllt. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Bedarf (Anschaffung eines internetfähigen Computers nebst Zubehör zur Teilnahme am pandemiebedingten Hausschulunterricht) stellt grundsätzlich einen anzuerkennenden Mehrbedarf dar […].“

Das Gericht hielt auch – erfreulich lebensnah – das Abholen der Aufgaben in ausgedruckter Form im Schulsekretariat durch die Schülerin für keinen gleichwertigen Ersatz. Und auch ein Smartphone sei auch Sicht des Gerichts zur ordentlichen Erledigung der Aufgaben im Homeschooling ungeeignet:

„Die Anschaffung eines internetfähigen Endgeräts ist mit der … Schließung des Präsenzunterrichts zur Verwirklichung des Rechts des Kindes auf Bildung und der Chancengleichheit erforderlich geworden. Während der pandemiebedingten Schließung des Präsenzunterrichtes hat die Antragstellerin damit die Möglichkeit, auf die Thüringer „Schulcloud“ zuzugreifen und sich mit Lernmaterialien und Aufgaben zu versorgen. […]

Soweit die Antragstellerin die Möglichkeit hätte, die Schulaufgaben in ausgedruckter Form im Sekretariat der Schule abzuholen, hält der Senat das nicht für einen den Modalitäten der Computernutzung entsprechenden Ersatz (z.B. im Fall von Onlineunterricht). Der Bedarf ist auch unabweisbar. Nach den vom Antragsgegner unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin ist im Haushalt der Familie lediglich ein internetfähiges Smartphone vorhanden. Dieses erscheint für die Erledigung von Aufgaben und Beschaffung von Lernmaterial aufgrund des kleinen Formats ungeeignet, zudem benötigt die Antragstellerin einen Drucker als Zubehör.“

Die Schülerin war aus Sicht des Gerichts auch nicht damit zu vertrösten, dass sie – früher oder später – ohnehin durch Maßnahmen von Stadt oder Landkreis ein Endgerät gestellt bekommen würde. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil nach Angaben der Antragsgegnerin des Verfahrens diese Maßnahmen „unmittelbar bevorstanden“:

„Auch ist nach bisherigem Stand nicht davon auszugehen, dass ein Gerät von Dritten, also z.B. der Schule oder einem Schulförderverein, zur Verfügung gestellt wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Schule der Antragstellerin ein mobiles Endgerät zur Verfügung stellen kann (z.B. über Spenden oder einen Schulförderverein), bestehen nicht. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin kurzfristig vom Landkreis oder der Stadt N entsprechend ausgestattet wird. Selbst wenn derartige Geräte beschafft worden sein sollten, steht nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass die Antragstellerin so zeitnah damit versorgt wird, dass ihr die Begleitung des Unterrichts unverzüglich möglich ist.“

Anschaffung von Second-Hand-Geräten ist ausreichend und zumutbar

Das Gericht hielt jedoch die Anschaffung von Second-Hand-Geräten für ausreichend und zumutbar:

„Allerdings hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf die von ihr ausgewählten Geräte, deren Preis sie im Verwaltungsverfahren mit 720,- EUR (ohne Patronen) angegeben hat. Das Leistungssystem des SGB II vermittelt keinen Anspruch auf bestmögliche Versorgung, sondern garantiert die Befriedigung einfacher und grundlegender Bedürfnisse. Der Senat hält es … daher für grundsätzlich zumutbar, Gebrauchtgeräte zu verwenden, wenn sie den erforderlichen Zweck erfüllen. Der Kauf von Second-Hand-Geräten ist in weiten Bevölkerungskreisen allgemein üblich. Die Antragstellerin muss sich daher auf ein kostengünstiges und ggf. gebrauchtes zweckentsprechendes Gerät verweisen lassen.“

Was für Sie wichtig ist

Auf diese erfreuliche und schülerfreundliche Entscheidung des LSG Thüringen können Sie Eltern bei Bedarf hinweisen, insbesondere wenn sie den Distanzunterricht rundheraus wegen angeblich fehlender technischer Möglichkeiten ablehnen.

 

Stefan Burggraf von Frieling

 

Marco Bijok

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