Ein Blick darauf, welche berufsrechtlichen Aspekte Anwälte bei der Aufnahme einer Nebentätigkeit beachten müssen.
Raoul Beth
Die Gründe für die Aufnahme einer Tätigkeit neben dem Anwaltsberuf sind vielfältig: Selbstverwirklichung, finanzielle Zwänge oder Interesse an neuen Herausforderungen, wenn bspw. ein Mandant nach einer gesellschaftsrechtlichen Beratung eine Stelle als Co-Geschäftsführer:in anbietet. Aber was ist hier aus Sicht des Berufsrechts zu beachten?
Nebentätigkeiten werden berufsrechtlich als Zweitberuf bezeichnet und sind auf zwei Ebenen geregelt: Zunächst gibt es Zweitberufe, die schlechthin nicht mit dem Anwaltsberuf vereinbar sind. Bei Ausübung eines solchen wird bereits keine Zulassung zur Anwaltschaft erteilt oder diese ggf. widerrufen. Soweit der Zweitberuf grundsätzlich vereinbar ist, sind im Arbeitsalltag aber bestimmte Regelungen zu beachten, um Interessenkonflikte zu vermeiden.
Grundsätzliche Vereinbarkeit des Zweitberufs
Ausgangspunkt ist Art. 12 Abs. 1 GG: Dieser schützt im Rahmen der Berufswahl auch das Recht, mehrere Berufe nebeneinander auszuüben. Daher darf Rechtsanwält:innen die Ausübung eines Zweitberufs nur untersagt werden, wenn dies zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes geboten und verhältnismäßig ist (BVerfG, Beschluss vom 04.11.1992 – 1 BvR 79/85 u.a., BVerfGE 87, 287). Solche wichtigen Gemeinschaftsgüter sind insbesondere das Vertrauen in die Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege sowie die Vermeidung von Interessenkonflikten (vgl. § 7 Nr. 8 BRAO).
Inhaltliche Vereinbarkeit
Grundsätzlich vereinbar mit der anwaltlichen Tätigkeit ist die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt/ Syndikusrechtsanwältin (vgl. § 46c Abs. 4 S. 2 BRAO) und die Tätigkeit in sozietätsfähigen freien Berufen (vgl. Auflistung in § 59c BRAO). Im Übrigen muss sich der Zweitberuf inhaltlich mit der Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege vereinbaren lassen und darf keine erhöhte Gefahr von Interessenkonflikten begründen. Nach der sehr einzelfallorientierten Rechtsprechung sind insbesondere zwei Fallgruppen problematisch:
- Anstellung im öffentlichen Dienst: Hier liegt Unvereinbarkeit vor, wenn die Tätigkeit mit der Ausübung von hoheitlicher Gewalt verbunden ist, weil dies der Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege entgegensteht (BGH, Beschluss vom 22.09.2017 – AnwZ (Brfg) 51/17 m.w.N.). Dies ist bspw. der Fall bei einer Anstellung als Leiter:in eines Ordnungsamts oder Hauptgeschäftsführer:in einer Industrie- und Handelskammer.
- Gewerbliche-kaufmännische Akquise: Gewerblich-kaufmännische Tätigkeiten sind grundsätzlich als Zweitberuf zulässig. Unvereinbarkeit liegt aber vor, wenn das erhöhte Risiko besteht, dass Informationen aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt/ Rechtsanwältin für den Zweitberuf genutzt werden und sich der/die Rechtsanwalt/ Rechtsanwältin deswegen nicht mehr allein von den Mandanteninteressen leiten lässt (Vgl. BGH, Urteil vom 11.01.2016 – AnwZ (Brfg) 35/15 m.w.N.). Dies gilt nach der Rechtsprechung bspw. für Makler:innen, Bankberater:innen, und Versicherungsmakler:innen.
Vereinbarkeit der konkreten Ausgestaltung
Daneben verlangt die Rechtsprechung, dass Rechtsanwält:innen neben dem Zweitberuf tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, den Anwaltsberuf unabhängig und mehr als nur gelegentlich auszuüben (Vgl. BGH, Beschluss vom 09.11.2009 – AnwZ (Brfg) 83/08 m.w.N.). Dies soll verhindern, dass die Berufsbezeichnung zu einem bloßen Titel verkommt.
Daher muss gewährleistet sein, dass die Anwaltstätigkeit auch tatsächlich unabhängig ausgeübt werden kann. Praktisch wird dies dadurch gewährleistet, dass der/ die Arbeitgeber:in eine unwiderrufliche Freistellungserklärung abgibt, dass die anwaltliche Tätigkeit Vorrang hat und der/ die Arbeitnehmer:in während der Arbeitszeit bspw. Gerichtstermine oder Telefonate ohne Rücksprache wahrnehmen darf.
Bei der Ausübung zu beachtende Regelungen
Bei der Ausübung eines vereinbaren Zweitberufs sind insbesondere folgende Regelungen zu beachten:
- Zwischen anwaltlicher Tätigkeit und Zweitberuf gilt selbstverständlich die anwaltliche Schweigepflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO, § 203 StGB), so dass keine Informationen aus der anwaltlichen Tätigkeit für den Zweitberuf genutzt werden dürfen.
- Auch dürfen keine Parteien mit widerstreitenden Interessen vertreten werden, wenn der Rechtsanwalt in einer Angelegenheit zuvor im Zweitberuf tätig war (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO) oder nach seiner anwaltlichen Tätigkeit nichtanwaltlich tätig wird (§ 43a Abs. 6 BRAO).
Verstöße gegen diese Pflichten können im anwaltsgerichtlichen Verfahren sanktioniert werden (vgl. § 113 BRAO).
Praktisches
Um der Rechtsanwaltskammer die Prüfung der Vereinbarkeit zu ermöglichen, muss die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses unverzüglich angezeigt werden (§ 56 Abs. 3 Nr. 1 BRAO). Gleiches gilt für wesentliche Änderungen in einem bestehenden Verhältnis. Zur Beschleunigung des Verfahrens empfiehlt es sich, die zugehörigen Vertragsunterlagen bereits mit der Anzeige vorzulegen.
Soweit die Aufnahme einer „kritischen“ Tätigkeit erwogen wird, empfiehlt es sich, mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorab zu prüfen, ob sich eine mögliche Unvereinbarkeit nicht durch vertragliche Ausgestaltungen des Beschäftigungsverhältnisses im Zusammenspiel mit den unter II. beschriebenen Regelungen abwenden lässt. Da bei Ausübung einer unvereinbaren Tätigkeit ein Zulassungswiderruf in Betracht kommt (§ 14 Abs. 1 Nr. 8 BRAO), sollte bei „kritischen“ Tätigkeiten mit der Kammer eine Klärung vor Aufnahme der Tätigkeit herbeigeführt werden.
Die Anzeigepflicht gilt dem Wortlaut nach zwar nur für Beschäftigungsverhältnisse, zur Vermeidung von Problemen bietet es sich aber an, die Aufnahme einer „kritischen“ selbstständigen Tätigkeit von sich aus bei der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen.
Zwischen den Einkünften aus der anwaltlichen Tätigkeit und dem Zweitberuf sollte eine eindeutige und nachvollziehbare Trennung erfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zweitberuf der Gewerbesteuer unterfällt und der Rechtsanwalt/ die Rechtsanwältin seine/ ihre anwaltliche Tätigkeit bspw. in einer Personengesellschaft ausübt: Hier droht schlimmstenfalls eine sogenannte Abfärbung mit der Konsequenz, dass die Einkünfte der Gesellschaft insgesamt als gewerblich qualifiziert werden und somit der Gewerbesteuer unterliegen (Vgl. zu dieser strittigen Problematik jüngst FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.09.2021 – 4 K 1270/19, eine Revision beim BFH ist anhängig). Daher sollte rechtzeitig steuerrechtliche Beratung in Anspruch genommen werden.