Direktaufträge bieten für öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit, ohne aufwändiges Vergabeverfahren und unbürokratisch Aufträge zu erteilen. Aber auch bei Direktaufträgen gelten rechtliche Spielregeln.
RA Henning Feldmann, Partner und Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln.
Zielkonflikt
Aus Sicht der öffentlichen Hand besteht bei Vergabeverfahren häufig ein Zielkonflikt. Einerseits werden die Anforderungen an die sogenannte „strategische Beschaffung“ etwa im Bereich Nachhaltigkeit oder Tarifbindung und Mindestlohn immer weiter verschärft und den Auftraggebern werden hierdurch immer mehr Pflichten auferlegt. Das Land Baden-Württemberg etwa verpflichtet öffentliche Auftraggeber seit neuestem dazu, bei Liefer- und Dienstleistungen ab 100.000 Euro einen „CO2-Schattenpreis“ zu veranschlagen und zu bewerten.
Dies verkompliziert Vergabeverfahren und bringt die Vergabestellen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit - und darüber hinaus. Auf der anderen Seite ist immer mehr von einer notwendigen „Entbürokratisierung von Vergabeverfahrens“ die Rede, da einerseits Vergabestellen überlastet sind und die Auftraggeber außerdem immer häufiger die Erfahrung machen, dass keine Angebote eingehen. Als vermeintlich einfache Lösung dieses Dilemmas wird häufig der Direktauftrag genannt, verbunden mit einer Erhöhung der Wertgrenzen hierfür.
Was ist ein Direktauftrag?
Abzugrenzen ist der Direktauftrag von der Direktvergabe. Bei einer Direktvergabe handelt es sich um ein Vergabeverfahren, bei dem der Auftrag über ein sogenanntes Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben wird. Eine Direktvergabe ist nur in bestimmten Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn keine oder nur ungeeignete Angebote eingehen oder wenn die Leistung nur ein bestimmtes Unternehmen erbringen kann, z.B. wenn es um ein einzigartiges Kunstwerk geht oder technische Gründe ein Alleinstellungsmerkmal begründen.
Direktauftrag hingegen meint die Beschaffung einer Leistung ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens (siehe etwa § 14 UVgO). Bereits nach der Legaldefinition handelt es sich daher nicht um ein Vergabeverfahren, sondern um eine außerhalb des förmlichen Vergaberechts stattfindende Beschaffung. Bei einem Direktauftrag werden keine Vergleichsangebote eingeholt, sondern die Vergabestelle kauft das gewünschte Produkt oder die gewünschte Leistung direkt bei einem Lieferanten oder Unternehmen ein. Hierbei kann es sich um alle möglichen Waren oder Dienstleistungen handeln, von Bleistiften bis hin zu kleinen handwerklichen Arbeiten oder kleinen Bauaufträgen. Auch ein Direktauftrag findet nicht im rechtsfreien Raum statt. Es gelten gesetzliche Spielregeln.
Rechtliche Vorgaben an den Direktauftrag - Wertgrenzen
Zunächst sind Direktaufträge nur bis zu gewissen Wertgrenzen zulässig. Die UVgO und die VOB/A auf Bundesebene hatten diese Wertgrenze für Liefer- und Dienstleistungen einst bei 1.000,00 Euro netto ohne Umsatzsteuer und für Bauleistungen bei 3.000,00 Euro gezogen. Es handelt sich um Bagatellgrenzen, bei denen der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass der Aufwand eines förmlichen Vergabeverfahrens den Nutzen übersteigt. Dies ist nachvollziehbar und innerhalb dieser Wertgrenzen erscheint der Aufwand für ein förmliches Vergabeverfahren und auch für die Einholung von Vergleichsangeboten in der Tat überzogen. Denn auch wenn die Einholung von Vergleichsangeboten formlos per E-Mail erfolgen kann, ist dies für den Auftraggeber mit Aufwand und Zeitverzug verbunden. Die Auftragswertschätzung muss im Vorfeld nach den Maßgaben von § 3 VgV zu schätzen, d.h. es muss unter Annahme plausibler Grundlagen ein realistischer Auftragswert geschätzt werden und vor allem darf dieser nicht künstlich kleingerechnet werden, um unter die Bagatellgrenze für den Direktauftrag zu kommen.
Die Bundesländer haben die Möglichkeit, in landesrechtlichen Regelungen abweichende Wertgrenzen festzusetzen. Hiervon haben nahezu alle Bundesländer Gebrauch gemacht und Wertgrenzen festgelegt, die zum Teil deutlich über den oben genannten 1.000 Euro bzw. 3.000 Euro liegen. In Brandenburg, Bremen, im Saarland und Rheinland-Pfalz liegt die Wertgrenze derzeit beispielsweise bei 3.000 Euro, in Hamburg und in Schleswig-Holstein bei 5.000 Euro, Thüringen erlaubt Direktaufträge bis 7.000 Euro und Sachsen-Anhalt und Hessen bis 10.000 Euro. Bayern und Baden-Württemberg sind besonders großzügig. In Bayern liegt die Wertgrenze derzeit bei 25.000 Euro. Einen Sonderfall stellt Baden-Württemberg dar, wo die Wertgrenze für den Direktauftrag kürzlich auf beeindruckende 100.000 Euro festgelegt worden ist.
Eine derartige Erhöhung der Wertgrenze ist überaus kritisch zu bewerten. Von dem ursprünglichen Gedanken „Wenig Aufwand und keine Bürokratie bei Bagatellaufträgen“ ist jedenfalls bei Wertgrenzen von über 10.000 Euro nichts mehr übrig. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass Vergleichsangebote bei derart großen Aufträgen im Umfang von 20.000 Euro oder in Baden-Württemberg sogar von bis zu 100.000 Euro erhebliche Einsparungen für die öffentliche Hand bewirken und Vetternwirtschaft und Korruption entgegenwirken können. Darüber hinaus bestehen bei Direktaufträgen kaum Rechtsschutzmöglichkeiten für nicht berücksichtigte Bieter, da diese in aller Regel nicht einmal von einem vergebenen Direktauftrag erfahren.
Rotationsprinzip
Korruption und einem „Hoflieferantentum“ soll durch das Rotationsprinzip entgegengewirkt werden. Das besagt, dass öffentliche Auftraggeber bei Direktaufträgen zwischen den beauftragten Unternehmen wechseln „sollen“. Nun bedeutet „sollen“ in der Regel „müssen, wenn möglich“.
Wirklich nachprüfbar ist es insbesondere für interessierte Unternehmen aber nicht, ob tatsächlich ein regelmäßiger Wechsel stattfindet. Vielmehr findet in der Praxis häufig kein Wechsel statt und in der Verwaltung wird häufig nach dem Motto „Bekannt und bewährt“ stets derselbe Lieferant beauftragt.
Geltung des Haushaltsrechts
Direktaufträge dürfen nur „unter Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ vergeben werden. Hieraus ergibt sich, dass die Vergabestellen vor einem Direktauftrag im Hinblick auf den konkreten Auftrag jedenfalls einen formlosen Preisvergleich - etwa durch Internetrecherchen, Preislisten oder telefonische Anfragen - durchzuführen und zu dokumentieren haben. Teilweise schreiben landesrechtliche Regelungen auch vor, dass vor der Vergabe eines Direktauftrags eine Markterkundung durchzuführen ist, etwa in Mecklenburg-Vorpommern.
Hierbei gilt, dass dieser formlose Preisvergleich mit umso mehr Aufwand und Mühe durchzuführen ist, je höher der geschätzte Auftragswert ist. So dürften bei Aufträgen rund um 1.000 Euro schnelle Internetrecherchen noch ausreichen. Bei fünfstelligen oder nahezu sechsstelligen (wie in Baden-Württemberg möglich) Auftragssummen dürften Direktaufträge, die ohne umfassende Markterkundung und einen umfassenden Preisvergleich vergeben werden, aber unzulässig, haushaltsrechtlich äußerst bedenklich und damit ein Fall für den Landesrechnungshof sein.
Dokumentationspflicht
Nach den vergaberechtlichen Vorschriften sind Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend zu dokumentieren. Dazu sind die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festzuhalten. Für Direktaufträge besteht jedenfalls keine vergaberechtliche Dokumentationspflicht. Allerdings sind auch bei Direktaufträgen die haushaltsrechtlichen Bestimmungen für die Bedarfsfeststellung und die Beschaffungsentscheidung zu beachten. Hiernach ist die dienstliche Notwendigkeit zu begründen und zu dokumentieren (vgl. § 6 Bundeshaushaltsordnung).
Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 7 Bundeshaushaltsordnung) sind ebenfalls einzuhalten und auch dies ist zu dokumentieren. Im Ergebnis besteht daher auch bei Direktaufträgen eine umfassende Dokumentationspflicht insbesondere zum vorgenommenen Preisvergleich und der Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zwar nicht aus Vergaberecht, aber jedenfalls aus Haushaltsrecht. Hierauf weist etwa auch der Bundesrechnungshof in der „Abschließenden Mitteilung über die Querschnittsprüfung Veröffentlichungen und Fachinformationen“ aus dem Jahr 2020 ausdrücklich hin.
Abfrage im Wettbewerbsregister
Das Wettbewerbsregistergesetz erfordert bei Aufträgen ab einem geschätzten Auftragswert von 30.000 Euro die Abfrage über den potenziellen Vertragspartner im Wettbewerbsregister. Da das Wettbewerbsregister nicht nach unterscheidet, wie ein Auftrag vergeben wird, gilt dies auch bei Direktaufträgen.
Meldung nach der Vergabestatistikverordnung
Dasselbe gilt für die nach der Vergabestatistikverordnung vorgeschriebenen Meldepflichten, die für alle öffentlichen Aufträge ab 25.000 Euro gelten. Die Meldung des Direktauftrags muss innerhalb von 60 Tagen erfolgen.
Sonderfall: Binnenmarktrelevanz
Ein Sonderfall besteht im Falle des Vorliegens einer Binnenmarktrelevanz des geplanten Direktauftrags. Diese besteht bei Aufträgen, die nicht nur für die im eigenen Land ansässigen Unternehmen von Interesse sind, sondern auch für Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten. Ob das der Fall ist, muss der Auftraggeber vorab prüfen und dies dokumentieren. Es gibt keine klaren Grenzwerte und es kommt hierfür auf den Einzelfall an. Entscheidende Prüfkriterien sind insbesondere die geografische Lage des Auftragsorts und der Auftragswert.
Je näher zur Grenze sich der Auftragsort befindet ist und umso höher der Auftragswert ist, umso eher ist der Auftrag für Unternehmen aus anderen EU-Ländern interessant. Ebenso kommt es auf ggf. bestehende nationale Besonderheiten bei der Auftragsausführung an. Will beispielsweise ein öffentlicher Auftraggeber in Bayern oder Baden-Württemberg einen Auftrag über die Beschaffung einer Ware (etwa: Hardware oder Bürobedarf), einer Dienstleistung (etwa: Hausmeister-, Garten- oder Entsorgungsarbeiten oder handwerkliche Arbeiten) oder einen „kleinen“ Bauauftrag im Wert von 50.000 Euro vergeben, dürfte in jedem Fall ein grenzüberschreitendes Interesse bestehen.
In der Praxis bedeutet das, dass eine vorherige Bekanntmachung der Auftragsvergabe erfolgen muss und Wettbewerb herzustellen ist. Dies erfolgt außerhalb der EU-Vergaberichtlinie, daher ist z.B. die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union nicht verpflichtend. Trotzdem muss gewährleistet sein, dass Interessenten aus anderen EU-Mitgliedsstaaten Kenntnis von dem Auftrag erlangen und sich beteiligen können. Da sich diese Vorgaben aus EU-Primärrecht ergeben, gehen sie den landesrechtlichen Regeln zum Direktauftrag vor. Bedeutet: auch wenn nach Landesrecht ein Direktauftrag erlaubt ist, gilt dies nicht bei binnenmarktrelevanten Aufträgen.
Fazit
Die Direktvergabe ist für Bagatellaufträge ein geeignetes und sinnvolles Mittel, um die Verwaltungen zu entlasten. Der Trend der massiven Erhöhung der Wertgrenzen für Direktaufträge schießt indes über das Ziel hinaus. Man hat den Eindruck, dass an einer Stelle die Verwaltung dadurch entlastet werden soll, dass sie Aufträge in immer größerem Umfang direkt soll vergeben dürfen, um an anderer Stelle Vergabeverfahren v.a. durch verpflichtende Nachhaltigkeitsvorgaben erheblich zu verkomplizieren.
Auftraggeber sollten jedenfalls nicht dem Missverständnis erliegen zu glauben, dass Direktauftrag bedeutet, dass die Auftraggeber nach Gutdünken Aufträge vergeben können. Vor allem das Rotationsprinzip, der notwendige Preisvergleich und die vorherige Prüfung der Binnenmarktrelevanz sollten in jedem Fall ernst genommen werden, um Vetternwirtschaft und Korruption entgegenzuwirken und kritische Nachfragen der zuständigen Rechnungsprüfstellen zu vermeiden. Auftraggeber sollten darüber hinaus wirksame interne Kontrollmechanismen implementieren, um Direktaufträge unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zu vergeben. Interessierte Unternehmen können sich dadurch, dass sie formlose Interessensbekundungen an öffentliche Auftraggeber (v.a. Kommunen) in ihrem örtlichen Einzugsgebiet versenden, bei diesen vorstellen, um bei zukünftigen Direktaufträgen Berücksichtigung zu finden.