Autor:in: Dr. Klemens Dörner Autor für das Handbuch des Arbeitsrechts
Der folgende Beitrag wirft einen Blick auf wichtige Änderungen der letzten Jahre im Arbeitsrecht. Dabei werden auch aktuelle Themen wie die Plattformarbeits-Richtlinie, der AI Act und die Digitalisierung der Arbeitsgerichtsbarkeit behandelt.
Neue Gesetzgebung
In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche gesetzliche Änderungen im Bereich des Arbeitsrechts, u.a. die Einführung der rechtsfähigen eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB; eGbR), ferner unionsrechtlich gebotene Änderungen und Ergänzungen des NachweisG, beim Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen im Home-Office im häuslichen Wirkungskreis und bei Wegeunfällen zur Betreuung der Kinder außer Haus (§ 8 Abs. 1 S. 3 SGB VIII, § 8 Abs. 2 Nr. 2a SGB VIII), die Auswirkungen des Betriebsrätemodernisiserungsgesetzes, die EU-Entgelttransparenz-RL, die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 5 Abs. 1a EFZG), die Neuregelungen für Mini-Jobs (§ 8 Abs. 1 SGB IV) nach Anhebung und Dynamisierung der Geringfügigkeitsgrenze (Schaffung eines Übergangsbereichs statt einer Gleitzone).
Durch das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) hat der nationale Gesetzgeber die Whistleblowerrichtlinie der EU umgesetzt. Es sieht für relevante Meldungen Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten vor, die Errichtung von Meldestellen, ermöglicht deren Eingliederung in die Complianceabteilung, regelt Meldeverfahren, Datenschutz, Dokumentation, Zuständigkeiten, Bearbeitungs- und Entscheidungspflicht, Verantwortlichkeiten und Sanktionen bei Pflichtverletzungen. Ferner enthält es (u.a.) Regelungen zu geschützten Hinweisgebern, privilegierten Meldungen, den Schutz des Hinweisgebers, insbesondere durch ein Repressalienverbot (Kündigungsverbot) und eine Beweislastumkehrregelung sowie Schadensersatzansprüche des Hinweisgebers.
Mithilfe der Plattformarbeits-RL sollen die Arbeitsbedingungen in der digitalen Plattformarbeit verbessert werden, u.a. durch Einführung eines Vermutungstatbestandes, wonach eine Person, die Plattformarbeit leistet, zunächst als Arbeitnehmer anzusehen ist. Der AI Act (12.07.2024, EU-Amtsblatt) als das erste umfassende Gesetz zur Regulierung von KI-Systemen soll u.a. den menschenzentrierten und vertrauenswürdigen Einsatz von KI in der EU fördern. Zu diesem Zweck werden nach einem risikobasierten Ansatz an Anbieter und Betreiber von KI-Systemen Compliance-Anforderungen gestellt, die umso strenger sind, je höher das Risiko für das jeweilige KI-System ist.
Ausblick auf weitere Gesetzesänderungen
Im Zuge der umfassend beabsichtigten Entlastung von (tatsächlich oder vermeintlich) überflüssiger Bürokratie auch im Arbeitsleben wurde und wird wird insbesondere die möglichst weitgehende Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form (z.B. im NachweisG) teils bereits umgesetzt, teilds weiterhin diskutiert. Belastbare Ansätze für die im Hinblick auf die längst realen Veränderungen der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung dringend erforderliche umfassende Reform des Arbeitszeitrechts lassen sich dagegen nach wie vor nicht vermelden.
Rechtssicherheit für kommende Pandemien
Die infolge von Corona-Verordnungen und gesetzlichen Infektionsschutzbestimmungen (IfSG) aufgetretenen arbeitsrechtlich relevante Fragestellungen von erheblicher praktischer Bedeutung sind nunmehr weitgehend höchstrichterlich geklärt; damit ist eine Grundlage für die Bewältigung nicht auszuschließender künftiger Pandemien gegeben.
Relevant sind insoweit u.a.
- die Übernahme des Betriebsrisikos im Falle behördlich angeordneter Betriebsschließungen,
- das Fragerecht des Arbeitgebers bezüglich des Impfstatus des Arbeitnehmers,
- Anordnung einer Testpflicht, von G-2 oder G-3 Regeln im Betrieb oder in bestimmten Arbeitsbereichen,
- die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Impfpflicht, ggfs. nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen,
- Anspruch/Verpflichtung zur Tätigkeit im Home-Office,
- „Verschulden gegen sich selbst“ bei Reisen in (Hoch-) Risikogebiete,
- Quarantäne-Pflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten,
- symptomlose Infektion als Krankheit i.S.d. § 3 EFZG,
- Wegfall der Entschädigungspflicht nach IfSG und der Entgeltfortzahlungspflicht bei Nichtimpfung trotz bestehender Impfmöglichkeit,
- Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Feststellung der AU aufgrund telefonischer Anamnese,
- Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers bei fehlenden angemessenen Schutzvorkehrungen des Arbeitgebers,
- Abmahnung und Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Verstoß gegen eine rechtmäßig angeordnete Impfpflicht oder betrieblich angeordnete Schutzmaßnahme, z.B. Testpflicht oder Vorlage gefälschter Impfbescheinigungen sowie die außerordentliche Änderungskündigung bei Verweigerung der Zustimmung des Arbeitnehmers zur Kurzarbeit in betriebsratslosen Betrieben (und Existenzgefährdung des Arbeitgebers).
Arbeitsrecht und Kirche
Neugestaltet wurden zudem die Grundordnung des kirchlichen Dienstes und die kündigungsrechtlichen Auswirkungen des Kirchenaustritts während des bestehenden Arbeitsverhältnisses.
Weitere aktuelle Rechtsprechungsthemen – auch der Instanzgerichte
Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte aller Instanzen war darüber hinaus mit vielen weiteren Themen befasst, u.a. den aktuellen Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriffs (IT-Mitarbeiter, z.B. mit selbst gewählter Arbeitsstätte, Vereinsmitgliedschaft, Freiwilligkeitsdienstverhältnis, karitative, religiöse Tätigkeit, Organe juristischer Personen, Rechtsanwälte, Piloten, Kurierfahrer),den Anforderungen an ein betriebliches Kopftuchverbot, der Vergütung für Bereitschaftsdienste, Bereitschaftszeiten, Fortbildungszeiten, Zeiten der Anlegung von Dienstkleidung oder deren Abholung, der Darlegungs- und Beweislast für die Vergütung von Überstunden, Besonderheiten bei Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeitkonten, Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenvergütung erst bei Überschreiten der Stundenzahl für Vollzeitarbeit.
Hinzu kommen weiterhin Probleme aus dem Urlaubsrecht (u.a. Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers) und zur Gleichbehandlung bei tariflichen Nachtschichtzuschlägen;. darüber hinaus Probleme in Verbindung mit der Zahlung einer Corona- sowie einer Inflationsausgleichsprämie, Fragen der „richtigen“ Betriebsratsvergütung, der Privatnutzung von Arbeitsmitteln, die Anforderungen an den Zugang einer Kündigungserklärung nebst Anscheinsbeweis, das Verfahren bei Massenentlassungen und die Sanktionen für Fehler im Anzeigeverfahren (§§ 17 ff. KSchG), die Kündigung bei extremistischen und menschenverachtenden Äußerungen von Arbeitnehmern innerhalb oder außerhalb des Betriebes, insbesondere in den sog. „sozialen“ Medien.
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist zudem die aktuelle Entwicklung zum Verständnis des „böswilligen Unterlassens“ anderweitigen Erwerbs (§ 11 Nr. 3 KSchG; § 615 BGB) im Nachgang einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung. Das gilt zum einen hinsichtlich der zu stellenden Anforderungen an das Verhalten des Arbeitnehmers, um das Verdikt der Böswilligkeit auszuschließen, einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers und zum andern bezüglich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen den Streitparteien im konkreten Einzelfall einschließlich einer etwaigen sekundären Darlegungslast des Arbeitnehmers.
Digitalisierung der Arbeitsgerichtsbarkeit
Die Entwicklung hin zur elektronischen Gerichtsakte und die damit verbundenen schrittweisen technischen Neuerungen nebst normativer Umsetzung führen, vor allem im Bereich der Wahrung einzuhaltender Fristen, zu Anpassungsproblemen, u.a. um die Anforderungen an die ordnungsgemäße und fristgerechte Einreichung von Klagen und Schriftsätzen (z.B. Kündigungsschutzklage, Berufung, Berufungsbegründung) zu erfüllen. Die Durchführung mündlicher Verhandlungen per Videozuschaltung einer oder beider Parteien soll freilich einfacher möglich sein.
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