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Recht & Verwaltung17 Oktober, 2024

Kalkulationsfreiheit der Bieter und ihre Grenzen

Autor:in Henning Feldmann

Vergabeverfahren: Kalkulationsfreiheit der
Bieter und ihre Grenzen

Bieter haben bei Vergabeverfahren grundsätzlich Freiheit bei der Kalkulation ihres Angebots, sollten jedoch bestimmte Grenzen beachten.

Henning Feldmann

Nach ständiger Rechtsprechung sind Bieter in ihrer Preiskalkulation grundsätzlich frei (siehe etwa VK Bund, Beschl. v. 22. August 2022, VK 1-73/22 sowie OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18. August 2023, 15 Verg 4/23). Sie können im Grundsatz betriebswirtschaftlich frei entscheiden, mit welchen Gewinn- oder Risikozuschlägen, mit welchen Kostenansätzen, mit welchen Zukunftsannahmen (etwa für Preisentwicklungen) und mit welchen Kalkulationsverfahren sie rechnen.
Spiegelbildlich dazu steht sein Kalkulationsrisiko: denn ob ein Bieter bei der Kalkulation seines Angebotes die voraussichtlichen Kosten auch vollständig erfasst hat und ob seine auf dieser Grundlage kalkulierten Preise zutreffend sind und sich am Ende des Tages als auskömmlich erweisen, ist sein Risiko. Allerdings sind der Kalkulationsfreiheit Grenzen gesetzt, die sich vor allem aus den Grundsätzen der Transparenz und Vergleichbarkeit der Angebote, letztlich mit dem Ziel, einen fairen Wettbewerb zu erreichen, ergeben.

Kalkulationsvorgaben

Öffentlichen Auftraggebern steht es frei, den Bietern Kalkulationsvorgaben zu machen. Diese beschränken reglementieren zwar die Kalkulationsfreiheit der Bieter und beeinflussen den Preiswettbewerb, sind aber trotzdem Ausdruck der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. November 2012, VII-Verg 42/12). Kalkulationsvorgaben müssen aber zunächst eindeutig festgelegt, nicht interpretationsbedürftig und bestimmt sein (OLG Naumburg, Beschl. v. 14. Oktober 2016, 7 Verg 3/16). Darüber hinaus dürfen sie die Kalkulationsfreiheit der Bieter nicht unzumutbar einschränken.
So hielt es beispielsweise die VK Bund (VK Bund, Beschl. v. 22. August 2022, VK 1-73/22) für rechtswidrig, dass ein öffentlicher Auftraggeber die Vorgabe aufgestellt hatte, dass in den finalen Angeboten in einem Verhandlungsverfahren nur noch solche Angebote gewertet wurden, die einem vom Auftraggeber vorgegebenen Preismuster entsprachen. Für dieses Preismuster wurde zunächst der Preisdurchschnitt der Erstangebote aller Bieter berechnet.
Diese Durchschnittspreise bildeten dann wiederum ein Preismuster, das im weiteren Verlauf für alle Bieter gleichermaßen verbindlich vorgegeben wurde. Denn nach der VK Bund bedeutete das, dass erstens unterschiedliche kalkulatorische Spielräume, über die die Bieter bei den jeweiligen Einzelpositionen verfügen, nicht mehr berücksichtigt werden können, und dass zweitens alle Bieter gleichbehandelt werden, ohne dass die Grundlagen der Angebotskalkulation gleich sind.
Unzulässig ist darüber hinaus beispielsweise ein Verbot der Angabe von „negativen Preisen“. So entschied beispielsweise das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 18. August 2023, 15 Verg 4/23) in einem Fall, der ein Vergabeverfahren zum Neubau einer Ortsumfahrung betraf. Ein Bieter gab ein Angebot ab, in dem er in einer Position des Leistungsverzeichnisses, in dem „grobkörniger Boden zu liefern, einzubauen und zu verdichten war“, einen negativen Preis angeboten hat.
Der Bieter begründete dies damit, dass ihm der Boden im Rahmen eines anderen Bauvorhabens zur Verwertung überlassen werde und er dafür eine Vergütung erhalte, er diese Leistung daher zu einem negativen Preis anbieten könne. Dies ist nach dem OLG Karlsruhe nicht zu beanstanden, ein Verbot negativer Preise findet keine Stütze im Gesetz.
Auch die Vorgabe von Mindestpreisen oder bestimmter Gewinnspannen durch den Auftraggeber wäre unzulässig.
Zulässig ist hingegen beispielsweise eine Vorgabe in einer Ausschreibung über Wäschereileistungen, Preise für die Miete von Wäsche und die Bearbeitung von Wäsche in jeweils unterschiedlichen Preisblättern zu kalkulieren (VK Nordbayern, Beschl. v. 4. September 2019, RMF-SG21-3194-4-41). Denn hierdurch bringe die Vergabestelle klar zum Ausdruck, dass es ihr auf eine getrennte Kalkulation von Bearbeitung/Lieferung der Wäsche und Miete ankommt.
In Vergabeverfahren über Bewachungsleistungen wird es als zulässige Kalkulationsvorgabe betrachtet, von Bietern zu verlangen, angebotene Stundensätze nach einem bestimmten Lohntarifvertrag zu kalkulieren (VK Bund, Beschl. v. 24.November 2022, VK 2-94/22).

Spekulationsangebote und vergaberechtswidrige Mischkalkulationen

Die Begrifflichkeiten „Spekulationsangebote“ und „Angebote, die vergaberechtswidrige Mischkalkulationen beinhalten“, werden häufig vermischt, sind aber streng zu trennen.
Zunächst ist jede Angebotskalkulation in gewissem Sinne spekulativ. Denn ob die vom Bieter bei der Kalkulation getroffenen Annahmen etwa hinsichtlich Zeit, Dauer und Aufwand, den er für die Leistungserbringung einkalkuliert hat, sich bei der späteren Ausführung auch tatsächlich so bewahrheiten, weiß man nie vorher. Lediglich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der bei der Kalkulation zugrunde gelegten Annahmen sowie die Frage, wie man diese im Preis berücksichtigt, machen den Unterschied aus; und in dieser Preiskalkulation sind die Bieter eben nun einmal frei.
Davon abzugrenzen sind Spekulationspreise. Ein Spekulationspreis liegt vor, wenn ein Leistungsverzeichnis Unklarheiten aufweist und der Bieter diese Lücken bewusst ausnutzt, indem er einzelne Leistungspositionen aufpreist und andere Positionen abpreist, um die Zuschlagschancen zu erhöhen. Relevant werden kann dies etwa dann, wenn ein Auftraggeber in einem Leistungsverzeichnis eine bestimmte Position mit einem Mengenfaktor hinterlegt hat (z.B.: „Pos. xy mit Menge fünf“) und dem Bieter auffällt, dass der Auftraggeber sich hier vertan haben muss („Pos. xy müsste in Wahrheit Menge 20 haben“).
Der Bieter gibt ein Spekulationsangebot ab, wenn er Pos. xy hoch bepreist, weil er einerseits weiß, dass ihm dies in der Angebotswertung nur einen geringen Nachteil verschafft und er andererseits weiß, dass er Nachträge zu diesen erhöhten Preisen geltend machen kann. Spiegelbildlich kann er andere Positionen dann zu niedrig bepreisen, um sich einen Wertungsvorteil zu verschaffen; der überhöhte Preis gleicht den niedrigen dann aus. Wie mit derartigen Spekulationspreisen vergaberechtlich umzugehen ist, ist noch nicht abschließend geklärt.
Zudem sind derartige Kalkulationen in der Praxis vom Auftraggeber nur schwer zu erkennen und oft auch nur schwer nachweisbar. Nach der Rechtsprechung sind Bieter grundsätzlich nicht verpflichtet, erkannte Fehler offenzulegen, sondern diese können Grundlage der Angebotskalkulation sein (VK Lüneburg, Beschl. v. 21. Januar 2020, VgK-41/2019). Auch nach dem Bundesgerichtshof (Urt. v. 19. Juni 2018, X ZR 100/16) ist es nicht per se unzulässig, Unklarheiten bei den Mengenansätzen in einem Leistungsverzeichnis zu erkennen und zu versuchen, kalkulatorische Vorteile hieraus zu ziehen, sondern es ist Sache des Auftraggebers, solche Spielräume im Leistungsverzeichnis von vornherein auszuschließen.
Eine Grenze ist aber da zu ziehen, wo ein Angebot spekulativ so ausgestaltet sei, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erhebliche Übervorteilungen drohen und das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das wirtschaftlichste Angebot zu bezuschlagen. Ein Bieter, der derart kalkuliert, verletzt nach dem BGH seine Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB.

Vergaberechtswidrige Mischkalkulationen sind eine Variante der Spekulationsangebote. Hierbei setzt der Bieter Preise für bestimmte Preispositionen bewusst zu niedrig an und erhöht im Gegenzug die Preise in anderen Positionen. Dies passiert in der Erwartung, dass sich die für die erhöhte Preisposition angesetzten Mengen während der Auftragsausführung deutlich erhöhen, während die verbilligte Person seltener anfallen wird.
Eine solche Mischkalkulation ist unzulässig - und führt, wenn sie denn nachgewiesen werden kann - unter den folgenden Voraussetzungen zum Angebotsausschluss. Zunächst muss der Bieter Preisbestandteile, die nach seiner internen Kalkulation eigentlich in einer bestimmten Position anfallen müssten, nicht dort einkalkulieren, sondern in eine andere Position einrechnen. Spiegelbildlich muss eine andere Preisposition höher angeben als intern kalkuliert. Zudem muss diese Auf- und Abpreisung in einem beabsichtigen, kausalen Zusammenhang stehen.
Denn dann entspricht der angebotene Preis nicht dem tatsächlich beanspruchten Entgelt für die betreffende Leistung, was einer fehlenden Preisangabe gleichkommt. Hierbei stellen sich aber in der Regel Beweisschwierigkeiten. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Auftraggeber, der aber keinen konkreten Einblick in Interna der Angebotskalkulation hat. Im Verdachtsfall kann der Auftraggeber dem Bieter aufgeben, die interne Kalkulation offenzulegen und den Hintergrund der Auf- und Abpreisung zu erläutern.

Fazit

In Bezug auf Kalkulationsvorgaben in den Vergabeunterlagen kann Bietern nur empfohlen werden, diese entweder rechtzeitig vor Angebotsabgabe zu rügen, wenn man sie für unzumutbar oder unklar hält, oder sie schlichtweg genau zu beachten. Denn ansonsten besteht ein Ausschlussgrund gemäß § 57 Abs. 1 Nummer 4 VgV, wenn ein Bieter von den Kalkulationsvorgaben nach den Vergabeunterlagen abweicht.
Im Übrigen sind Bieter bei der Kalkulation der Preise frei. Vorsicht und Zurückhaltung ist aber immer dann angezeigt, wenn Tricks bei der Angebotskalkulation angewendet werden sollen, die die Kalkulation unredlich erscheinen lassen. Bieter sollten hierbei mit Augenmaß und Zurückhaltung vorgehen. Vor allem Angebotskalkulationen, bei denen einzelne Preispositionen zugunsten anderer auf- oder abgepreist werden sollen, bergen erhebliche Risiken.
Denn auch die Rechtsprechung der letzten Jahre ist Stück für Stück „auftraggeberfreundlicher“ geworden: musste der Bieter bis dato nur erklären, dass er die Leistungen zu den jeweils angebotenen Preisen auch erbringen kann, sind seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 19. Juni 2018, X ZR 100/16) nunmehr erhebliche Auffälligkeiten bei niedrigen Preisen einerseits und auffallend hohen Preisen andererseits vom Bieter im Zweifel zu begründen. Eine vergaberechtswidrige Mischkalkulation und Preisverlagerung ist nach diesem Urteil indiziert, wenn Positionen mit auffällig niedrigen Preisen Positionen mit auffällig hohen Preisen gegenüberstehen (OLG München, Beschl. v. 17. April 2019 - Verg 13/18).
Kann der Bieter die auffällige Preisverlagerung nicht erklären, rechtfertigt dies den Angebotsausschluss. Auffällige Missverhältnisse zwischen den Preisen einzelner Preispositionen sollten daher unbedingt vermieden werden, um den Eindruck einer Preisverlagerung gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Henning Feldmann

Partner und Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln. Er berät Auftraggeber- und Auftragnehmer im Vergaberecht und im angrenzenden Wirtschaftsverwaltungsrecht.

Bildnachweis: wichayada/stock.adobe.com

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