Redaktion Wolters Kluwer Online
Die Motivation zur Gründung einer eigenen Anwaltskanzlei kann vielfältig sein. Im vorliegenden Interview sprechen wir mit Herrn Raoul Beth, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Ehrenamtlicher Richter am Anwaltsgericht Berlin, und Herrn Dr. Benedikt M. Quarch, Jurist und Co-Founder des Legal Tech-Unternehmens „RightNow Group“, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagten. Herr Beth und Herr Quarch erzählen von ihren persönlichen Beweggründen und den Schritten, die sie unternommen haben, um ihren Traum zu verwirklichen.
Herr Raoul Beth und Herr Dr. Benedikt M. Quarch haben gemeinsam mit über 20 Expert:innen aus den unterschiedlichsten Fachdisziplinen an dem digitalen Werk „Business Know-how für Kanzleien“ zusammengearbeitet, das Sie hier bestellen können.
Was hat Sie dazu motiviert, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und Ihre eigene Anwaltskanzlei zu gründen? Welche Schritte mussten Sie unternehmen, um diesen Traum zu verwirklichen?
Raoul Beth: Ich war schon immer etwas stur und eigensinnig. Das kommt mir als Rechtsanwalt und insbesondere Strafverteidiger sicherlich zugute, machte das Angestelltendasein aber etwas mühsam. Für alle Beteiligten :) Daher kam nach einigen Jahren im Angestelltenverhältnis der Punkt, an dem klar wurde, dass ich einen neuen Impuls brauche, um mich weiterzuentwickeln. Am Anfang habe ich noch darüber nachgedacht, mich in einer anderen Kanzlei zu bewerben, bis ein Freund meinte: „Warum machst du dich eigentlich nicht einfach selbstständig?“. Meine erste Reaktion war: „Auf gar keinen Fall, das kann ich nicht!“ Aber dann habe ich spaßeshalber angefangen zu recherchieren, was dafür überhaupt nötig ist und nach ein paar Tagen habe ich mich mit der Idee langsam angefreundet. Ich muss gestehen, dass ich da sehr naiv rangegangen bin und am Anfang überhaupt keinen Plan hatte, was da auf mich zukommt. Ich habe mich dann schrittweise in das Thema Kanzleigründung eingearbeitet, bis ich ein paar Monate später mit meinem Businessplan sehr aufgeregt bei einer Bank saß und einen Gründungskredit beantragt habe. Danach ging dann alles sehr schnell.
Dr. Benedikt Quarch: Zunächst der Hinweis, dass ich keine Anwaltskanzlei gegründet habe, sondern ein LegalTech-Unternehmen (RightNow). Es haben schon immer zwei Herzen in meiner Brust geschlagen: das Unternehmerherz und das Jura-/Wissenschaftsherz. Mit der Gründung unseres LegalTech-Unternehmens, das innovative Wege beschreitet, neue Rechtsansprüche entwickelt und durchsetzt, und über die letzten Jahre stark gewachsen ist, konnte ich diese beiden Leidenschaften bestmöglich kombinieren. Das macht mir große Freude. Gegründet habe ich zusammen mit zwei Freunden von mir – vieles hat sich immer aus dem Zufall entwickelt, die wichtigsten Schritte waren aber sicher das Entwickeln einer guten und klaren Strategie, der Aufbau einer schlagkräftigen Organisation mit absolut tollen Mitarbeiter:innen und unser technologieorientierter Ansatz.
Es wird oft gesagt, dass der Weg in die Selbstständigkeit mit hohen Kosten verbunden ist. Können Sie dies bestätigen und welche Kosten sind bei der Gründung Ihrer Kanzlei auf Sie zugekommen?
Raoul Beth: Das hängt sehr von den persönlichen Umständen und Vorstellungen ab. Ich hatte damals beispielsweise keinen eigenen Mandantenstamm und saß wirklich im Büro und habe auf den ersten Mandanten gewartet. Daher war es mir sehr wichtig, ein entsprechendes finanzielles Polster für die ersten Monate zu haben, um nicht gleich mit schlaflosen Nächten und Existenzängsten in die Selbstständigkeit zu starten. Wenn man aber schon einige Mandate in die Selbstständigkeit mitbringen kann, oder mit einer Kanzlei zusammenarbeitet, die einen regelmäßig mit Mandaten versorgt, kann man hier natürlich ganz anders herangehen.
Ansonsten hängen die Kosten sehr davon ab, mit welcher Ausstattung man starten möchte: Zwischen Wohnzimmerkanzlei und Altbau mit USM-Haller-Ausstattung im Wert eines Mittelklassewagens ist alles möglich.
Ich habe damals einen Gründungskredit im mittleren fünfstelligen Bereich aufgenommen. Damit habe ich die gesamte Kanzleiausstattung und einen Fachanwaltskurs finanziert und hatte ein ausreichendes Polster für die Anfangsphase. Zumindest 2019 hat man einen Gründungskredit in der Größenordnung ohne besondere Sicherheiten und mit akzeptablen Zinsen bekommen. Insgesamt war das aber recht großzügig kalkuliert und ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die auch mit deutlich weniger Kapital erfolgreich gestartet sind.
Dr. Benedikt Quarch: Gewiss gibt es hohe Kosten, die sind je nach Ansatz aber nicht primär monetär, sondern zeitlich: Das Unternehmertum erfordert vollen Einsatz – auch zu Zeiten, in denen andere nicht arbeiten. Wenn man aber leidenschaftlich bei der Sache ist, macht das viel Spaß. Der finanzielle Aufsatz der Selbstständigkeit ist natürlich auch nicht zu vernachlässigen – das muss gut geplant werden.
Gibt es Ihrer Meinung nach den idealen Zeitpunkt, um eine Anwaltskanzlei zu gründen?
Raoul Beth: Umso früher, umso besser. Ich habe mich mit 34 selbstständig gemacht und fand es sehr angenehm, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viele private Verpflichtungen hatte. Ich kann mir vorstellen, dass der Druck ein ganz anderer ist, wenn man schon Kinder hat und vielleicht noch eine Wohnung abbezahlen muss.
Dr. Benedikt Quarch: Jetzt!
Die Gewinnung und Bindung von Mandanten ist in der Anwaltsbranche ein ständiges Thema. Ist es als neuer selbstständiger Anwalt/eine neue selbstständige Anwältin möglich, sich die Mandate auszusuchen, "Nein" zu sagen und Mandate abzulehnen?
Raoul Beth: Grundsätzlich ja. Ich rate dazu, sich auch als Neugründung ein klares thematisches Profil zu geben und sich dann auch auf diese Bereiche zu beschränken, sprich die Mandate abzulehnen, die nicht zu dem Profil passen. Ob sich das Profil dabei an einem Rechtsgebiet oder einer Branche orientiert, ist in meinen Augen egal. Wichtig ist, dass man den Mandanten klar vermittelt, was man macht und vor allem was man kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in mehr als drei Rechtsgebieten abseits von absoluten Standardfällen ordentliche Arbeit leistet, halte ich für eher gering. Zudem werden Mandate schnell unwirtschaftlich, wenn man sich jedes Mal komplett neu einarbeiten muss. Ich habe hier gute Erfahrungen gemacht, Anfragen aus anderen Rechtsgebieten im Netzwerk zu verteilen. Regelmäßig kommt aus dem Netzwerk auch etwas zurück und ich habe schon öfters erlebt, dass sich die Anfragenden später nochmal mit Angelegenheiten in meinem Tätigkeitsbereich melden. Gute Empfehlungen wirken nach meiner Wahrnehmung vertrauensbildend. Ich habe von Anfang an alles außer Strafrecht abgelehnt und erst nach ein paar Jahren kam das Steuerrecht aufgrund der offensichtlichen Überschneidungen mit dem Steuerstrafrecht hinzu. Mittlerweile bin ich in der komfortablen Position, dass ich auch innerhalb des Strafrechts weiter differenzieren kann und mich daher weitgehend auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht beschränke.
Dr. Benedikt Quarch: Eine klare Fokussierung ist das Wichtigste: Was ist das Spezialgebiet, in welcher Nische möchte ich mich als „Thought leader“ positionieren? Wenn das klar ist und jeden Tag gelebt wird, kann man natürlich – und sollte man auch – Mandate ablehnen, die nicht dazu passen.
Welche Ratschläge können Sie anderen Anwält:innen geben, die darüber nachdenken, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und eine eigene Kanzlei zu gründen?
Raoul Beth: Ich rate jedem, der den Schritt in die Selbstständigkeit in Erwägung zieht, einen Businessplan und eine grobe Finanzplanung aufzustellen. Was will ich anbieten, wieviel kann ich damit verdienen, welche Ausstattung brauche ich dafür und wieviel Geld habe ich dann am Ende des Monats auf dem Konto?
So bekommt man einen guten Überblick darüber, welche Vorbereitungen für die Gründung nötig sind und wieviel Geld man jeden Monat umsetzen muss, um auf das eigene Wunschgehalt zu kommen. Gerade die nötigen Umsätze können am Anfang durchaus abschrecken und ich musste auch schlucken, als ich zum ersten Mal schwarz auf weiß gelesen habe, was ich jeden Monat reinholen muss, damit am Ende genug auf dem Konto bleibt. Gleiches gilt für die Kosten des Kanzleibetriebs und der Anschaffungen. Daher ist das Schreiben eines Businessplans ein guter Realitätscheck, um herauszufinden, ob die eigenen Wunschvorstellungen auch ein taugliches Geschäftsmodell darstellen. Wenn man das alles durchgeplant hat und dann immer noch der Meinung ist, dass man das machen möchte – los geht’s!
Dr. Benedikt Quarch: Los geht’s. Mein Lebensmotto ist schon seit jeher: Nie die ausgetretenen Pfade gehen – also: viel Spaß beim Erkunden neuer Pfade.
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