Recht & Verwaltung24 Juli, 2023

Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung und Differenzschaden: BGH klärt die Voraussetzungen

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online
1. Beim Kauf eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs kann einem Anspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung nicht entgegengehalten werden.
2. Dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs steht unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zu.

Sachverhalt: Anspruch eines Fahrzeugkäufers auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Der klagende Fahrzeugkäufer verlangt von der beklagten Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug Schadensersatz.

Der Kläger kaufte im November 2017 von einer Fahrzeughändlerin ein gebrauchtes Kraftfahrzeug, das von der Beklagten hergestellt worden war und mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist.

Die EG-Typgenehmigung wurde der Beklagten für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Abgasrückführung erfolgt in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster). Außerdem verfügt das Kraftfahrzeug über eine Fahrkurvenerkennung. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) untersuchte Motoren der Baureihe EA 288, veranlasste aber - in Kenntnis auch der Fahrkurvenerkennung - keinen Rückruf des vom Kläger erworbenen Kraftfahrzeugs.

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Er hat von der Beklagten zuletzt Zahlung in Höhe der bereits geleisteten Darlehensraten abzüglich eines dem Wert der gezogenen Nutzungen entsprechenden Betrags nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Kraftfahrzeugs und Übertragung der Anwartschaft auf dessen Übereignung sowie Freistellung von den weiteren, noch nicht fälligen Darlehensraten begehrt.

Außerdem hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten beantragt und von der Beklagten Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen verlangt.

Das LG hat die Klage abgewiesen und das Berufungsgericht die Berufung des Klägers mit dem angefochtenen Urteil zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Begründung: Anspruch eines Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens

Mit der vorliegenden Entscheidung vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21 - hat der BGH dazu Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Dieselfahrzeugen in "Dieselverfahren" den Ersatz eines Differenzschadens vom Fahrzeughersteller verlangen können.

Der BGH hat entschieden, dass hier ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehen kann.

Nach Auffassung des BGH kann nämlich die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB nicht entgegengehalten werden. Für eine tatbestandliche Schädigung gemäß § 826 BGB kommt es nicht auf die durch Verwaltungsakt festgestellte Rechtmäßigkeit eines beschriebenen Fahrzeugtyps an.

Zudem kommt eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Betracht. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kann zwar kein Anspruch auf "großen" Schadensersatz entnommen werden.

§ 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 schützen das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf. Der Schutz erstreckt sich aber nicht auf das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden.

Dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs kann jedoch ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden nach Maßgabe der Differenzhypothese, also ein Differenzschaden, entstanden ist.

Im konkreten Fall ist nach Überzeugung des BGH davon auszugehen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erfüllt sind.

Eine Schadensersatzhaftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV setzt auch ein Verschulden des in Anspruch genommenen Fahrzeugherstellers voraus. Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung.

Außerdem ist hier davon auszugehen, dass der Klägereinen Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat, weil die sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV revisionsrechtlich zu unterstellen sind.

Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich, der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt. Der Schaden des geschädigten Fahrzeugkäufers liegt in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand, mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken, zu teuer erworben hat.

Dem Kläger drohen hier infolge der unzulässigen Abschalteinrichtungen Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung durch die Zulassungsbehörde gemäß § 5 Abs. 1 FZV.

Die damit einhergehende Unsicherheit setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des Klägers bei Abschluss des Kaufvertrags herab. Denn schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher liegt ein geldwerter Vorteil.

Ein Schadenseintritt kann nicht deshalb verneint werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil das KBA Motoren der Baureihe EA 288 zwar geprüft, aber bisher von der Veranlassung eines Rückrufs oder anderen einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat.

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers nach Ansicht des BGH daher nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Der BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Praktische Bedeutung des Urteils vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21

Der BGH hat mit dem vorliegenden Urteil geklärt, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Dieselfahrzeugen in „Diesel-Fällen“ den Ersatz eines Differenzschadens vom Fahrzeughersteller beanspruchen können.

In diesem Urteil nimmt der BGH zur Begründung auch auf eine neuere Entscheidung des EuGH Bezug. Dieser hat klargestellt, dass der Käufer beim Erwerb eines Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten kann, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 eingehalten werden (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 - C-100/21).

Wenn der Käufer in diesem Vertrauen enttäuscht wird, kann er von dem Fahrzeughersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadensersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen.

Wie der BGH außerdem festgestellt hat, beläuft sich dieser auf eine Höhe zwischen 5% und 15% des gezahlten Kaufpreises.

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