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Recht & Verwaltung10 Juni, 2021

Weiterreise führt nicht zwingend zu Kürzung für Asylbewerber

Eine Einreise zum Zweck des Leistungsbezugs führt in der Regel zur Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG. Das LSG Niedersachsen-Bremen relativiert und präzisiert diese Aussage in seiner Entscheidung. Es zeigt auf, dass eine Weiterreise aus einem sicheren Drittstaat auch bei beteiligten wirtschaftlichen Gründe erfolgen kann und trotzdem der Tatbestand für eine Leistungseinschränkung nicht automatisch erfüllt ist.

Der Fall

Zu entscheiden war folgender Fall: Die Klägerin, nigerianische Staatsangehörige und alleinerziehende Mutter, war nach Anerkennung Internationalen Schutzes durch Italien nach Deutschland eingereist. Die Klägerin beantragte Leistungen nach dem AsylbLG. Bewilligt wurden ihr eingeschränkte Leistungen u.a. wegen des Vorwurfs der Einreise zum Zwecke des Leistungsbezugs. Als Motive für eine Einreise nach Deutschland führt die Klägerin die prekären Verhältnisse in Italien an. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts hätte sie betteln und sich prostituieren müssen. Einen festen Wohnsitz habe sie in Italien nicht besessen. Nach Deutschland sei die Klägerin in der Hoffnung auf Hilfe und Schutz eingereist, weil sie in Italien Angst um Leib und Leben hatte.

Die Entscheidung

Das LSG hob das abweisende Urteil des SG auf und verurteilte die Stadt zur Zahlung von ungekürzten Leistungen. Es führt aus, dass "bei der sog. „Um-zu-Einreise“ i.S. des § 1a AsylbLG der Leistungsbezug das prägende Motiv zum Zeitpunkt der Einreise gewesen sein müsse, wobei ein billigendes Inkaufnehmen nicht ausreiche". Zur Beurteilung des Einreisemotivs stellt das Gericht auch auf die Umstände im Herkunftsland ab:

"Erfolgt die Einreise nach Deutschland, um eine im vorherigen Aufenthaltsland unabweisbare materielle Notlage zu beenden, ist das ggf. weitere Einreisemotiv der Lebensunterhaltssicherung durch staatliche Leistungen unter Umständen nicht in der Weise als prägend anzusehen, dass eine Einschränkung nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. gerechtfertigt ist. Dies ist in aller Regel anzunehmen, wenn die leistungsberechtigte Person vor der Einreise einer extremen materiellen Notlage ausgesetzt gewesen ist, die der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. des Art. 4 GRCh/Art. 3 EMRK gleichkommt."

Quelle: Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.03.2021 - L 8 AY 33/16

Fazit

Auch bei illegaler Einreise aus einem an sich sicherem Drittstaat sind ungekürzte Leistungen zu gewähren, wenn die betroffene Person im Herkunftsland einer Menschenrechtsverletzungen gleichkommenden Notlage ausgesetzt ist und, wenn sie in einem europäischen Mitgliedstaat völlig auf sich allein gestellt und über einen langen Zeitraum gezwungen ist, auf der Straße zu leben.

Autor: Redaktion eGovPraxis

 

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