Prof. Dr. Peter Becker, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht a.D.
Der erwartete Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die angekündigte und in ihrer Ausgestaltung bis zuletzt politisch umstrittene Kindergrundsicherung liegt nun mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen (Bundeskindergrundsicherungsgesetz – BKG; im Folgenden: „BKG-Ref.-Entw.“) vor. Auch wenn der Entwurf mit dem Bearbeitungsstand 30.08.2023 der Anhörung der Verbände dient und mit gewissen Änderungen in Einzelpunkten noch zu rechnen ist, werden aus ihm die entscheidenden Eckpunkte für die neue Kindergrundsicherung und deren Auswirkungen auf die Sozialämter und Jobcenter deutlich.
Kindergrundsicherung: Leistungen
Die Kindergrundsicherung setzt sich aus den folgenden Leistungen zusammen:
Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen, der das Kindergeld ablöst und einkommensunabhängig ist (§§ 1, 3 ff. BKG-Ref.-Entw.). Anspruchsberechtigt sind die Eltern. Die Anspruchsberechtigung ist grundsätzlich wie beim heutigen Kindergeld ausgestaltet: Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes; darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen (wie z.B. Ausbildung) bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres. Für unbeschränkt Steuerpflichtige bleibt es bei der Regelung im EStG.
Kinderzusatzbetrag, der den Kinderzuschlag ablöst und an die Stelle des Bürgergelds oder der Hilfe zum Lebensunterhalt für Kinder tritt (§§ 1, 9 ff. BKG-Ref.-Entw.). Anspruchsberechtigt ist das Kind. Entscheidende Voraussetzung ist der Anspruch eines Elternteils auf den Kindergarantiebetrag (§ 9 Abs. 1 BKG-Ref.-Entw.). Der Kinderzusatzbetrag setzt sich zusammen aus dem altersgestaffelten Regelbedarf sowie einem Betrag für Unterkunft und Heizung auf Grundlage des jeweils maßgeblichen Existenzminimumberichts der Bundesregierung, soweit die Beträge nicht durch den Garantiebetrag gedeckt sind. Der Zusatzbetrag ist abhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern und des Kindes (§§ 12 ff. BKG-Ref.-Entw., die im Wesentlichen auf das SGB II verweisen).
Leistungen für Bildung und Teilhabe als monatliche Pauschale von 15,00 Euro, dem Schulbedarfspaket und den anderen bisher schon gewährten Leistungen. Anspruchsberechtigt ist das Kind (§§ 20 f., 37 BKG-Ref.-Entw.).
Zuschüsse zu Beiträgen einer privaten Krankenversicherung bzw. einer freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung sowie Pflegeversicherung (§ 22 BKG-Ref.-Entw.).
Kindergrundsicherung: Höhe, Zuständigkeit und Verfahren
Die Höhe des Zusatzbetrags (§ 11 BKG-Ref.-Entw.) ist dem Gesetzentwurf nicht zu entnehmen, weil er von der Höhe der Regelbedarfe ab 01.01.2025 abhängt. Hinsichtlich der Ermittlung der Regelbedarfe sieht das BKG Änderungen im Regelbedarfsermittlungsgesetz vor, die noch nicht vollständig ausformuliert sind (vgl. Art. 10 BKG-Ref.-Entw.). Zudem ist aufgrund der Einkommens-und-Verbrauchs-Stichprobe 2023 eine Neuermittlung der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII zum 01.01.2025 zu erwarten.
Der Betrag für Unterkunft und Heizung auf Grundlage des jeweils maßgeblichen Existenzminimumberichts der Bundesregierung liegt derzeit ebenfalls nicht fest. Nach dem letzten, dem 14. Existenzminimumbericht (BT-Drucks. 20/4443 S. 8), beläuft sich für das Jahr 2024 der Betrag für die Bruttokaltmiete auf 99,00 Euro/Monat und der für die Heizung auf 26,00 Euro/Monat, insgesamt 125,00 Euro/Monat (Ref.-Entw. S. 50).
Zuständig für die Kindergrundsicherung wird grundsätzlich die bisherige Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, die den neuen Namen „Familienservice“ erhält (§ 23 Abs. 1 BKG-Ref.-Entw.). Für die Leistungen zur Bildung und Teilhabe – außer den pauschalen 15,00 Euro pro Monat – sind die Länder zuständig, die diese Aufgabe auf die Kommunen übertragen können (§ 23 Abs. 4, 5, § 23a BKG-Ref.-Entw.).
Das Verfahren soll grundsätzlich elektronisch abgewickelt werden, es sei denn die Antragstellenden wünschen dies nicht (BKG-Ref.-Entw. S. 53).
Wichtige Änderungen bei anderen Leistungen sowie die Auswirkungen auf Sozialämter und Jobcenter
→ Unterhaltsvorschuss soll es grundsätzlich nur noch für Kinder bis zur Einschulung geben, anschließend gelten erhöhte Voraussetzungen (Art. 2 BKG-Ref.-Entw.: Änderung des § 1 UhVorschG).
→ Bei der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung im SGB II wird die Bedarfsanteilsmethode (= vertikale Berücksichtigung) durch die horizontale Berücksichtigung ersetzt (Art. 4 Nr. 3 BKG-Ref.-Entw.: Neufassung von § 9 Abs. 2 SGB II).
→ Neufassung des Mehrbedarfs wegen dezentraler Warmwassererzeugung (Art. 4 Nr. 6, Art. 7 Nr. 2 BKG-Ref.-Entw.: Änderung § 21 Abs. 7 SGG II, § 30 Abs. 7 SGB XII).
→ Änderung des Kopfteilprinzips bei den Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung und Anpassung an die pauschalierten Leistungen des BKG für Kinder (Art. 4 Nr. 7, Art. 7 Nr. 3: BKG-Ref.-Entw.: § 22 Abs. 1a SGB II, § 35a Abs. 1a SGB XII).
→ Vermutung der Bedarfsdeckung durch die Kindergrundsicherung im SGB II und SGB XII (Art. 4 Nr. 10, 7 Nr. 5 BKG-Ref.-Entw: Neuer § 37a SGB II, Ergänzung § 39 SGB XII). Aber: Ansprüche auf SGB II- und SGB XII-Leistungen bleiben als Auffangsysteme bestehen für „kindliche Sonder- und Mehrbedarfe“ sowie bei Einkommensreduzierung im laufenden Bewilligungszeitraum (Begründung des BKG-Ref.-Entw. S. 49, 69).
→ Der Sofortzuschlag für Kinder usw. wird abgeschafft (§ 72 SGB II, § 145 SGB XII).
→ Das (bisherige) Bundeskindergeldgesetz (BKGG) wird abgeschafft.
→ Auf Leistungen des BAföG wird der Garantiebetrag nicht angerechnet (BKG-Ref.-Entw. S. 48 f.).
→ Inkrafttreten soll das Gesetz am 01.01.2025.
Quelle: Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen“; veröffentlicht hier mit Stand vom 30.08.2023.